Sie will es doch auch!

Von Nick2000 · 28. Juli 2016 · Aktualisiert am 1. August 2016 ·
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  1. Wird unser Frauenbild von der Darstellung weiblicher Charaktere in Computerspielen beeinflusst? Wenn ja, wie wird es beeinflusst? Und ist das überhaupt schlimm?

    Ich bin kürzlich in eine hitzige Diskussion mit drei anderen Usern geraten, die unter einer GS-News zu einem neuen Video von Anita Sarkeesian stattfand. Frau Sarkeesian ist ja bekannt dafür, die sexualisierte Darstellung von Frauen in vielen Computer-/Videospielen zu kritisieren und fragte sich diesmal, warum "female combatants" so selten sind. Frau Sarkeesian wurde in den Kommentaren wie immer heftigst angegriffen und teils beleidigt. Mir ging dabei vor allem auf den Senkel, dass die meisten User überhaupt nicht begriffen haben, dass ihre Kommentare und Beleidigungen vor Frauenfeindlichkeit nur so strotzten. Als sie von der GS gebannt wurden, kamen sie mit anderen nicks zurück und schrien so oft irgendwas von "Zensur!", dass ich mich an "Das Leben des Brian" erinnert gefühlt habe ("Jehowa!"). Ich will die Diskussion hier nicht wiedergeben (mit einer Ausnahme, s.u.), sondern versuchen - losgelöst von der Person Sarkeesian (um sie soll es hier nicht gehen!)- das grundlegende Problem zu umreißen (mehr geht hier nicht) und vielleicht auch etwas Problembewusstsein bei dem einen oder anderen zu schaffen. Ich werde mich bemühen, meine Meinung zum Thema sachlich zu halten und entschuldige mich jetzt schon für die Fälle, in denen ich es nicht schaffe.


    I. Ich Tarzan du Jane (Mann zu sein ist geil)

    Ich bin ein Durchschnittsmann. Ich bin fast 40 und Vater einer kleinen Tochter. Trotz meiner väterlichen Pflichten bin ich berufstätig, denn Mama sieht nach der Kleinen. Ganz schön angenehm, dass ich mich nicht groß einschränken muss. Dafür bringe ich ja auch das Geld nach Hause. Da kann meine Lebensgefährtin sich zusätzlich auch noch um das bisschen Haushalt kümmern. Ich bin im Großen und Ganzen sehr glücklich und zufrieden.

    Ich sehe zwar nicht aus wie Brad Pitt, aber das macht nichts. Mein gesellschaftlicher/beruflicher Wert und mein Erfolg werden nicht durch mein Aussehen bestimmt.

    Mein Leben ist auch vergleichsweise einfach. Ich kann z.B. ein paar Bierchen mit Freunden trinken und dann nachts alleine nach Hause gehen, ohne dass ich irgendwie ein unangenehmes Gefühl habe, wenn mir eine Frau entgegen kommt. Ich habe dann auch nicht das Bedürfnis, die Straßenseite zu wechseln. Genauso ist es, wenn ich hinter mir Schritte höre und feststelle, dass eine Frau hinter mir läuft. Ist mir schnuppe.

    Ich habe beruflich ein gutes Auskommen und verdiene mehr als alle meine bisherigen Freundinnen. Und ich habe viele Freundinnen gehabt. Dafür wurde mir von Kumpels meistens anerkennend Respekt gezollt. Negatives Feedback habe ich nie gekriegt. Mich nannte keiner Schlampe oder Bitch deswegen. Ich kann mich privat und beim Sport so anziehen wie ich will. Wenn ich z.B. in meiner kurzen Hose und mit freiem Oberkörper jogge, hält mir das keiner vor. Ich habe auch noch nicht erlebt, dass mir dann penetrant hinterher gestarrt oder gerufen wurde, was für einen geilen Arsch ich habe. Gepfiffen wurde allerdings mal. Von einem Bauarbeiter. Kein Witz. Da war ich noch besser in Form.

    Letztens war ich beruflich über Nacht in einer anderen Stadt. Ich bin dann abends noch alleine in eine Kneipe. Während der ganzen Zeit hat mich nicht eine einzige Frau gefragt, ob ich öfter da bin oder wo meine Flügel sind oder ob ich die ganze Nacht ihren Namen schreien möchte. Ich konnte in Ruhe mit dem iPad daddeln und ein zwei Bierchen trinken. War ein netter Abend.

