Der Film und ich: Watchmen

Von Rand al'Thor · 8. April 2009 · Aktualisiert am 18. Mai 2010 ·
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  1. REVIEW-DISCLAIMER: Spoiler-frei, aber viel zu lang

    Hmtja...was für ne Wertung gebe ich dem Streifen jetzt? Eigentlich ein ziemlich guter Film, wenn man den Comic nicht kennt. Allerdings vielleicht ein bißchen verwirrend, wenn man den Comic nicht kennt. Und streckenweise auch mal ein bißchen albern, egal ob man den Comic kennt oder nicht. Die Persönlichkeiten der Superhelden atmen nunmal teilweise den Comic-Kitsch der 80er Jahre. Manche, wie ich, können aufgrund der enormen Stärken des Comics darüber hinwegsehen; die Glaubwürdigkeit der Superhelden ist irrelevant für das was der Comic will. Andere können das nicht und tun sich bei Unkenntnis der Vorlage gleich doppelt schwer mit Charakteren wie Silk Specter (I+II) oder dem Comedian. Das alles macht die Bewertung schon ziemlich knifflig. Und wenn man den Comic kennt und mag, wird die Bewertung vielleicht noch schwieriger...

    Positiv ist, man erkennt den Comic wieder. Ständig denkt man "Ach ja genau so war das, das war cool und gleich passiert das und das *freu*". Auch die Darsteller passen zu ihren Rollen, außer Matthew Goode als Ozymandias/Veidt. Der war so seltsam Milchbubi-haft weshalb ich ihm seine Rolle irgendwie nicht abgenommen habe. Auch Nixon sah in erster Linie einfach künstlich aus, fast wie eine Karikatur. Eine Karikatur, der man die Arbeit der Maskenbildner ansieht. Dafür hat man sich große Mühe gemacht, möglichst viel aus dem Comic im Film unterzubringen. Da kommen wir aber auch gleich zum ersten Problem.

    Die ganze Geschichte ergibt bei der doch nicht so ganz kurzen Spielzeit eine seltsame Mischung aus "gemächlich" und "gehetzt". Auf der einen Seite nimmt man sich viel Zeit auch mal die Hintergründe der Helden zu beleuchten, weshalb Plot-technisch bis zur Hälfte eigentlich überhaupt nix passiert. Das freut den Comic-Freund, für den Durchschnittskinogänger dürfte das aber eher nicht so dolle sein. Auf der anderen Seite gibt die Vorlage aber soviel her, dass man irgendwie trotzdem durch die ganze Angelegenheit durchhetzen muss. Das fällt zwar in der ersten Hälfte wieder nur dem Comic-Freund auf, aber später ergibt sich daraus das nächste Problem.

    Dargelegt sei das exemplarisch mal am Beispiel von Dr. Manhattan. Im Comic gibt es eine lange Sequenz, in der er Silk Specter II die Naturwunder des Mars zeigt und die Faszination erklärt, die sie auf ihn ausüben. Da lernt man zum einen viel über seine Wahrnehmung und emotionale Distanz zur Menschheit und zum Leben allgemein (etwas, was in seiner Vorgeschichte im Film ziemlich vernachlässigt wird), zum anderen ergibt auch sein anschließender Sinneswandel sehr viel mehr Sinn und hat viel mehr Tragweite. Im Film wirkt es aber wie ein ziemlich hingeschludertes "Menschheit doof/langweilig, Universum besser, Wunder irrelevant, du bist ein Wunder, hab mich geirrt, lass uns die Menschheit retten".

    Das ganze versteht nur der so richtig, der den Comic gelesen hat und der ärgert sich wiederum, dass da soviel fehlt. Der nicht-Kenner dagegen sieht ne Mars-Episode, die irgendwie ziemlich sinnlos in der Luft hängt. Was ist das für ein Kristallgebilde? Warum fliegt es plötzlich? Warum mag er die Menschheit plötzlich wieder? Was sollte das ganze eigentlich? Das gleiche Problem ergibt sich bei dem, was so gemeinhin veralbernd als "der große blaue Dödel" bezeichnet wird. Im Comic sieht man, wie im Lauf der Zeit Dr. Manhattans anfangs vollständiger Superhelden-Spandexanzug immer kürzer wird, je mehr er sich emotional von der Menschheit distanziert. Bis zu dem Punkt, wo er Kleidung eben völlig ablehnt, weil sie keine Bedeutung für ihn hat und er nur noch welche trägt, wenn es offizielle Anlässe gibt, wo er nackig einfach nicht dabei sein darf. Im Film taucht er wie im Comic aufgrund seines Unfalls nackt auf, geht dann aber nicht durch die ganzen Kürzungen, sondern trägt nur mal eben in ein paar Szenen ne knappe Unterhose und rennt dann wieder nackt herum. Warum bleibt dem nicht-Kenner des Comics völlig verborgen.

