Die "Probleme" eines Spielers im Jahr 2017

Von Scaramouche · 9. August 2017 · Aktualisiert am 14. August 2017 ·
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  1. Es ist 1995, Spätsommer, und ich stehe vor der scheinbar schwierigsten Entscheidung meines noch jungen Lebens. Und weil man etwas gewaltig Wichtiges ja nicht aus dem Bauch heraus entscheiden kann und jede Kleinigkeit genau überlegt und durchdacht sein will, sitze ich auf meinem Bett und lese zum gefühlt 24. Mal den Artikel zum Spiel Secret of Mana für das Super Nintendo im Club Nintendo Magazin. Anschließend wird anständig das Hirn zermartert, bevor es (wohl ebenfalls zum 24. Mal) an die recht ähnliche Vorstellung von Secret of Evermore in einer anderen Ausgabe besagten Magazins geht. Setting, Figuren, Story – alle Elemente wollen genauestens begutachtet und verglichen werden. Und schließlich stellt sich (mal wieder) die Erkenntnis ein: Nochmal drüber schlafen, morgen nochmal lesen und dann vielleicht endlich diese schier unmenschliche Entscheidung treffen: Welches Spiel soll ich bloß kaufen?!

    22 Jahre und viele deutlich wichtigere Entscheidungen später ist vieles dennoch gleich geblieben: Nach wie vor spiele ich in meiner Freizeit gerne Videospiele. Heute zwar fast ausschließlich am PC und in einem seit der Geburt meiner Kinder doch äußerst überschaubaren zeitlichen Umfang, doch es ist nach wie vor ein wichtiger und schöner Teil meiner Freizeit.

    Und noch immer werden mir Entscheidungen abverlangt. Geändert hat sich jedoch die Ausgangsfrage: Sie lautet nicht mehr „Welches Spiel soll ich bloß kaufen?“, sondern vielmehr (und das ist ein großer Unterschied): Was soll ich bloß spielen?

    Und diese Frage zu beantworten, ist für mich oft ein richtiges Problem.

    Was, das nennt der ein Problem?! Der hat vielleicht Sorgen… Natürlich ist das Wort „Problem“ in diesem Zusammenhang hochgegriffen und klingt zunächst deplatziert oder gar dekadent. Ich will einmal versuchen, es zu erklären. Und vielleicht kommt es dem einen oder anderen ja bekannt vor…

    In meiner Steam-Bibliothek befinden sich derzeit 46 Spiele. Bei GoG sind es 18, und in meinem Regal stehen weitere 18. Sicherlich keine riesige Sammlung (die diesen Namen auch wohl kaum verdient), aber für mich trotzdem eine Menge. Etwa 30 Prozent dieser Spiele habe ich noch nie gespielt. Mich selbst wundert das nicht, ist das Angebot an alten und neuen Titeln, die verfügbar sind oder werden, doch enorm und die Versuchung, im (Summer-/Halloween-/Midweek-/Hauptsacheirgendein-) Sale ein Schnäppchen zu machen, manchmal übermächtig. Zack, der Bibliothek hinzugefügt…

    …und ein weiterer Mosaikstein in meinem Problem.

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    Aber kann man von etwas Gutem überhaupt zu viel haben? Ich bin nicht sicher, aber die schier grenzenlose Auswahl an Titeln, die ich noch unbedingt spielen möchte, gerne einmal wieder spielen würde, vielleicht auch mal anspielen könnte, stellt mich immer wieder vor das oben genannte Entscheidungsproblem: Was soll ich bloß spielen?

    Und so ertappe ich mich dabei, wie ich immer mal wieder im Internet die durchschnittliche Spieldauer etwaiger Kandidaten recherchiere, eine Priorisierung vornehme (von „unbedingt“ über „nochmal“ bis zu „eventuell“ spielen), dabei die unterschiedlichen Genres berücksichtige (denn nach einem 60-stündigen JRPG ist mir zumeist nicht gleich nach dem nächsten. Dann sollte es z.B. lieber ein Actionspiel sein) und das Ganze so zerdenke, bis ich schon keine Lust mehr habe, ein neues Spiel zu beginnen.

    Moment mal, klingt das nicht ganz ähnlich wie die Entscheidungsfindung vor 22 Jahren? Nur auf den ersten Blick, denn es gibt einen entscheidenden Unterschied: Bei meiner Wahl zwischen den zwei Titeln 1995 regierte die Vorfreude. Es war die Vorstellung, wie toll es wäre, eines dieser Spiele mein Eigen nennen zu können, die das Ganze für mich rückblickend so magisch und das anschließende Spielerlebnis zu unvergleichlich besser und intensiver gemacht hat.

