Anthem Demo – Luftakrobatik zwischen Ladebildschirmen. Teil 1

Von Kigosh · 30. Januar 2019 · ·
Die Anthem Demo hatte technische Schwierigkeiten und frustrierte so manchen Spieler. Doch ist alles an Anthem schlecht? Gibt es wirklich keine Hoffnung? Oder verbringt sich hier ein Rohdiamant, der etwas Feinschliff braucht?
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  1. Teil eins meiner Eindrücke der Anthem VIP Demo. Im zweiten Teil gibt es Tipps für eine entspannte öffentliche Demo am 01. Feb 2019.

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    Es war einer der härtesten Bosskämpfe, die ich in meiner ruhmlosen Videospielkarriere bestreiten musste. Ganze drei Stunden dauerte er und erst nach unzähligen Versuche konnte ich die fast unüberwindbare Mauer erklimmen. Der Name dieses furchterregenden Bosses: Ladebildschirm. Es läuft mir kalt den Rücken runter, wenn ich mir seine gruselige Visage vorstelle.

    Freitagabend 23.00, nach drei Stunden «connecting to the server», war es endlich so weit und die Welt von Anthem hatte ihre Pforten für mich geöffnet. Voller Tatendrang stieg ich in meinen Javelin mit der Befürchtung beim Missions-Ladebildschirm festzufrieren, abzustürzen oder schlimmeres, jedoch nichts davon traf ein; Plötzlich stand ich mit drei Fremden in einer bizarren Welt und musste meinen ersten Auftrag erledigen.


    Über das Wochenende habe ich ca. 20 Stunden in Anthem investiert und möchte meine Eindrücke in diesem zweiteiligen Blogpost verkünden. Ich erhoffe mir Interessierten und Unentschlossenen einen Einblick in das Spiel zu liefern und möchte den Teilnehmenden der öffentlichen Demo einige Tipps mit auf den Weg geben. Ich masse mir nicht an ein objektives Urteil über Anthem zu fällen oder eine zuverlässige Prognose über die Qualität des Endproduckts zu liefern. Ich formuliere lediglich meine persönliche Meinung, die ich während dem Wochenende geformt habe und die sich natürlich mit eurer nicht decken muss. Gerne diskutiere ich eure Erfahrungen in den Kommentaren.

    Der Blogpost ist wie folgt aufgebaut:

    Ich möchte zunächst über die Themen «Technik», «Grafik», «Gameplay» und «Story» sprechen und meine Erlebnisse dazu zusammentragen. Aufgrund der Zeichenbegrenzung endet hier der erste Teil des Blogbeitrags. Im zweiten Post findet ihr den Abschnitt «Fazit», in welchem ich schliesslich die m.E. positiven und negativen Aspekte der Anthem Demo einander gegenüberstelle. Zum Abschluss gibt es im Abschnitt «Tipps» einige Hinweise für Spieler der öffentlichen Demo (01. Februar), die ihnen einen entspannten Einstieg in die Demo ermöglichen sollten. Die Abschnitte sind mit dicker Überschrift markiert, so dass der Leser oder die Leserin gerne zu den Textstellen springen kann, die ihn oder sie interessieren.


    Technik – Fasche Kommunikation und falsche Erwartungen

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    Wäre am Freitag der Release von Anthem gewesen und wäre die Demo Version die eigentliche Release Version, so hätten Bioware und EA einen Shitstorm über sich ergehen lassen müssen, wie jüngst erst Bethesda für Fallout 76 oder die Macher von Atlas.

    Zunächst konnten viele Gamer keine Verbindung mit den Servern herstellen, was sie zum Glauben verleitete, Bioware hätte die Serverkapazität zu knapp bemessen für die VIP Demo. Die Nachricht «The EA servers reached max cpacity» während des erfolglosen Login-Verfahrens, legte diesen Schluss nahe. Doch am Samstagmorgen wendete sich der Head of Live Service, Chad Robertson, an die Anthem Gemeinde und versuchte zu schlichten. Es wurde genug Serverkapazität eingeplant, jedoch habe der enorme Andrang zu Beginn der Demo zu einem (nicht näher beschriebenen) Fehler geführt, den man so während den internen Tests nicht vorfand. Dies sollte allerdings nicht das einzige technische Problem sein, das die Spielerschaft das Wochenende über plagte.

    Viele beklagten, dass sie beim Laden von Missionen nicht über 95% gelangten und ewig im Ladebildschirm festsässen. Mir ist dies nur drei oder vier Mal passiert und ich konnte den Fehler durch reparieren des Spiels über Origin lösen. Mich plagten zu Beginn eher Performance-Probleme und das «Rubberband» Phänomen. Da ich «Freeplay» in diesem Zustand nicht verlassen konnte, musste ich das Spiel unsanft beenden, reparieren und neustarten.

    Neben der mässigen Performance gab es einige Bugs. Auf Twitter und Reddit wurden haufenweise Videos und Screenshots gepostet, wie zum Beispiel ein Grafikfehler der dafür sorgte, dass ein Freelancer in seinen Javelin frontal einstieg, anstatt an der vorhergesehenen Stelle auf der Rückseite des Anzugs. Aber auch bei der Progression haperte es. Ich konnte lange Zeit nicht über Level 11 hinausgelangen. Umso frustrierender, weil erst ab Level 12 der zweite Javelin freigeschaltet wurde. Ein Blick auf Twitter verriet, dass auch Spieler, die es bis zum besagten Level geschafft hatten, keinen Zugriff zum neuen Javelin bekamen. Erst als ich die Festung durchgespielt hatte und genug XP bekam, um gleich zwei Level aufzusteigen, funktionierte es mit dem Progress und ich erreichte endlich Level 13 und konnte meinen «Storm» Javelin beanspruchen.

    Über das gesammte Wochenende sind mir immer wieder Bugs und Fehler aufgefallen. Manchmal konnte die Gruppe in einer Mission nicht vorankommen, weil ein Spieler, der einen kritischen Missionsgegenstand hielt, die Verbindung verlor. Soundfehler sorgten dafür, dass sich Bosskämpfe ziemlich unepisch anfühlten, weil plötzlich die musikalische Untermalung fehlte – was Musik doch alles ausmacht in Spielen! Und letztlich gab es gelegentliche Abstürze, «Freezes» und andere Fehler, die ich schon wieder vergessen habe.


    Ein Blick auf Twitter und Reddit verrät aber, dass ich verhältnismässig gut weggekommen bin. Andere Spieler konnten sich überhaupt nicht einloggen, hatten eine grottenschlechte Performance oder wurden durch ewige Ladebildschirme immer wieder aus dem Spiel gejagt. Verständlicherweise beschwerten sich diese Spieler in den Sozialen Medien lautstark.

