MMORPGs - Das Ende eines Goldrausches

Von Anberlin · 6. November 2019 · ·
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  1. Eine kleine Episode der Menschheit

    Als es vor langer Zeit die Goldsucher in Massen an den Klondike zog, in der Hoffnung auf einen Anteil vom Topf am Ende des Regenbogens, da folgten diesem Ruf nicht wenige, um damit ihrem eigenen Verderben entgegen zu ziehen. Der Goldrausch war geboren. Die großen Zeiten des Klondike sind längst vergangen, doch noch immer gibt es jene, die auf ein Stück vom Glück hoffen, und dafür bereit sind Haus und Hof zu veräußern.

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    Einer der Auslöser des Goldrausches - World of Warcraft (2004)

    Den klassischen Goldrausch gab es danach nicht wieder, doch noch heute streben die Menschen nach dem schnellen Geld, und nicht selten werden sie dabei blind für mögliche Risiken und Gefahren am Wegesrand. Solche Versuche erleben wir immer wieder. Beinahe wöchentlich können wir darüber in den Gazetten und Boulevard-Medien der Republik lesen. Wir erleben das Scheitern und fragen uns, was Menschen dazu verleitet vorprogrammierte Fehlschläge einzugehen. Dabei ist wohl offensichtlich, dass bei vielen dieser Protagonisten im Angesicht des großen Geldes das Gehirn oder aber Teile davon aussetzen.

    Goldrausch am PC

    Den Goldrausch gab es auch im Spielebereich. Kurz nach dem Millennium, welches das Gros der Computer glücklicherweise allen Unkenrufen zum Trotz überstanden hatte, wollte jeder Teil von einem Trend sein. Die Rede ist vom Genre der MMORPGs. Noch Ende des vorherigen Jahrtausends war so etwas für Nerds. Damals war das Internet tatsächlich für viele noch so etwas wie Neuland™ und auch das Zocken an sich verließ die heimelige Schmuddelecke nur allmählich. Kellerkinder fanden ihren Weg in die Wohnzimmer ihrer elterlichen Wohnanstalten und auch das Gaming wurde fester und anerkannter Bestandteil der Gesellschaft.

    Während also in den letzten Zügen des vergangenen Jahrhunderts Spiele - und damit auch MMORPGs – erst zögerlich Anerkennung und damit auch Zulauf fanden, änderte sich das rasant mit der Verquickung von Spiel und Internet. Das Online-Gaming wurde zum Massenphänomen. Ultima Online, heute einer der populärsten Vertreter der Anfangsjahre der MMORPG-Genres, kannten damals längst nicht so viele Leute, wie das heute manches Mal den Eindruck machen mag. Erst die Entwicklung der ersten echten dreidimensionalen MMOs bildete den Auftakt für den Goldrausch im Genre der MMORPGs.

    Die populärsten Vertreter jener Tage waren und sind wohl Everquest und das nahezu gleichzeitig erschienene Dark Age of Camelot. Auch wenn selbst diese Spiele nicht an heutige Spielerzahlen herankamen, ebneten sie doch den Weg für Vieles, was danach kam. Der eigentliche Auftakt zur Goldgräberei bildete dann jedoch das noch heute äußerst populäre World of Warcraft. Die Grundlage dessen bildete die seinerzeit bereits schon sehr große Fan-Basis des Warcraft-Universums. Doch den Erfolg von zeitweise weit über 10 Millionen Abonnenten hatte wahrscheinlich nicht einmal Blizzard auf dem Schirm.

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    Durch Everquest (1999) und weitere wurden MMORPGs zur Pop-Kultur

    Natürlich waren die drei genannten MMORPGs längst nicht die einzigen Vertreter des Genres jener Zeit, aber sie bildeten das Fundament dieser Pop-Kultur. Gerade der Erfolg von World of Warcraft war es dann auch, der bei vielen Begehrlichkeiten weckte. Schnell wollte jeder mit etwas Geld auf der hohen Kante ein Stück vom Kuchen haben. Ähnlich wie die Goldsucher zur Hochkonjunktur im Klondike, stürzten sich viele jener Geldgeber kopflos in das Abenteuer, ohne weiteres Verständnis der Materie oder auch der Risiken.

