„Ich möchte durchdachtere und komplexere Geschichten erzählen, als uns Spiele eigentlich erlauben“, so Susan O'Connor, die an Spielen wie Bioshock oder Far Cry 2 mitgeschrieben hat. Sie hat seit mehreren Jahren an keiner Spiele-Geschichte mehr mitgearbeitet und ist sich darüber unsicher, ob Polygone überhaupt ein Zuhause für gute Storys bieten können. „Ich weiß nicht, ob Spiele der richtige Platz für die Geschichten sind, die ich erzählen will.“
Bei vielen Spielen ist die Story auf der Prioritätenliste weit unten angesetzt. Da verwundert es nicht, wenn wir bei der Aufzählung von Spielen mit guter Erzählung schnell ins Stottern geraten. Doch, warum versagen scheinbar all die Autoren dort draußen regelmäßig? Die Gründe dafür sind vielfältig und liegen zum Teil auch an uns Spieler.
Bioshock Infinite: Paradebeispiel für gelungenes „Environmental Storytelling“. Auch wenn die herumliegenden Audiotagebücher der Wolkenstadt-Bewohner nicht die smarteste Art der Erzählung darstellt. Die ambitionierte Story über Schuld und Sühne macht dafür keine Gefangenen und trumpft mit einer Welt jenseits unserer Vorstellung auf. Und Elisabeth ist ja auch ganz nett!
The so-called Interactivity
Aus der größten Stärke eines Videospiels folgt auch der größte Feind einer guten Geschichte. Wir haben die Kontrolle über die Spielfigur und damit auch immer ein Stück darüber, wie uns eine Story präsentiert wird. Statt der punktgenauen Inszenierung zu folgen und sich jeden Tagebuch-Eintrag durchzulesen, versuchen wir lieber, so viele Eimer wie möglich auf den Kopf des NPCs zu bugsieren. Statt unserem Missionsgeber bei seiner Exposition zuzuhören, durchwühlen wir lieber die Schränke und Regale einer postapokalyptischen Welt nach Extras. Und warum auch nicht? Leveldesigner haben uns in jahrzehnter langer Arbeit genau dieses Verhalten antrainiert. Das „Environmental Storytelling“ - also das Erzählen von Geschichten und die Vorstellung einer fremden Welt nicht durch Dialoge oder Zwischensequenzen, sondern mithilfe der Spielwelt an sich – ist in dieser Form einzigartig. Kein anderes Medium beherrscht es so gut, eine komplette Handlung von Anfang bis Ende in unserem Kopf nur durch die Erforschung der Spielwelt entstehen zu lassen. Aber nicht jeder Spieler will oder kann dieser Art der Erzählung folgen. Wer seine Geschichte nicht als ein einfaches Sender-Empfänger Konstrukt aufbaut, verliert schnell mal die Kontrolle über das eigene Script. Autorin Mary DeMarle (Deus Ex: Mankind Divided) ist sich diesem Zwiespalt bewusst: „Wir wollen jede noch so kleine Information geben, die wir können. Aber es gibt Spieler, die sich dafür nicht interessieren und wir müssen daher etwas bauen, dass mehrere Ebenen hat. So bekommen die Spieler eine Geschichte, die eine haben wollen und die, die keine wollen, wissen immer noch, was gerade passiert.“
Gerade Deus Ex ist ein wunderbares Beispiel für gelungenes Environmental Storytelling. Wer z.B. durch die kleinen aber durchdesignten Spielwelten der letzten beiden Titel schlenderte, entdeckte unzählige Mini-Geschichten am Wegesrand. Mal ist ein Apartment mit sonderbaren Fotos zugepflastert und vom Besitzer sind nur noch Blutspuren zu finden oder der konservative Politiker hatte interessanten Besuch in seinem Keller. Gerade in „Mankind Divided“ stechen diese Schnüffel-Episoden hervor, ist die Hauptgeschichte doch arg enttäuschend und austauschbar. Die sorgsam modellierte Welt rettet den tristen Verschwörungsplot und macht den eigentlichen Grundkonflikt zwischen zwei Bevölkerungsgruppen erst interessant und erlebenswert.
