Analoge Gedanken 3.0

Von Roadwarrior · 30. April 2020 ·
Corona, Covid19, Gaming, Soziale Seite,
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  1. Corona-Pause ?!

    Nun hat also Corona die Welt mehr oder weniger "lahm" gelegt, in meinem Beruf - ich bin Psychiatriepfleger - wirkt sich die Sache extrem aus und auch die Medienlandschaft wird davon beherrscht. Wir sind ungewollt entschleunigt, teilweise komplett außer Gefecht gesetzt was den Beruf und die Freizeit angeht und vor Allem sind wir konfrontiert mit Etwas, was wir so nicht kennen in dieser deutlichen und ausgeprägten Form: Bevormundung.

    Auf unser Hobby wirkt sich das Virus auch aus, allerdings in anderer Form als Viren das normal tun. Aber bevor ich diesen Teil dieser Geschichte beleuchte, möchte ich kurz die Eindrücke schildern, die ich in den letzten 2 Monaten gewonnen habe im "realen" Leben.

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    Covid19 - so klein und so viel Auswirkung

    Menschen in der Krise...

    Ehe ich nun etwas zu den Erfahrungen sage, die ich machen durfte oder musste in der letzten Zeit, sollte ich wohl erklären, was mein eigener Standpunkt ist. Ich selbst blicke seltsam emotionslos auf das Virus und die Gefahr, die es birgt. Erstens bin ich als Krankenpfleger sowieso eher entspannt was den Umgang mit solchen Situationen angeht, zweitens gehöre ich selbst keiner Risikogruppe an und drittens weiß ich, dass Corona-Viren für gewöhnlich rund 70% der Bevölkerung "erwischen" früher oder später. Der Unterschied ist dieses Mal nur die Tatsache, dass es "neu" ist und deswegen keine Mittelchen dagegen vorhanden sind bisher.

    Nun habe ich bedingt durch Covid19 ein paar gute Erfahrungen machen können, was den Zusammenhalt, die Hilfsbereitschaft und generell die Menschlichkeit angeht und es sind diese Momente, die mir Hoffnung machen. Nicht auf die Krankheit, denn die werden wir überwinden. Eher mit Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und damit verbunden die Art, wie wir miteinander umgehen.

    Leider habe ich auch die Kehrseite der Medaille kennengelernt: Hamsterei, unsoziale Verhaltensweise, sinnlose Panik oder einfach fehlende Bildung - all das sind die Zutaten, aus denen Katastrophen menschlicher Art entstehen.

    Das markanteste Erlebnis - ich werde es lang nach Corona nicht vergessen - war leider ein Negativ-Beispiel für zwischenmenschliches Verhalten: Ich war zum Einkaufen vor einigen Wochen in "meinem" REWE-Markt. Es gab im Grunde keinerlei Knappheiten, die einzigen kaum verfügbaren Güter waren Küchenrollen und natürlich Klopapier. Der Klassiker.
    Ich selbst brauchte keines, ich hab von Natur aus immer eine 8er-Packung auf Halde. Deswegen war ich bis zur Kassenschlange nicht wirklich damit befasst mental. An der Kasse allerdings stand dann eine junge Frau mit Mitte 20, die in ihrem Einkaufswagen 9 8er-Packungen verstaut hatte - die letzten 9 Packungen. Zwischen ihr und mir stand ein schon relativ alter Mann mit bestimmt 80 oder mehr Jahren und einem sehr kleinen Einkauf, wie er halt leider üblich ist bei Menschen mit wenig Rente. Er wendet sich an die junge Frau, ob sie ihm nicht evtl. bevor sie bezahlt eine der 9 Packungen abgeben könnte. Er sei nicht mobil und könne nicht an den Stadtrand zum Kaufland fahren, wo es - stimmt wirklich - genug Toilettenpapier geben würde. Ich muss ehrlich sagen, dass die Antwort der Frau mich bis heute immer noch stresst und unter Strom setzt. Sie erwiderte, dass sie das nicht einsehe, weil sie einfach vor ihm da gewesen sei und er sich halt hätte beeilen müssen. Sie brauche das Klopapier, weil sie nur DIESES benutzen würde und man ja nicht wüsste, wie lange diese Krise andauern wird.

    Die Kälte und Gleichgültigkeit in dieser Antwort ist selbst für mich schwer zu ertragen gewesen. Ich bin als Ex-Soldat und Psychiatrie-Veteran wirklich nicht zart besaitet und selbst durchaus in der Lage, in nötigen Augenblicken eine gewisse Härte zu zeigen, wenn es denn angebracht ist. Dieser Augenblick allerdings hat mich emotional berührt und sogar unter Stress gesetzt.
    Ich habe mir kurz überlegt, ihr mal vorzurechnen, wie oft man kacken müsste, um 9 x 8 Rollen 4lagiges Toilettenpapier zu verbrauchen. Da mir durch ihre Aussagen allerdings klar war, dass die Reichweite nicht besonders hoch ist, habe ich mir das erspart.