    Auch an anderen Stellen leidet der Film an den Straffungen, die man notgedrungen machen musste. Der bevorstehende Atomkrieg wirkt nicht wirklich bedrohlich, weil er völlig abstrakt bleibt. Man sieht nicht, wie sich die Menschen im Angesicht ihres Untergangs verhalten, wie sich ihr Verhalten verändert. Auch die Superhelden (übrigens im Comic namenlos, nicht "Watchmen") werden von dieser Aussicht beeinflusst und verändert. Im Film beschränkt es sich aber auf ziemlich emotionsarme Statements Marke "Atomkrieg kommt. Doof das.".

    So wird natürlich auch die Bedeutung des Endes für den Nicht-Kenner nicht so richtig klar. Jedenfalls nicht im vollen Umfang. Und da kommt doch gleich das nächste Problem um die Ecke: das geänderte Ende. Dem nicht-Kenner ist das herzlich egal, die grundsätzlichen Elemente bleiben eh die gleichen. Aber die Kenner dürften sich da wohl in zwei Lager spalten. Die, die sagen "Jo, passt schon" und die, die sagen "$&"""$(=)="§$/...!", weil man ihren heiligen Gral betatscht hat. Ich gehöre zu denen, die die Auflösung des Comics seit jeher für albern halten. Nicht grundsätzlich, nicht was die grundlegende Idee und die Ziele des Antagonisten angeht. Aber die konkrete Durchführung war eigentlich ziemlich hirnrissiger 80er-Jahre-Superheldencomic-Quatsch. Deshalb macht mir die Änderung des großen Plans an sich keine Probleme.

    Meine Probleme liegen woanders: Die Macher haben den Comic nicht so richtig verstanden. Zumindest in einem zentralen Punkt haben sie scheinbar nicht den geringsten Schimmer, was die Stärke der Vorlage ausmacht. Der Comic legt sich nicht fest. Es bleibt dem Leser überlassen, was er von dem Ende hält, auf welcher Seite er am Ende steht, ob er glaubt, das Gute habe verloren, oder ob es gesiegt hat. Dieses Thema der moralischen Ambiguität zieht sich durch den gesamten Comic, im Film dagegen fehlt es an allen wichtigen Stellen. Im Comic ist Night-Owl II höchst skeptisch, was Rorschachs "Superhelden-Killer" angeht und hält einen Zufall selbst nach dem Anschlag auf Ozymandias noch für möglich. Im Film zweifelt er schon nach dem ersten Treffen mit Rorschach nicht mehr an dessen Theorie. Das nimmt dem Plot Ambiguität, noch viel mehr aber Rorschach. Denn der ist viel zu akzeptiert unter seinen Kollegen und wirkt auf den Kinogänger einfach nur wie ne ziemlich harte und kompromisslose aber auch verflucht coole Sau, der das richtige tut. Im Comic dagegen zweifelt der Leser genau wie die anderen Charaktere daran, ob er noch Superheld oder einfach nur Psychopath ist.

    Und genau diese fehlende Ambiguität ruiniert das Ende (um den Bogen zum Ausgangspunkt dieser Tirade zu schlagen). Der Film bezieht in Person von Night-Owl II Position und lässt am Ende durch die Inszenierung auch keinen Zweifel darüber aufkommen, dass der Antagonist fehlgeleitet war. Der Comic macht hierzu keinerlei Aussage (deshalb auch mein Beharren auf dem Begriff "Antagonist" statt dem branchenüblichen "Bösewicht"). Gab es überhaupt einen Bösewicht, waren die Geschehnisse moralisch oder nicht, war es ein Happy End oder eine Katastrophe oder irgendwas dazwischen? Du entscheidest...es sei denn, du guckst den Film.

    Deswegen ist es ganz schwierig den Film zu bewerten. Eigentlich ist es eine tolle, aufwendige Verfilmung, die aber dem unbedarften Kinogänger, durch Detailfülle, Struktur und Straffungen evtl. eine harte Nuss zu knacken gibt. Eigentlich ist es eine tolle Verfilmung, wenn man den Comic kennt und die Geschehnisse wiedererkennt und die Lücken zu füllen vermag. Eigentlich scheitert der Film, weil er den Kern der Vorlage (Ambiguität) volles Rohr vor die Wand fährt, was aber dem Otto Normalkinogänger reichlich schnurz ist. Eigentlich scheitert der Film, weil viel Tiefe der Vorlage verloren geht und speziell nicht-Kenner darunter zu leiden haben.

    Ich als Kenner schwankte deshalb ständig zwischen begeistertem Wiedererkennen, wohlwollendem Lückenfüllen und Ärger über komplett versauten Prämissen...


    Wertung: ???/10

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