Der perfekte Spieletest

Von Martin Dietrich · 15. April 2016 · Aktualisiert am 18. April 2016 ·
Kategorien:
  1. Objektiv, kritisch, nachvollziehbar und vielleicht noch witzig-spritzig austeilend gegen die Spielfehler. So sollte wohl der perfekte Spieletest aussehen. Die Realität ist da natürlich im Wege.

    Die Gretchenfrage: Was ist diese Objektivität?
    In der Theorie lässt sich diese Frage mit einer einzeiligen Antwort versehen. Objektivität geht von der Unabhängigkeit einer Beurteilung oder Beschreibung vom Beobachter aus (#Wikipediawissen). Das bedeutet, der persönliche Standpunkt hatten keinen Einfluss auf meine Beurteilung. Diese Definition hat schon das Problem, dass mein Standpunkt auf meine Beurteilung keine Einflussnahme haben soll? Schwierig vorzustellen, wie die eigene Beurteilung oder Beobachtung nicht vom Beobachter oder Beurteilenden beeinflusst wird. Genau diesen Sachverhalt erkannte auch die Wissenschaft und sieht in der Objektivität mehr ein Ideal das angestrebt, aber nie erreicht werden kann.


    In Bezug auf Spieletest stellt sich die Frage, warum man hier nicht dieses Ideal anstreben sollte. Schließlich könnte damit garantiert werden, dass das persönliche Empfinden bei der Einschätzung eines Videospiels so gering wie möglich gehalten wird. Wenn der Kritiker gerade eine schlechte Woche hat oder sich immer furchtbar über eine schlechte KI aufregt, dann sollte die Kritik trotzdem fair bleiben. Richtig so, denken sich sicherlich viele. Aber Kritiken wären dann auch furchtbar eintönig und nichtssagend.

    [​IMG]

    Also einer der Tester war eindeutig nicht objektiv!



    Ein perfekt objektiver Spieletest hätte wiederkehrende Beurteilungspunkte. Also Punkte wie Story, Gameplay, Grafik, Sound, Multiplayer und vielleicht noch Umfang. Diese Punkte würden an jedem Spiel in der gleichen Art und Weise angewendet werden. Der Struktur würde das guttun, der Leser könnte einfach und schnell einen Überblick erhalten. Allerdings beraubt es doch jegliche Kreativität und ist in der heutigen Zeit schlicht und einfach nicht umsetzbar. Einen frechen Einstieg schreiben, mit waghalsiger These? Nö, ist nicht drin. Am Anfang muss kurz die Geschichte erläutert werden, dann kommt das Gameplay und dann die Einschätzung der grafischen Qualität. Das Spiel hat Stärken oder Schwächen, die ich gar nicht als Kategorien habe? Pech gehabt, die allgemeinen Bewertungsmaßstäben sind universell und nicht diskutierbar. Viele Indie-Spiele stellen uns vor genau diesem Problem. Wie soll ich dann Titel wie Her Story, Gone Home oder The Beginners Guide bewerten? Sie konzentrieren sich auf einen bestimmten Aspekt und lassen Gameplay, Grafik oder Umfang eher links liegen. Solche Story-Experimente hätten nie eine Chance für eine gute Bewertung und das wäre wohl alles andere als fair.

    Wie kritisch darf es sein?
    Ein richtiger Spieletester muss für den Feuilleton geboren sein. Er hat schon tausende Spiele getestet und lässt sich von der PR-Versprechungen und Publisher-Gängelungen nicht beeindrucken. Die Ubisoft-Formel wird knallhart abgestraft und wenn in einem Rollenspiel das Klauen keine Konsequenz hat, gibt es schon mal fünf Punkte Abzug. Nur was passiert, wenn man riesen Souls Fan ist und From Software innerhalb von sieben Jahren fünf Spiele dieser Sorte veröffentlicht? Die Kritik an dem immer gleichen Ubisoft-Rezept sollte dann wohl auch in der gleichen Weise gelten. Aber Souls ist ja so viel besser als all die Far Crys und Assassin´s Creeds dieser Welt! Ich meine, habt ihr schon mal gegen Ornstein und Smough gekämpft, wurdet dann invadet und habt alle drei auf einem Guitar Hero-Gitarre bezwungen? Das ist noch echtes Gaming!