    Da ich schon bei der closed Alpha mitmachen durfte, wusste ich auf was ich mich da einliess. Ich rechnete damit, erst zum Sonntag hin richtig spielen zu können und war angenehm überrascht als es schon Freitagabend klappte. Viele Spielerinnern und Spieler werfen Bioware vor, das Wochenende als «Demo» und nicht als «Alpha» oder «Beta» beworben zu haben. Sie treffen damit einen wunden Punkt. Ich sehe es ein, dass die Bezeichnung «Demo» impliziert, man würde Einblick in eine fertige Version des Spiels bekommen. Gleichzeitig sollte man gegenüber Bioware fair bleiben, denn die Entwickler haben im Vorfeld der Demo betont, es handle sich um eine unfertige Version, die sechs Wochen hinter der aktuellen, ebenfalls unfertigen Version hinterherhinkt. Der Frust war bei vielen umso heftiger, weil es sich um eine «VIP Demo» handelte, die sich ausschliesslich an Vorbesteller richtete. So bekamen Spieler den Eindruck, sie hätten für ein Werbeversprechen bezahlt, das nicht eingehalten wurde. Auch da habe ich persönlich eine andere Einstellung, da ich das Spiel nicht wegen dem Zugang zur Demo vorbestellt habe, sondern weil mich die closed Alpha damals überzeugen konnte. Trotzdem verstehe ich die Wut. Doch wer bietet heutzutage überhaupt die Möglichkeit an, ein Spiel vor Release testen zu können, auch wenn es eine unfertige, verbugte Alpha Version ist? Kaum ein Entwickler tut das und ich bin mir auch nicht sicher, ob Bioware es in Zukunft tun wird. Mann muss sich nur die Reaktionen auf Twitter und Reddit anschauen. Ob wir Gamer dadurch mehr gewonnen haben?


    Trotz aller Probleme, konnte ich jeden Aspekt der Demo (früher oder später) ausprobieren und hatte soviel Spass, dass ich gleich ca. 20 Stunden investiert habe. Diese Zeit bestand überhaupt nicht nur aus Ladebildschirmen und Bugfrust. Ganz im Gegenteil.


    Grafik – Eine Augenweide

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    Ich habe Anthem auf meinem WHQ Monitor in der Auflösung 3440x1440 gespielt. Wenn Anthem jetzt schon eine offensichtliche Stärke hat, dann ist es die Grafik. Ich bin kein Grafikexperte und werde jetzt nicht künstlich fachsimpeln. Für mich reicht eines: von der ersten Minute an hat mich der optische Eindruck von Anthem weggehauen. Ich will jetzt nicht behaupten, es sei das Beste, was es auf dem Markt gäbe, aber es spielt sicherlich in der obersten Liga mit. Mit dem Javelin durch die Landschaft im Freeplay Modus zu fliegen, ist atemberaubend. Ich bin in manchen Partien minutenlang geflogen und habe die Umgebung samt ihrer Lichteffekte bestaunt. An dieser Front überzeugt Anthem.

    Aber…auch in diesem Bereich musste die Demo technische Abstriche zulassen. Ich habe eine 1080 TI Grafikkarte, einen I7 7700K Prozessor und 32GB RAM. Das reichte nicht aus, um Anthem auf Ultra-Settings (in 3440x1440p) flüssig zu spielen. Dabei störten die ca. 50 FPS gar nicht, sondern die regelmässigen Abstürze, «Freezes» in Zwischensequenzen und die punktuellen Performanceeinbrüche, die ich tatsächlich nur auf Ultra Settings hatte. Sobald ich die Einstellungen auf «hoch» runtergesetzt habe, lief alles viel runder und ohne grössere technische Probleme. Da muss Bioware offensichtlich noch einiges optimieren bis zum Release, was aber für ein AAA-Studio dieser Grösse kein Problem darstellen sollte – okay, ich hoffe, dass ich es jetzt nicht gejinxt habe…




    Gameplay – Achterbahnfahrt zwischen Spass und «Mäh»

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    Die Javelins spielen sich rund und abwechslungsreich. Wir können zwei Fähigkeiten ausrüsten, haben jeweils eine javelin-spezifische Ultimate Fähigkeit und einen Nahkampfangriff, einen Supportskill (z. Bsp. Schild oder Buffs) und wählen zwei Waffentypen aus. Dies scheint auf den ersten Blick nicht viel zu sein, wenn man es mit einer WoW Skillbar vergleicht und selbst The Elder Scrolls Online mit ihren zwei Waffenskillbars bietet mir mehr Variation an. Allerdings gefällt mir diese Einfachheit. Ich muss mir genau überlegen, wie ich meine Skills kombiniere, um das Maximum aus ihnen herauszuholen. Eine Fähigkeit auszurüsten, die ich nie verwende, kann ich mir nicht leisten. Trotz dieser Reduktion auf das Wesentliche, bleibt genug Komplexität übrig, um an meinen Loadouts zu tüfteln. Jede Waffe, jedes Ausrüstungsmodul und auch die Skills haben zusätzliche Eigenschafften, die mehr oder weniger miteinander harmonieren. Als ich mir meinen Loot nach einer Mission angesehen habe, fühlte ich mich wie ein Kind im Spielwarenladen. Die Eigenschaften der Waffen zu studieren und mir zu überlegen, welche davon am besten zu meinem Javelin und meinem Spielstil passen, ist ein grosser Teil der Faszination von Anthem. In der Demoversion war das Pilotenskillsystem nicht verfügbar, aber während der Alpha konnte ich es bereits kennenlernen. Dieses bietet nochmals zusätzliche charaktergebundene Boni, die wiederum auf Spielstil und Javelinloadout abgestimmt werden müssen.

    Loot

    Die Lootspirale konnte mich problemlos bei der Stange halten. Es gibt genügend unterschiedliche Gegenstände, Waffen und Eigenschaften, sodass ich immer motiviert war, noch einen Stronghold-Run zu machen, nochmals eine der drei Missionen zu absolvieren oder mich ins Freeplay-Abenteuer zu stürzen. Selbst nach 20 Stunden Spielzeit war ich noch nicht zufrieden mit den Loadouts meiner Javelins. Sie fühlten sich zwar stark an und der Progress war befriedigend, aber ich wusste, es war noch mehr möglich. Optimierungspotential war reichlich vorhanden und ich bin halt ein Perfektionist. Wenn Anthem es schafft dieses Gefühl über das gesamte Spiel hinweg und auch im Eldergame aufrechtzuhalten, dann wäre viel gewonnen.

