Sea of Thieves: Auf Konfrontationskurs - Gehört der Pirat zum Piratenspiel?

Von Synchro · 13. Juni 2019 · ·
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    Sea of Thieves wartet mit fantastischen Sonnenuntegängen auf - und mit bösartigen Piraten

    Es regnet Holzsplitter und Bananen. Während ich genervt an der Wasseroberfläche treibe und meiner Schaluppe dabei zusehe, wie sie nahezu magnetisch vom Meeresgrund angezogen wird und dabei meine kostbare Fracht verliert, frage ich mich immer wieder, was das alles hier eigentlich soll. Drei Kisten voller kostbarer Seide und eine schöne, wertvolle Pflanze wollten zum Plunder-Aussenposten gebracht werden und bis vor wenigen Augenblicken war ich auch in windeseile auf dem Weg zu eben jenem.

    Zumindest so lange, bis mein kleines Schiff durch tausende von Kanonenkugeln durchlöchert wurde, sodass mir lediglich ein Sprung in das blaue Wasser blieb, um nicht mit dem Schiff zu versinken. Die Verantwortlichen, die Crew einer pechschwarzen Galleone, bewegten sich derweil, einem Hai gleichend, in einer Kreisbewegung um ihre Beute. Sollte ich meine Bredouille bis zu diesem Punkt noch nicht genug zum Ausdruck gebracht haben, sollte ich vielleicht erwähnen, dass ich mich kurz darauf auf der Fähre der Toten wiederfinden würde.

    Doch wie ist es dazu gekommen? Aus welchem Grund sollte sich eine mit vier Mann besetzte Galleone um ein ehrliches, tüchtiges Schiffchen wie meiner Schaluppe kümmern, nur um sie aus heiterem Himmel zu versenken? Und was können Seefahrer, die niemandem auch nur einen finsteren Gedanken entgegenbringen, gegen solch Blutrünstigkeit unternehmen?


    Blutrünstig oder Lootdürftig?


    Beginnen wir dafür doch lieber am Anfang, genauer gesagt beim Titel. Das Spiel, in dem wir uns befinden, heißt schließlich Sea of THIEVES, also Meer der Diebe und Räuber. Sollten solche Scharmützel nicht vom Entwickler mit eingeplant worden sein, würde sich das Spiel wohl kaum mit solch einem Namen schmücken. Der Gedanke der Piraterie scheint also grundlegend im Spielkonzept verankert zu sein, wenn nicht als Haupttätigkeit der Spieler, dann wenigstens als Option. Soll allerdings auch heißen: wenn sich eine Piratenmannschaft ein anderes Schiff vorknüpft, dann liegt das daran, dass sie sich für dieses ruchlose Verhalten bewusst entschieden haben.

    Und das Spiel unterstüzt dies mithilfe von Errungenschaften, die fähigen Piraten diverse Titel, oder sogar Dublonen verleihen, welche sie für Belohungen ausgeben können. Es gibt also tatsächlich greifbare Belohnungen für die kampfeslustigeren Gesellen unter den Piraten. Lässt sich den Verantwortlichen also durchweg boshaftes Verhalten unterstellen, wo manche von ihnen doch vielleicht nur hinter den Preisen her sind, um das Spiel letzten Endes zu komplettieren oder ihren angestrebten Titel zu erlangen?

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    Das war's dann wohl mit unserem Schiff - bei anhaltendem Kanonenfeuer ist hier nichts mehr zu retten.


    Eine persönliche Erfahrung widerlegt die eben aufgestellte These: eines Abends, während ich mit meiner hart erarbeiteten Schatztruhe die Hügel einer Insel überquerte, um zu meinem Schiff zurückzukehren, fand ich keine Spur mehr von eben jenem. Stattdessen war ein Zweimaster an seiner Position vorzufinden, deren Steuermann sich mittels eines Megafons bei mir für das Versenken meiner Schaluppe entschuldigte. Die oben aufgelisteten Belobigungen nannte er mir beim Vorbeisegeln als Gründe, wofür ich - zu meiner eigenen Überraschung - vollstes Verständis aufbrachte.

    Diese (bisher einmalige) Begegnung sollte jedoch selbstverständlich keineswegs den naiven Gedanken aufkommen lassen, die Meere in Sea of Thieves würden nur von freundlichen Seeleuten besegelt werden (wobei sich natürlich darüber streiten lassen könnte, ob es als freundlich angesehen werden kann, wenn sich jemand beim Versenken des Schiffes entschuldigt). Natürlich sind ein großer Teil der Community hilfsbereite und nette Gesellen, die nicht jeden, dem sie begegnen, mit Kanonensperrfeuer eindecken. Dennoch kommt dies oft genug vor.