Firewatch: Schon mal Videospiel-Dialoge gehört und bei jeder Zeile ist der Fremdscham, stärker an eurem Nacken hochgewandert? Die Firewatch-Entwickler haben das wohl mal erlebt. So natürlich, charakterstark und clever sind die Worte, die die beiden Hauptcharaktere aussprechen.
Time Management – totally overrated
Viele Spiele brauchen bis zu den Credits 10, 15 oder mehr Stunden. Nur selten können wir daher die Geschichte an einem Stück erleben wie in einem zwei oder dreistunden andauernden Film. Und anders als in einem Buch haben wir meistens keine Kapitel und können auch nicht einfach mehrere Seiten zurückblättern, um unsere Erinnerung aufzufrischen. Dazu gibt es meistens keine, aus Story Sicht, logischen Ankerpunkt, an denen wir das Spiel in Ruhe speichern und in ein paar Tagen fortsetzen können. Vielmehr laufen wir der eigentlich intendierten Geschichte entgegen, wenn wir sie aus Unwissenheit an den falschen Stellen verlassen. Besonders Spiele, die sich durch aufwendige Zwischensequenzen erzählen, leiden darunter. Wenn ich eine Beziehung zu einem Charakter aufbauen soll, dann hat der Autor eine bestimmte Reihenfolge der Ereignisse im Kopf und damit auch, in welchem Abstand diese Ereignisse stattfinden sollen. Wenn zwischen zwei wichtigen Szenen allerdings mehrere Tage liegen, dann kann die eigentliche Wirkung auch verpuffen. „The Last of Us“ hat beispielsweise zwei starke Hauptcharaktere deren Beziehung sich durch viele kleine und große Momente aufbaut und entwickelt. Wer zu viel Zeit zwischen den Spielesessions verstreichen lässt, vergisst vielleicht vieler dieser Momente und sieht den Zusammenhang nicht mehr. Allerdings ist es auch unrealistisch zu erwarten, dass jeder die Zeit hat, ein Spiel immer in kürzester Zeit abzuschließen. Viel mehr können Spiele von sich selbst lernen. Die in den letzten Jahren aufkommenden Episoden Spiele (TellTale, Life is Strange) umgehen diese Problematik durch serielles Erzählen. Ein Konzept, dass sich weiterentwickeln lässt – zum Beispiel durch Kapitel und Handlungsstränge, die stärker in die Haupterzählung integriert sind.
It´s going to be Gameplay first
Warum wollen uns Videospiele überhaupt Geschichten erzählen? Das Gameplay sollte schließlich immer an erster Stelle stehen und ist damit meistens Hauptmotivator zum Weiterspielen. Tom Bissel, Schreiberling von Gears of War: Judgement, sieht eine ganz bestimmte Aufgabe in der Story: „Videospiele belohnen für gewöhnlich keine komplexe Erzählung, weil die meisten davon handeln, irgendwo hinzugehen und dann irgendwas zu machen. Dann geht man zu einem ähnlichen Ort und macht wieder etwas Ähnliches. In diesem Sinne, ist die Geschichte dazu da, dich vergessen zu lassen, dass das, was du gerade machst, unglaublich repetitiv ist.“ Gerade im Bereich der Blockbuster-Spiele finden wir diese Struktur aus Gameplay-Sektion, Story-Schnipsel zum Zugucken und dann wieder ab an die Eingabegeräte. Daraus kann eine große Inkonsistenz zwischen Gameplay und Erzählung entstehen, wenn Charaktere in der Spielwelt entgegen ihrem erzählerischen Antrieb handeln. Der erste Teil des Tomb Raider Reboots scheitert katastrophal daran, Lara Croft ans Töten „heranzuführen“. Anstatt diesen Handlungsbogen bewusst und reflektierend aufzubauen, wird eine hastige Notwendigkeit geschaffen, die nicht mehr hinterfragt wird. In den ersten Stunden präsentiert uns die Regie eine zerbrechliche Frau, die sich bei einem getöteten Reh entschuldigt und kurz darauf einen Menschen erschießen muss, um zu überleben. Ab diesem Zeitpunkt stellt das Töten für sie kein Problem mehr da. Während der Zwischensequenzen bleibt sie die sensible, mit sich hadernde Persönlichkeit. Im Spiel mutiert sie aber zur Tötungsmaschine. Das Gameplay spaltet sich damit von der Erzählung ab.