    Combos

    Ich muss nicht nur schauen, dass meine Waffen und Ausrüstungsgegenstände miteinander harmonieren, sondern auch meine Skills. Neben unterschiedlichen Elementarskills und Schadensformen, konnte ich drei Kategorien von Skills identifizieren: Primer-Skills, Detonator-Skills und reine Schadensfähigkeiten. In Anthem gibt es Combos, die exponentiell mehr Schaden verursachen, als ihre Basisskills. Um eine Combo auszuführen, muss man sie mit einem Primer-Skill einleiten und mit einem Detonator-Skill auslösen. Hat mich die Loot-Göttin angelächelt, kann ich auf meinem Javelin einen Primer-, wie auch Detonator-Skill ausrüsten und selbst Combos auslösen. Oder ich koordiniere mich mit meinem Team und beschränkte mich beispielsweise nur auf Primer-Fähigkeiten und meine Teammitglieder lösen die Combo mit Detonators aus. Zu Beginn hatte ich kein Glück gehabt und konnte nicht Primer und Detonator auf meinem Javelin ausrüsten. Als ich dann feststellen musste, dass viele Spieler das Combosystem nicht verstanden haben und meine Primer-Angriffe nicht auslösen wollten, habe ich meine Strategie geändert. Ich rüstete reine Schadensskills aus. Die verursachen pro Fähigkeit den grössten Schaden, können aber nicht für Combos verwendet werden. Während sie pro Skill mehr austeilen als die Combo Skills, verblasst der Schaden verglichen mit einer zu Ende geführten Combo. Gerade in meinen ersten Spielstunden musste ich Lehrgeld bezahlen, denn ohne Combos beisst man sich im Hardmode an den Bossen die Zähne (inklusive Zahnfleisch) aus.

    Waffen

    Im Bereich Waffenhandling und Gunplay hat mich die Demo etwas enttäuscht. Es gibt genug Waffenvielfallt: Leichte Maschinengewehre, Sturmgewehre, Schrotflinten, Maschinenpistolen, Pistolen, Automatische Scharfschützengewehre, Repetier-Scharfschützengewehre, schwere Geschütze, und das sind nur die Waffentypen, an die ich mich noch erinnere. Sie spielen sich alle unterschiedlich und das Trefferfeedback stimmt für mich. Es hat durchaus Spass gemacht mein Magazin in ein Scar-Alien zu entleeren, auch wenn es sich auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad davon ziemlich unbeeindruckt zeigte. Mich störte jedoch, dass mir das Spiel keinen Anreiz bot, Waffen zu wechseln. Ob ich das Stronghold mit Sturm- und Scharfschützengewehr oder mit Schrotflinte und Pistole anging, spielte eigentlich keine Rolle. Es gab kaum eine Spielsituation, bei der ich mir gedacht hatte «Mist, hätte ich doch bloss ein Scharfschützengewehr anstatt der Schrotflinte mitgenommen». Dieser Umstand kann Fluch und Segen zugleich sein, denn er erlaubt so, seinen eigenen Spielstil umzusetzen. Mann wird nicht gezwungen einen bestimmten Waffentypen zu benutzen. Andererseits bedeutet dies, ist die «Wohlfühlwaffe» erst gefunden, gibt es kaum noch einen Grund zu wechseln. Gutes Shooter-Leveldesign schafft es für jede Waffenart optimale Einsatzmomente zu generieren und bietet so Anreize, je nach spezifischer Mission eine jeweils andere Waffe auszurüsten. Gut möglich, dass Anthem dies in anderen Missionen tut, aber in der Demo war nichts davon zu spüren. Ich habe so viele Stronghold-Runs gemacht und ob ich den Boss mit einem leichten Maschinengewehr bearbeitet habe oder mit einer Schrotflinte, hat letztlich keinen Unterschied gemacht.

    Steuerung

    Einen bittersüssen Nachgeschmack hinterlässt die Steuerung der Anthem Demo. Viele Spielerinnern und Spieler haben sich über die Maus- und Tastatur-Steuerung beschwert. Zumindest das Fliegen konnte ich einigermassen befriedigend meistern, nachdem ich die Mausempfindlichkeit im Menü angepasst habe. Damit konnte ich selbst auf kleinen Flächen punktgenau landen und präzise Luftmanöver durchführen. Aber eine Lobenshymne hat die Maus- und Tastatur-Steuerung von Anthem nicht verdient. Doch der richtige Frust beginnt unter Wasser. Gegen Ende des Strongholds, kurz bevor man den Boss erreicht, gibt es einen Abschnitt bei dem man kurz durch eine Unterwasser-Höhle tauchen muss. Zunächst fällt man einen tiefen Schacht hinunter und klatscht unelegant ins absolut dunkle Wasser hinein. Am Freitag und Samstag war es für mich kaum möglich diesen Abschnitt sinnvoll zu navigieren. Zunächst brauchte ich eine Ewigkeit, bis ich mich orientieren konnte: Wo ist oben und wo unten? Wo fängt der Weg in dieser Höhle an (er war durch leuchtende Wasserpflanzen markiert)? Wieso mache ich dreifach Pirouetten, wenn ich die Maus ein bisschen bewege? Warum wird mir plötzlich schwindelig? Hilfe, ich habe Kopfschmerzen! In den ersten beiden Tagen war es so schlimm, dass so manche Gruppe nicht etwa am Boss gescheitert ist, sondern an der Wegfindung in diesem relativ kurzen aber mühsamen Abschnitt. Erst am Sonntag hat Bioware Abhilfe geschaffen. Von da an hat sich der Javelin nach dem Sprung ins Wasser automatisch so ausgerichtet, dass man den Weg in der Höhle relativ einfach fand und ich hatte auch das Gefühl, dass die Steuerung nicht mehr so hyperempfindlich war. Trotzdem war sie so weit von Gut entfernt, wie ein Victoria Secret Model von einem All-you-can-eat Buffet.

    Die Steuerung zu Land funktionierte relativ gut. Die Javelins fühlen sich flink und dynamisch an, ausser der Hulk artige Kolossus. Die Teleport-Fähigkeit des Storm-Javelins machte besonders Spass und war sehr nützlich, um Scharfschützenbeschuss auszuweichen. Die «Hover»-Fähigkeit hat ebenfalls überzeugt. Man fühlt sich im Storm unglaublich mächtig, wenn man über dem Schlachtfeld schwebt, seine Hand austreckt und plötzlich kommt Eis, Feuer und Blitz vom Himmel geschossen. Der Werbeslogan des Storms ist «wield lightning at the top of your fingertips» - wie Lord Sidious eben.