    Es lässt sich nicht vollkommen ausschließen, dass ein Teil der renegaten Matrosen ihre Opfer nicht auch aus böswilligen Beweggründen überfallen. Gerade in diesem Spiel, in dem jegliche Belohnung, die erreicht werden kann, eine rein optische ist, die sich in keinster Weise auf das Gameplay auswirkt, gerade hier müssen die Spieler selbst entscheiden, auf welche Art und Weise sie ihre Zeit in diese Welt investieren wollen. Und wenn das Beschießen und Entern feindlicher Schiffe eine vom Spiel gegeben Option darstellen, dann gibt es auch immer Leute, die - ganz nach Murphys Gesetz - diesen Möglichkeiten auch nachgehen wollen. Sei's um ihren finsteren Trieben freien Lauf zu lassen, oder um sich ihre eigenen Spieler-gegen-Spieler Erfahrungen in das Spiel zu holen. Für letzteres sei allerdings anzumerken, dass hier andere Spielmodi bereitstehen, auf die ich später genauer eingehen möchte.

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    Der Arena Modus in Sea of Thieves, der eher für Konfliktsuchende konzipiert wurde.

    In einem Spiel, dessen Gamedesign die Möglichkeit, andere Spieler zu überfallen, umfasst, wird es demnach auch immer genau solche Spieler geben. Wie wir herausgefunden haben gibt es in Sea of Thieves dafür auch mehr oder weniger nachvollziehbare Gründe, sich so zu verhalten. Sei es nun das schuldbewusste Erfolge-Sammeln, oder das Enteignen fremder Wertgegenstände, oder sogar pure Boshaftigkeit: sie alle gehören zum Spiel dazu. Was lässt sich aber dagegen tun?


    Das Überleben der Schwächeren


    Während ich so gedankenversunken auf dem Meer mit meiner frischen Schaluppe hinwegsegelte erspähte ich in weiter Ferne ein mir bekanntes, dunkel lackiertes Schiff, auf dessen erneute Begegnung ich fürs Erste gerne verzichten würde. Schnell ging ich mir alle verfügbaren Optionen durch, die nicht zwangsläufig mit einem erneuten Versinken meiner Nussschale enden würden.

    Da wäre natürlich einerseits das bloße Umssegeln und Ausweichen. Damit würde ich jeglicher direkter Konfrontation aus dem Weg gehen, ohne erneut um mein Hab und Gut fürchten zu müssen. Zumindest in der Theorie, denn sollte die Galleone ihre Jagd auf mein Schiff eröffnen, kann ich zwar in Sachen Wendigkeit punkten, was das Tempo angeht hat allerdings der Dreimaster seine Nase vorn. Nur wenn sie nicht allzu aggresives Verhalten aufweisen und ich die Piraten rechtzeitig erblicke wäre mir somit eine Flucht möglich.

    Ein anderes Problem wäre dabei, dass ich vielleicht zu eben jener Insel muss, an der sie angelegt haben. Um meinen aktuellen Auftrag erfüllen zu können, müsste ich eine direkte Begegnung dementsprechend riskieren, oder die Zeit mit anderen Tätigkeiten verbringen. Bei Aufgaben der Handelsposten-Fraktion ist dies aber nicht immer möglich, da diese oft mit einem Zeitlimit aufwarten.

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    Dank der Handelsfraktion müssen wir innerhalb bestimmter Zeiten unser Ziel erreichen. Toll.

    Sollten sich andere Schiffe, die eventuell ähnliche Beschwerden bezüglich der bösartigen Galleone aufweisen, in der nähe befinden, so haben wir die Möglichkeit, Bündnisse vorzuschlagen. Dabei teilen wir uns nicht nur unsere erbeuteten Schätze, wir können es auf diese Weise auch mit Bedrohlichen Kreaturen wie dem Kraken, Skelettschiffen oder Megalodons aufnehmen. Oder wir knöpfen uns die Fieslinge vor.

