Lootboxen müssen weg, werden aber dauerhaft bleiben
Ich möchte mal zur eigenen Psychohygiene hier meine Gedanken zusammenfassen. Ich spiele gerne verschiedenste Spiele von Garden Warfare 2 bis zu Hearthstone, von Darkest Dungeon bis zu Wolfenstein und Anno. Ich mag Spiele, die mir in 7 Stunden eine packende Story erzählen und ich kann 300+ Stunden in Anno siedeln. Ich hab es auch gerne wenn meine Figuren hübsch sind etc. Und nach einigen Jahren WoW bin ich einem gewissen Grad an Grind auch nicht abgeneigt. Soviel also mal zu meinen Präferenzen.
Meine zugespitzt formulierte Meinung:
Lootboxen sind illegales Glücksspiel, das einzig der Gier einiger Publisher dient und sind durch absolut nichts zu rechtfertigen. Ich bin an und für sich dem differenzierten Denken, wie es etwa ein Herr Graf praktiziert, sehr zugetan, aber in dieser Sache gibt es kein Pro-Argument, das ich stehen lassen kann. Keines.
Wobei ich Lootboxen definiere als alle Arten von Paketen / Boxen / Airdrops etc für die ich mit Ingame oder Echtgeld bezahlen kann und bei denen ich nicht weiß was ich bekomme. In meinen Augen ist es irrelevant ob es sich um kosmetische oder inhaltliche Items handelt - alles Lootboxen.
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Lootboxen sind Glücksspiel
Bei Lootboxen kaufe ich die Katze im Sack. Somit ist das für mich Glücksspiel. Es hängt weder von meiner Geldbörse ab, noch von meinem Können. Ob ich bekomme was ich will ist Glückssache. (Die Regierungen, die Lobbyisten zuhören müssen, können da anderer Meinung sein.)
Exkurs: So what?
Glücksspiel ist an sich nichts schrecklich Böses. Im Gegenteil, es macht richtig Spaß! Wer schon über 18 ist und mal in einem Casino war kann davon berichten, aber grundsätzlich kann es auch jedeR andere, denn was das Glücksspiel spannend macht ist der Nervenkitzel der Ungewissheit. Wird die nächste Karte mich auf die 21 bringen oder drüber? Wird in dem TCG-Booster die erhoffte Legendary dabei sein? Wird in der Lootbox mein Lielingsskin sein?
Dieses Kribbeln kommt vom Adrenalin. Es gehört zu jenen Botenstoffen in unserem Organismus, die uns aktivieren. Wir erleben es auch beim Achterbahnfahren, bei guten Dates oder bei einem Überfall. Wenn man beim Glücksspiel gewinnt kommen noch Endorphine und Dopamin hinzu (die Details sind nicht so wichtig. Im Gehirn gehen coole Sachen ab), die machen dass wir uns glücklich fühlen. Anspannung und Euphorie bilden gemeinsam ein Erlebnis das wir als sehr stark erleben können. Insbesondere wenn es um viel geht. Und genau da setzt die Gefährlichkeit ein. Mit jedem Mal, dass dieser Kreislauf aktiviert wird, funktioniert er ein klein bisschen schlechter als zuvor. Das liegt daran, dass unser Gehirn zu den Organen gehört, die sich verändern (anderes Beispiel ist die Leber). Man spricht von Plastizität. Nur so können wir lernen.
Das bedeutet in der Praxis, dass ich das Erleben nicht beliebig multiplizieren kann. 50 Kartenbooster sind nicht 50x so toll wie der erste Kartenbooster. Weil das, was ich auch raus bekomme dramatisch an Wert verliert (doppelte Items, etc). Man bekommt einen Fokus auf den Gewinn, der alles andere herum wertlos macht. Im Casino bedeutet das, dass mir ein 300€ Gewinn über den ich mich beim 2. Spiel noch gefreut hätte, beim 200sten Durchgang als Verlust erlebt wird, weil ich ja um die 2 Millionen spiele! (Wer sich dazu näher informieren will, dem sei die scholar.google.com – Suche empfohlen. Die Stichwörter Glücksspiel und Gehirn oder Sucht reichen aus.)
