Die schädliche Botschaft des DCP

Von nervous surgeon · 11. April 2018 · Aktualisiert am 11. April 2018 ·
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  1. Zum zweiten Mal hintereinander wird beim Deutschen Computerspielpreis die Auszeichnung für das beste deutsche Spiel an einen noch unfertigen Titel verliehen.



    Man stelle sich mal folgendes Szenario vor: Ein Filmproduzent kommt mit einem Haufen Filmrollen unterm Arm zur Academy of Motion Picture Arts and Sciences, die die Oscars verleiht, und sagt: „Sorry, wir haben es leider nicht mehr geschafft das ganze Zeug rechtzeitig zu schneiden und so, aber ich hab hier schon mal das Rohmaterial. Da kann man schon ganz gut sehen, wie der Film mal aussehen wird, wenn er in ein paar Monaten in die Kinos kommt. Das reicht doch für eine Nominierung, oder? Oder?“ Ob die Academy dem Produzenten wohl seinen Wunsch erfüllen würde?

    Nein, würde sie nicht, denn für eine Oscarnominierung gelten klare Regeln: Der Film muss zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember des Vorjahres mindestens eine Woche lang in einem Kino in Los Angeles gelaufen sein. Die Nominierung unfertiger Filme ist damit ausgeschlossen.



    Die seltsamen Regeln des Deutschen Computerspielpreises

    Ähnliche Bestimmungen gibt es auch für den Deutschen Computerspielpreis. Für die Verleihung 2018 gilt: „Das Erscheinungsdatum des Spiels muss zwischen dem 28. Januar 2017 und dem 30. Juni 2018 liegen.“ Die Verleihung selbst fand am 10.4.2018 statt, die Einreichungsfrist endete bereits am 19. Januar. Anders als bei den Oscars erlauben es die Bestimmungen hier also einen Titel einzureichen, der erst in einem knappen halben Jahr erscheint.

    Aber wie will die Jury anhand einer unfertigen Version auf das finale Produkt schließen? Auch dazu steht etwas in den Bestimmungen: „Sofern ein Spiel zur entsprechenden Jurysitzung nicht fertig gestellt ist, muss es zu diesem Zeitpunkt in einem hinreichend spielbaren, bemusterungs- und bewertungsfähigen Zustand sein. Dies wird durch das Awardbüro beurteilt.“

    Das Awardbüro muss also beurteilen, ob die Jury ein Spiel beurteilen kann. Aha. Mit welcher Kompetenz das Awardbüro ausgestattet sein muss, um dieser Aufgabe gerecht zu werden, darüber kann man nur mutmaßen. Die Fähigkeit ein halbes Jahr in die Zukunft zu sehen, um sicherzustellen, dass das Endprodukt auch einigermaßen der eingereichten Version entspricht, wäre wohl das Mindeste.



    Aber dies ist nicht das einzige Problem in den Regeln des Deutschen Computerspielpreises, denn sie lassen offen, wann ein Spiel als „erschienen“ gilt. Eine ähnlich klare Definition wie bei den Oscars sucht man hier vergeblich. Es scheint davon ausgegangen zu werden, dass der Begriff selbsterklärend ist. Gilt ein Spiel bereits als erschienen, wenn es in den Early Access startet? Darüber findet sich in den Teilnahmebedingungen des Preises (https://deutscher-computerspielpreis.de/preis/teilnahmebedingungen) nichts.

    Bei dem Spiel Portal Knights, das 2017 den Hauptpreis gewann und als bestes deutsches Spiel ausgezeichnet wurde, war das auch noch nicht wichtig. Portal Knights war zwar zum Zeitpunkt der Auszeichnung noch im Early Access, die finale Version erschien aber am 18.5.2017 und somit noch innerhalb der Frist bis Ende Juni, die die Verleiher des Computerspielpreises für akzeptabel halten. Dieses Jahr wurde Witch It ausgezeichnet, ebenfalls noch im Early Access. Wird es auch noch vor dem 30. Juni erscheinen? Das scheint zumindest nicht ganz sicher. Auf der Steamseite heißt es: „The Full Release is planned for mid of 2018.“ Irgendwann Mitte 2018 also. Vielleicht noch vor Ende Juni, vielleicht auch nicht. Fast möchte man sich wünschen, dass das Spiel erst in der zweiten Jahreshälfte erscheint, denn dann würde wenigstens Klarheit herrschen: Wenn man dem Titel dann seinen Preis nicht wieder aberkennt, würde das implizit bedeuten, dass der Early-Access-Start als offizieller Erscheinungstermin gilt.



