Die derzeitige Situation hat nicht nur ihre schlechten Seiten. Klar, das öffentliche Leben ist weitgehend lahmgelegt, und auch privat sehe ich seit Wochen immer nur dieselben Leute. Dass sich dadurch auch Langeweile breit macht ist nur natürlich, überrascht hat mich aber, dass die Langeweile auch Gutes mit sich bringt. Bedingt durchs Nichts-tun hat der Kopf plötzlich zum ersten Mal seit langem wieder die Zeit einfach die Gedanken schweifen zu lassen, was ungemein förderlich für die Kreativität ist. Ein weiterer Vorteil dieses mehr oder weniger unfreiwilligen Zuhausebleibens ist, dass ich endlich wieder die Muße finde Bücher zu lesen, und zwar nicht nur als unterhaltende Häppchen zwischendurch, sondern auch solche die mir Konzentration abverlangen, und auch, dass ich mich auf sie einlasse. So habe ich in meinem Regal ein Buch entdeckt, das ich noch nie gelesen hatte und das gewissermaßen ein Erbstück ist: Das Schloss von Franz Kafka.
Während dieser Name wohl jedem etwas sagt, verband ich damit bisher nur meine – zugegebenermaßen sehr schwammigen – Erinnerungen aus Schulzeiten an Die Verwandlung. Viel mehr anfangen konnte ich dagegen mit dem Begriff des ‚kafkaesquen‘, der wie sich herausstellt jedoch im heutigen Sprachgebrauch nicht mehr viel mit Kafkas Literatur zu tun hat.
Als ich nun da saß und über Kafkas Leben, seine Werke und Themen las, drängte sich mir ein Gedanke auf:
Kafkas Texte sind das Dark Souls der Literatur!
Meme beiseite, bevor ihr hier direkt aufhört zu lesen will ich erklären wie ich darauf überhaupt komme – es gibt nämlich tatsächlich einige Parallelen zwischen den beiden!
Die ganze Welt zum Feind
Das fängt schon damit an was in der Literaturwissenschaft oft die ‚Traumlogik‘ von Kafkas Texten genannt wird: seine Protagonisten irren durch ein Labyrinth, dessen Zusammenhänge für sie nicht zu durchschauen sind, und sind dabei anonymen Mächten ausgeliefert, die immer aus dem Hintergrund beobachten und agieren. In gleicher Weise werden auch die Protagonisten der Dark Souls-Reihe ohne Vorwarnung in eine ihnen feindlich gesinnte Welt geworfen, in der sie den wirkenden Mächten wie Naturgewalten ausgesetzt sind.
Auch die konkrete Geographie der Spiele ist dabei vergleichbar mit den Schauplätzen die Kafka entwirft: das labyrinthartige, aber dennoch in sich verbundene Lordran des ersten Teils etwa ähnelt dem Gerichtsgebäude in Kafkas Process; die oft kritisierte Welt von Dark Souls 2 den Handlungsorten in Der Verschollene. Unsere Protagonisten irren durch diese Welten in ähnlich verlorener Weise, die genaue Logik der Verbindungen bleibt dabei unklar.
Dasselbe gilt für die Charaktere und ihre Beziehungen. Diese werden nur bruchstückhaft beleuchtet und ähnlich wie Kafkas Figuren, die dem Protagonisten gegenüber immer nur vage Andeutungen machen, beschränken sich die Charaktere aus Dark Souls auf wenige und vor allem sehr kryptische Aussagen. Aus diesen und weiteren Fragmenten, vor allem die Beschreibungen gefundener Gegenstände, muss sich der Spieler die Handlung der Spiele selbst zusammenreimen. Hier gehen die Spiele sogar noch einen Schritt weiter, da der Protagonist höchstwahrscheinlich ein ‚unzuverlässiger Erzähler‘ ist.
Vor allem in Dark Souls 2 wird dies deutlich gemacht: schon in der Eröffnungsszene wird bildhaft dargestellt wie der Protagonist durch den Fluch sein Erinnerungsvermögen verliert: die Gesichter seiner Familie schmelzen buchstäblich vor seinen Augen dahin. Hierzu passen auch seine gestauchte Wahrnehmung von Raum und Zeit: weit entfernt am Horizont liegende Orte können durch kurze Tunnel erreicht werden und genauso kann sich das Wetter innerhalb kürzester Zeit drastisch ändern – zumindest falls man der Wahrnehmung der Spielfigur glaubt.