    Es war die Zeit der großen Markennamen im MMORPG-Genre. Es schien beinahe so, als gäbe es in vielen Chef-Etagen kein anderes Thema mehr. Nicht selten wurden dabei falsche Ratschläge und Versprechen erteilt, und oftmals vermeintlich rational denkende Menschen wischten Bedenken mit einem Federstrich beiseite. Die Folgen konnte seinerzeit jeder MMORPG-Interessierte miterleben.

    Das große Erwachen

    Zu Dutzenden wurden in den Folgejahren MMORPGs mit großen Namen angekündigt und Anfangs lösten diese noch reihenweise Begeisterung aus. Es war die Zeit, die sehr deutlich zeigte, dass Geld und ein großer Markenname noch lange kein gutes MMORPG oder auch nur Spiel machen. Bei Spielern setzte sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass viele MMORPGs allein zum Zwecke der Partizipation am Geldsegen erschaffen wurden. Mit viel Glück fanden Spieler einen soliden aber durchschnittlichen WoW-Klon vor. Die weniger Glücklichen fanden sich in unfertigen oder wenig durchdachten Spielen wieder, die von seelenlosen Retorten-Studios erschaffen wurden, deren einziges Treibmittel Geld und der Verdienst desselbigen waren.

    Doch nicht nur bei Spielern gewann diese Erkenntnis an Bedeutung. Auch die zuvor so spendierfreudigen Geldgeber wurden zunehmend verhaltener. Das Geld saß längst nicht mehr so locker, wie zum Anfang des Goldrausches. Viele der Investoren jener Tage dürften ihren Einsatz nie wiedergesehen haben, von einem Ertrag einmal ganz abgesehen.

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    Konnte weder die Erwartungen vieler Fans, noch die der Geldgeber erfüllen - Warhammer Online (2008)

    Die Folgen und Entwicklungen jener Tage sehen wir noch heute. Spieler sind oftmals nicht mehr bereit den nächsten WoW-Klon im neuen Gewand zu spielen oder dafür zu zahlen. Nachdem neben den Erfolgen oftmals auch die Innovationen im Genre ausblieben, und weder Evolution noch Revolution zu erkennen war, ist es im einstmals so verheißungsvollen MMORPG-Genre reichlich ruhig geworden. Insbesondere große Markennamen und Spielereihen sieht man heute kaum noch.

    Der Treck ist längst weitergezogen und hinterlässt eine Geisterstatt mit der Romantik eines 2-Dollar-Westerns. Der nächste Goldrausch ist schon ausgemacht und wieder sind es die Nachzügler, die versuchen ihren Teil vom Goldsegen zu erhaschen. Und auch diesmal sind viele von den Goldsuchern zu spät am Ziel eingetroffen. Der Kuchen im Lootbox-, Microtransaktionen-, oder auch „Battle Royale“-Bereich ist längst verteilt. Was bleibt sind die Krümel, um die sich ein paar Wagemutige streiten, wie die Taube am Morgen auf einem städtischen Marktplatz.

    Die Suche nach dem Gold

    Und das MMORPG-Genre? Nun, es wäre falsch zu behaupten, dass es, das Genre, tot sei. Es hält vielmehr einen ausgedehnten Winterschlaf. Auch hier versuchen ein paar Wenige weiterhin ihr Glück, wobei es nicht allzu vermessen sein dürfte, darüber zu unken, dass auch diese nur bedingten Erfolg haben dürften. Das freilich ist nichts als eine Weissagung, deren Erfüllung sich auch anders darstellen könnte.

    Eines lässt sich für den Moment jedoch recht deutlich erkennen – Die großen Namen sind nur noch sehr selten unter den Neuankündigungen zu finden. In den letzten Jahren lassen sie sich wohl durchaus an den Fingern einer Hand abzählen. Gerade Firmen – nicht nur Spieleentwickler – und Investoren haben Abstand vom MMORPG-Genre genommen. Das Geld liegt dieser Tage auf anderen Straßen. Das Gros der sich aktuell in Entwicklung befindlichen MMORPGs wurde von Spielern und Fans finanziert. Und auch von denen wird wohl ein guter Teil nie das erhalten, was sie sich zum Zeitpunkt des Investments erhofft hatten.

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    Hoffnung oder doch ein weiteres Exemplar desselben unter Vielen? - Pantheon: Rise of the Fallen (2020/2021)

    Die Zukunft des MMORG-Genres scheint ungewiss. Dabei hat das Genre unbestreitbar noch immer eine große Fan-Basis. Allerdings lässt sich diese aktuell nur bedingt mobilisieren. Selbst die noch immer großen Namen am Markt, jene aus der Hochzeit des Goldrausches, können maximal bei Release neuer Inhalte punkten, wobei die Halbwertszeit äußerst gering scheint und wenig nachhaltig wirkt.

