Den Spieler zum Lesen bringen und Welten Leben einhauchen

Von Misie Gaming · 15. April 2020 ·
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    Computerspiele sind kein einfach abzugrenzendes Medium und beinhalten verschiedenste Einflüsse. Manche Zwischensequenzen sind so lang, da könnte man stattdessen lieber einen Film schauen. Man findet Nachrichten und sonstige Aufschriebe, anstatt ein echtes Buch aufzuschlagen – aber wer ließt schon Bücher. Scherz bei Seite, Ingame-Schriftwerke haben ihren Sinn, bringen allerdings diverse Hürden mit sich. Lasst mich das etwas genauer erklären und einen Wunsch an Game-Designer äußern.


    Lesen ist simpel


    Doch klären wir zunächst kurz die Frage, warum wir uns überhaupt mit Texten abfinden müssen und Entwickler nicht alles durch Gameplay, Architektur oder notfalls Cinematics erzählen. Ein selbsterklärender Grund für das Einsetzten der textuellen Form ist Aufwand und Geld. Das ohnehin textlastige Kentucky Route Zero wird so an einigen kleineren Orten komplett schriftlich abgehandelt. Zusätzlich können gerade "Sammelitems" lebhaft über bereits geschehene Ereignisse kompakt berichten, ohne groß aus dem eigentlichen Spielgeschehen zu reißen. Normalerweise handelt es sich nur um optionale Zusatzinformationen, der Spieler kann also ähnlich zu Nebenmission entscheiden, ob ihn diese ansprechen oder er sie auslassen möchte.

    Gesagt sei noch, dass sich folgende Punkte nicht exklusiv auf schriftliche Inhalte beziehen und zum Beispiel die Fernsehserien aus Max Payne 2, welche eine wunderbare Parabel zur Handlung bilden, eine praktisch identische Funktion einnehmen.


    Persönliche Geschichten lesen


    Spannend ist die Betrachtung von Text, der nicht ausschließlich für den Spieler, sondern auch dessen Spielfigur gedacht ist. Gerne werden Einzelschicksale durch sammelbare Tagebücher oder Nachrichten vermittelt. In The Dark Project kann man so ein Papyrus oder kleinen Block neben verstorbenen Diebe finden und über die Fehler lernen, die zu deren Scheitern geführt haben.

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    Was ist mit ihm passiert? Die Antwort findet sich in der Schriftrolle.

    Bei Gone Home setzen sich durch Briefe und Notizen die Geheimnisse aktueller und verstorbener Familienmitglieder erst nach und nach zusammen. In der Umgebung passend platzierte Gegenstände – wie die Statuen oben – können bei der Veranschaulichung helfen oder wecken, schon bevor der Spieler überhaupt den Text ließt, ein Interesse und eigene Spekulationen.

    Im Fall von Thief oder anderen Immersive Sims soll auf der einen Seite dem Environmental Storytelling geholfen werden, die Haupthandlung zu stützen und die Glaubhaftigkeit (beziehungsweise hier die Bedrohlichkeit) des Universums zu unterstreichen. Andererseits können in den kleinen Geschichten Hinweise auf Diebesgut oder gefährliche Fallen – also (optionale) spielmechanische Vorteile – eingebaut werden. Narrative Erkundungsspiele verzichten generell auf letzteres, während die Fundobjekte notwendiger Bestandteil zum vollen Verständnis der Story sind.

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    Lara Croft verhält sich in manchen Situationen unpassend doof.

    Überschneiden sich Briefe und Story muss jedoch achtgegeben werden, dass der Spieler-Charakter glaubhaft Wissen aus den mit dem Spieler gemeinsam gefundenen Informationen zieht. Reboot-Lara ist leider öfters so ein Problemfall. In Shadow of the Tomb Raider liest man so mehrfach über einen Mann namens Andres Lopez. In einer späteren Zwischensequenz macht dann Miss Croft begeistert eine Erkenntnis über dessen Aufenthaltsort, doch jenes Wissen erhielt ich – und somit auch Lara – schon vorher, schwarz auf weiß, von einem sammelbaren Aufschrieb! Schade um die verlorene Glaubwürdigkeit.