Diese Veränderungen im Gehirn führen zur Sucht. Man kann das behandeln und therapieren, aber das Problem ist, dass die Menschen dieses Angebot erst annehmen, wenn der Leidensdruck sehr stark ist. Also erst wenn es ihnen richtig dreckig geht. Die westlichen Regierungen haben dieses Problem erkannt und verlangen von Unternehmen, die Glücksspiel anbieten die Einhaltung gewisser Regeln. Ein Beispiel dafür ist etwa das sichtbare Angebot von Hilfeeinrichtungen. Oder das Erinnern, dass man schon seit 3 Stunden im Casino sitzt.
Wenn Lootboxen die gleichen Konsequenzen für uns haben und wir süchtig werden können, müssten diese Regeln auch für die Publisher gelten und davor fürchten sie sich. Nicht nur, dass es finanziell aufwändig wäre, es würde natürlich auch dem Ruf des Spiels und des Unternehmens schaden. Und es wäre wohl automatisch mit einer gewissen Altersfreigabe verbunden. Aber nun zurück zum Thema.
Lootboxen sind nicht real.
Das oben Geschriebene bedeutet auch, dass Panini-Bildchen und Magic- oder sonstige TGC-Boosterpacks in meinen Augen Glücksspiel sind. Jap. Aber.Wenn ich ein Panini-Album voll habe, liegt das bei mir zu Hause rum. Ich kann – sofern es überlebt hat und nicht irgendeinem Wirbelsturm / Hund / Baby zum Opfer gefallen ist – auch in 20 Jahren noch durchblättern. Wenn ich es gepflegt habe, ist es nicht mal vergilbt. Aus meiner Kindheit habe ich sogar noch ein paar. Ich kann es hüten, vererben oder verkaufen. Auf Willhaben finden sich Alben, die für dreistellige Beträge rausgehen, weil ihre Besitzer sie zusätzlich durch Autogramme veredelt haben.
Wenn Blizzard morgen befindet wir machen die Server dicht besitze ich keine einzige Hearthstone-Karte. Mein WoW-Charakter ist nichts als eine Erinnerung. Die Overwatch-Skins noch nicht mal digitaler Schrott.
Ganz nebenbei bedeutet das „digitale“ gegenüber dem „analogen“, dass niemandem ausser dem Spieler und dem Publisher wirklich klar ist wieviel Geld investiert wurde. Bei Panini-Bildchen muss ich für dieselbe Anonymität zu unterschiedlichen Verkäufern pilgern. Da ist es erheblich schwieriger zu leugnen, dass man ein Problem hat.
Lootboxen kann man nicht tauschen.
Nicht gegen Geld, nicht gegen andere Items. Ja klar, in Hearthstone kann ich meine Karten zu Staub umwandeln und den sammeln und dann neue Karten bauen. Mhm. Da muss ich aber den Preis nehmen, den Blizzard mir gibt. Und wenn sie den morgen ändern habe ich wieder keine Handhabe. Habe ich ja in der EULA brav abgegeben. Wenn ich aber in einem Panini-Album einen Sticker zuviel habe, kann ich den bei den Freunden austauschen. Zu einem Preis, den wir für uns ausmachen. (Jaja, die Chinesen, ich weiß. Dann haben wir die Farmer und so weiter. Es ist ja nicht mein einziger Kritikpunkt, bleib dran.)
Lootboxen sind nicht wertbeständig.
Sagen wir mal ich habe einen Lieblingschar und für den hätt ich gern Skin Xy. Dann bekomme ich den auch noch aus einer Lootbox! Klasse! Dann kommt Update 765 und es wird ein neuer Charakter eingeführt der mit meinem den Boden aufwischt. Also muss ich umstellen um überhaupt noch mitspielen zu können. Und was bringt mir mein Super-Skin jetzt? Nüx. Und bei Pay2Win ist es noch offensichtlicher. Die Waffe wird genervt, eine bessere eingeführt etc. Und wo kann ich mich beschweren? Richtig, am Salzamt…
Lootboxen sind undurchsichtig.