    Das Problem mit den Erscheinungsterminen

    Dies bringt uns zu einem weiteren Problem: Woher sollen die Jury und das besagte Awardbüro überhaupt wissen, ob ein Spiel bis Ende Juni erscheinen wird? Wer sich ein bisschen in der Spieleindustrie auskennt, dem muss klar sein, dass offizielle Erscheinungstermine nicht in Stein gemeißelt sind. Was wird passieren, wenn sich ein Entwickler schlicht nicht an den versprochenen Erscheinungstermin hält? Nimmt man ihm den Preis wieder weg? Offiziell ja, so steht es in den Regeln. Aber umgekehrt gefragt: Würden die Entwickler das überhaupt riskieren? Für ein kleines, aus nur vier Personen bestehendes Team wie Barrel Roll (Quelle: http://www.spiegel.de/netzwelt/game...drei-hauptpreise-alle-gewinner-a-1201910.html), Entwickler von Witch It, bedeutet der Gewinn des DCP viel Geld, insgesamt 185000 Euro, um genau zu sein. Würde ein solches Team wirklich riskieren dieses Geld wieder zu verlieren oder würde es nicht lieber notfalls innerhalb der Frist ein unfertiges Spiel veröffentlichen? Ich will hier keinem Entwickler etwas unterstellen, sondern gehe nur von mir selbst aus und sage deshalb: Als Teil eines so kleinen Entwicklerteams würde ich ein solches Preisgeld nicht wieder hergeben wollen. Lieber würde ich mein Spiel ein paar Wochen oder Monate eher veröffentlichen, als es bereit dazu ist. Ob das eine wünschenswerte Folge des DCP wäre, sollten sich die Veranstalter vielleicht mal fragen. Noch mag es nicht zu einem solchen Fall gekommen sein, aber wenn man weiterhin jedes Jahr unfertige Spiele auszeichnet, ist es im Grunde nur eine Frage der Zeit.

    Im Falle von Witch It kommt noch hinzu, dass es sich um ein reines Multiplayerspiel handelt, das laut Steam Database (steamdb.info) zur besten Tageszeit gerade einmal rund hundert Spieler gleichzeitig auf Steam hat, zur schlechtesten Tageszeit oft weniger als zehn. Wann auch immer das Spiel offiziell erscheint, es kann wohl kaum als gesichert gelten, dass es zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch vernünftig spielbar sein wird, zumindest nicht auf dieser Plattform.



    Die doppelte Einreichung, die nicht erlaubt ist, außer die Jury will es so


    Erwähnt werden muss an dieser Stelle auch die Posse um The Surge, die wunderbar illustriert, wie schwammig und auslegbar die Bestimmungen des DCP sind. Unter anderem die GameStar hatte sich gewundert, dass das Actionspiel von Deck13 in diesem Jahr nicht unter den Nominierten zu finden war und fragte deshalb beim Veranstalter nach. Die Antwort: Deck13 habe das Spiel schon im Jahr zuvor eingereicht, damals war der Jury die noch unfertige Version jedoch anscheinend keine Nominierung wert. Weil aber ein Spiel nicht zweimal eingereicht werden kann, konnte man das fertige The Surge 2018 nicht berücksichtigen (Quelle: https://www.gamestar.de/artikel/deutscher-computerspielpreis-2018-nominierungen-stehen-fest-the-surge-und-orwell-gehen-leer-aus,3326933.html). Tatsächlich ist eindeutig festgelegt, dass dasselbe Spiel nicht mehrmals eingereicht werden kann. Man könnte nun also mit den Schultern zucken und sagen: „Tja, da kann man nichts machen.“ Aber es ist doch traurig und sagt eine Menge über die Regeln des DCP aus, wenn ein Spiel, das vielleicht eine Nominierung verdient hätte, eine solche aufgrund von Formalitäten verwehrt bleibt. Dagegen müsste man doch etwas unternehmen können, oder?

    Tatsächlich kann man nicht nur, man hat sogar schon etwas getan, damit genau solche Fälle nicht auftreten. Laut den Teilnahmebedingungen hat nämlich sowohl die Fachjury als auch das Awardbüro das Recht einen eingereichten Titel zurückzustellen und im nächsten Jahr noch einmal zu bewerten, wenn sie bzw. es ihn für noch nicht ausreichend fertiggestellt hält. Ausdrücklich heißt es da: „Der Titel gilt damit als nicht eingereicht, so dass auch das Verbot der mehrfachen Einreichung in diesem Fall nicht greift.“

    Die Jury hätte das unfertige The Surge also 2017 einfach ablehnen und für 2018 zurückstellen können. Hat sie aber nicht getan. Stattdessen hat sie lieber das unfertige Spiel bewertet und durchfallen lassen, sodass die Nominierung des fertigen Spiels 2018 nicht mehr möglich war. Davon ist in der offiziellen Stellungnahme natürlich keine Rede: „Der Titel "The Surge" wurde vom Entwickler Deck13 bereits zum DCP 2017 regelkonform eingereicht, allerdings nicht in der finalen, sondern einer noch unfertigen Version. Auf dieser Grundlage wurde der Titel von der Jury nicht nominiert.“ Das klingt so, als wäre der Entwickler selbst schuld, weil er eine zu schlechte, weil unfertige, Version des Spiels eingereicht hatte. Warum die Jury diese Version dann überhaupt angenommen hat, bleibt ihr Geheimnis.