Dragon Age: Origins: Klar, die Hauptgeschichte mit garstiger, seelenloser Armee gegen die letzten freien Völker riecht stark nach Tolkin-Tabak. Der menschliche Bösewicht beweist aber die Talente der BioWare-Autoren in der Charakterzeichnung. Nachvollziehbar, präsent und mit genügend Story-Fleisch ausgestattet, um ihn als exzellenten Gegenspieler des Helden zu positionieren.
Simple Solutions, it´s true
Eine generelle Leitlinie zur Verbesserung aller Videospielgeschichten ist unmöglich, dazu sind sie zu unterschiedlich und gewichten ihren erzählerischen Anspruch nach dem spielerischen Fokus. Statt Filmen nachzurennen und versuchen sich mit jeder Sequenz nach Script selbst zu übertreffen, liegt die wahre Kraft der digitalen Storys in ihrer Direktheit. In keinem anderem Medium können wir Konflikte, Beziehungen oder Welten so unvermittelt erleben. Sei es durch Entscheidungsfreiheit oder simple Spielmechanik – wir machen die Geschichte des Autors auch immer ein bisschen zu unserer Geschichte.
Dann, liebe Entwickler, konzentriert euch auf einige wenige Aspekte und kleistert eure Spiele nicht mit unnötigen Sammelobjekten und Ablenkungsaufgaben zu. Man kann es nicht verhindern, wenn Spieler die Interaktivität ausnutzen – man muss ihnen aber auch nicht allzu leichtmachen. Das soll nicht heißen, dass jedes Spiel in einen engen Level-Schlauch gepresst werden soll, damit die Geschichte bloß keine Risse zeigt. Aber wer mit Weitsicht und einem strengen Blick fürs Notwendige designt, verhindert möglicherweise eine in sich zusammenfallende Story.
Noch besser wird es, wenn Story und Gameplay nicht separat voneinander funktionieren, sondern in sich verwoben sind. Level-Designer erzählen ebenso Geschichten wie die Dialog-Autoren. Susan O'Connor (Bioshock, Far Cry 2) hat es häufiger erlebt, dass beide Abteilungen sich nur zum Mittagessen getroffen haben. „Sie müssen miteinander reden, sonst ist es nur zufällige Scheiße, gefolgt von einer zufälligen Cutscene, gefolgt von zufälliger Scheiße.“ Die Story darf kein Fremdkörper sein, die irgendwann im letzten Drittel der Entwicklung hingedrückt wurde, um die Levels irgendwie miteinander zu verbinden. Sonst verpassen wir solche magischen Momente wie in „Brothers – Tale of Two Sons“, wo beide Spielelemente unzertrennbar miteinander verschmolzen waren. Der spielerische und geschichtliche Fortschritt gehen Hand in Hand und erzählen so etwas, was wirklich nur in Spielen möglich ist. „Aber unser Ding ist deren Ding auch. Schreiben ist Design. Wir bauen beide immer noch eine Welt von Grund auf neu.“ - Darby McDevitt, Autor von Assassins Creed Revelations und Black Flag über die Beziehung zwischen Level-Designern und Autoren.
Valiant Hearts: Hier redet zwar fast jeder Simlish und auf dem deutschen Versorgungszelt steht „Wurst-Haus“, trotzdem überzeugt die reduzierte Erzählung mit ihrer Emotionalität. Die Regie verwandelt den ersten Weltkrieg in einen Krieg der kleinen, intimen Schicksale. Tonal langt es häufiger mal daneben und verirrt sich in Kleinigkeiten, dafür absolut einzigartig und verblüffend effektiv. Eine große Geschichte heruntergebrochen auf das Wesentliche.
Vielleicht bekommen wir dann irgendwann unser „Citizen Kane“ der Videospielgeschichte. Eine Geschichte, die dann endlich beweist, was dieses Medium leisten kann. Oder wurde es das nicht schon? Es muss nur noch öfters passieren.
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