    [​IMG]

    Dieser Videotest ignoriert ja alles von Story, Gameplay bis zu den Koop-Möglichkeiten! Der spricht ja nur über die Gestaltung der Welt. WHAT IS THIS MADNESS??!



    Wenn sich Leidenschaft mit in die Beurteilung einmischt, ist es meist dahin mit der kritischen Herangehensweise. Spieletester dürften eigentlich keine Fans von irgendwas sein, schließlich ist Voreingenommenheit eine zu vermeidende Einstellung. Doch ist es gerade die Leidenschaft an einem Genre oder einer Spielereihe, die einen Test erst so richtig lesenswert macht. Wenn der Leser merkt, dass der Autor für das Thema brennt und es all jenen näherbringen will, die ähnlich fühlen. Sie sollten offen mit ihrer Leidenschaft umgehen und von Anfang an klarmachen, dass sie Fan dieser Reihe, Thematik, Mechanik oder etwas Anderem sind. Sie können dem Leser dann nachvollziehbar erläutern, ob dies im Kontext nun gut oder schlecht umgesetzt wurde. Cyberpunk ist meine große Liebe und jeden Tag schaue ich mir Blade Runner zum Einschlafen ein? Eine wichtige Information, wenn ich das neue Deus Ex teste. Wie wird der Cyberpunk-Enthusiast in mir befriedigt und haben auch Leute Spaß, die einfach nur eine gute Geschichte wollen? Das ist ein sehr schwieriges Unterfangen, gerade auch, weil Leser oder Zuschauer abgeholt werden sollen, die sich andere Schwerpunkte gesetzt haben. Alle zufrieden zu stellen, wird wohl immer eine Utopie bleiben. Es immer wieder zu versuchen, sollte trotzdem der Anspruch sein.

    nachvoll-was?
    Nachvollziehbarkeit klingt so einfach und ist doch so ein unzähmbares Biest. Der Autor eines Spieletests hat natürlich die Aufgabe einen schlüssigen Text zu schreiben. Eine sinnvolle Argumentationsstruktur, die im besten Falle aufeinander aufbaut und zu einem zufriedenstellenden Fazit kommt. Widersprüche sind ein No-Go und innerhalb einer Kritik mit genügend Sorgsam auch leicht vermeidbar. Sobald es allerdings nicht mehr nur um einen Titel geht, sondern alle Fortsetzungen, Spin-Offs und Prequels miteinbezogen werden müssen, kommt selbst der sicherste Redakteur ins Schwitzen. Ein Test steht selten für sich alleine und wird von Lesern, Zuschauern und Hörern gern in einen größeren Kontext gesetzt. Heißt, der Vorgänger hatte schon dieselben Fehler und da hat es dich noch nicht gestört! Das Spiel hat die gleiche Wertung bekommen wie Spiel XY vor 3 Jahren, dabei ist es wesentlich schlechter! Bei anderen Spielen hat dich die KI auch nie gestört! Die Liste lässt sich beliebig oft erweitern.

    [​IMG]

    Das ist ja ganz lustig, aber ist mir zu albern. Und 43min?? Da hab ich Witcher 3 ja schneller durchgespielt!



    Die Logik dahinter ist auch gar nicht verkehrt. Ein Tester sollte in seiner Laufbahn als Kritiker so gut es geht konsistent bleiben. In einer Kritik komplexe Geschichten feiern und in der nächsten Bioshock Infinite für eben diese kritisieren. Da zieht der geneigte Leser schon mal die Augenbraue hoch. Ein Videospiel ist trotz alle dem ein unglaublich vielfältiges Produkt aus Story, Charakteren, Spielbarkeit, Leveldesign, Sound und vielen anderen Faktoren. Die spezifische Mischung all dieser Elemente ergibt ein Videospiel, dass mal eine Sache besonders gut macht oder eben nicht. Ein Manko was im Vorgänger noch nicht gestört hat, weil die Inszenierung so atemberaubend war, kann im Nachfolger auf einmal den Spielspaß einschränken. Ganz davon zu sprechen, dass die Wahrnehmung in diesem schnelllebigen Medium so oft wechselt, wie Shepard seine nächtliche Begleitung. Niemand sollte einen mehrere Jahre alten Test dafür kritisieren, dass er bestimmte Feature lobt, die mittlerweile überholt sind.

