Der berühmte Login-Screen vergangener Jahre: World of Warcraft.
Da ist sie ja. Nach langen Monaten der Ungewissheit können Fans der 2004 gestarteten Erfolgsgeschichte nun endlich auf den geschlossenen Betaservern von World of Warcraft Classic Fuß fassen.
Die Spieler erwartet dabei die Urfassung des mitlerweile fast 15 Jahre alten MMORPGs, aufgrund der Schlichtheit durch fehlende Zusätze wie Erweiterungen und Updates auch passenderweise Vanilla genannt, wobei diese jahrelange Sehnsucht unter anderem auf der Streamingplatform Twitch in Zuschauerzahlen messbar wurde: innerhalb des ersten Tages der Beta befand sich World of Warcraft mit knapp 200.000 gleichzeitigen Zuschauern auf Platz 1 der meistgesehendsten Spiele. Die aktuelle Erweiterung Battle for Azeroth weist gelegentlich zwar ebenfalls ein größeres Publikum auf (z.b. bei öffentlichen Events wie den Arena-Meisterschaften, dem MDI, oder sobald die neuesten Raids von Top-Gilden gestreamt werden), hält sich die restliche Zeit des Jahres allerdings eher bei 20.000 bis maximal 50.000 gleichzeitigen Zuschauern übers Wasser.
Diese Diskrepanz lässt die Frage aufkommen, aus welchem Grund das Basisspiel, dem selbst aktuell selbstverständliche Features wie ein Tool zur Gruppensuche oder die optische Anpassung von Charakteren, fehlen, seinem gut ausgestatteten und auch technisch fortgeschrittenerem Pendant vorgezogen wird.
Um dieses Phänomen nachvollziehen zu können, lohnt sich ein Blick auf die vergangenen Ereignisse.
Die azerothische Klassik
Seit 2004 (2005 in Europa) behauptete sich World of Warcraft regelmäßig gegen die Konkurrenz und gilt bis heute als Platzhirsch auf dem Thron der MMORPGs. Gemeinsam mit seinen mitlerweile sieben Erweiterungen durchlebte das Spiel bereits unzählige Updates in Form von Patches und Hotfixes, die wiederum immer wieder zur Optimierung des Spiels beitrugen.
Auch wurden regelmäßig Komformtfunktionen hinzugefügt, wie die oben genannte Gruppensuche per Tool, oder das Wegfallen bestimmter Mechaniken. So mussten alle Charakterklassen früher ihre Fähigkeiten käuflich beim Händler erwerben, während beispielsweise Jäger ihren Köcher im Auge behielten, um im Kampf nicht unerwartet ohne Pfeile dazustehen. Instanzen wollten ebenfalls vorab geplant sein, es sei denn, man wollte sich vor verschlossenem Eingang ohne passenden Schlüssel wiederfinden.
Diese damaligen Mühseligkeiten wurden jedoch mit weiteren Updates entfernt. Hinzugekommen sind dagegen neue spielbare Völker, neue Klassen, neue, immer besser aussehende Gebiete und ein Haufen neuer Funktionen.
Wie könnte man dazu nur nein sagen?
Bis einschließlich Battle for Azeroth hatte das Spiel viele Veränderungen hinter sich gebracht. So wurde zum Beispiel kurzerhand eine der Hauptstädte abgefackelt.
Früher war alles besser
Zum einen, indem man mit den Änderungen und Neuerungen schlichtweg nicht einverstanden war. Für die Spieler klangen die ganzen Pläne der Entwickler nach Fortschritt, der mit offenen Armen empfangen wurde. Gegen Komfort und Optimierung war per se nicht gerade viel auszusetzen.
Problematisch aber wurde es, als das Spiel anfing, sich anders zu spielen, ja, sich anders anzufühlen. Dieses ständigen Umformen der Klassen entwickelte den bitteren Beigeschmack, nur noch für neuere Spieler entwickelt worden zu sein und die eigentlichen Gameplaymechaniken immer weiter abzustumpfen, was wiederum zu einem immer abgeflachteren und einfacherem Spiel führt. Das Entfernen von Mechaniken wie Munition und Schlüssel kratzte zusätzlich für viele an der Immersion des Spiels.
Allgemein ließen sich die Spielerfahrungen derjenigen Spieler, die ihr Abonnement seit Vanilla fortführten, nicht mehr mit denen der zukünftigen Erweiterungen decken, was seit jeher zur Sehnsucht nach "dem Alten" führte.
Alles also nur der rosaroten Nostalgiebrille verschuldet?
Der Zauber der Privatserver
Wohl kaum, denn dafür sind die Zahlen der Zuschauer zu hoch. Außerdem schwingt bei dem Begriff der Nostalgie auch immer ein wenig die Verklärung der Erlebnisse mit. Das mag bei einigen Ausnahmen mit Sicherheit auch zutreffen, vor allem bei jenen, denen die neueren Änderungn zu sehr in Fleisch und Blut übergegangen waren.