    Die Javelins

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    Die Superstars von Anthem sind die vier Javelins: Der Ranger (Allrounder und Single Target Damage), Storm (AoE Damage), Kolossus (Tank, schweres Geschütz) und Interceptor (Speedy Gonzales auf Crystal Meth und Nachkampf Küchenmesser). Ich konnte vor allem den Ranger und Storm testen und beide machen Laune. Während der Ranger das Iron Man Gefühl verkörpert, macht mich der Storm zu einer Sith Lord Version von Dr. Doom. Alle Javelins sind im finalen Spiel freischaltbar und von einem Charakter aus spielbar. Für die Teilnehmenden der VIP Demo wird es möglich sein, alle vier Javelins an der öffentlichen Demo vom 01. Februar zu spielen. Da sie sich alle unterschiedlich genug anfühlen und spielen, hatte ich durchaus Lust beide Javelins zu nutzen, und habe auch den Kolussus beim Account meines Mitbewohners gerne gesteuert. Bei den Javelins mache ich mir keine Sorgen was die Anreize zum Wechseln anbelangt (im Gegensatz zu den Waffen). Je nach Gruppenzusammensetzung ist man froh, schnell in einen anderen Javelin steigen zu können. Auf lange Sicht wäre es sicher zu monoton nur eine Klasse zu spielen und deshalb rechne ich es dem Spiel hoch an, dass man nicht erst einen anderen Charakter erstellen muss, um einen anderen Javelin zu spielen. Jedoch erspart das einem nicht den Lootgrind, denn jeder Javelin hat spezifische Ausrüstungsgegenstände. Ein Kolossus ohne spezifisches Kolossus Gear ist in etwa so Widerstandsfähig wie ein Segelflieger unter Flakbeschuss.

    Zur Balance lässt sich nicht viel sagen, da Bioware betont hat, dass die Balance der Demo Version nicht vergleichbar wäre mit der finalen Version. Dies beruhigt mich ein wenig, denn ich hatte solo im Freeplay eine höhere Überlebensrate mit einem Storm also mit einem Ranger, obwohl in der Beschreibung des Storms steht, er würde kaum Schaden aushalten.

    Missionen

    Fort Tharsis ist die Heimatstadt von unserem Spielecharakter und nur für ihn zugänglich. Das ist also unser Solo- und Missionshub. Hier nehmen wir Aufträge entgegen und erleben die Konsequenzen unserer kathartischen Ballerei in aufwendig inszenierten Zwischensequenzen. Sobald ein Auftrag angenommen ist, betreten wir den Multiplayerbereich und werden mit anderen Spielern zusammengewürfelt. Wie es für Solospieler aussieht, weiss ich nicht, denn in der Demo Version gab es keine Möglichkeit das Matchmaking zu umgehen, aber Bioware hat mehrmals betont, dass Anthem auch solo spielbar sein wird, aber weniger Spass machen würde als in einer Gruppe. Wer mit Freunden spielen will, kann sie in seine Origin Freundesliste hinzufügen und dann in Anthem in einen Squad einladen. So kann man mit bis zu drei weiteren Freunden eine Mission gemeinsam bestreiten.

    Das Missionsdesign der drei Demomissionen empfand ich weder als besonders gut, noch besonders schlecht. Es lief eigentlich immer so ab: Flieg zu Punkt a), drücke F, schiesse Gegner tot, schiesse Miniboss tot, führe Mechanic X aus, um zu b) zu gelangen, wo Du wieder F drücken musst, um wieder Gegner zu massakrieren und einen Miniboss zu zerlegen, bis der finale Boss mitsamt Hofgesellschaft erscheint. Einmal habe ich versucht mit dem Boss die Angelegenheit friedlich zu lösen, doch anscheinend redeten wir nicht dieselbe Sprache, also endete die Begegnung wieder mit Mord und Totschlag.

    Diese Beschreibung klingt jetzt ziemlich monoton aber ich möchte betonen, das Missiondesign von gefühlten 99% der Spiele liesse sich auf dieses Muster reduzieren. Anthem macht sich aber durchaus die Mühe dieses repetitive Muster mit Story und Lore zu untermalen. In einer Mission, wie auch im Stronghold führen wir eine bestimmte Mechanik aus: wir suchen leuchtende Kugeln, sammeln sie ein und bringen sie zu einer «Shaper» Reliquie, um diese zu deaktivieren, was wiederum eine Tür öffnet oder die Quest weiterführt. Dieser öde Vorgang wird immerhin über die Lore von Anthem begründet. Die «Shaper» Reliquien setzen Energie (oder eher «Effekt») der Anthem of Creation frei, was zu ziemlich skurrilen bis hin zu tödlichen Situationen führen kann, weil die Effekte der Anthem of Creation unberechenbar sind. Um die chaotische Energie der Anthem zu kontern, muss man sie mit den «Echos» (leuchtende Kugeln) ausbalancieren, die immer entstehen, wenn es zu einer Eruption der Anthem kommt. Schon während der Demo gab es freischaltbare Kodex Einträge, die dies im Detail beschreiben. Für mich passt das soweit, nur frage ich mich, wie repetitiv das Missionsdesign von Anthem am Ende wirklich wird. Wenn ich während dem gesamten Spiel (X-Missionen) nur drei Kernmechaniken ausführen muss, dann wird das schon zu monoton. Aber nach nur drei Missionen lässt sich nicht viel sagen über das finale Missiondesign.

    Team vs. Solo

    Bioware ist bei den meisten Spielerinnen und Spielern als Single-Player Bolide bekannt. Es verwundert daher nicht, dass viele Single-Player Fans Anthem mit Skepsis entgegenblicken. Bioware hat zwar kommuniziert, Anthem würde sich alleine spielen lassen, aber gibt gleichzeitig zu, dass es solo nicht soviel Spass macht, wie in einer Gruppe. Diesen Eindruck kann ich mit Nachdruck bestätigen. Die Kämpfe in Anthem machen deutlich mehr Spass in einer Gruppe, am besten noch über VoIP oder einem Voice Client mit einem eingeschworenen Team. Die besten Momente hatte ich mit Spielern, die das Combosystem ausgeschöpft hatten und trotz nicht vorhandenen Kommunikationsmöglichkeiten, eine gemeinsame Strategie organisch auszuführen vermochten. In einer Partie habe ich bemerkt, wie mir ein Kolossus auf Schritt und Tritt folgte und allen härteren Gegnern mit einer Primer-Fähigkeit auf die Pelle rückte. Ich musste lediglich mit meinem Storm einen Detonator schmeissen und das Partikelfeuerwerk geniessen. Falls dann doch einer von uns zu übermütig wurde und ins Schwermetall biss, war der andere schnell zur Stelle und hat den Patienten reanimiert. Wir haben gemeinsam Ziele nach Bedrohungspriorität ausgesucht und in ihre atomaren Bestandteile zerlegt. So Muss Anthem Gespielt Werden! Falls es die Möglichkeit für Solo Spieler geben sollte, ohne ein Team Missionen zu absolvieren, kann ich mir gut vorstellen, dass die Kämpfe ab einem gewissen Zeitpunkt zu eintönig werden.