    Ich habe dem netten alten Mann dann angeboten, ihm Klopapier zu besorgen oder ihn gleich ins Kaufland mitzunehmen - ich musste wegen eines Leberkäse-Defizites eh hin - und wieder heimzubringen, das konnte er aber nicht annehmen in diesem Augenblick, was ich natürlich akzeptiert habe. Der Mann war vor den Kopf geschlagen durch die Reaktion der Frau und den Tränen nah - und ich nach dem Blick in sein Gesicht ehrlich gesagt auch.

    Hab' mich irgendwie geschämt für die ganze Sache, obwohl ich sie nicht verbockt hatte ausnahmsweise.

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    Es sind die Alten und Kranken, die besonders betroffen sind. Leider.

    Urlaub auf Corona-Beach...

    Abseits derart negativer Augenblick hat Corona aber offenbar vor Allem eins fertig gebracht: Viele Menschen hatten auf einmal extrem viel Zeit. Wo Abends auf Konsole sonst 4 oder 5 Leute online waren, waren es plötzlich 20 in meiner Friendlist. Sony hatte regelmäßig mit einer Überlastung der Server zu kämpfen, die Sprachchats waren buggy und die Download-Rate für gekaufte Spiele und Patches wurde gedrosselt, um überhaupt Herr der Situation zu werden.

    Dafür hatte ich kein Problem mehr, Mitspieler zu finden, wenn ich abends nach dem Spätdienst nach Hause gekommen bin. Die "Wohnheim Warriors" - so nennen wir aus Spaß die Zocker in der Personalunterkunft - waren teilweise in Quarantäne durch unseren Job und entsprechend viele Leute waren den ganzen Tag mit Gaming befasst.

    Persönlich bringt mir die Krise durch die strengen Regeln hier in Bayern und den damit verbundenen Einschränkungen was Freizeitaktivitäten angeht vor Allem eins: Zeit. Ich habe nun Zeit, den "Stack of Shame" abzuarbeiten und mich mit vielen Games zu befassen, die vorher einfach liegen geblieben sind aus Zeitmangel. Motorrad fahren, Kneipe, Shoppen, Bundesliga, Frauenbesuch...all diese Dinge sind kaum oder gar nicht möglich zur Zeit. Man beschränkt sich auf die Möglichkeiten, die innerhalb der eigenen vier Wände vorhanden sind.

    Meine in Kurzarbeit gezwängten Freunde und vor Allem die Kollegen, die aufgrund von Verdachtsmomenten in Quarantäne sind nennen diese mehr oder weniger erzwungene berufliche Pause inzwischen "Urlaub auf Corona-Beach", was einerseits etwas zynisch klingt aber auch irgendwie lustig ist. Generell fliehen sich aktuell mehr Menschen in Zynismus und Zweckoptimismus als üblich. Mir gefällt das - das ist genau mein Humor.

    I'm gonna ride on...

    AC/DC liefert mit "Ride on" den perfekten Soundtrack für meine Haltung innerhalb dieser Krise. Dank meines Fachwissens, meiner natürlich angelegten Gleichgültigkeit und vor Allem der aktuellen Emotionslosigkeit in Bezug auf Corona fühle ich mich eigentlich nicht besonders hart getroffen von der ganzen Sache. Klar, dass mich weniger Mädels besuchen können als noch vor 2 Monaten nervt - aber ich weiß, dass derartige Einschränkungen auch wieder enden werden. Abgesehen von derartigen "Problemen" erlebe ich diese Problematik vor Allem als eine Art Test für die Gesellschaft im Allgemeinen und ein wenig als Charaktertest für die Menschen in meinem direkten Umfeld, weil ich diese Personen eben gut beurteilen kann durch die Nähe, die herrscht.

    Spüren bzw. wahrnehmen kann man Corona vor Allem, wenn man den Menschen zuhört. Abends in den Spielchats wird viel über die bösen Einschränkungen gesprochen, die neuesten Covid-Jokes werden erzählt oder aber Informationen - oder was man dafür hält - werden ausgetauscht. Bedenklich finde ich, dass andere Probleme wie der Rechtsruck der Gesellschaft, das Flüchtlingsproblem, Kriege, Hungersnot, der Klimawandel und andere Dinge komplett unter den Tisch fallen, weil die meisten Menschen einfach nur mit sich selbst befasst sind.