    Und nun? Das allumfassende, nicht diskutierbare Fazit

    Über Geschmack kann immer sehr gut gestritten werden. Wie das perfekte Spiel auszusehen hat, darüber werden sich selten zwei einige Meinungen finden lassen. Der dazugehörige perfekte Spieletest ist ebenso bis ins kleinste Detail streitbar. Aber vielleicht lässt sich ja ein Konsens darin finden, dass er auf jeden Fall subjektiv ist und es zu keiner Sekunde verleugnet. Er möchte die ganz persönliche Sicht des Autors nachvollziehbar dem Leser, Hörer oder Zuschauer näherbringen. Im besten Falle kann eben dieser Konsument die Kritik in seinen Geschmackskosmos einordnen und für sich entscheiden, ob die genannten Stärken und Schwächen relevant sind. Der Test ist vielleicht nicht immer perfekt nach DIN-Norm ausbalanciert, dafür sprüht er voller Leidenschaft fürs Thema und setzt es kreativ um. Spiele sollen Spaß machen, Spieletests auch.

    Über den Autor

    Martin Dietrich
    Ich war das nicht! Außer es war ganz in Ordnung.

Kommentare

Um einen Kommentar zu schreiben, melde dich einfach an und werde Mitglied!
  1. Martin Dietrich
    Also bitte, mein Ideal des perfekten Spieletests ist ja wohl das einzig wahre. Nein, natürlich hat jeder seine eigene Vorstellung über das Konstrukt "Kritik" bzw. "Test". Für mich ist allerdings, ein mit Leidenschaft geschriebener subjektiver Test einem mit Inbrunst geschriebenen objektiven Test überlegen. Das kommt auch daher, dass ich diesen Infotainment-Charakter gewisser Kritiker liebe. Wenn ich nur rein informiert werden will über das Spiel an sich, dann bieten sich mittlerweile zahlreiche andere Alternativen an. Ich kann mir Youtube-Videos anschauen, Gameplay-Trailer, die generelle Zufriedenheit der Steam-Community, News lesen (die über etwaige Probleme mit der Technik berichten) usw. Aber diese fein formulierten Kritiken, mit ihren sprachlichen Ideen und witzigen Anspielungen, machen mir erst so richtig Spaß, wenn der Tester seine Vorstellungen möglichst subjektiv in einen Text integriert. Bei Versuchen des objektiven Tests, sehe ich immer die Gefahr des "Everybody's Darling": möglichst alle Spielegeschmäcker zufrieden stellen wollen, reines aufzählen von Features und unterdrücken von bissigen Kommentaren. Trotzdem haben eher objektive Test ihre Berechtigung (die will ich auch gar nicht abstreiten)- nur meine Lektüre ist es eben nicht.
  2. JTZ
    Der Blog zerfällt bereits nach dem ersten Teil in sich zusammen.

    Du gibst an Objektivität würde Kreativität einschränken und Artikel monoton zu lesen machen. Jedoch ist das eine Frage des Stiles, Objektivität eine des Inhaltes. Man kann auch mit Leidenschaft über etwas objektiv schreiben - zu meinen nur weil man objektiv ist müsste man alles monoton runterrattern ist streotypes Denken.

    Davon abgesehen ist es nicht die Aufgabe eines Tests zu unterhalten - das soll das Spiel machen. Er soll nur darüber informieren, was für Qualitäten und Mängel das Spiel aufweist und zu welcher Art Spieler es passt. Ein Spieletester hat eine Verantwortung, den Leser zu informieren. Er ist kein Entertainer, der seine Meinung in amüsant-charmanter Weise darlegt.