    Schwierigkeitsgrad

    Ich habe hauptsächlich auf «Hard» gespielt, dem zur Demo höchsten Schwierigkeitsgrad. In der Release Version wird es zwei härtere Stufen geben. Das Spielerlebnis auf «Hard» ist fordernd und mein Team hat sich einige male die Zähne ausgebissen. Die Schwierigkeit zeichnet sich durch zwei Dinge aus: Menge der Gegner und deren Hitpoints. Ich habe nicht das Gefühl, dass die KI auf höheren Schwierigkeitsstufen wesentlich klüger agiert. Ich würde sie aber nicht als komplett dumm abstempeln. Gerade in einigen Freeplay «Shaper» Ruinen, die ich solo bestritten haben (weil YOLO), ist mir aufgefallen, dass die KI ihre zahlenmässige Überlegenheit durchaus auszunutzen weiss.
    Während ich aus der Deckung heraus schiesse, kommen von vorne, links und rechts Gegner auf mich zu (ja, sie bewegen sich!) und umzingeln mich in einer Zangenbewegung. Ich schneide die rechte Seite ab, indem ich einen Energieschild lege, konzentriere mich auf die linke Seite und schütze mich über die natürliche Deckung (Felsen) vom Frontalansturm. Noch bevor ich die stärksten Gegner auf der linken Seite zu Schweizer Käse verarbeitet habe, bricht mein Schild rechts zusammen und ich sehe mich flankiert. Also verlasse ich meine Deckung über die dritte Dimension, doch diese verdammten Sniper pflücken mich aus der Luft und zwingen mich zu einer improvisierten Notlandung mit der ich garantiert keine Haltungspunkte verdiene.
    Auf diese Weise zwingt mich Anthem im Solospiel stets in Bewegung zu bleiben, meine Stellungen zu wechseln und verzeiht mir keinen Fehler. Im Gruppenspiel fällt diese Dynamik aber etwas weg, da vier Spielern wesentlich schneller die Gegner niedermachen und sich nicht einfach flankieren lassen. Trotzdem blieb es knackig hart und forderte mich selbst nach 20 Stunden Spielzeit.

    Der Bosskampf im Stronghold hat mich aber massiv enttäuscht. Der finale Boss, ein mutierter Riesen-Skorpion, konnte viel einstecken und hart austeilen, mehr auch nicht. Er hatte keine einzige spannende Mechanik. Der Kampf lief in etwa so ab:

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    "Immer dorthin schiessen, wo es leuchtet" - 3. Gebot aus der Shooter-Bibel

    Als wir die riesige Höhlenkammer betraten und der monströse, spinnenartige Skorpion von der Decke herabkroch, wurde mir mulmig zu Mute (Atmosphäre!). Am Boden gab es verschiedene rundliche Plattformen und wenn man auf der falschen stand, sprang der Boss einen direkt an, was umgehendes K.O. des Unglücksraben zur Folge hatte. Danach haut man die Lebenspunkte des Bosses weg. Die wenigen Adds am Boden sind keine wirkliche Bedrohung, die fallen ganz von allein. Der Boss macht einen Fernangriff, der ziemlich weh tut und einen schlecht ausgerüsteten Javelin sofort pulverisiert. Hat man den Angriff einmal gesehen, muss nur auf die Animation geachtet und ausgewichen werden. Ansonsten kriecht der Boss zu einem Spieler hin und versucht Nahkampfschaden auszuteilen. Solange Bioware keinen Baum-Klasse Javelin vorstellt, der wortwörtlich Wurzeln im Boden schlägt, schafft der Boss niemals so nahe an einen Spieler zu gelangen.
    Nach einer gewissen Zeit verschwindet der Boss in der Decke. Er kann sich an vier bestimmten Stellen, über den runden Plattformen, verdünnisieren. Am Rand dieser Plattformen gibt es Höhlen aus denen Adds strömen. Sie kommen jeweils aus der Höhle raus, über welcher der Boss eben erst verschwunden ist. Also versammeln sich Javelins, wie auch Spinnen-Adds zu einem gemeinsamen Meet&Greet bei dem Spinnen-Add-Barbecue auf dem Menü steht. Nach dem Festmahl und AOE-Partikeleffekt induzierter Erblindung der Spieler, kriecht der Boss aus der Höhle am Boden hervor. Steht ein Javelin direkt auf der Plattform, wird er vom Boss angesprungen und stirbt sofort. Steht da aber niemand, passiert nichts weiter.
    Wiederhole den beschriebenen Vorgang ca. vier Mal. Wenn der Lebensbalken des Bosses tief genug ist, schwärmen aus allen vier Höhlen Adds raus und überrennen jeden Javelin der nicht bei drei auf den Bäumen ist. Wer nicht wüsste, dass sein Javelin fliegen kann, könnte fast Panik bekommen. Um diesen Add-Ansturm muss man sich nicht kümmern, sondern den Damage auf den Boss fokussieren und schon hat er innert weniger Sekunden ins Gras gebissen.

    Es gibt keine speziellen Angriffsmuster, keine interessanten Angriffe, denen man akrobatisch ausweichen oder die man blocken muss. Absolut lieb- und phantasielose Kampfmechanik. Das macht jedes von der Stange gepresste Asia-MMO besser. Okay, das war ein Boss von vielen. Bei SWTOR haben sie es ja auch hinbekommen…einigermassen. Vielleicht hat sich Bioware hier den langweiligsten ausgesucht und spart sich die guten Kämpfe für das finale Spiel auf? Ich hoffe es, sonst sehe ich schwarz.



    Story – Sie können es also doch noch!

    Wer in letzter Zeit die Berichterstattung zu Bioware und Anthem verfolgt hat, bekommt schnell den Eindruck Bioware hätte das Storywriting verraten, oder zumindest das RPG Genre. Spielegurus verkünden, das heutige Bioware hätte nichts mehr mit dem von damals zu tun und sowieso, alles gehe den Bach runter und früher war alles besser. Logisch war früher alles besser, denn früher waren wir alle Kinder und uns wäre ein «Plothole» nicht aufgefallen, selbst wenn man uns damit eins über die Rübe gezogen hätte.