    Wer zu Verschwörungstheorien neigt, mag vielleicht behaupten, dass den Veranstaltern des DCP die Ungenauigkeit seiner Regeln ganz recht sein mag. So kann man ein Spiel wie The Surge, das man aufgrund seiner Gewaltdarstellung vielleicht ungern auszeichnen würde, durch den Verweis auf Formfehler aus dem Wettbewerb ausschließen, ohne einen Shitstorm von Seiten der Spieler zu riskieren. Man kann das Geschehen jedoch viel einfacher mit bloßer Inkompetenz erklären: Wer weiß schon, ob die Jurymitglieder die Bestimmungen überhaupt kennen und wussten, dass sie zur Zurückstellung eines Titels berechtigt sind? Wer auch immer die oben zitierte Stellungnahme verfasst hat, scheint es jedenfalls nicht zu wissen. Oder aber, derjenige hat sich schlicht darauf verlassen, dass ohnehin niemand in den Teilnahmebedingungen nachliest.

    Aber das eigentliche Problem liegt nicht in solchen Feinheiten des Regelwerks, sondern in dem Umstand, dass es überhaupt möglich ist ein unfertiges Spiel einzureichen. Hätte der DCP ähnlich klare Vorgaben wie die Oscars, hätte das Spiel ohnehin erst 2018 nominiert werden können. Dieses ganze formale Wenn und Aber könnte man sich sparen, wenn man einfach festlegen würde: Nominiert werden können nur Spiele, die im Jahr zuvor erschienen sind. Dann nur noch definieren, was genau „erschienen“ bedeutet, und die Regeln wären klar und deutlich.



    Das falsche Signal des DCP

    Was aber ist nun an der Praxis des DCP so schlimm, dass ich in der Überschrift von einer „schädlichen Botschaft“ spreche? Nun, zum ersten sendet die Jury damit ein sehr zweifelhaftes Signal an die Entwickler, nämlich dass es nicht so wichtig ist ein Spiel konsequent und sauber zu Ende zu entwickeln, so als würde man sagen: „Es fehlt noch hier und da am Feinschliff? Macht nichts, wir geben euch trotzdem schon mal einen Preis und verleihen eurem Spiel damit ein Gütesiegel. Und was ihr bis zum Erscheinen eures Spiels sonst noch so einführen mögt an Mikrotransaktionen oder Lootboxen, das ist uns sowieso egal.“

    Der eine oder andere mag nun einwenden, dass Spiele heutzutage sowieso nie so richtig fertig sind. Mikrotransaktionen und Lootboxen können auch Monate nach dem offiziellen Release noch eingeführt werden. Das stimmt zwar, aber ein Preis wie der DCP sollte lieber versuchen sich in seinen Bestimmungen gegen solche Fälle abzusichern und beispielsweise festlegen, was denn passiert, wenn spätere Versionen eines Spiels aufgrund solcher nachträglich vorgenommenen Änderungen deutlich schlechter sind als die eingereichte. Stattdessen tut er das genaue Gegenteil, indem er vor der Realität kapituliert und sagt: „Na ja, da Spiele sowieso nie richtig fertig sind, können wir auch gleich richtig unfertige Spiele auszeichnen.“ Damit tut er sein Bestes einen bestehenden Missstand in der Industrie weiter zu verfestigen, anstatt ihn zu bekämpfen. Dies halte ich für ein völlig falsches Signal.

    Aber der DCP sendet nicht nur Signale an Entwickler, sondern auch an Konsumenten. Indem er unfertige Spiele auszeichnet, sagt er ihnen im Grunde, dass sie den Entwicklern blind vertrauen können. Wieso sollte man das als einfacher, ahnungsloser Kunde auch nicht den Versprechen der Entwickler glauben, wenn selbst die Experten der Fachjury kein Problem damit haben? Bei einem Spiel, das eine solche Auszeichnung bekommen hat, kann man ja wohl beruhigt zugreifen, oder?