    Leider sind Verbündete nicht immer in Reichweite und das Riskieren von Konfrontation geht oftmals schlecht für uns aus. Dafür gibt es aber noch einen aller letzten Trick: sollten wir immer wieder von fiesen Piraten ins Jenseits befördert werden, besteht auf der Geisterfähre im Reich der Toten, die als eine Art Wiederauferstehungs-Übergangs-Aufenthalt dient, die Option, uns offiziell beim geisterhaften Fährmann zu beschweren, woraufhin wir auf einer anderen Insel, weit entfernt von bisherigen Problem, wiedererwachen. Da unsere Aufträge zu diesem Zeitpunkt mit Sicherheit sowieso abgebrochen wurden, haben wir hier die Möglichkeit wieder unbekümmert in See zu stechen.

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    Die Fähre der Verdammten, unsere letzte Hoffnung.


    Zwei Seiten der selben (Gold-)Münze


    Aber sind wir doch mal ehrlich: ständiges Wegrennen oder naives Hoffen auf Toleranz sollten nicht immer die Antwort sein. Manchmal können einem diese ständigen Überfälle auch den letzten Nerv rauben, was wiederum blitzartig mit einem Beenden des Spiels enden kann. Hin und wieder wurde dieser Diskurs auch durch Streamer angefeuert, die durch kontroverse Meinungen die Community spaltete.

    Auf der einen Seite gibt es die Leute, denen das alles einfach nur noch zu hart ist. Am liebsten wäre es ihnen, wenn das Spiel sich an spielerfreundlicheren Beispielen orientieren würde. Gemeint wäre hier unter anderem World of Warcraft, die es mit dem in der neuesten Erweiterung Battle for Azeroth eingeführten System des "War-Modes" vormachen. Hier kann der Spieler selbst entscheiden, ob er sich auf Spieler-gegen-Spieler gefechte einlassen möchte, oder lieber passiv spielt. Die kämpferischen Charaktere werden dabei sogar mit Boni wie erhöhter Erfahrungspunktegewinnung oder speziellen Fähigkeiten gelockt, um die Balance aufrecht zu erhalten.

    Dann gibt es selbstverständlich noch die Fraktion, die bei diesen Beschwerden nur mit ihren Augen rollt oder laut auflacht, während sie ihr Lunten anzündet, um mal wieder ein Schiff zu versenken. "Das ist Teil des Spiels, das gehört dazu"; so in etwa wäre ihre Haltung dabei zu erklären. Heißt natürlich nicht, dass es sich hierbei um die asozialen unter den Spielern handelt (auch wenn das gerade so beschrieben wurde). Im Gegenteil: ihrer Meinung nach ist es während der Erkundung der Sea of Thieves Gang und Gebe, sich helfend die Hand zu reichen, wohingegen für kampfeslustige Gesellen die Arena offen steht. Hier können sich mehrere Teams aus vier Spielern um Schätze streiten und sich gegenseitig auf den Meeresgrund befördern. Sollte sich ein Spieler dennoch schurkenhaft verhalten, gehöre es dazu, mal in den saueren Apfel zu beißen, und sich was neues zu überlegen.

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    Nach Streamern wie Summ1tg gehört die Auseinandersetzung mit anderen Spielern zum Spiel dazu.

    Und das beschreibt vermutlich auch die Einstellung, die ich der Situation entgegenbringe.
    Ohne direkt eine Debatte im Ausmaß eines "Ist Sekiro zu schwer?!" auszulösen, so denke ich dennoch, dass dieser zwischenmenschliche Kontakt und die Art und Weise, wie wir uns verhalten und präsentieren, Teil des Spiels ist. Natürlich ist - grob Zusammengefasst - das Ziel des Spiels, Unmengen an Gold anzuhäufen, um schließlich zur Piratenlegende aufzusteigen. Die Erlebnisse, die eine Konfrontation mit anderen Spielern mit sich bringen, gehören dabei aber zum Kernelement des Spiels. Denn schließlich sind es die Spieler, die hinter den Piraten stecken, die für die lebendes Welt des Spiels verantwortlich sind. Wir selbst haben dabei keine große Wahl. Versuchen wir vielleicht deshalb stets optimistisch - gepaart mit einer gesunden Portion Paranoia - an die ganze Sache heranzugehen.

    Und so schwelge ich wieder in Gedanken, während eine Kiste mit Bananen erneut vor meiner Nase davonschwimmt. Der ohrenbetäubende Lärm der düsteren Galleone, die mal wieder um ihre Beute kreist, stößt bei mir mittlerweile auf Resignation und Gleichgültigkeit.
    Cevio und Misie Gaming gefällt das.

Kommentare

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  1. Fellknäuel
    Sehr schön beschrieben, warum ich um derartige Spiele einen großen Bogen mache. :)
      Synchro gefällt das.
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