    Als ich Anthem gespielt habe – und hier beziehe ich mich auch auf die Alpha Erfahrung, in der man den Beginn des Spiels ausprobieren konnte – hatte ich nicht das Gefühl Bioware hätte das Storytelling auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Überall in Fort Tharsis ist Story zu sehen und zu erleben! «Environmental Storytelling» zeigt beispielsweise etliche Baugerüste in Tharsis, was darauf hindeutet, dass hier vor kurzem eine Welle der Zerstörung hereinbrach. War es eine Umweltkatastrophe, die von der Anthem of Creation ausgelöst wurde? Ein Angriff einer verfeindeten Fraktion?
    Überall sind NPCs, die ihren Tätigkeiten nachgehen. Warum schauen die zwei Kinder neben meiner Basis in Richtung meines Javelins? Wollen sie vielleicht auch Freelancer werden oder eher Ingenieure wie diejenigen, die gerade an der Plattform schweissen? Egal was es ist, ich habe das Gefühl, dass es ein wichtiger Teil ihres Lebens ist, regelmässig Freelancer und ihre Javelins zu stalken.
    Ist euch aufgefallen, dass es viele Javelin-Polizisten auf dem Marktplatz gibt? Warum braucht es schwer bewaffnete und gepanzerte Polizisten auf einem Marktplatz? Gibt es vielleicht Widerstandsgruppen in der Bevölkerung, die selbst vor Terror nicht zurückschrecken? Vielleicht angetrieben durch die Versorgungsknappheit, die gerade herrscht? Denn wie sonst lässt sich erklären, dass die Lebensmittelstände auf dem Markt praktisch leergeräumt sind? Beobachten die zwei jungen Frauen den feschen Jüngling oder den Javelin-Polizisten neben ihm? Sind sie einfach zwei Teenager, die sich in ein hübsches Gesicht verguckt haben, oder gehören sie zum Untergrund und planen womöglich ihren nächsten Anschlag? Überall wo ich hinsehe, ist subtile Story vorhanden! Wie eben gewohnt von Bioware. Nichts wird mir erklärt, die Welt lädt mich dazu ein, mir meine eigenen Gedanken zu machen.

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    Wen schauen die Damen in diesem Bild an? Worüber sprechen sie?

    Neben dem Environmental Storytelling gibt es vor und nach den Missionen klassische Zwischensequenzen, in welchen eine mutmasslich lineare Story erzählt wird. Wie gut diese Story sein wird, lässt sich nach drei Missionen und dem Spieleinstieg nicht beurteilen. Jedoch hat Bioware eine Welt erschaffen, die viel Potential für fesselnde Geschichten enthält. Geschichten, weil ich denke, dass mehrere lose Episoden für ein Service Spiel wie Anthem mehr Sinn ergeben, als eine einzelne, in sich geschlossene Story mit einem klaren Ende.
    Die Demo-Missionskette rund um Mathias war kurz und knackig aber nicht uninteressant. An dieser Stelle muss ich etwas spoilern. Wer die Geschichte selbst erleben will, möge sich jetzt bitte die Augen auskratzen oder einfach den nächsten Abschnitt überspringen.

    Eine «Shaper» Reliquie hat Mathias dreigeteilt. Ja, richtig gelesen, dreigeteilt. Sie hat drei Aspekte seiner Persönlichkeit identifiziert und daraus drei physisch identische, aber psychisch gespaltene Versionen von ihm erstellt - einfach so. Also machen wir uns auf diesen Vorgang rückgängig zu machen. Dabei lernen wir, dass die Anthem of Creation Realität als solches manipulieren, neu ordnen und sogar zerstören kann. Dies erklärt uns eine nette Dame der Arkanisten, eine Art Gelehrten/Magier-Gilde. Diese Gruppe befasst sich ausschliesslich mit der Wissenschaft der Anthem of Creation und versucht diese zu verstehen.

    Ich will nicht behaupten, dass dieser Storyabschnitt herausragend gut war. Er hat mich aber unterhalten. Er hat mir die Welt von Anthem auf befriedigende Weise näher gebracht und mein Interesse dafür geweckt. Reliquien, die beliebig Realität manipulieren können? Bei dieser Prämisse muss sich ein Autor wie ein Kind im mit Zuckerguss versehenen Sandkasten fühlen. Potential ist da! Ob es wirklich ausgeschöpft wird, müssen wir zu späterem Zeitpunkt klären.

    Charaktere

    Die Handschrift von Bioware, das wir alle kennen und lieben, ist auch in der Charaktergestaltung erkennbar. In der Alpha konnte ich meinen «Cypher» Owen kennenlernen und in der Demo den Arkanisten Mathias. Zusätzlich konnte ich mit einigen NPCs interagieren, wie meiner Mechanikerin, einem Barkeeper und der Exfreundin von Mathias.

    Sie ist Arkanistin und half mir Mathias wieder eins zu machen (wie nennt man eigentlich den Vorgang einen Menschen aus drei Teilen wieder in ein einziges zusammenzufügen? Ich glaube dafür müssen wir uns ein Wort überlegen!).

    Owen ist mir in der relativ kurzen Zeit, die wir gemeinsam hatten, ans Herz gewachsen. Sein Humor unterhielt mich in den Missionen der Alpha und in den Zwischensequenzen danach konnte ich ihn besser kennenlernen:

    Cypher sind Menschen, die auf besondere Weise von der Anthem of Creation «berührt» wurden. Sie haben telepathische Fähigkeiten und sind unsere Operationsleiter, die uns von Tharsis aus unterstützen, während wir mit unseren Javelins Unfug veranstalten. Da es in Anthem keine Computer und gibt (die Anthem of Creation mag keine Elektronik), sind die telepathischen Fähigkeiten der Cypher die einzige Möglichkeit mit uns über weite Distanzen zu interagieren. Owen wurde als Kind gezwungen Cypher zu werden, da seine Fähigkeit so wertvoll und selten ist, dass man ihm keine Wahl gelassen hat. Das Wohl Aller über das Wohl des Einzelnen und so…Doch damit hat es sich nicht getan. Während der Cypher Schule – das muss so wie in Hogwarts sein – erhöht man die telepathischen Fähigkeiten der Cypher-Kinder indem man sie der Anthem of Creation aussetzt. Kein ungefährliches Unterfangen und wahrscheinlich auch nicht ganz schmerzfrei (bin ich der einzige, der hier ethische Probleme sieht?). Doch Owen will eigentlich kein Cypher mehr sein, sondern würde lieber in einen Javelin steigen und die Lüfte mit uns unsicher machen. Für ihn ist ein Javelin das Symbol ultimativer Freiheit und Selbstermächtigung. Dieser Wunsch ist ziemlich nachvollziehbar bei einen Menschen, dessen Leben bisher nur von anderen bestimmt wurde und der seine eigenen Träume den Bedürfnissen der Gesellschaft unterordnen musste.