Ich weiß in vielen Spielen nicht mal mit welcher Wahrscheinlichkeit das von mir begehrte Item enthalten ist. Wenn ich zum Beispiel einen goldenen Yogg-Saron in Hearthstone will, dann weiß ich weder wie häufig Legendaries allgemein sind, wie häufig Yogg-Saron ist, wie häufig goldene Legendaries sind noch wie häufig ein goldener Yogg-Saron ist. Und ich weiß nicht ob das am Montag anders ist als am Freitag. Ich weiß nicht ob es vor drei Monaten anders war. Weil niemand mir sagt, ob Blizzard hier an den Schrauben dreht. Mir muss man nichts mitteilen, da gibt es keine Regeln.
Bei Lotterielosen stehen auf der Rückseite die Wahrscheinlichkeiten. Super kleingedruckt. Lesen auch die Wenigsten, es nimmt ja den Spaß. Aber sie müssen dort stehen und sie müssen gelten.
Edit: Ganz aktuell auf GS gelesen, dass Activision an den Destiny 2 Lootboxen geschraubt hat. Wer sah das kommen?
Lootboxen sind endlos.
In Garden Warfare 2 (dem einzigen Buy2Play-Titel, mit Mikrotransaktionen, den ich spiele) ist es so: Ich kann mir Stickerpakete kaufen mit kosmetischem Plunder. Aber diese Pakete enthalten auch Consumables. Das sind Items, die ich einmal einsetzen kann und dann sind sie weg. Die sind so mikrig, dass sie nicht spielentscheidend sind. Aber in einem Paket sind bis zu 7 Karten und es macht eben einen Unterschied ob ich jetzt 1 Consumable Karte oder 2 drinnen habe. Und wenn meine Sammlung sich füllt, werden es immer mehr consumable Karten sodass ich für die letzten kosmetischen Items nicht 10 Lootboxen kaufen soll sondern 100. Siehe dazu:
und wer sagt, dass es in anderen Spielen nicht ähnliche Mechaniken gibt?
Nochmal zu den Panini-Bildchen: In jedem Heft gab es eine Karte zum Ausfüllen, die es erlaubt die letzten 10 oder 20 Bildchen direkt beim Verlag nachzubestellen. Für Cent-Preise. Und wer ein Album aus seiner Kindheit vervollständigen möchte kann dazu auf die Webseite gehen und es mitsamt ALLEN Bildern kaufen. Einfach so. Das ganze Ding. Kann ich mir alle Inhalte von Unity auf einen Schlag kaufen?
Ich kann, wenn ich Pech habe, für einen einzelnen Skin 1000e Euros ausgeben. In Spielen ohne Lootboxen KANN ich das einfach gar nicht. Ich müsste mir das Spiel mehrfach kaufen um ansatzweise an mehrere Hundert Euro zu kommen oder eine Collector’s Edition, aber es ist gar nicht so einfach Blue Byte für die Ankündigung des neuen Annos mit hunderten Euros zu belohnen.
Lootboxen müssen sich wertig anfühlen.
Nicht umsonst hat man den Eindruck die kaufbaren Skins sind schöner. Sie sind oft aufwändiger, farbenfroher oder einfach besonders. Macht ja auch Sinn. Warum sollte ich Geld für etwas ausgeben, das scheiße aussieht? Dass customizing beliebt ist, ist kein Geheimnis. Es erhöht die Identifikation mit der Figur und dem Spiel und bringt mich auch dazu mehr Zeit mit dem Spiel zu verbringen.
Mit manchen Lootboxen kann man aber auch einfach das Spiel beschleunigen. Ich kann mir dann Xp-Booster und ähnliches kaufen. Natürlich haben wir heute in Spielen mehr Grind als früher um Lootboxen zu rechtfertigen. Wer das für eine Verschwörungstheorie hält möge bitte mal hier klicken. Ja, kann man sagen, dann kaufs halt nicht und spiel das Spiel.
