Analoge Gedanken...

Von Roadwarrior · 22. Februar 2019 · ·
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  1. Man denkt halt nach...

    Immer öfter ertappe ich mich in der letzten Zeit dabei, wie ich mich als Gamer und damit auch als Mensch hinterfrage. Gaming war in meiner Welt immer sehr präsent, ich kann mich kaum an Zeiten erinnern, in denen es mir nicht wichtig gewesen wäre. Als Schüler, als Lehrjunge, als Soldat, als Krankenpfleger, als Bruder, als Freund, als Ehemann...immer war ich Gamer.

    Ich hatte das große Glück, eine Mutter zu haben, die mir meine Freiheiten gelassen hat. Ich durfte mich interessieren für all diese Dinge, die meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Fußball. Motorrad. Zocken.
    Irgendwie ist das der rote Faden meines Lebens, und selbst meine (Ex-)Ehefrau war dem Ganzen gegenüber zwar etwas skeptisch, stets jedoch aufgeschlossen. Sie hat mich nicht nur toleriert sondern auch unterstützt, in dem sie zum Beispiel Hardware und Spiele für mich gekauft hat ("Mein Mann soll glücklich sein..."). Es gab sicher schon Spieler, die schlechter gestellt waren was diese Sachen angeht.

    Die Zeit bleibt nicht stehen...

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    anno 1998 vor meinem uferlos starken IBM Aptiva Rechner - mit einer damals völlig überdimensionierten 3 GB Festplatte
    Außerdem wie ich grad sehe mit einer tollen Fehlermeldung - Win98 fuhr mal wieder nicht hoch ;)


    In ein paar Wochen werde ich nun 44 Jahre alt sein, tatsächlich merke ich inzwischen, dass die Phasen des Spielens kürzer werden, dass ich teilweise weniger tief eintauche und auch leichter "loslassen" kann, um dann mal eine Weile ganz zu verzichten. Meine Beziehungen zu Freunden, Geschwistern und auch Frauen wiegen schwerer, ebenso meine Arbeit.
    Es ist glaube ich nicht zuletzt dieser Job, der meine Schwerpunkte etwas verlagert hat. Ich habe das Privileg mit Menschen arbeiten zu dürfen, die wirklich Hilfe dabei brauchen, wieder auf die Beine zu kommen. Den Wenigsten wird "Forensische Psychiatrie" etwas sagen - es reicht im Grunde wenn ich sage, dass meine "Kunden" suchtkranke Straftäter sind. Auch Spielen kann wie wir alle wissen eine Sucht sein, und sei es nur die Verlagerung weg von einer anderen Fixierung.
    Manchmal komme ich nach dem Feierabend nach Hause und schaffe es einfach nicht, mich maximal zu konzentrieren. In dem Zustand ist es nicht möglich, FIFA oder diverse FPS zu spielen, ohne dabei den Arsch voll zu kriegen. Und dafür ist mein Ehrgeiz dann einfach noch zu groß, ich konnte noch nie damit leben, Kanonenfutter zu sein. Also bleiben die Geräte immer öfter mal "aus" und ich höre meine Schallplatten, surfe sinnbefreit herum oder lasse mich von YouTube berieseln.

    Oft denke ich an alte Freunde und Mitspieler, die mehr oder weniger gar nicht mehr spielen, sei es durch ihre Partnerschaft, durch Kinder, durch Jobs oder finanzielle Umstände. Es ist ein komisches Gefühl, mir würde soviel Zauber und Begeisterung und Neugierde verloren gehen, wenn ich meinen Zugang zu diesem Hobby verlieren würde. Ich kann mich immer noch wie bekloppt auf neue Spiele freuen...ich kann immer noch ungeduldig auf den Release warten, uferlos Geld in Spiele und Hardware stecken oder schlicht losspielen und wie ein Kind mit großen Augen neue Welten entdecken. Es macht mir fast Angst mir vorzustellen, das Alles wäre einfach vorbei.