    Selber lesen oder vorlesen lassen


    Je nach Spiel wird die Implementierung unterschiedlich umgesetzt. Seiten von Alan Wakes Manuskript bestehen in der Spielwelt immer aus derselben, unleserlichen Textur, erst im Menü sehen wir die beschrifteten Blätter vor neutralem Hintergrund. Bei Deus Ex: Mankind Divided verweilt man hingegen immer im eigentlichen Spiel und ließt eBooks oder kleine Nachrichtencontainer während die Spielwelt dahinter sichtbar bleibt. An Computern läuft das Geschehen sogar ununterbrochen weiter und NPCs reagieren auf Adam Jensen. Je weniger man abgeschottet ist, desto immersiver bleibt natürlich das Erlebnis, abhängig vom Genre kann es aber dem Gameplay schaden, wenn man sich für optionale Texte unnötig angreifbar machen muss. Zudem wirken manche E-Mails in Deus Ex zwar authentisch, können sich dabei dennoch zu trocken lesen oder es stört, sich erst durch identische Rundmails klicken zu müssen.

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    Ideal ist es natürlich Schrift ohne jegliche Tasteneingabe lesbar zu machen, für ausführliche Inhalte wird es aber impraktikabel.

    Damit sich der Spieler für Texte interessiert, wird jener auch gerne einfach vorgelesen oder, sofern es das Setting zulässt, direkt auf Audio-Logs gesetzt. Lara überfliegt sogar blitzschnell antike Hieroglyphen für sich selbst und gibt uns dann eine kompakte Zusammenfassung. Läuft das Audio wie in Bioshock nur nebenher, sollte man aufpassen, dass man richtig zuhört und sich nicht im Durchwühlen der Umgebung verliert. SOMA schränkt daher bewusst unsere Bewegung ein. Wollen wir weitergehen, so bricht die Aufzeichnung ab.


    In Historie einlesen


    Schriftwerke enthalten allerdings nicht ausschließlich autobiografische Geschichten über Personen der Spielwelt, sondern auch Informationen zum jeweiligen Universum und einen tieferen kulturellen Einblick. In manchen Nachrichten erhält man dies implizit, wenn Leute über ihre Ansichten oder Lebenssituation sprechen. Oft gibt es indessen sachlich geschriebene Sammelgegenstände, die direkt die Welt ausführlicher erklären und dadurch besser greifbar machen sollen. Wenn ein jeweiliger Ort für die Spielfigur selbst unbekannt ist, muss hier wieder das Lara-Dilemma beachtet werden. Ansonsten können die Informationsfunde ausschließlich an den Spieler gerichtet sein und ersparen sich eine Erklärung, warum sie an den abenteuerlichsten Stellen liegen. Alternativ kann komplett auf eine visuelle Repräsentation verzichtet werden und man erhält Wissenstexte automatisch an vorgegebenen Punkten in der Handlung. Doch poppt eine Erinnerung daran während eines ungünstigen Moments auf, kann dies störend wirken oder einfach übersehen werden.

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    Hideo Kojimas Snatcher geht da einen anderen Weg. Praktisch zu Spielbeginn erhält man von Kollegin Mika Zugriff auf ein Computersystem, das viele Einträge zur Welt von Neo Kobe City behaust. Gleich überall zugreifen zu können – besonders durch das unhandliche Interface – wirkt etwas erschöpfend und durch fehlende Referenzen aus der noch bevorstehenden Story lässt sich vieles nicht sinnvoll einordnen. Da vorher keinerlei Rätsel überwunden werden muss, wird dem Spieler darüber hinaus jeglicher Aufwand abgenommen und mangels Gefühl des Verdienstes wirkt das Erhalten leicht unbefriedigend.