Wenn jetzt aber 50 Stunden mich von meinem Ferrari trennen oder 3 € dann muss man schon sehr stark sein hier die 50 Stunden zu investieren. Ich will jetzt gar nicht so sehr auf das Argument hinaus, als Erwachsener habe man wenig Zeit zu spielen. Auch das sehr valide. Aber selbst wenn ich die 50 Stunden locker habe, ist es eine psychologische Binsenweisheit, dass Menschen sehr schlecht in der Lage sind Belohungen aufzuschieben. (Zumal sie ja bereits Leistung gebracht haben um mit dem Ferrari zu fahren in dem sie das Spiel gekauft haben).
Lootboxen sind bewusst psychologisch so austariert, dass wir sie kaufen.
Damit meine ich jetzt nicht etwa den Inhalt sondern die Präsentation des Angebots. 150 Lootboxen um 100 €? Da ist die Hemmschwelle schon sehr groß. Aber 1 um 1,50 €? Warum nicht. Zigaretten kosten mehr. Der Einzelpreis ist freilich dreimal so hoch. Das wird uns auch vorgerechnet. Best Value und Most Popular sieht man als „Adjektive“ immer wieder.
Es ist ganz ähnlich bei den Impulskäufen an der Supermarktkassa. Fragt mal eure Kassiererin wieviele Leute mit jeder Menge Zeug an der Kassa stehen und beim Warten in dieses Regal greifen. Das System ist so effektiv, dass es der ganze Einzelhandel übernommen hat. Vom H&M bis zu den Apotheken. Das klappt weil es kleine Produktmengen zu einem kleinen (absoluten) Preis sind.
PsychologInnen wissen auch, dass ich je mehr ich investiere umso eher bereit bin noch mehr zu investieren (siehe http://leepublish.typepad.com/strategicthinking/2015/03/sunk-cost-fallacy.html für alle die mehr darüber erfahren wollen)
Aber nicht genug! Die Shops funktionieren mit einem weiteren psychologischen Trick: dem Vergleichen. Wir messen uns ständig an anderen (eine Eigenschaft, die man Multiplayer-Shooter-Spielern und ihren K/D-Ratios nie unterstellen würde ) und es wurde in psychologischen Studien auch untersucht wie sich das Gehalt der KollegInnen auf das Einschätzen des eigenen Jobs auswirkt (Ich finde leider keine frei zugängliche Studie dazu). Wenn in den Echtgeld-Shops der Multiplayer-Shooter nur einzelne Lootboxen zu 2 € angeboten würden, wäre es nicht so leicht auf den Button zu klicken als wenn es daneben noch 4 andere Angebote gibt. Durch den Vergleich bin ich nämlich die bewusste Endkundin, die nicht der 90 € Versuchung unterliegt.
Das menschliche Gehirn ist eigentlich nicht darauf ausgelegt komplexe Wahrscheinlichkeiten intuitiv zu verstehen. So fällt es vielen Menschen schwer zu internalisieren (und damit in ihre Entscheidungen einfließen zu lassen), dass der Inhalt einer Lootbox (theoretisch) unabhängig vom Inhalt der vorangegangen ist. Eine Familie mit 6 Töchtern hat eine 50/50 Wahrscheinlichkeit eine siebte Tochter zu bekommen. Auch wenn es uns sehr unwahrscheinlich vorkommt.
Edit: Danke an dieser Stelle für die Hinweise in den Kommentaren, ich hatte da Topfen stehen.
Und lasst uns bitte nicht die schönen Zwischenwährungen vergessen, die nicht nur die Preise verschleiern sondern auch dafür sorgen, dass wir in den seltensten Fällen genau so viel ausgeben können wie wir wollen. Eine Lootbox kostet 100 Diamanten? Aber du bekommst nur Pakete zu 150 Diamanten für 2 €. Warum? Damit die 50 herumliegenden Diamanten, die übrig bleiben, deine Hemmschwelle nochmal einzukaufen senken.