    All das vermittelte mir Bioware in wenigen Dialogen, die ich in der Alpha mit Owen geführt habe. Hier beweist Bioware, dass es sein Storyhandwerk nicht verlernt hat. Ich mag Owen, ich will ihn auf seiner Reise begleiten und sehen, wie ihn unsere Abenteuer verändern. Potential ist da! Dies sieht man auch an der Interaktion mit den anderen NPCs. Nach jeder Mission kann ich einige Dialogsequenzen mit meiner Mechanikerin führen, die mir die Welt von Anthem subtil erklärt und von ihrem Leben erzählt. Ich kann sogar mit ihr flirten! Die Dialogoption ist zwar nicht mit «Flirt» oder «Romanze» gekennzeichnet, aber inhaltlich klar ersichtlich und das obwohl Bioware kommuniziert hatte, es gäbe keine Romanze-Mechanik. Eine willkommene Abwechslung eben, nach einem anstrengenden Massenmord an Aliens und Robotern.
    Witziger ist der Barkeeper. Wir haben so ein kulturell geprägtes Bild vom idealen Barkeeper, der als quasi Psychotherapeut seinen emotional kaputten Kunden geduldig zuhört und ihnen für ein kleines Trinkgeld lebensverändernde Ratschläge gibt. Ein Autor bei Bioware hat sich offenbar gefragt, woher dieses seltsame Bild kommt, da sich seine persönliche Erfahrung mit Barkeepern nicht mit diesem Ideal deckt. Also kehrte er den Spiess um. Jedes Mal wenn wir – bisher rein optional – mit dem Barkeeper in Tharsis sprechen, erzählt er uns von seinem Tag und bittet uns um Rat und das bevor wir überhaupt bestellen konnten. Diese kleine Inversion qualifiziert den Autor sicher nicht für den Literaturnobelpreis, ist aber ganz nett und demonstriert, dass sich Bioware bei der Story und Charaktergestaltung doch mehr überlegt hat als befürchtet. Es setzt nicht auf den 0815-Story-Modellbaukasten, sondern gibt sich durchaus Mühe mit unseren Erwartungen zu spielen, den Charakteren eine interessante Hintergrundgeschichte zu geben und nimmt mich als Spieler dadurch auch ernst.

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    Wer kennt das nicht?


    Dialoge

    Doch leider ist nicht alles rosig im Storygarten. Bioware bricht durchaus mit Elementen, die wir aus Spielen wie Mass Effect oder Dragon Age kennen. Am deutlichsten sehen wir das in den Dialogen. Wir haben nur zwei Antwortmöglichkeiten. Meistens lassen sie sich mit «freundlich» / «idealistisch» und «frech» / «antagonistisch» beschreiben. In gewissen Dialogen hatte ich das Gefühl, dass sich meine Antwortoptionen gar nicht so stark unterschieden.

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    Dialoge: I am not impressed...


    Ich kann bisher auch nicht beurteilen, ob meine Antwortmöglichkeiten irgendwelche Konsequenzen mit sich ziehen, wie beispielsweise, dass mir NPCs freundlicher oder feindlicher gesinnt sind oder etwa gar nicht mehr mit mir sprechen wollen. Beim Barkeeper ist mir zwar aufgefallen, dass er meine Ratschläge annimmt (er lässt mich immer zwischen zwei Optionen auswählen) und seine Geschichte so in die eine oder andere Richtung verläuft. Aber ich kann nicht abschätzen, ob seine Erlebnisse fundamental anders wären, wenn ich ihm den alternativen Ratschlag erteilt hätte.

    Ich war auch nicht mit meinen persönlichen Dialogoptionen zufrieden und wie sie meinen Spielecharakter darstellen. Oft hatte ich das Gefühl, dass meine Spielfigur mit platten Sprüchen/Weisheiten um sich wirft. Dies lässt ausgerechnet meinen Charakter ziemlich generisch wirken. Eine Stärke von Mass Effect war es, dass Commander Shepard immer eine klare und deutliche Persönlichkeit hatte, egal wie ich ihn gespielt habe (ob Paragon oder Renegade). Der Mainchar in Anthem hingegen ist ein unbeschriebenes Blatt ohne Hintergrundgeschichte, ohne Persönlichkeit und ohne persönlichem Antrieb. Warum ist er überhaupt Freelancer geworden? Warum riskiert er sein Leben in der Wildniss? Es ist zwar möglich, dass Anthem dieses leere Blatt während dem Missionsverlauf noch füllt, aber die abgespeckte Dialogauswahl hilft dem Spielecharakter nicht besonders.

    Worldbuilding und Setting

    Aus dem Bioware Worldbuilding Rezeptbuch: Man nehme eine Sci-Fi Grundlage, mische Mittelalter hinein und runde das ganze mit einer Prise Fantasy ab

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    Das Setting von Anthem trifft meinen Geschmack. Ich würde es als eine Sci-Fi-Mittelalter-Welt mit Fantasy-Elementen beschreiben. Das klingt erst mal widersprüchlich und abstrus, doch lasst mich bitte erklären. Das offensichtlichste Element ist der Sci-Fi Teil. Javelins, Laser, Railguns, Aliens, mutierte Riesenskorpione; noch Fragen?

    Wie komme ich bloss auf Mittelalter? Es ist schwierig zu erklären, aber die Designsprache erinnert mich an das späte «dunkle» Zeitalter. Da wäre einmal die Stadt, Fort Tharsis. Die Architektur ähnelt mehr einer mittelalterlichen, west- und mitteleuropäischen Stadt als einer typischen Sci-Fi Metropole. Die Gebäude scheinen aus Ziegel-, Back- und Sandstein zu sein, der Boden ist mit Pflastersteinen versehen, man sieht kaum Metallkonstruktionen, im Zentrum steht eine Art Kathedrale, der Marktplatz ähnelt einem Bazar und über den Dächern wehen wappenartige Banner.

    Die Technologie ist aber auch nicht typisch für ein Hardcore Sci-Fi Setting. Elektronik existiert nicht, alle Geräte sind mechanischer Natur. Die fortschrittlichen Technologien sind mit der Anthem of Creation verknüpft, die auf einer (noch) rätselhafteren Technologie basiert. Die Anthem scheint eine biozentrische Technologie zu sein, die psychische und genetische Aspekte betont, was an den telepathischen Fähigkeiten der Cypher deutlich erkennbar ist. Die Mittelalter-Allusion ist m.E. bei den Javelins am deutlichsten. Ich fühlte mich sofort an Ritterrüstungen erinnert! Die Freelancer scheinen Ritter zu sein – Kodex Einträge geben uns Einblick in einen «Kavalierskodex» von Freelancern – die vom sozialen Status her über normalen Bürgern stehen aber noch keine Aristokraten sind. Die Legion of Dawn erinnert mich stark an einen mittelalterlichen Ritterorden, mit eigener Mythologie, Gründungslegende und Hierarchiestruktur. Die Freelancer sind offenbar keine Regierungsorganisation, sondern operieren wie Söldner indem sie Verträge annehmen. Diese können sicherlich auch von Regierungen stammen. In Dialogen spielt das Motiv des Freelancers als Beschützer des Volkes eine starke Rolle. Er verlässt die sicheren Mauern der Stadt, um sich in die Wildnis zu begeben, wo mythische Gefahren lauern, welche die Existenz der Zivilisation bedrohen. Dies ist ebenfalls ein beliebtes (und absolut nicht realhistorisches!) Rittermotiv.