    Letztlich stellst du nicht das Ideal eines perfekten Spieletests dar, sondern gibst eine Rechtfertigung für einen mittelmäßigen Spieletest. Wenn das einer der besten Userartikel auf Gamestar sein soll will ich nicht wissen, was hier der Durchschnitt ist.
  3. Saldano
    Genau das denke ich auch. den objektiven Beitrag einfach mit einer Tabelle Pro-Contra zeigen und noch einen subjektiven Artikel dazu.
      1 Person gefällt das.
  4. Gringar
    Mir fehlt ganz oft ganz viel Subjektivität in den Tests. Das ist auch der Grund, warum ich ganz viele Tests nicht lese sondern nur die Wertung anschaue und dann noch einen Meinungskasten. Ich will gar keinen Test nach einer Schablone. Ich will Redakteure die Persönlichkeiten sind, ich will Redakteure die ich für mich einordnen kann und ich will Redakteure die ihre eigene Meinung schreiben und nicht eine Schablone abarbeiten. Wenn z.B. ein Andre Peschke sagt, das Spiel ist geil, dann will ich das auf jeden Fall auch spielen. Und wenn ein Andre Peschke sagt, dass bestimmte Features in einem Spiel nerven, dann trifft er damit leider auch oft den Nagel auf den Kopf. Leider fehlt hier aber ganz oft der Mut zum offenen Meinungsaustausch oder die Leute sind schon so in ihrem Schema F gefangen, dass sie gar nicht mehr anders schreiben können. Ich würde so gerne wieder ein Spielemagazin lesen, ein Print Magazin, dass ich auf der Arbeit in der Pause lesen kann oder auch Zuhause im Feierabend. Leider sind die meisten Hefte aber vollgestopft mit belangloser Scheiße IMO. Bitte nicht persönlich nehmen, will hier keinen angreifen, bin nur gefrustet. Bitte habt wieder mehr Mut zur Subjektivität!
      1 Person gefällt das.
  5. matssa
    Stimme ich dir zu 100% zu!

    Die Konsequenz daraus wäre allerdings: %-Wertungen abschaffen! ;)
  6. hskiii
    Qualität vor Objektivität.

    Mir persönlich würde ein ordentlich redigierter Bericht - wie es ihn in alten Ausgaben noch gab - vollends genügen. Die Wertetabellen funktionieren nach wie vor; Leidenschaft ist mMn in einem seriösen Format eher deplaziert.
  7. biochomiker
    Wieso Redakteure? Nimm Praktikanten, die sind preiswerter und Kreuze setzen können die auch. Dann wird nur ein Redakteur gebraucht, der das ganze anschließend in Worte fasst :-)
  8. spacenet
    Wo viel Geld im Spiel ist ist eben viel Geld im Spiel ... auch bei GS
  9. Serienfan
    Leider werden Spiele noch zu sehr getestet wie bei "Stiftung Warentest". Das Aufschlüsseln nach Begriffen wie "Graphik", "Sound", "Bedienung" und "Umfang", um daraus dann eine "Gesamtwertung" zu ermitteln, wird der Bandbreite von Spielen nicht mehr gerecht. Bei sowas bekommt dann ein "Darksiders 2" am Ende eine deutlich höhere Wertung als das erste "Dark Souls". Und wenn man die Kommentare liest, wird ja meist mehr über die Wertungszahl gestritten als über die Bewertung an sich.

    Gleichzeitig versuchen die Spiele-Entwickler genau deshalb immer die eierlegende Wollmilchsau zu programmieren, stets nach dem Motto: Möglichst viel Umfang, möglichst viele Items, möglichst irgendein Online-Feature, denn alles andere führt zur "Abwertung".

    Es gibt keine Formel, nach der man die Qualität von Spielen oder gar den Spiele-Spaß "messen" kann. Notensysteme sollte man besser in der Schule lassen, bei Filmen oder Spielen haben sie nichts verloren. Lieber die subjektive Eindrücke schildern, ruhig auch mal solche, die negativ sind.

    Natürlich sollte jetzt nicht gerade ein eingefleischter Hasser von japanischen Rollenspielen das nächste "Final Fantasy" besprechen. Und auch ein Spiel wie "Yakuza" sollte eher aus der Sicht des "Yakuza-Fans" besprochen werden. (Wobei ihr "Yakuza 5 ja gar nicht besprochen habt.) "Yakuza 4" erhielt eine Wertung von 80. "Watch Dogs" eine Wertung von 88. Da würde so mancher "Yakuza"-Fan widersprechen!
  10. Pia Lupa
    Stimme dem voll und ganz zu. Deshalb bevorzuge ich unbezahlte Tests und Reviews aus Blogs und Youtubekanälen, da die einfach persönlicher und ehrlicher sind.

    Viele bauen dann noch ihre eigene Art ein, was die Tests dann noch symphatischer wirken lassen.
Top