    „Spiel direkt gekauft. Kannte es schon .. aber jetzt will ichs doch mal ausprobieren :) GLÜCKWUNSCH!“, schreibt ein Nutzer im Communityhub von Witch It auf Steam. Ich kann das als Spieler gut nachvollziehen. Ich muss gestehen, ich bin selbst neugierig auf das Spiel geworden und vielleicht mache ich später genau dasselbe wie dieser Nutzer und kaufe es mir. 15 Euro sind ja auch nicht die Welt, das mag Witch It wohl wert sein. Aber ist das wirklich die Botschaft, die der DCP an Konsumenten senden möchte? Dass man bedenkenlos zugreifen und auch bei unfertigen Spielen mal was riskieren kann?



    Gut für die Industrie, schlecht für den Kunden

    Es scheint fast so, denn wenn man die Regeln des DCP aus Sicht der Industrie betrachtet und nicht aus der des Konsumenten, ergeben sie durchaus Sinn. Da man auch unfertige Spiele einreichen kann, können Spiele zeitnah zu ihrem Erscheinen ausgezeichnet werden. So kann der Preis seine maximale Werbewirkung entwickeln. Wäre The Surge beispielsweise erst in diesem Jahr nominiert oder gar ausgezeichnet worden, wäre das Spiel eben schon ein Jahr alt gewesen. Da kaufen es die Kunden nicht mehr zum Vollpreis, sondern hoffen lieber darauf, dass es im nächsten Sale für einen Zehner zu haben ist. Kein Wunder also, dass Deck13 es schon letztes Jahr einreichen wollte. Bei Early-Access-Titeln wie Witch It kommt hinzu, dass die zusätzlichen Einnahmen noch in die Entwicklung des Spiels fließen können. Den Entwicklern können die Regeln des DCP also durchaus nutzen und im besten Fall können sie sogar für ein besseres Endprodukt sorgen.

    Allerdings wäre es ein schlechtes Zeichen, wenn Entwickler auf eine Auszeichnungbeim DCP angewiesen wären, um ihr Produkt vernünftig fertigzustellen. Wenn man die Entwicklung konkreter Spiele fördern möchte, müsste man ohnehin früher ansetzen. Zum Teil tut der DCP das auch, nämlich mit seinen Nachwuchspreisen für das beste Konzept und den besten Prototypen. Hier hat das Unfertige seinen berechtigten Platz, weil es ja gerade darum geht die Fertigstellung zu fördern. Die Frage ist nur, weshalb man dann auch zum Hauptpreis noch unfertige Spiele zulassen muss, anstatt sie ebenfalls in einer eigens für sie geschaffenen Kategorie gegeneinander antreten zu lassen.

    Aus Sicht des Kunden macht das jedenfalls keinen Sinn, denn er ist derjenige, der das Risiko trägt und der letztlich sein Geld verschwendet, wenn sich herausstellt, dass die Jury einem Bewerber vielleicht doch ein bisschen zu viel Vertrauen geschenkt hat. Wobei das natürlich nur gilt, falls der Kunde sich vom DCP noch zum Kauf eines Spiels beeinflussen lässt. Manch einer mag denken, dass den Deutschen Computerspielpreis doch sowieso keiner mehr ernst nimmt. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass über diesen Preis nicht nur in der GameStar berichtet wird, sondern auch auf Seiten wie Spiegel Online. Da tummeln sich eben nicht nur Hardcorezocker, die mit der Geschichte dieses Preises bestens vertraut sind, sondern auch Gelegenheitsspieler, die ihn für eine seriöse und ernstzunehmende Auszeichnung halten. Auf diese mag er durchaus wirken.

    Aber selbst wenn kein Kunde sich mehr vom DCP beeinflussen ließe, bleibt doch festzuhalten, dass hier Steuergelder für die Auszeichnung eines Spiels vergeben werden, bevor man das tatsächliche Endergebnis kennt. Als jemand, der sich sein Studium teilweise durch staatliche Stipendien finanziert hat, habe ich nicht das Recht mich darüber allzu sehr zu beschweren. Aber um mein Stipendium nicht zu verlieren, musste ich regelmäßig Rechenschaft über meine Fortschritte abliefern und am Ende musste ich den erfolgreichen Abschluss meines Studiums nachweisen. Ansonsten hätte im schlimmsten Fall die Rückerstattung der Fördergelder drohen können. Ich frage mich, wie Entwickler dieser unfertigen Spiele, die beim DCP mit dem Hauptpreis ausgezeichnet werden, später den erfolgreichen Abschluss ihrer Arbeit nachweisen müssen. Darüber steht in den Teilnahmebedingungen nämlich nichts. Die Gewinner müssen zwar immerhin die regelkonforme Verwendung der Preisgelder nachweisen, aber ob das Spiel, für das sie ausgezeichnet wurden, diese Auszeichnung am Ende auch verdient hat, scheint später niemanden mehr zu interessieren.

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