Diejenigen, die es jedoch mit ihrem Heimweh ernster meinten, fanden einen anderen Weg, ihre Sehnsucht zu stillen: Privatserver. Diese von der Community selbst angelegten Server ermöglichten es, auf World of Warcraft Servern zu spielen, welche den Wünschen der Spieler entsprachen. So konnten sie sich gezielt eine Patchversion des Spiels aussuchen, um dort erneut in die Welt einzutauchen, ohne am Horizon lauernde Updates erwarten zu müssen.
Dass das ganze nicht gerade den Nutzerrichtlinien von Entwickler Blizzard Entertainment entsprach, erklärt sich dabei von selbst. Schließlich wurde sich unbefugt am Code des Spiels bedient, wodurch auch ein kostenfreies Spielerlebnis ermöglicht wurde.
You think you want it...
Jedoch konnten selbst zahlreiche Serverschließungen der wachsenden Anfrage an "private realms" nicht standhalten, was in den Bürosälen des Entwicklers regelmäßig zu Diskussionen führte. So entgegnete der damalige Executive Producer J. Allen Brack der tosenden Menge der BlizzCon, Blizzards hauseigener Messe, dass die Spieler doch selbst gar nicht wirklich wüssten, was sie wollen ("you think you do, but you don't"). Dieser Satz prägte den damaligen Kurs des Entwicklers und wird bis heute oftmals spöttisch von Anhängern der Vanilla-Szene rezipiert.
J. Allen Brack, mittlerweile Chef im Hause Blizzard, während seiner berühmten Ansage.
Die größte Debatte entstand allerdings später, als der Privatserver "Nostalrius" mit knapp 800.000 aktiven Spielern von Blizzard geschlossen wurde. Ein Aufschrei der Community und zahlreiche Gespräche mit bekannten Gesichtern der Szene führten schließlich zur Einsicht: Am 3. November 2017 gab Blizzard Entertainment die Entwicklung am offiziellen Vanilla Server World of Warcraft Classic bekannt. Es folgten Jubelrufe und zu Tränen gerührte Reaction-Videos.
World of Warcraft Classic lebt
So viel zum historischen Werdegang des Projekts. Das Ergebnis kam zwar angesichts der Starrköpfigkeit Blizzards unerwartet, birgt jedoch für beide Seiten Vorteile. Entwickler Blizzard darf sich über einen Zuwachs der Spielerzahlen freuen, vor allem, weil diese während der aktuellen Erweiterung Battle for Azeroth spürbar sanken. Entgegenwirken wollen sie nun, indem sie die Finanzierung des neuen Classic Servers an die der Live Server koppeln.
Soll heißen: Der Spieler zahlt seine monatliche, unveränderte Gebühr und erhält dadurch Zugang zu gleich beiden Möglichkeiten. Die Spieler erhalten wiederum genau das, was sie sich gewünscht hatten: Eine detaillierte Nachbildung der Welt, in welcher sie sich seit dem Serverstart 2004 heimisch fühlten.
Die alten Charakterbildschirme in ihrem alten (und schlichten) Glanz.
Und trotzdem kommt man nicht umhin, die Bedeutung der Wiedergeburt dieses Spieleklassikers im aktuellen zeitlichen Kontext zu hinterfragen. Denn auch wenn Hardcore-Fans sich auf ein authentisches Spielerlebnis freuen, so ist doch auch gleichzeitig bekannt, dass diese Erfahrungen - so nah sie auch am Original sein mögen - nicht ganz ihr Ziel erreichen werden können.
So können sich zum Beispiel Spieler, die bereits zu Vanilla-Zeiten durch Azeroth stapften, noch sehr wohl an die etlichen Verbindungsprobleme, mit denen die Server Blizzards zu kämpfen hatten, erinnern. Oder die technischen Unterschiede, die heute zu einer deutlich schöneren Grafik führen, bei denen früher allerdings alles regelrecht aus dem spirituellen Vorgänger Warcraft 3 importiert erschien (und teilweise sogar wurde).
Ist Classic gleich Classic?
Der springende Punkt ist: Blizzard möchte das heiß ersehnte Gefühl eines Vanilla-Servers rekreiren, verspricht den Spielern sogar, dass sie dieses auch bekommen werden ("you want classic, you get classic"), arbeitet aber gleichzeitig an einigen Funktionen, die den Puristen sauer hätte aufstoßen sollen. Stabile Server und die Option, grafische Details, die im ursprünglichen Original noch nicht Teil des Spiels waren, einblenden zu lassen.
Natürlich beschränken sich diese Änderungen auf ein Minimum, und der Community nur Aufgrund dieser Unterschiede gleich Heuchlerei unterzustellen, würde den Bogen dann doch überspannen. Dennoch bleiben einige Fragen offen: Wie wird das Spiel über einen längeren Zeitraum hinweg bestehen? Wird die offizielle Erscheinung am 27. August 2019 spürbaren Einfluss auf die Spielerfahrung der parallel weiterlaufenden Live Server hinterlassen? Und wird der Vanilla-Server bei seiner Neuerscheinung erneut einiger kritischer Tests und Wertungen unterzogen?
Die Spieler nahmen eine lange Zeitlang das Ruder in die Hand, um ihr eigenes perfektes Azeroth zu schaffen. Nun liegt das Ruder in Blizzards Händen. Bleibt abzuwarten, wohin die Reise gehen wird.
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