Analoge Gedanken 2.0

Von Roadwarrior · 31. Dezember 2019 · ·
Die Haltung zum Hobby ist anders geworden...gefühlt und real
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  1. In den letzten Monaten ertappe ich mich immer wieder bei einer Art Selbstreflexion, ich frage mich immer wieder ob meine Lust zu Spielen nachgelassen hat. Ob mir die Euphorie vielleicht langsam verloren gegangen ist und die Bereitschaft ähnlich viel - nicht nur Geld - wie früher in mein Hobby zu investieren...

    Der lange Weg...

    Nun findet jeder Zocker auf seine ganz eigene Weise in diese Welt. Bei mir ist das Ganze wie in einem anderen Beitrag ausführlich beleuchtet schon knapp 40 (1981) Jahre her. Seit damals begleitet mich diese Leidenschaft ungebrochen und durchgehend, sogar deutlich länger als mein ebenso ausgeprägter Hang zum Motorrad fahren, das fing erst 10 Jahre später an.
    Umso mehr fühlt sich der Gedanke merkwürdig an, dass diese Dinge sich ändern könnten. Sicher, ein Zocker werde ich immer sein. Aber wie intensiv ich das Ganze betreibe, das stelle ich manchmal in Frage. Über einige wirklich krankhafte und ungesunde Phasen hinweg (z.B. exzessives WoW-Spielen) hatte ich immer ein konstant hohes Niveau, was meine Spielzeiten angeht. Da meine schulischen und später beruflichen Leistungen gepasst haben, gab es wenig Grund, daran etwas zu ändern. Meine Mutter und nach ihr meine Partnerinnen haben mir immer den Freiraum gelassen, der nötig war um mich da komplett auszuleben. Teilweise haben die Mädels ja selbst gespielt und waren auf diese Weise in gewisser Form "Komplizinnen".

    Inzwischen stürme ich auf meinen 45. Geburtstag zu und obwohl ich weit davon entfernt bin das "durchschnittliche" Leben meiner Altersgenossen zu teilen spüre ich doch in gewissen Momenten eine Veränderung, die sich irgendwann wohl schleichend vollzogen haben muss. Ich kann Spiele auch mal wochenlang liegen lassen ohne die Story direkt zu einem Ende bringen zu müssen. Noch bei Mass Effect 3 hätte ich das nicht ausgehalten. Bei Witcher 3 jedoch war es schon so, das Spiel lag ewig halb gespielt herum. Das einzige Spiel, dass meinen alten Ehrgeiz noch einmal in voller Blüte ausgereizt hat war Read Dead Redemption 2 - und das sogar 4 mal inzwischen. 2 x PS4, 1 x Xbox One und nun einmal am PC...man kann mich doch noch kitzeln...

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    Atari 2600 - 1981 mein persönlicher Startpunkt in ein Leben als "Gamer".

    Die Metaebene...

    Mit der Metaebene beschreibt man in meinem Beruf die Fähigkeit, sich Situationen von einem neutralen, unvoreingenommenen Blickwinkel aus zu betrachten. Eigentlich bedeutet das, dass die Person selbst auf die Metaebene geht und die eigenen Umstände differenziert und gut reflektiert einschätzt.
    In diesem Fall aber meine ich damit das, was ich über die Jahre von "Außenstehenden" zu Hören bekommen habe, wenn es um meinen Lifestyle und meine Hobbies ging. Die Aussagen waren teilweise sehr abwertend, auch wenn sie sehr oft nicht so gedacht waren. Lange bevor Gaming derart in der Mitte der Gesellschaft angekommen war musste man sich Einiges gefallen lassen von denen, die nicht mit der Materie vertraut waren. Die gewohnten Stereotypen von wegen dicker, pickeliger Nerd ohne reale Freunde sind da noch die witzigsten Vorurteile, mit denen man konfrontiert wird.

    Auch heute noch darf ich mir Sachen anhören wie "Wann wirst Du mal erwachsen?", "Wie lang kann man so ein Leben führen?" oder "Bist Du nicht zu alt für Heavy Metal und Zocken?". Jetzt finde ich das lustig, früher hat mich das sauer gemacht. Und je näher mir die Person stand, desto wütender wurde ich durch solche Bemerkungen.
    Ich fühlte mir missverstanden und vor Allem nicht gewertschätzt. Ich betrinke mich nicht, ich rauche nicht und ich habe - außer beruflich - Nichts mit Drogen zu tun. Anscheinend war es nötig, dann auf meinem Hobby oder meinen Tattoos herum zu mäkeln...