Es sind noch zahlreiche weitere psychologische Tricks im Hintergrund aktiv, die aber grundsätzlich im Einzelhandel zu finden sind und keine Besonderheit von Lootboxen darstellen wie projection bias (ich werde das auch noch in x Wochen super finden) oder Entscheidungen unter Unsicherheit (siehe wieder scholar.google.com). Ich hab euch schon genug damit gelangweilt.
Aber Lootboxen sind doch nicht nur schlecht, weil... (Die Pro-Argumentation):
Argument N°1: Wenns keiner kaufen würde, wäre es auch nicht drinnen. Deshalb sind wir Spieler selber schuld, weil wir kaufen den Schrott doch.
Wir Spieler sind nicht „Wir Spieler“
Wir sind keine homogene Masse. Das waren wir noch nie sind es aber spätestens nicht mehr seit Spiele Mainstream geworden sind. Es gibt Silver Gamer und „Kiddies“. Es gibt Menschen, die depressiv sind oder workaholics. Vom beruflichen Overachiever bis zum Bummelstudenten. Frau. Mann. Arm. Reich. Alt. Jung. Alles dabei.
Jeder dieser Menschen trifft seine Entscheidungen basierend auf individuellen Gründen (ein paar davon habe ich schon vorgestellt). Was soll schon passieren, wenn ich hier mal 5 / 10 / 20 € ausgebe? Auf gut österreichisch: „Das wird das Kraut schon nicht fett machen!“.
Die nackte Wahrheit aber ist, dass wir es schlichtweg nicht wissen. Die Firmen sind nicht gezwungen darzulegen wie sich ihre Einkünfte aufschlüsseln. Sie tun es auch nicht. Wir hören vielleicht, dass eine Firma 50% ihrer Einnahmen aus Mikrotransaktionen erwirtschaftet hat, aber wir haben dazu keinen Schlüssel – oder auch nur einen Vergleich mit dem Vorjahr in dem das Line up vielleicht anders aussah.
Exkurs: Warum ein Schlüssel wichtig wäre
Was wäre denn ein Schlüssel? Der würde zum Beispiel anführen: aus dem Verkauf des
X Millionen Umsatz durch den Verkauf des Spiels Y
Z Millionen durch Mikrotranskationen im Spiel Y
Z1 Millionen durch Lootboxen zu je 1 €
Z2 Millionen durch Lootboxen zu je 10 €
Z3 Millionen durch Lootboxen zu je 100 € usw...
Das würde dann zeigen ob es wirklich die Einzelkäufe von vielen Usern sind oder ein paar wenige die ordentlich Knete in ein einzelnes Spiel bratzen. Ich persönlich habe die Vermutung, dass der zweite Aspekte mehr Asche macht. Diese Vermutung beruht auf Aussagen von Entwickerln, dass es sogenannte „Whales“ gibt, die sehr viel Geld in ein Spiel stecken, wie etwa Clicker Heroes (Clicker Heroes! Bitte das mal auf der Zunge zergehen lassen.) oder auch aus diversen Kickstarter Rechnungen wo man sieht, dass es Backer gibt, die mehrere hundert Euro investieren. Ja sie bekommen oft auch „mehr“ als die 20€ Backer, aber allein die Tatsache, dass es Menschen gibt, die mehrere Tausend Euro in ein Spiel investieren wird die Rechnung letztlich verzerren.
Wenn dem so ist, können wir eher auf die nächste Eiszeit warten. Denn das wirklich alle 100% von Spielern gemeinsam keine einzige Lootbox kaufen ist aus den bereits genannten Faktoren, die Entscheidungen beeinflussen schlichtweg undenkbar. Und wenn man dann noch ein paar dabei hat, denen das Geld nicht so weh tut... na dann...
Argument N°2: Lootboxen sind notwendig um die aufwändigen Kosten eines modernen Spiels zu finanzieren.
Gegenfrage 1: Welche Kosten?