    Zugegeben, ich mag Erkunden in Spielen, sofern es sich um überschaubare Räume handelt. Sobald eine Open-World arg mit Geldfunden oder Crafting-Items zugemüllte wird, ist mir das jedoch zu erschlagend und man fühlt sich gehetzt. Aufsammelbare Schriftrollen und Notizen ließen sich also gut mit einer eher auf Details zur Lore fokussierten Datenbank oder Bibliothek kombinieren. Jene sollte bloß ein wenig besser umgesetzt sein als in Snatcher.

    An dieser Stelle der Einwurf, dass es den Entwicklern freisteht, ob sie überhaupt so viel über ihre Welt ungefiltert preisgeben wollen. Ein Dark Souls kann also gerne dem Spieler selbst das Zusammensetzten der ansonsten recht wagen Lore überlassen.


    Lesen wie ein Detektiv


    Hab ich euch schon von Primordia erzählt!? Nein? Das beeindruckende Point'n'Click-Adventure zeigt uns einen guten Vorschlag, wie Hintergrundwissen verpackt werden kann. Im Verlauf des Abenteuers stoßen wir auf ein Info-Kiosk (eigentlich ist es nur ein Terminal). Hier erhält man allerdings nicht gerade alle Einträge in einer schön sortierten Liste, sondern muss ein Thema in das Suchfeld tippen, über welches man informiert werden möchte. Der beim Öffnen standardmäßig angezeigte Text enthält neben einer grundlegenden Auskunft auch direkt großgeschriebene Begriffe, die eingegeben werden können. Man kann also gleich etwas losforschen, findet aber nicht für alle Schlagworte auch Referenzen im Kiosk.

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    Die zweite Seite eines fast direkt findbaren Eintrags. Am unteren Rand lassen sich neue Worte eingeben.

    So schreitet man anderweitig voran und gelangt in Gesprächen an potentielle Suchwörter – beispielsweise den Namen eines Roboters, den wir in der Hauptgeschichte ausfindig machen wollen. Nun kann man zurückkehren und den Reiz nach neuen Informationen befriedigen. Man fühlt sich somit wie ein Detektiv im später erschienenen Her Story, anstatt einen Mordfall aufzudecken, lüften wir in Primordia die Geheimnisse der Stadt. (Warum soll ein gewisser Eintrag mit dem nächsten Update gelöscht werden?)

    Dabei wird sich bemüht, den Spieler nicht unnötig zu frusten. Manche Begriffe müssen nicht immer exakt oder vollständig geschrieben werden, um erfolgreich danach zu suchen. Außerdem findet sich das Kiosk an einem sehr zentralen und problemlos zu gelangenden Ort. Ganz im Gegensatz zum umständlich zu erreichenden und abgelegenen Computerraum aus Snatcher. Außerdem passt das Informationskiosk logisch in die Spielwelt, ohne künstlich platziert zu wirken und ist sogar in Rätsel eingebaut. Alan Wake liefert beispielsweise eine kreative Erklärung für die Existenz der Ingame-Texte, dass diese so wild verteilt liegen ist aber nicht überzeugend begründet. Die einzige Kritik die man gegen die Primordia-Entwickler anbringen kann ist daher lediglich, dass sie nicht noch mehr über die Historie ihrer erschaffenen Welt verraten haben.

    Also liebe Spieldesigner, überlegt welche Form für euch in Frage kommt und denkt über eine möglichst immersive Umsetzung außerhalb der Menüoberfläche nach. Bedenkt, dass die gesteuerte Spielfigur alles miterlebt und ebenso Wissen erlangt. Lasst mich etwas befriedigendes für das Erhalten von Schriftwerken tun und die Lore in meiner eigenen Geschwindigkeit erkunden. Ihr wisst ja jetzt wie dies umzusetzen ist.

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