    Ich hatte das Glück, dass meine Partnerinnen, meine Familie und große Teile meines Freundeskreises auch spielen und deswegen die "Angreifer" nur sehr selten aus meinem nahem Umfeld gekommen sind. Dennoch kam es natürlich vor und war dann besonders uncool.

    Gelebte Realitäten...

    Wenn ich mir überlege, wie viele Entscheidungen in meinem Leben getroffen worden sind nachdem ich sie auf ihre Konformität mit meinem Gamer-Dasein geprüft habe...lustig.
    Mein Beruf...die Arbeitszeiten, der Verdienst...beides passt gut in dieses Leben. Mein Wohnort...örtliche Nähe zu bestimmten Geschäften, extrem schnelles Internet musste verfügbar sein. Sogar familiäre Entscheidungen wurden von mir getroffen unter Einbeziehung dieser Faktoren. Nachdem ich gesehen hatte, dass Freunde von mir durch ihre Entscheidung Kinder in die Welt zu setzen finanziell, zeitlich und auch nervlich teilweise komplett außer Gefecht gesetzt worden sind was ihre Freizeit angeht, war mir schnell klar, dass das SO kaum ein Weg für mich sein kann - zumindest in den Jahren bevor ich dann irgendwann einmal 40 geworden bin.
    Noch heute habe ich oft Gespräche mit Freunden zu dem Thema. Merkwürdig, keiner dieser Männer sagt so was wie "Ach ja, Kinder sind soooo toll, ich würde alles wieder ganz genau so machen." - Frauen sagen so Etwas durchaus mal, Männer bisher nie. Die Jungs spielen wenn überhaupt nur noch Playstation, weil für hochwertige PC-Hardware einfach das Geld nicht mehr zur Verfügung steht wie in den Jahren vor der "Familienplanung".

    Auf der anderen Seite spüre ich durchaus manchmal eine Art Lücke, wenn ich meinen Neffen, meinen Patenjungen oder sogar die Tochter meiner Ex-Frau in die Finger kriege zum Albern. Aber für alle Entscheidungen im Leben zahlt man eben einen Preis, nichts was man tut ist nur gut oder nur schlecht. Man trifft sie und steht dann dazu.

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    Familienplanung - extreme Auswirkungen auf die Möglichkeiten als Gamer...

    Veränderung findet statt...

    Was auf jeden Fall anders geworden ist mit fortschreitendem Alter sind die Spielgewohnheiten. Früher konnte ich viele verschiedene Spiele auf hohem Niveau spielen. Jetzt schaffe ich das nur noch bei 2 oder 3 Games, dann fällt das Leistungslevel deutlich ab. Auch die Stunden, die ich am Stück spielen kann wurden spürbar weniger. Früher waren 3 oder 4 Stunden Schlaf auch mal ausreichend - wenn ich das heute noch mache kann ich mich krank melden, Dienst wäre mir da nicht mehr möglich.

    Dafür habe ich nun das Geld, mir deutlich mehr Spiele zu kaufen und sie zu testen. Klar, der Pile of Shame wächst laufend mit, aber das nimmt man irgendwie in Kauf, Hauptsache man ist irgendwie dabei. Gute und sehr interessante Spiele werden auf diese Weise leider nur angekratzt, zuletzt passierte mir das bei "Remnant - from the Ashes" - ich hab's tagelang immer wieder mit Freunden gespielt, dann machten mir Dienstplan und Tagesrhythmus einen Strich durch die Rechnung. Die Freunde zogen im Level davon und ich verlor die Lust, als "Kleiner" mit den Highlevels mitzulaufen.

    In solchen Augenblicken spüre ich, dass sich Dinge nicht mehr anfühlen wir früher. Es ist eine gewisse Ambivalenz vorhanden. Einerseits ärgert es mich, dass ich nicht dabei sein kann wie ich gern will. Auf der anderen Seite spüre ich aber auch ein deutliches "Ach komm, ist doch echt egal...", dass sich dann breit macht. Das ist teilweise immer noch ungewohnt, fühlt sich aber nicht per se negativ an - sondern einfach nur anders als früher.