    Es scheint, dass die meisten Spieler auf eine echte Veränderung des Genres warten. So lange es hier keine echte Evolution oder gar Revolution gibt, wird sich die Masse wohl im heimischen Gaming-Chair zurücklehnen und das Geschehen aus sicherer Distanz betrachten. Ob aktuell in der Entwicklung befindliche MMORPGs Spieler über einen Zeitraum von mehreren Monaten binden können, gilt es abzuwarten. Einzig der Glaube daran ist kaum vorhanden, wie es scheint.

    MMORPGs werden zurückkommen, eventuell auch mit großen Namen und Geldgebern mit vollen Taschen, aber bis dahin können durchaus noch manche Jahre vergehen.

    Und so ist es wie damals am Klondike – Es gibt ein paar Wenige, die noch immer nach dem Goldschatz suchen. Für die Wenigsten wird sich dieses Glück jedoch jemals erfüllen.
    Yeager, blacksun84, Kigosh und 4 anderen gefällt das.

Kommentare

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  1. Eronaile
    Wenn ich die Wahl habe, 60 € für ein Spiel mit 15 Stunden Spielspaß (wie Jedi Knight: Fallen Order) auszugeben oder ein MMORPG wie Path of Exile für hunderte und aberhunderte Stunden mit Spaß und kostenlos zu spielen, fällt mir die Wahl nicht schwer.
    MMORPG ist das Genre mit dem (mit Abstand) besten Preis-Leistungs-Verhältnis. Nach der typischen Level-Phase hängt der Spielspaß dann maßgeblich davon ab, ob man sich durch eine Itemspirale oder (wie in GW2) die Jagd nach eher kosmetischen Upgrades und Pflichtmechaniken motiviert fühlt oder nicht.

    Aus meiner Sicht sind MMORPGs nicht wegzudenken und werden ganz sicher weiter eine große Zahl Spieler binden. Das Genre könnte mit etwas mehr Experimentier-Freude aufwarten. Was habe ich vor einigen Jahren exzessive "Atlantica Online" gesuchtet, einen wahrhaften Asia-Grinder im MMORPG-Format, der mit unzähligen Features aufwartete, die in MMORPGs (besonders westlichen) extrem selten oder gar nicht vorkommen.

    "Echte Veränderung" ist nicht nötig, sinnvolle Verbesserungen bestehender Features (wie bei Path of Exile) genügen im Prinzip, um mich bei der Stange zu halten. Wobei PoE noch das Paradebeispiel ist, da immer wieder ganz neue Sachen hinzugefügt werden - kostenlos. Da könnten sich Blizzard und Co ein Stück von abschneiden.
    1. Orthus90
      Path of Exile ist aber kein MMORPG.
    2. Untoter Falke
      Du werwechselst aber Leistung mit Zeit. Nur weil ich super viel Zeit in einem MMO verbringe, heißt das nicht, dass ich da die ganze Zeit qualitativ hochwertigen Content bekomme. Viel mehr muss man in MMOs immer den selben scheiß grinden, was für viele Spieler das Gegenteil von Leistung ist.
      Valkyr gefällt das.
    3. Valkyr
      Das Problem ist, wie der Untote Falke schon richtig sagt, dass Zeit nicht gleich Leistung ist. Gerade in Asia-Grinder kann man unzählige Stunden versenken ohne das man mehr tut als "töte 3 Mio Einhörner". Ja Zeit braucht man dann aber es ist eben völlig stupide. An der grundlegenden 0815 Questmechanik hat sich seit den Urzeiten des MMO nichts geändert und das ist das große Problem.
  2. hype2xs
    die Zeiten und Erwartungen der Spieler haben sich geändert und mmorpgs können es nicht mehr mithalten.
    Everquest 1 hab ich ewig gelevelt und hatte spass, das war ein ganz anderes Erlebnis.Daoc ewig gelevelt ,pvp darknessfalls war super unterhaltsam,Everquest 2 fand ich mega geil und dann kam wow und es ging Berg ab.
    Ashes of creation wird fail ich hoffe auf Crimson Desert.
  3. Blumenkohl
    Hm, ich glaube einfach die Spieleszene ist breiter geworden, damals gab es halt MMO (Everquest oder WoW) oder BF/CoD/CS. Um es zusammenzustauchen.