    Vorfreude ist heute in aller Regel nicht mehr das vorherrschende Gefühl. Die unglaubliche Vielfalt des Angebots (die sich ja in fast allen Lebensbereichen eingestellt hat) macht es schwer für mich, diese zu empfinden. Manchmal ist das Gefühl sogar eher die Furcht, ein tolles Spiel zu verpassen, weil ich die Zeit vielleicht gerade mit einem zweitklassigen vergeude. Und neigt sich ein tolles, umfangreiches Spiel dem Ende, graut es mir manchmal schon wieder vor dem, was bald unweigerlich folgen wird: die Frage „Was soll ich bloß spielen“ und der damit verbundene Entscheidungsprozess.

    Ist es das (Über-?) Angebot an Spielen, die zur Verfügung stehen, das mich überfordert? Ist es die durch mein fortgeschrittenes Alter verloren gegangene kindliche Naivität und Unbeschwertheit, die das simple Genießen erschwert? Oder ist man als Konsument im Jahr 2017 einfach übersättigt und abgestumpft und kann sich kaum noch ohne Zynismus einer Sache widmen?

    Ich weiß es nicht.

    Eins weiß ich aber sehr wohl, und zwar dass ich mich der Frage und dem Entscheidungsprozess immer wieder stellen werde. Irgendwie ist es mittlerweile ein Teil meines Spielerlebnisses, den ich in bestimmten Momenten sogar auf eine sonderbare Art zu schätzen weiß. Denn ganz ähnlich wie bei der damaligen übersorgfältigen Auswahl eines SNES-Spiels lässt es mich noch tiefer in die jeweiligen Spiele eintauchen und hält mich davon ab, einfach schnöde ein Spiel nach dem anderen abzuspulen und zum Kettenkonsumenten zu werden.

    Es ist übrigens „Secret of Mana“ geworden. Keine schlechte Entscheidung, wie ich rückblickend finde (auch wenn sich Secret of Evermore einige Zeit später natürlich ebenfalls dazu gesellt hat). Ich habe das Spiel vor kurzem wieder gespielt. Und mich zuvor mit viel Bedacht dafür entschieden…

Kommentare

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  1. Supamarioana
    Also ich habe das Problem auch und mir ist vollkommen klar, wo das Problem ist: zu wenig Zeit zum Spielen und vor allem zu wenig davon am Stück.

    Ich spiele am liebsten epische Spiele, in denen ich versinken kann. Nur vergammeln Oblivion, Skyrim, Fallout 3, Witcher 1+2, GTA 4, ja sogar noch GTA: San Andreas(!) auf meinem Pile of Shame, weil ich genau weiß: mehr als zwei Stunden sind am Stück nicht drin. Und selbst das nur einmal im Monat.

    Also fange ich gar nicht erst an, weil ich nach mehrwöchiger Pause von vorne anfangen müsste. Meine bisherige Spielzeit wäre also vergeudet und nochmal anfangen macht nicht so viel Spaß wie beim ersten Mal.

    Also spiele ich fast nur Casual Spiele auf dem Smartphone. Aber die sind halt einfach total unbefriedigend und ich denke mir: "toll, jetzt habe ich diesen Monat 20 Stunden Fallout Shelter gespielt. Hätte ich diese Zeit nicht irgendwie so sammeln können, dass ich einen ganzen Tag ein richtiges Spiel spiele?"
    Die Antwort lautet natürlich 'nein', aber frustrierend ist es trotzdem.

    Mittlerweile kaufe ich Spiele gar nicht mehr bei Release, sondern nur noch für 1 Dollar im Humblebundle. Zum Spielen komme ich dadurch zwar auch nicht mehr, aber wenigstens geht das nicht zu sehr ins Geld und das Pochen im Schädel ("wolltest du dieses Spiel nicht auch haben?") wird etwas erträglicher.
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  2. happyPig
    Was die Angebote betrifft, einfach im Kopf behalten das es nicht lohnt ein Spiel günstig zu erwerben, obwohl man es dann doch kaum spielt. Schließlich wird besagtes Spiel auch weiterhin in Angeboten auftauchen.
    Konzentriere dich auf die Titel, die du wirklich spielen willst. Ein einfaches Prinzip (das ich bisher nur 2x gebrochen habe mhja).
    Wobei wir bei dem Kernproblem landen: Was spielen?

    Ich finde heute haben wir als Spieler den Luxus umfassend über Spiele informiert zu sein. Youtube ist dabei eine sehr große Hilfe. So sehe ich überhaupt kein Problem darin, etwas spielenswertes zu finden. Hast du Lust auf Genre X mit Szenario Y dann wirf eine Suchmaschine nach Wahl an. Du findest garantiert Vorschläge. Diese werden dann näher untersucht (mitunter auf Youtube) und was gefällt, wird gekauft und gespielt.
    Überangebot? mag sein doch jeder hat seine Genres die er mag. Damit lässt sich die Suche eingrenzen.

    Was Vorfreude betrifft, hat sich bei mir nicht viel geändert. Zur Zeit sauge ich jede Info zum kommenden Monster Hunter World Game of the fucking Year!!!!11 *sabber* - Verzeihung... - auf.
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  3. s8c
    Daher stammt das Sprichwort "die Qual der Wahl".