    II. Nein heißt nein (Frau zu sein ist nicht so geil)

    Ich habe gerade (zugegebenermaßen etwas überspitzt) geschildert, was Frauen im Gegensatz zu Männern im Alltag oft zu erdulden haben. Nicht jede Frau an jedem Tag und manche öfter als andere, das ist klar. Aber im Großen und Ganzen trifft das schon ganz gut des Pudels Kern.

    Für mich war es ein Augenöffner, als wir vor ein paar Jahren beim Grillen im Freundeskreis angeregt diskutiert hatten, ob es Frauen heutzutage überhaupt noch schwerer haben als Männer, bzw. ob es überhaupt noch Alltags-Sexismus in einem nennenswerten Ausmaß gibt. Wir Kerle waren der Auffassung, dass wir als Männer doch mittlerweile voll emanzipiert waren und uns Frauen gegenüber ausschließlich respektvoll benahmen. Das änderte sich, als die obigen Beispiele (sogar noch deutlich mehr) aufkamen und jeder von uns Männern einsehen musste, dass er sich mehrfach so oder zumindest ähnlich verhalten hat.

    Am eindrucksvollsten war für mich, dass ausnahmslos alle Frauen in unserer Runde darin übereinstimmten, dass sie, wenn sie abends alleine oder nur mit anderen Frauen unterwegs sind, fast schon reflexartig die Straßenseite wechseln, wenn ihnen ein Mann entgegen kommt. Natürlich nicht immer, aber doch häufig. Manchmal auch nur in Gedanken. Der Mann muss dafür nichts besonderes machen, es reicht, dass er ihnen entgegen kommt. Unsere Freundinnen/Frauen sagten alle, dass sie wüssten, dass die meisten Männer keine bösen Absichten haben, aber man könne ja nie wissen. Und wenn es auch nur ein Spruch wie "Nabend Ladies" beim Vorbeigehen sei, wäre ihnen das trotzdem unangenehm.

    Sagt mal, geht’s noch?! Frauen wechseln die Straßenseite, weil da ein Mann lang läuft? Um einer unangenehmen Situation aus dem Weg zu gehen? Und ich spreche hier nicht von sexueller Gewalt, sondern nur von den Auswirkungen des Alltags-Sexismus. Die Aussage unserer Freundinnen/Frauen hat uns alle geschockt. Seit diesem Abend sind wir Kerle übrigens deutlich empfänglicher für Feminismus geworden. Und uns fällt mehr auf als früher.

    Das Ende unserer Diskussion war dann aber doch noch recht versöhnlich. Die Mädels meinten unisono, dass der Alltags-Sexismus zwar manchmal extrem nervig, im Großen und Ganzen aber noch erträglich wäre.

    Also alles cool?

    Mitnichten, mein junger Padawan. Nur weil wir nicht saudi-arabische Verhältnisse haben, ist nicht alles in Ordnung. "Noch erträglich" ist nicht cool, sondern hat ganz schön Luft nach oben. Meine Anekdote zu unserem Grillabend zeigt, dass auch Männer, die sich emanzipiert und aufgeklärt glaubten, noch dazulernen können. Wir alle haben schon mal Frauen - teils bewusst, teils unbewusst - schlecht oder unangemessen behandelt, nur weil sie Frauen sind. Mich interessiert dabei vor allem der unbewusste Teil, dass heißt das Verhalten von Männern, die ihr jeweiliges Verhalten und schon gar nicht sich selbst als "frauenfeindlich" begreifen würden. Woher kommt das? Was läuft da ab?

    III. Sie will es doch auch! (Die Frau als Objekt)

    Zitat:

    Ja, was glaubst du denn, was eine Frau, die sich selbst möglichst aufreizend und sexy kleidet damit bezwecken will?

    Glaubst du, sie will damit ihren hohen IQ unterstreichen?

    Nein, natürlich will eine Frau, die sich bewusst so kleidet, als Sexobjekt angesehen werden. Das ist ja der Sinn dahinter, wenn man "sexy" sein will (die Worte "sexy" und "Sexobjekt" haben nicht von ungefähr den Wortstamm "Sex").