Ein Spiel zu programmieren ist heute aufwändiger und kostenintensiver als 1990. Korrekt. Lizenzen, Grafik, Animationen, Sound – Mit der Technik stiegen auch die Erwartungen der Spieler. Aber bitte wollen wir mal fast 30 Jahre Inflation und die Einführung des Euros, den Ausbau des Welthandels und so weiter ignorieren. Zumal heute auch sehr viel ausgelagert wird und Menschen in Ländern an AAA-Spielen arbeiten, wo man sehr viel weniger verdient als in Westeuropa. Aber was immer wieder gerne vergessen wird in diesem Zusammenhang: Heute gibt es mehr Spieler. Wenn früher jemand gesagt hätte es gibt über 50 Millionen Besitzer einer Spielekonsole wären alle vom Stuhl gekippt (https://www.vg247.com/2017/01/05/ps...ed-over-3-million-units-in-less-than-a-month/ - der Artikel ist fast ein Jahr alt, ich habe aber keine bessere Quelle gefunden).
Wieviele Steam-Accounts gibt es? Wieviele Menschen kaufen heute ein GTA V? Gab es in den 90er überhaupt soviele Menschen, die wussten was Computerspiele sind? Dazu kann es keine harten Fakten geben. Aber man kann sich sehr wohl ausrechnen, dass die Rechnung hier nicht so deutlich zu ungusten der modernen Spieleentwicklung ausschlägt, wie gemeinhin behauptet wird. Zumal es ja jede Menge anderer Einnahmequellen gibt, aber dazu später mehr. Bleiben wir noch bei den ach so horrenden Kosten, die gedeckt werden müssen.
Letztens erst, im Artikel über Senua’s Sacrifice (Jubiläumsausgabe, Seite 173. Leider nicht im Plus-Artikel enthalten, aber im Heftarchiv zu finden), stand zu lesen, dass Call of Duty WWII 50 Mio $ in der Herstellung und 200 Mio $ an Werbekosten verschlungen hat. Das muss reingespielt werden, keine Frage. Was meint ihr was Serverwartung und Patches kosten? Seien wir mal großzügig und sagen 10 Mio $ über 2 Jahre. Jedenfalls keine dreistelligen Millionenbeträge. Wozu aber braucht es die überhaupt? Können die nicht mit Inhalt und Qualität punkten?
Werbung dient dazu, dass ein Produkt oder eine Marke präsent ist. Je präsenter etwas ist, je häufiger wir damit in Kontakt kommen, desto eher mögen wir etwas. Diesen Gewöhnungseffekt nennt man Habituation (mere exposure – scholar.google.com – ich sag’s nochmal für alle ohne Uni-Zugriff auf wissenschaftliche Literatur.). Deshalb braucht es Werbung und deshalb explodieren die Kosten (weil man muss einander ja gegenseitig überbieten, selbst wenn das Spiel an sich schon Weltklasse ist. Wie beispielsweise Witcher 3 oder GTA 5.)
Argument N°2: Lootboxen sind notwendig um die aufwändigen Kosten eines modernen Spiels zu finanzieren.
Gegenfrage 2: Warum Lootboxen?
Es gibt viele Möglichkeiten mit einem Spiel beziehungsweise einer Marke Geld zu machen, neben dem regulären Verkauf und sie werden ALLE von den Publishern ausgenützt. Merchandising, Filme, Vorbestellerboni, Collector’s Editions, Unterschiedliche Editions um Exklusivangebote mit Händlern anbieten zu können, Kooperationen (Erinnert ihr euch noch an das Rasiergel von Assassin’s Creed?) , Gewinnspiele, Add-Ons, DLCs, Verschenken von Vorgänger-Spielen wie zuletzt bei Watch Dogs oder auch sehr intensiv bei The Witcher betrieben.
Sicher haben wir uns anfangs gegen die DLCs gewehrt. Aber eine grüne Pferderüstung ist lange nicht so schlimm wie eine Box in der vielleicht eine grüne Pferderüstung drinnen ist. Vielleicht aber auch nur ein virtueller Apfel, den ich meinem Pferd füttern kann. Wenn ich weiß wofür ich mein Geld ausgebe kann ich meine Entscheidungen viel besser treffen, viel einfacher abwägen, was für mich welchen Wert hat. Und wer so sehr am Hungertuch nagt, darf in meinen Augen auch gerne DLCs für Tausende Euros anbieten. Hier gilt nämlich wirklich: Will ich es nicht, brauche ich es nicht zu kaufen.