    Plötzlich gibt es also dieses Problem, das nicht am anderen Ende der Welt wütet und dort unbekannte Menschen dahin rafft. Es sind nun nicht mehr Reisbauern, die in Bangladesch von irgendwelchen Meeresspiegeln bedroht sind. Auf einmal steht die Problematik vor der Haustür und man muss ihr eigenverantwortlich und aufmerksam begegnen. Man kann sich nicht mehr auf irgendeine große Autorität verlassen, die das schon komplett ohne das eigene Zutun regeln wird. Die "Wir zahlen doch, alles wird geregelt"-Haltung vieler Landsleute ist nicht mehr wirklich umsetzbar. Und vor Allem gibt es in dieser Sache keinen, dem man die Schuld geben könnte oder von dem am Ende sogar noch "Schadensersatz" zu erwarten ist. Haarig, zumindest für einen Teil der Bevölkerung. Denken und dann sogar verantwortungsbewusst zu handeln haben sich nicht Wenige abgewöhnt.

    Dennoch, es sollte in so einer Betrachtung wie hier nicht unerwähnt bleiben: im Gegensatz zu dem, was manche Medien gerne verbreiten lauert mitnichten an jeder Ecke nun der Tod...berechnend und abwartend, wen er als nächstes in sein Reich zerren könnte. Bei einer Bevölkerungszahl von ca. 90 Millionen und bisher deutlich unter 10.000 Verstorbenen liegen wir beim 9000ten Teil der Bevölkerung. Zum Vergleich: die "normale" Grippe hat in der Saison 17/18 allein in Deutschland mehr als 25.000 Menschen das Leben gekostet.

    Versteht mich nicht falsch: Covid19 IST gefährlich und ein echtes gesellschaftliches Problem aufgrund der fehlenden Impfmöglichkeiten zum jetzigen Zeitpunkt. Jeder Tote den diese Krankheit fordert ist einer zuviel, egal ob es nun besonders Alte und Kranke trifft oder nicht. Sterbende Menschen bedeuten Leid und Trauer und nichts davon sollte man auf die leichte Schulter nehmen.

    Was mich stört ist die Tatsache, dass ich bis zum heutigen Tage nicht einen echt guten Bericht gesehen habe (der viele Leute erreicht), der dem durchschnittlichen Bürger die ganze Angelegenheit nachvollziehbar erklärt und die so das eigene Risiko einschätzbar macht. Es würde viel Halbwissen auslöschen und Panik vermeiden. Wenn der Leiter des "RKI" fachsimpelt oder Herr Söder von seinen Maßnahmen schwadroniert ist das wenig geeignet, Menschen die Angst zu nehmen.

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    Am Ende wird es nur gemeinsam gehen - so oder so...

    Und wie geht's weiter...?!

    Naja...wir sind nicht über Nacht in die Corona-Situation geschlittert und wir kommen offensichtlich nicht über Nacht wieder heraus. Diese Krise wird Gewohnheiten verändern und gesellschaftlichen Strukturen gleich mit. Arbeitsplätze gehen verloren und wie der Staat die Krise lösen wird, zeichnet sich erst Stück für Stück ab. Deutschland wird aller Voraussicht nach mit einem dunkelblauen Auge davon kommen, wenn wir uns an Italien, Spanien oder gar den USA messen.

    Einige von uns spüren die Krise kaum, Andere werden von ihr richtig gestreift und wieder Andere bekommen die volle Ladung ab. Ich hoffe, dass Letztere von der Gesellschaft die nötige Unterstützung erfahren und recht bald wieder auf die Beine kommen.

    Ich selbst versuche als Beschäftigter im Gesundheitswesen Ruhe auszustrahlen und als private Person mit Fachwissen auf mein Umfeld einzuwirken, um Ängste zu reduzieren oder einfach mal mit Rat oder Tat zur Seite zu stehen. Man kann auch am Abend beim Zocken mal den einen oder anderen Satz fallen lassen, der Ungewissheiten beseitigt oder der die Dinge in ein realistisches Licht setzt.

    Im Grunde wünsche ich uns Allen, dass wir die Sache gut überstehen werden, dass wir als Gesellschaft in sozialer Hinsicht etwas lernen und nicht zuletzt wieder etwas mehr Demut vor der Natur haben, die uns einmal mehr die Grenzen unserer Macht aufzeigt. Ich jedenfalls wurde von der Sache kalt erwischt und zum Nachdenken gezwungen.

    Bleibt gesund - CU in Battle ;)

    Über den Autor

    Roadwarrior
    1975 auf die Welt losgelassen bekam ich 1982 von meinen Eltern zu Weihnachten ein Atari 2600 überreicht - seitdem nahm die Spirale ihren Lauf. Ich bin seit inzwischen etwa 40 Jahren "ingame". Durch verschiedene Berufe, Beziehungen, eine Ehe, Wohnorte und Weltanschauungen hindurch waren in meinem Leben in den letzten 25 Jahren nur 3 Sachen konstant: Motorräder. Heavy Metal. Gaming.
    Yeager gefällt das.

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