    Und genauso läuft das nunmal auch in der Kunst. Eine Frau, oder auch ein Mann, die betont "sexy" dargestellt werden, sollen den Betrachter natürlich dazu bringen, sie als "Sexobjekt" anzusehen.


    -Ende des Zitats-

    Das ist ein wörtliches und vollständiges Zitat eines meiner Diskussionspartner unter der Sarkeesian-News. Ich war echt baff, als ich das gelesen habe. Sie will es doch auch! Dem User war sichtlich nicht bewusst, dass genau diese Art des Denkens eine Folge des Alltags-Sexismus ist und er damit letztlich Sarkeesian sogar Recht gibt.

    Die meisten Frauen ziehen sich aus denselben Gründen "sexy" an, wie die meisten Männer auch. Sie wollen gut aussehen, als attraktiv erscheinen, vielleicht auch etwas für ihr Selbstwertgefühl tun. Die allerwenigsten Frauen ziehen sich aber "sexy" an, weil sie als Sexobjekt wahrgenommen werden wollen (Prostituierte einmal ausgenommen). Das wäre nämlich die Reduzierung einer Frau auf ihre Sexualität. Der User oben sagt sinngemäß: Es ist okay, dass ich die Frau als Sexobjekt betrachte, weil sie sich ja nur deswegen so anzieht, weil sie als Sexobjekt betrachtet werden will. Von diesem Gedanken ist es nicht mehr weit bis zum vermeintlich "anerkennenden Pfiff" oder irgend einer anderen plumpen Anmache. Der Mann empfindet das Verhalten der Frau als Aufforderung, sich ihr mit sexuellen Avancen zu nähern. Dass das der Frau unangenehm sein könnte, kommt dem User gar nicht in den Sinn. Sie will es doch auch, sonst würde sie sich nicht so anziehen. Was ist der Grund dafür, dass Männer gar nicht merken, dass sie sich frauenfeindlich verhalten? Woher kommt das dahinterstehende Frauenbild?

    Darüber könnte man seitenlange Abhandlungen erstellen. Kurz und vereinfacht gesagt ist nach meinem Verständnis die historisch (sozio-kulturell und religiös) über Jahrtausende gewachsene und gefestigte Rollenverteilung zwischen Mann und Frau verantwortlich. Die Frau ist dem Manne Untertan und hat ständig für die Fortpflanzung zur Verfügung zu stehen. Heute würde das kein vernünftiger Mensch mehr laut sagen, aber dennoch ist dieses archaische Frauenbild in nahezu allen Medien omnipräsent. In Filmen, in der Werbung und ja, auch in Computerspielen. Ob es nun eine halbnackte Frau ist, die sich lasziv auf einem Auto rekelt und suggeriert, dass sie und viele andere attraktive Frauen dem Käufer des Autos zu Willen sein werden, weil er mit dem Auto seinen sozialen Status unter Beweis stellt; oder die ständig geilen Bondgirls, die nicht mal ansatzweise "erobert" werden müssen, sondern nur als Belohnung für den Helden dienen; oder die Scharfschützin Quiet in MGS, die sich während Hubschrauberflügen schon mal stöhnend in mehr oder weniger eindeutigen Posen (oder besser Stellungen) übt oder Snake ungefragt mit zum Duschen nimmt. Von der lächerlichen Erklärung ihrer Nackheit ganz zu schweigen (sie hat eine Krankheit, aufgrund derer ihre Haut atmen muss und das geht nicht, wenn sie zu viel an hat, aha). Oder die Frauen, die sich Kratos in God of War oder dem Witcher reihenweise hingeben. Oder die Schulmädchen mit großen Kulleraugen und knappen Röckchen, unter denen Höschen hervorblitzen, in vielen japanischen oder japanisch inspirierten Titeln. Oder die "authentische Brustphysik" in DOA. Oder oder oder...

    All das ist im Allgemeinen nicht im mindesten für die eigentliche Story des jeweiligen Spiels relevant, sondern dient nur dazu, den Spieler aufzugeilen. Frauen werden dem Spieler als Belohnungen präsentiert. Ich habe kein Problem mit Sex und Erotik in den Medien oder in der Kunst. Ein Frau darf sexy und sich ihrer Sexualität bewusst sein und auch offensiv damit umgehen. Dann muss es aber auch zum Kontext passen und darf nicht nur als Belohnung für den Spieler und damit als bloße Wichsvorlage gedacht sein.