Dazu kommen die im Hintergrund wirkenden Mächte: sie unterdrücken die Charaktere und die Protagonisten, die sich quälend langsam vorkämpfen müssen um überhaupt einen Sinn aus ihrer Erfahrung zu ziehen. Wie bei Kafka etwa die grundlos feindseligen Einwohner des Schlosses oder die unaufhaltsam mahlenden Mühlen der Justiz, trachten auch die Welten der Souls-Spiele und ihre Bewohner danach jede Bewegung mit aller Kraft zu verhindern. Bezeichnend ist zum Beispiel die absolute Abwesenheit von Dialogen während der Bosskämpfe des ersten Teils: der Protagonist erfährt nie die Motivation seiner Gegenspieler für ihr Streben ihn mit Gewalt aufzuhalten.
Auch abseits davon bleibt vieles in den Welten von Dark Souls kryptisch und vor allem Interpretationssache, selbst nach dem Ende der Handlung. Kafkas Protagonisten machen dieselbe Erfahrung; K. erhält nie Zugang zur Schlossverwaltung, und auch im Process wird Josef K. nie auch nur ein Blick auf die Anklageschrift gewährt. Wie hier scheinen die Systeme von Lordran und Drangleic alles daran zu setzen den Status Quo aufrechtzuerhalten. Im Kampf der Protagonisten gegen diese Systeme steht das Scheitern und vergebliche Streben im Vordergrund; im Vergleich zu Kafka geht Dark Souls auch hier noch einen Schritt weiter, sogar der Tod als ultimativer Rückschlag erlöst die Protagonisten nicht aus ihrer Lage, ihre Unsterblichkeit verurteilt sie dazu es immer wieder vergeblich zu versuchen.
Gwyn Unser im Himmel
Auch ein weiteres zentrales Motiv Kafkas taucht immer wieder in den Souls-Spielen auf: die Figur des Vaters. Dieser Vater, den Kafka zwar als lebenstüchtig und zupackend, aber auch als grob, polternd und selbstgerecht empfand, lässt sich leicht als Inspiration für die den Protagonisten entgegenwirkenden Mächte interpretieren. Diese Vaterfigur lässt sich auch in den Endgegnern der Souls-Spiele finden, am deutlichsten wird dies im ersten Teil mit dem ‚Herrn der Glut‘ Gwyn als einst benevolentem Göttervater, der jetzt nur noch ein Schatten seiner selbst und dadurch blinder Rage verfallen ist.
Bezeichnend ist auch, dass das Standardende von Dark Souls das Töten des ‚Vaters‘ und die Usurpation seiner (Macht-)Stellung ist – im Effekt also eine Allegorie für das Erwachsenwerden: egal wie sehr sich der Sohn dagegen sträubt, am Ende wird er doch dem Vater mit dem er so im Konflikt lag immer ähnlicher. Das alternative Ende des Spiels liegt Kafkas eigenen Erfahrungen näher: entscheidet sich der Protagonist nach der finalen Konfrontation dem ‚Vater‘ den Rücken zu kehren und einen eigenen Weg zu finden, durchbricht er den Kreislauf der Vererbung des Feuers und begründet ein Zeitalter der Finsternis. Diese wird allerdings nicht notwendigerweise als negativ dargestellt, eher als dunkel im Sinne des unbekannten, noch nicht ausgeleuchteten – im Gegensatz zum künstlichen Erhalten der Flamme jedoch als durchaus authentischer. Ähnlich sah Kafka seine Tätigkeit als Schriftsteller als Möglichkeit sich von den Erwartungen und dem Erbe seines Vaters zu lösen und zu einer eigenen Person zu werden.
Ähnlich dem Thema der Vater-Sohn-Beziehung ist nun zuletzt noch die Darstellung von Männern und Frauen. Ohne mich auf irgendwelche Spekulationen bezüglich Kafkas Sexualität einzulassen bleibt doch festzustellen, dass seine Texte von einigen auffällig femininen Männern und grobschlächtigen, teilweise gewalttätigen Frauen bevölkert sind. Dark Souls schöpft seinen Charakterpool zwar zu großen Teilen aus einer Version mittelalterlich-europäischer Fantasy, zeigt aber auch hier Parallelen, etwa in den Schlächterinnen in den Tiefen, allen voran ‚Maneater Mildred‘, oder dem sehr femininen Gwyndolin.
Letztlich bleibt es aber fraglich, ob Kafka bewusst als Inspiration für die Souls-Spiele gedient hat. Trotz der großen Ähnlichkeiten sind die beschriebenen Themen wohl prägend für viele Menschen die ähnliche Erfahrungen gemacht oder beobachtet haben. Nichtsdestotrotz sind vor allem die Trost- und Aussichtslosigkeit und die Unverständlichkeit der Gründe für all das Geschehen so spezifisch, dass sich eine gewisse Verwandtschaft nicht abstreiten lässt.
"Ich trinke Jägermeister, weil ich Sen's Fortress nicht geknackt habe."
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