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    Remnant - blieb irgendwann leider "liegen"...die Zeit fehlte.

    Die Jahre, die kommen mögen...

    Ich werde immer ein Gamer bleiben, die Wahrscheinlichkeit auf komplette Veränderung ist in diesem Fall mit gleich Null zu bewerten. Die Tatsache, dass ich inzwischen aber lieber mal mit meiner Freundin über freie Tage in eine Blockhütte fahre oder was koche anstatt meine Freizeit zu großen Teilen vor dem Monitor zu verbringen betrachte ich entspannt und durchaus mit positiven Gefühlen. Der Leistungsgedanke ist weitreichend - allerdings nicht völlig - von mir gewichen und ich kann durch Spiele nur noch selten unter Stress geraten. Das ist gut so, sind sie doch der geplante und willkommene Ausgleich zu meiner fordernden und belastenden Arbeit in der Suchttherapie.

    Mit Mitte 40 und einer derart ausgeprägten "Fahnentreue" was das Gaming angeht darf ich mich vermutlich inzwischen als einen Veteranen betrachten. Wo ich früher noch die Angst hatte, zum alten Eisen zu gehören und nicht mehr dazuzugehören verspüre ich nun eine entspannte Ausgeglichenheit. Ein Gefühl, dass es mir möglich macht auch mal zur Seite zu treten und den Jüngeren das Feld zu überlassen. Und mich auch an ihren Erfolgen zu erfreuen. Teilweise auf Sektoren, in denen ich einfach nicht mehr mithalten kann. Reflexe und Konzentration lassen zwischen 15 und 45 deutlich nach... ;)

    Über den Autor

    Roadwarrior
    1975 auf die Welt losgelassen bekam ich 1982 von meinen Eltern zu Weihnachten ein Atari 2600 überreicht - seitdem nahm die Spirale ihren Lauf. Ich bin seit inzwischen etwa 40 Jahren "ingame". Durch verschiedene Berufe, Beziehungen, eine Ehe, Wohnorte und Weltanschauungen hindurch waren in meinem Leben in den letzten 25 Jahren nur 3 Sachen konstant: Motorräder. Heavy Metal. Gaming.
    Yeager, manfred4281, snoopydoo und 17 anderen gefällt das.

Kommentare

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  1. AIXtreme2K
    In bälde steht bei mir eine 48 im Feld Alter.
    Ich bin verheiratet, habe 2 Kinder und versuche mein liebstes Hobby hochzuhalten, was nicht immer leicht ist. Vieles drängt sich dazwischen und will ebenfalls auf unterschiedlichste Arten bedient werden.

    Das Gefühl, dass sich bei mir etwas geändert hat habe ich seit ca. 2 Jahren. Du bist nicht allein.
      Roadwarrior gefällt das.
  2. Swiffer25
    Sehr genehmer Beitrag @ geehrte/-r Roadwarrior

    Ich bin Jahrgang 1980 und mit ca. 6 Lebensjahren, also gen 1986 "eingestiegen".

    Ich bin Visuell/- wie auch aktiv seitdem beteiligt.
    Film wie auch Spiel "wiederholt" sich wirklich mit der Zeit, ich bin selektiver geworden mit meinen Lebensjahren und mit meiner Zeit.

    Das, ich nenne es, "rumgehoppel" der derzeitigen "Spiele", es ödet mich mehr an als das es mich motiviert.
    Definitiv ist Zeit ein entscheidender Faktor geworden.
    Den "Rausch", nach der Schule ein Abenteuerspiel zu erleben, der hat ganz klar Vergangenheit.
    Zuletzt hatte ich sowas bei Monkey Island 1, Blade Runner.
    Den Multiplayerhype, den hatte ich bei Battlefield 2 zuerst und zuletzt, bis heute.
    Ich bekenne mich zum Einzelspieler am ehesten, bis heute.

    Jedoch ist inzwischen vieles nostalgisch.
    So manche Erinnerung hätte ich inzwischen besser nicht mehr "aufgefrischt" :)
    Meine schönen Erfahrungen habe ich von 1990-1994 & 2004-2009 gemacht.

    Vor ca. einem Jahr habe ich mit Al Lowe eine Unterhaltung gehabt/erreicht, ein seit meiner Kindheit für mich begnadeter Teil der Spielegeschichte!