    Meine Begeisterung für Spiele habe ich an meine beiden Geschwister weiter gegeben, zumindest einer meiner Brüder - er ist inzwischen auch 30 - ist nach wie vor begeisterter Gamer. Aber auch er hat durch eine neue Ausbildung deutlich weniger Zeit und Geld für unseren "Sport". Vielleicht müssen wir "Alten" alle irgendwie einen bestimmten Weg finden, den wir beschreiten können, ohne dass das reale Leben davon beeinträchtigt wird.

    Wie lief das damals...?

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    ESO-Lan 2003 in Amberg...es wurde mehr gefeiert als gespielt, man traf Freunde und Bekannte

    Manchmal sehe ich Kids mit einer Switch spielen - etwa mein Patenkind mit MEINER Switch - und kann mich über die Begeisterung und die Euphorie freuen, mit der sie zu Werke gehen. So ging es mir auch. Meine ersten Multiplayer-Titel waren Half Life Death Match, Star Craft 1 und irgendwann die ersten Betas von Counterstrike. Damals noch per BNC-Netzwerk in den Kellern meiner Freunde oder bei uns zuhause auf dem Dachboden. An Internet-Zocken wie heute war gar nicht zu denken...geil war es trotzdem. Dann kamen LAN-Parties und irgendwie waren wir alle Buddies, man hat Spiele und Filme (natürlich KEINE Pornos) und andere Sachen getauscht, getrunken, gefeiert und gezockt. Streit oder gar richtiger Stress waren sehr selten und nie wirklich wichtig.

    Eine Basis für uns war damals das Turtleboard. Die "Alten" hier mögen sich vielleicht noch daran erinnern. Ein rudimentäres, völlig unpraktisches Stück Forensoftware, dass dennoch die Anlaufstelle für soviele Zocker war. Damals war der PC noch ein mächtiges, weit verbreitetes Medium und als Spiele-Hardware nicht mal im Ansatz bedroht durch Konsolen. Ich hatte auch damals schon Konsolen, aber wirklich viel benutzt habe ich sie nicht.

    Bin ich etwa melancholisch-nostalgisch drauf...?

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    Gildentreffen der "Garde des Terenas" 2005 - der Gildenleiter standesgemäß vorn in der Mitte ;)
    Eine sehr entspannte, für alle offene Community...jeder half seinerzeit jedem.

    Mir fehlen diese Zeiten. Zeiten vor Stress. Flaming. Bashing. Mobbing. Klar. A****löcher gab es auch damals schon, aber gefühlt deutlich weniger...deutlich leiser...deutlich besser unter Kontrolle durch eine coole, entspannte und wohlwollende Community.

    Auch das ist einer meiner Gedanken, wenn ich überlege, wie sich die Zockerei in meiner Welt und meinem Wertesystem verändert hat. Vielleicht tu' ich mich wirklich schwer damit mich unter Menschen zu bewegen, die teilweise abartig miteinander umgehen. Eine "falsche" bzw. andere Meinung provoziert heute sehr oft einen direkten Angriff auf persönlicher Ebene, eine Beleidigung oder gar Denunzierung in diversen sozialen Netzwerken. Ich frage mich, wann sich die Welt so gedreht hat. Was hat diese Veränderung bewirkt? Wo zum Teufel war ich, als das geschehen ist, dass es so an mir vorbeigehen konnte?

    Obwohl man mir nicht zuletzt wegen meines Berufes gern vorwirft, dass ich ein ignoranter Zyniker sei, steckt tief in mir drin immer noch ein kleiner Idealist und Optimist. Ich kann mich nicht von der Hoffnung lösen, dass der Großteil der Spieler in der Lage ist, eine positive Community zu bilden, die produktiv und auf gute Weise kritisch wirkt. Und die in der Lage ist, Trolle und andere Störenfriede mehr oder weniger zu absorbieren.

    Und auch wenn ich "Dawn of War" nicht zuletzt wegen seiner pathetischen Sprüche so geliebt habe - ich hoffe trotzdem, dass Hoffnung in diesem Fall nicht der erste Schritt auf der Straße der Enttäuschung ist.