    Derzeit ist das aber meistens nicht der Fall. Und durch diese weitere Festigung der Vorstellung einer immer willigen/verfügbaren Frau, die schwach ist und beschützt werden muss, wird unser aller Frauenbild nachteilig beeinflusst. Das wirkt sich dann auch im realen Leben aus. Frauen verdienen weniger Geld und kommen seltener in Führungspositionen als Männer. Frauen werden von Männern öfter sexuell belästigt als umgekehrt. Scheiße, es gibt sogar Studien, nach denen Mädchen weniger Taschengeld als Jungs bekommen! Und für das alles ist das derzeit vorherrschende Frauenbild mitverantwortlich. Und dieses Frauenbild wird leider auch durch die Darstellung von Frauen in vielen (nicht allen) Computerspielen gefestigt. Dazu gibt es zwar noch keine längerfristigen Untersuchungen, aber mir fällt kein Grund ein, warum es bei Spielen anders sein sollte, als bei allen anderen Medien.

    IV. Und was will uns der Dichter damit sagen?

    Ich will bei Euch Bewusstsein für die Problematik schaffen. Eure Meinung müsst ihr Euch selbst bilden. Die stark sexualisierte Darstellung von Frauen in Computerspielen ist nicht alleine verantwortlich für das derzeitige Frauenbild, nicht mal ein wesentlicher Faktor, aber doch ein Teil des Ganzen. Ich will Computerspiele weder zensieren noch den Designern ihre künstlerische Freiheit nehmen. Ich will auch keinem meine Meinung aufdrücken, wie man Befürwortern einer differenzierten Betrachtung des Frauenbildes in Computerspielen oft vorwirft. Und ich behaupte auch nicht, dass Spieler raus gehen und Frauen vergewaltigen oder auch nur ein anderes Frauenbild haben als der Rest der Gesellschaft. Aber auch Gamer dürfen ihre Augen vor der Problematik nicht verschließen. Wenn wir Computerspiele als Kunst und Kultur begriffen wissen wollen, müssen wir uns auch an denselben Standards messen lassen.

    Aber es gibt zum Glück auch ein paar positive Gegenbeispiele. Z.B. Max und Chloe aus Life Is Strange (was für ein fantastisches Spiel) oder Lara Croft nach dem Reboot. Hoffentlich zukünftig auch die Protagonistin von Horizon: Zero Dawn. Der gesellschaftliche Wandel ist auch in der Spielebranche merkbar, wenn auch nur schwach und gegen viele Widerstände. Ich bin aber überzeugt, dass wir das schaffen können.

    Dafür muss die Mehrheit der Gamer aber erst einmal erkennen, dass es ein Problem gibt. Und dass ihnen trotzdem nichts weggenommen werden soll. Attraktive Frauen sollen nicht aus Computerspielen entfernt, sondern über ihre Sexualität hinaus dargestellt und definiert werden. Das kann dann eigentlich nur ein Gewinn für alle sein. Wenn dafür Gamer gemeinsam einstehen und eine differenzierte Frauendarstellung aktiv von den Herstellern einfordern, wird sich bestimmt etwas ändern (siehe das Beispiel von Blizzard und der Änderung einer nicht zu einer Heldin passenden Pose in Overwatch). Klar wird es auch dann noch Perlen wie den "Yandere Simulator" geben und das kann meinetwegen auch so sein. Muss ich ja nicht spielen. Hauptsache, im Großen und Ganzen vollzieht sich ein Wandel.

    Und dann, irgendwann, werden Frauen nachts nicht mehr die Straßenseite wechseln, nur weil ihnen ein Mann entgegen kommt. Wie geil wär das denn? Man(n) wird ja wohl noch träumen dürfen.







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    Über den Autor

    Nick2000
    Ich lasse mich zu schnell triggern von Shitstorms, Flamern, Hatern, Trollen und allen anderen Segen unserer modernen Internetgemeinde. Ich muss dann in immer meinen Senf dazu geben. Wenn mich jemand als SJW betitlelt, nehme ich das als Kompliment.
    Meine Meinung ist meine Meinung und nicht deine Meinung.

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