Argument N°3: Lootboxen sind kein Glücksspiel weil man ja immer irgendwas gewinnt.
Gegenfrage: Was gewinn ich denn?
Kennt ihr die Spieleshow mit den Zonk? Da konnte man sich eine von drei Türen aussuchen und eine Reise gewinnen oder eine Waschmaschine oder den Zonk. Ein hässliches rotes Plüschtier
Aber die Show war ja kein Glücksspiel, weil die Teilnehmer haben auch immer was gewonnen. Wieso sind die denn nicht glücklich wenn sie ein billiges Stofftier bekommen? Versteh ich nicht!
Spaß beiseite. Der Plunder, der teilweise in diese Kisten gestopft wird ist noch weniger Wert, als das was wir hoffen daraus zu bekommen. Maurice hat das unlängst in seinem Kommentar, der diesen Blogeintrag inspiriert hat, sehr gut dargelegt. Wer hier davon spricht in jeder Lootbox wäre ein Gewinn enthalten, lügt sich selbst in die Tasche. Wer will denn bitte jeden digitalen Inhalt gleich gerne haben? Natürlich gibt es Wertabstufungen und spätestens ab einem gewissen „Besitz“ (seien es Karten, Skins, Hüte oder sonstwas) verlieren die anderen an Wert. Im schlimmsten Fall habe ich das was ich da bekomme aber schon und muss es zu noch wertloseren Craftingmaterialien zerbröseln.
Was heißt das für die Zukunft?
Wie ich eingangs erwähnt habe, bin ich ein Fan von differenziertem Diskurs. Aber im Fall von Lootboxen kann ich nichts Positives sehen (abgesehen vom erhöhten Gewinn für die Publisher). Lootboxen sind aufgrund der verschiedenen Verschleierungstaktiken, die durch den Zufall entstehen in jedem Fall eine Pest. Ob man sie nun als Glücksspiel bezeichnet oder nicht, ob sie Pay2Win enthalten oder kosmetische Items, ob sie in Buy2Play-Spielen drinnen sind oder in Free2Play-Titeln. Letztlich läuft es darauf hinaus, dass man die Katze im Sack kauft und das ist nicht umsonst eine negativ konnotierte Redewendung.
Langfristig werden wir die Lootboxen nicht los. Selbst wenn die Regierungen es als Glücksspiel anerkennen werden die Publisher einfach andere Wege gehen um ihre liebgewonnen Gewinne nicht aufgeben zu müssen. Das ist ganz natürlich und ich will sie deshalb auch nicht alle mit dem „Bösen“ in eine Ecke stellen. Es wird einfach nur die Spielelandschaft so verändern, dass es Lootbox-Spiele gibt und solche ohne. EA, Activision, Ubisoft usw. werden unglaubliche Beträge einfahren und uns bleibt zu hoffen, dass genug Finanzkraft übrig bleibt um die Nicht-Lootbox-Spiele rentabel zu machen (Das ist aber ziemlich wahrscheinlich denke ich. Als WoW heraus kam, waren auch alle davon überzeugt, dass es in Zukunft weniger Spiele geben würde...)
Ich muss Zakkuri also widersprechen, der in seinem / ihren Blogeintrag darlegte warum wir die Finger von Mikrotransaktionen lassen sollten. Wir müssen nicht Mikrotransaktionen meiden, wir müssen Lootbox-Spiele gar nicht erst kaufen. So können wir sicher stellen, dass Nicht-Lootbox-Spiele rentabel sind. Von Senua’s Sacrifice über The Witcher bis hin zu GTA V. Weil mir Shark Cards noch immer lieber sind als Karten-Booster-Packs.
Habt ihr noch andere Pro-Argumente für Lootboxen, die ich vergessen habe? Oder Gründe warum sie schlecht sind? Was haltet ihr davon, dass für mich der Zufall das ausschlaggebende Kriterium ist und nicht etwa Pay2Win?
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