    Über den Autor

    Roadwarrior
    1975 auf die Welt losgelassen bekam ich 1982 von meinen Eltern zu Weihnachten ein Atari 2600 überreicht - seitdem nahm die Spirale ihren Lauf. Ich bin seit inzwischen etwa 40 Jahren "ingame". Durch verschiedene Berufe, Beziehungen, eine Ehe, Wohnorte und Weltanschauungen hindurch waren in meinem Leben in den letzten 25 Jahren nur 3 Sachen konstant: Motorräder. Heavy Metal. Gaming.
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Kommentare

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  1. MrMiles
    Ich bin mir gar nicht mal so sicher ob man wirklich sagen könnte das es anders gewesen wäre wenn damals schon die breite Masse Zugang zum Internet gehabt hätte.

    Mitte Ende der 90er war Internet und Gaming wirklich noch was für Nerds. Genauso wie alles mit einem House-Beat Techno war. Wenn du damals House und Elektro gehört hast und die ganze Nacht im Internetcafe durchgezockst warst du gesellschaftlich ein Sonderfall der von allen belächelt wurde. So waren wir Sonderlinge unter uns - alle mit dem gleichen Interesse. Getrollt wurden wir damals schon von vielen anderen, nur eben ausserhalb des Internets.

    Heute hört die breite Masse die Elektro Beats als Rap-Remix für die wir damals belächelt wurden. Heute bist du ein Sonderling wenn du aufs Internet verzichtest. Es gibt sie noch, diese Freundlichkeit von damals - allerdings nur dort wo sich Gleichgesinnte zusammen finden. Da wo die breite Masse unterwegs ist, wird es auch immer Pöbel geben - das war schon immer so.
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  2. Harlekin1781
    Schöner Gedankengang ,ich bin so Neidisch das du dich in deinem Alter noch so über Spiele Freuen kannst ,mir kommt seit Jahren alles vor wie Kalter dünner Kaffee .

    Warum und wann es Passiert ist , warum einfach weil es Privat bei vielen nicht so Läuft wie es Laufen sollte .Stress im Alltag (auch schon bei den Kids) finde ich ist heute deutlicher zu Spüren als in den vergangenen Jahrzehnten daher ist schon die Grundstimmung viel Aggressiver.
    Es ist ja auch so das wenn man Privat Erfolgreich und Gefestigt ist ,einen viele dinge nicht sonderlich Tangieren, zb. was Hinz und Kunz über Thema XY so denken.
    Seit der Einführung des Euro müssen auch viele ihren Gürtel Jährlich Enger schnallen und viele können nicht mal eben Beruflich die Leiter erklimmen grade die unteren Gehaltsgruppen sind es die beim Thema Gehaltserhöhung außen vor bleiben und daher stärker unter den Steigenden Preisen ectr. Leiden .

    Ein kleiner Gedankengang von mir ;)

    mfg.Harle
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  3. Der Bucklige Jaucher
    Kommt mir alles bekannt vor mit der Gaming zeit von früher. Hatten immer colin mc rae rally 2.0 bf1942, sudden strike, unreal u quake 3 gezockt über lan.
    Dieses beleidigen geht mir auch manchmal sehr auf den Sack. Die Menschheit hat halt immer weniger respekt voneinander, merkt man schon wen man am we aus geht wie sich manche verhalten.
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  4. zombie666
    Ja ich merke es auch überall die Welt geht immer mehr den Bach runter
    und ich als alter Gamer (50+) bin der glücklichste Mensch der Welt wenn ich in
    Metro Exodus dem kleinen Mädchen den Teddy wieder bringen konnte.
    1. PewnBone
      Dafür gebe ich dir auch ein *Thumb Up*.

      In der heutigen Zeit, sind eben Gewalttaten und Agressivität und die Gier nach Geld an der Tagesordnung, Liegt entweder an unserem Wohlstand oder einfach an der schnell lebigen Zeit, vom Kindergarten angefangen bis zur Arbeitsstelle. Fast niemand hat einfach keine Zeit mehrich um andere Mitmenschen zu kümmern, bis auf ein paar Ausnahmen natürlich.

      Ich verweise da auf folgenden Film immer:
      Eine total, total verrückte Welt.!
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