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    Mittelalter, sieht man doch?!

    Die Fantasyelemnte treten etwas deutlicher zum Vorschein als diejenigen des Mittelalters. Wer denkt bei den Arkanisten nicht sofort an eine Art Magiergilde, wie man sie in den Elder Scrolls Spielen oder bei einem Witcher vorfinden könnte? Ihr Metier besteht aus einer mystischen Form von Wissenschaft, denn die Anthem of Creation hat viele Berührungspunkte mit Magie, auch wenn sie wissenschaftlich abgestützt zu sein scheint. So kann sie Wasserfälle nach «oben» fliessen lassen, was ein klar magisches Element ist, das man aber wissenschaftlich begründen kann (Umkehr der Schwerkraft oder so). Gerade letzte Woche habe ich eine Folge Star Trek Discovery geschaut, in der das Clarksche Axiom erwähnt wurde, gemäss welchem eine genügend fortschrittliche Technologie zunächst nicht von Magie unterscheidbar sei. Anthem illustriert diese These wunderbar.

    Das Verschmelzen dieser drei Elemente macht Anthem für mich unglaublich spannend. Es ist wahrscheinlich nicht das einzige Spiel, das so eine Mischung versucht – wobei mir jetzt bei bestem Willen kein weiteres Sci-Fi-Mittelalter Setting einfallen will – aber seine Umsetzung ist (bisher) so gut, dass es mich sofort angesprochen und gepackt hat.

    Ende Teil 1 (verdammtes Zeichenlimit!); Fortsetzung folgt im zweiten Blogpost.

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    Über den Autor

    Kigosh
    Ich beschreibe mich nicht gerne, darum hier einige Stimme von Freunden und Bekannten:

    "Nicht gerade der hellste Stern am Himmel" - New York Times

    "Braucht die Welt das?" - Joko&Klaas

    "Er wurde adoptiert" - Meine Mutter

    "And you call me dumb?!" - Donald Trump
    jasslo2k und Megalobo gefällt das.

Kommentare

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  1. hankeyger
    Super geschrieben, danke für deine Einblicke! Lese gerne mehr von dir :)
      Kigosh gefällt das.
    1. Kigosh
      Hey, vielen Dank für die nette Rückmeldung. Freut mich, dass dir der Text und Schreibstil gefallen. Ich überlege bereits an neuen Themen. Anregungen und Wünsche sind willkommen :)
  2. kraenk
    Wenn die Story nicht einen riesen Sprung macht zu dem, was wir in der Demo gesehen haben, sehe ich schwarz für Bioware Fans.
  3. LevArris
    Also das Bioware noch Story kann, konnte man durchaus MEINER MEINUNG NACH am -für mich- zu unrecht so massiv beschumpfenen ME:Andromeda sehen.

    Das war eine deutliche Verbesserung im Vergleich zum "Cinematic-Action-Movie", namens ME:3!

    Und diesen ME:A-Shitstorm nehme ich der Community auch echt übel. Das schreibt einer, der beim Cupcake-A,B,C Protest mit gemacht hat.

    Ergo: nach ME:A traue ich auch eine Story bei Anthem zu. Davon aber abgesehen, muss ich sagen, das mich das Spiel irgendwie nicht hinterm Ofen hervor lockt. Alles was ich bisher sehen konnte, vermittelte mir wenig "Fleisch".
    1. kraenk
      Ist das dein Ernst? Das Writing und die Charaktere in MEA waren nur ein Schatten von dem, was Bioware einmal konnte...ja, auch im Vergleich zu ME3.

      Der Shitstorm war absolut berechtigt, hätte allerdings auch schon bei AD Inquisition stattfinden sollen, das hatte ähnliche Schwächen.
  4. Raketenpaule
    Danke für die Antwort! Vielleicht hätte ich das etwas mehr spezifizieren sollen: Die XBOX One läuft bei mir halt in 4k (oder zumindest einer höheren Auflösung als HD), während mein PC hier dieses Shadow Gaming Cloud Gedöhns ist (no Werbung!), das zwar sehr gut funktioniert, aber "nur" auf HD läuft und insgesamt die Qualität auf der XBox doch ein Tickchen besser ist. Daher ist es bei mir immer eine Abwägung: verlangt das Spiel wirklich nach Maus und Tastatur? Dann nehme ich meinen Shadow Rechner und damit (wenn auch minimale) Qualitätseinbußen in Kauf. Oder klappt es auch super mit Gamepad? Dann lieber guter Bildschirm + Xbox + gemütlich auf der Couch gammeln. :-D
    1. Kigosh
      Meinem Eindruck nach ist Anthem sehr gut, wenn nicht gar primär, für Gamepad optimiert. Das sieht man auch am Menüdesign, das sich bei Maussteuerung schrecklich anfühlt. Von dem her spricht nichts dagegen dir das Spiel auf der Xbox zu holen. Ich habe es zwar lediglich auf dem PC gespielt aber in jedem Fall solltest Du was Optimierung anbelangt auf der Xbox nicht das Nachsehen haben.
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  5. Raketenpaule
    Toller Beitrag! Hoffe, dass ich nichts überlesen habe, aber eine Frage hätte ich: Ich habe daheim eine XBOX One X und einen Rechner und bin mir unsicher, für welche Plattform ich mir das Spiel holen soll. Besonders ist mir dies noch einmal bei Deiner Kritik an der Maus/Tastatur Steuerung aufgefallen. Gibt es hier jemanden, der beide Plattformen ausprobiert hat? Ist die Steuerung mit Gamepad besser? Und wie ist die XBOX One Performance? Normalerweise spiele ich Shooter viel lieber mit Maus/Tastatur, bin mir aber nicht so ganz sicher, ob Anthem sich wirklich wie ein klassischer Shooter spielt. Habe eher den Eindruck, dass das nicht so der Fall ist. Danke schon einmal!
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    1. Gargamosch
      Ich habe am PC gespielt und dabei ein Gamepad benutzt. Das ging sehr gut. Die frage wird eher sein ob du einen Freund hast der mit dir spielt. Solange Anthem kein Crossplay hat würde ich es eher davon abhängig machen. Denn am PC kannst du auch ein Gamepad anschließen.
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