    Derzeit verstopft einfach beim klassischen Onlinerollenspiel noch Blizz mit WoW die Pforten. Aber WoW Retail ist ein sterbender Shize, der ist nicht mehr heiß. Klar kann man es jetzt mit WoW Classic (warum man ein dermaßen schlechtes Servermanagment, was Spielerzahlen anbelangt, fährt, bleibt unerklärlich) nochmal rumreißen, bzw. das Ende verlängern, aber was anders großes in dem Bereich muß kommen und wird auch.
  4. ATiX
    Schöner Artikel! Hach ja - die MMORPG-Zeiten damals waren schon der Knaller. Bei mir ging es 2004 mit WoW richtig los (bzw. so richtig, richtig erst Anfang 2005 zum europäischen Release) und bis ca. 2010 habe rund 8.000 Stunden in das Spiel gesteckt - das darf man eigentlich keinem erzählen. Toll war es irgendwo dennoch - und witzig war es auch, die ganzen selbsternannten WoW-Killer dieser Zeit kommen und gehen zu sehen. Und wer ist heute davon noch da und nach wie vor erfolgreich? Na WoW selbst natürlich... ;)

    Ok, Star Wars The Old Republic darf man nicht ganz vergessen: zum großen WoW-Killer hat es dann doch nie gereicht, aber immerhin lebt das Spiel durch die f2p-Umstellung auch heute noch gut weiter. Die Story und der Fokus auf den eigenen Charakter ist auch gut, mit SWTOR hatte ich durchaus auch ein paar hundert Stunden viel Spaß. Als "Ersatzdroge" für ein neues Knights of the Old Republic taugte es, aber ein echtes KotOR wäre schöner gewesen.

    Aktuell trauere ich den MMORPGs nicht nach - ich spiele primär lieber alleine und der ganze Servicegame-Ansatz macht das Spielen, wie ich es mag, eher kaputt. Ob es nochmals große Titel aus diesem Genre geben wird, wird man sehen. Die Zeit hat sich weiterentwickelt und WoW & Co. wirken heute schon wie Dinosaurier im Onlinegaming. :)
  5. Usuma
    Schöne Zusammenfassung!
    Ich selbst bin damals mit Guild Wars in das Genre eingestiegen und habe mehr als 1500h in GW versenkt (bisher das Spiel in das ich am meisten Zeit investiert habe, neben StarCraft 2). Nach ein paar relativ kurzen Ausflügen in andere MMOs war's das dann aber für mich auch (Außer GW2, da habe ich auch ein paar hundert Stunden).

    MMORPGs sind fantastisch, aber passen einfach nicht mehr in die heutige Zeit. Für Spieler ist es teilweise einfach zu riesig (viele Gamer von damals sind mit gealtert und haben schlicht nicht mehr die Zeit sich in solchen Titeln zu verlieren, aufgrund von Beruf, Familie, Lebensphase allgemein - zumindest geht es mir so). Und die jungen Spieler scheinen viel mehr am schnellen Kompetetiven interessiert zu sein (Fortnite, Dota, LoL). Auch mir geht es ähnlich: Lieber am Abend ein paar Matches mit den Kumpels. Einloggen, zocken, ausloggen und fertig. Kein Questgelese, ewige Dungeons oder Raids, kein Gegrinde für Rüstungen oder Gold. Das war damals alles wirklich super und spannend, aber heute für mich einfach kaum noch realisierbar, aufgrund von Zeitmangel.

    Für die Branche stellt sich auch die Frage von Kosten vs. Nutzen. Spiele wie Fortnite, Dota oder die ganzen Service-Games sind vergleichsweise weniger Komplex (man braucht keine tiefgründigen Charaktäre, keine ausgeklügelte Story) und haben höheren "Wiederspielwert". Da ist klar, dass man als Publisher/Entwickler dem Goldrausch verfällt :)

    Ich denke es ist wirklich so wie du schreibst: Die Spieler warten auf eine Revolutionierung des Genres. Auch ich wäre MMORPGs mit neuem Konzept wirklich nicht abgeneigt, aber momentan gibt es einfach nichts, dass mich so catchen und verzaubern kann wie damals Guild Wars (oder andere eben WoW).

    Aber das ist nur meine persönliche Meinung zu dem Thema. Ich bin trotzdem gespannt, was da noch so auf uns zu kommt :)
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