    Ich habe vor gar nicht allzu langer Zeit einen Artikel gelesen, der sich damit befasste, dass zu viel Entscheidungsfreiheit den Menschen überfordert und sogar psychische Erkrankungen hervorrufen kann. Ich finde den Artikel gerade leider nicht mehr, aber im wesentlichen ging es um die menschliche Angst, etwas zu verpassen. Hat man die Wahl zwischen zwei, oder mehr Produkten, schwingt, unabhängig von der letztlichen Entscheidung, immer die Frage mit, ob man mit dem anderen Produkt nicht besser gefahren wäre.

    Unabhängig von psychologischen Erklärungen, kann ich gut nachvollziehen was du schreibst. Mir geht es da ganz ähnlich. Häufig kommt noch dazu, dass ich gerade nach einem langem Arbeitstag zu faul bin, mich in ein neues Spiel einzuarbeiten. Also lande ich nach dem Beendigen eines Titels, manchmal wieder bei etwas alt vertrauten, in das ich dann wieder viel zu viel Zeit versenke.

    Aber hey, solange sowas unsere Probleme sind, geht es uns doch verdammt gut ;)
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  4. spyH
    Mir geht's auch ähnlich und deshalb hab ich zuletzt angefangen einfach per Random Generator das nächste Spiel auszusuchen (Spiele am Desktop von 1 bis X durchgezählt).

    Bisher hab ich das allerdings erst einmal ausprobiert und das hat gut geklappt: Tales from the Borderlands (und nun hol ich den Rest der Reihe nach ;)
  5. ReGre89
    Ja, ich gebe dir absolut Recht. Vor 20 Jahren war auch bei mir die Vorfreude vor bestimmten Spielen unerträglich. Heute überlege ich mir ganz genau, welche Spiele ich anfassen will. Und das nicht nur, weil das Angebot so groß ist, sondern auch, weil es für mich die richtige Kombination an Atmosphäre und Umfang sein muss. Was ich damit meine, lässt sich an besten mit The Witcher 3 erklären. Ich habe dieses Spiel geliebt und die ersten 50 Stunden quasi verschlungen. Wenn man aber durch Familie und Beruf teils nur eine, zwei Stunden die Woche zum Spielen kommt, kann man schon mal über ein Jahr für ein derartiges Rollenspiel einplanen. Am Ende hatte ich kaum noch Bezug zur Story und den Charakteren und wollte das Spiel nur noch von meiner Liste der beendeten Spiele streichen.
    Ein viel besseres Gefühl hinterlassen bei mir Spiele wie das neue Hellblade. Das Spiel hat eine unglaubliche Atmosphäre und für mich den genau richtigen Umfang.
    Was ich sagen will: Das "richtige" Spiel zu finden, ist teilweise absolute Glückssache. Mir gelingt es nur relativ selten.
  6. TitusPullo
    Ich kauf mir ein Spiel wenn ich es spielen will und das spiel ich dann auch, dafür habe ich es ja gekauft :D Etwas zu kaufen weil "Angebot" drauf steht ist primitivstes Konsumverhalten...
  7. Ligo
    Also mir sprichst du da voll aus dem Herzen! Danke für die kleine Reflektionsrunde :)
  8. Ypselon
    Nun ich muss dem Beitrag zu 100% zustimmen.

    Nur hab ich mehr Spiele in meiner Steam Bibliothek :)

    Aber ich kenn das auch, da überlegt man endlos lange, welches Spiel sollte ich nun anfangen, und wenn man sich dann entschieden hat, hat man schon keine Lust mehr.

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  9. schwarz
    Na geht mir ähnlich (bin Mitte 40) mit Beruf, Frau und Kind. Habe eine sehr volle Steambibliothek, empfinde das aber als sehr angenehm, da ich mich heute als Genussspieler sehe: Ich kaufe was ich möchte, auch die Vorfreude ist immer noch da, ich kann mich tierisch auf einen Release freuen, habe meist vorbestellt, um den Titel dann doch nicht zu spielen. Aber ich könnte...
    Solange mir etwas anderes mehr Spass macht, auch gut. Ausserdem nehmen die Spiele ja keinen Platz mehr weg. Alles schön geordnet in der Steam/GOG Bibliothek.
    Und es ist ein sehr tolles Gefühl durch die Sammlung zu browsen und zu denken "Ich könnte..."
    Deshalb weniger Stress, mehr Genuss.
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  10. BSchäfer
    Mir geht es ganz ähnlich, unzählige Titel in der Steamlib, GoG, Humble usw. Dazu noch viele viele Dinge in Schachteln und zu allem Überfluss auch noch WoW. Der Vorteil ist für mich nur: Ich habe nicht einfach nur was gekauft, weil ich was kaufen wollte, sondern die Titel sind mit Bedacht gewählt. Natürlich muss ich mich fragen, was ich davon jetzt spielen will, aber egal wofür ich mich entscheide, irgendwelcher Crap ist eher nicht dabei. Mir wird daher nicht so schnell langweilig, auch wenn mal das Internet ne Woche weg sein sollte.
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