    Was ist mir mein Herz in meine Hose gehüpft als wir uns "persönlich" ausgetauscht haben ;)
    Da wurde mir wieder klar, dass ich ein "Kind" der 80-90er bin.
    Leisure Suite Larry 3 ist auch ein Dauerbrenner für mich, mein erstes FloppyAmigaOriginal 1989, in englischer Sprache ;)

    Besten Dank für Deinen tollen Beitrag.
    1. Roadwarrior
      Mr. Lowe hat uns Larry beschert, auch für mich ist er - ähnlich wie Sid Meier - ein echtes Urgestein und ein Richtungsgeber unseres Hobbys...ich kann schon gut verstehen, dass eine Unterhaltung mit ihm Herzklopfen verursacht...das ist ECHTE Liebe ;)
      Swiffer25 gefällt das.
  3. Zephys
    Ein Artikel, der mir als hart auf die 40 zugehendem Zocker vollumfänglich aus der Seele spricht. Ich wundere mich über mich selbst, oftmals, wenn ich doch das alte Gefühl noch verspüre, vor einem Release, diese Vorfreude, und dann das Element meiner Begierde endlich auf meiner Festplatte installiere, zwei Stunden spiele und eine seltsame Leere empfinde. Es macht Spaß, das Spielen, aber es fesselt mich lang nicht mehr so sehr wie früher.

    An einer Stelle muss ich dir aber widersprechen, mein werter Generationengenosse. Ich habe einen Sohn und er ist neben seiner Mutter das Beste, was mir je hätte passieren können. Und ich schaffe es trotzdem noch, gelegentlich meinem alten Hobby zu frönen.
    1. Roadwarrior
      Achje...mit meiner Ex-Frau hätte ich auch gern Kinder gehabt...aber unser Weg war irgendwann nicht mehr derselbe und einfach um Kinder in die Welt zu setzen wollte ich das nicht auf die Beine stellen. Ich bin sicher, dass Kinder toll sind...hab' ja nicht umsonst ein Patenkind und zieh die Kinder in meinem Umfeld herum...für mich selbst sollte es halt nicht sein ;)
  4. Yeager
    Schöner Blog.

    Was mich angeht, so scheine ich mit meinen 46 etwas aus dem Rahmen zu fallen. Es hat sich in all den Jahren (fing 1979 mit Space Invaders in der Spielhölle an, wo ich eigentlich gar nicht rein durfte) gar nicht so viel verändert, was das Zocken angeht. Oder falls doch, habe ich es entweder nicht gemerkt, rede es mir schön oder habe es schlicht vergessen :D.

    Klar, Entwicklungen, Trends, Hypes, was auch immer - sie kamen und gingen. Aber diese Progression oder dieser Fluss des ständig Neuen, auch wenn es manchmal nur dasselbe in Grün war, war seinerseits schon so kontinuierlich, dass ich ihn als Konstante wahr nahm. Das mag aber wenigstens zum Teil an den Genre-Präferenzen liegen. Bei mir sind es in erster Linie Strategiespiele und RPGs. Shooter zocke ich selten, die LAN-Episode war wirklich nur eine vorübergehende, die MMO-Zeiten ebenfalls.

    Wenn also der Wandel selbst zur Kontinuität wird, fällt er irgendwann nicht mehr als Wandel auf. Wenn ich heute Space Invaders zocken will, mit dem alles bei mir anfing, so kann ich es nicht mehr. Aber nicht, weil ich langsamer wäre, sondern weil ich nicht glauben kann, dass ich mal tatsächlich so anspruchslos war :D. Die Erwartungshaltung wächst mit - und kann gleichzeitig kaum wirklich bedient werden. Man bleibt nicht derselbe, der man mal war, das wirkt nur so. Man hat schon so viel gesehen, so viel gezockt - was kann einen schon vom Hocker hauen?

    Und trotzdem freue ich mich bei einigen Spielen wieder genauso wie damals, oder fast so. Fast so, als wäre ich wieder zehn, elf Jahre alt. Ein bisschen Magic ist also erhalten geblieben - und darüber werde ich mich nicht beschweren ;-). Ich glaube, dass mit unserer Generation, und erst recht allen, die nach uns kommen, die Altersheime überfordert sein werden. Auf Zocker-Omas und -Opas waren die nie vorbereitet :D
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