Einwurf zu Halle

Von TheVG · 12. Oktober 2019 ·
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  1. Wir müssen mal wieder das (ungeliebte) Feld der Politik ansprechen. Eigentlich gäbe es aktuell kaum Anlass dazu, aber als am Mittwoch die ersten Berichte über den antisemitischen/rassistischen Anschlag eines 27-Jährigen in Halle eingingen und dabei die Streaming-Plattform Twitch Erwähnung fand, stieß ich einen heftigen Seufzer aus – ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis das Gaming pauschal wieder mal zum Scharfmacher für Amokläufer und gewaltbereite junge Menschen plakatiert werden?

    Gleich vorweg die Einordnung, Stand heute: ja und nein.

    Ich wäre nun vorsichtig, sich umgehend einem Beißreflex zu ergeben und allzu emotional kontern zu müssen, wenn mal in den Nachrichten über den Konsum von Gewaltspielen gemutmaßt wird. In der aktuellen SPIEGEL-Titelstory wird zwar ein Politologe zitiert, der darauf verweist, doch hält sich der Artikel zum Glück an die nachvollziehbaren Motive und Radikalisierungsvorgänge. Das Problem wird wohl erst konkrete Formen annehmen, wenn man Schlagworte wie eben „Twitch“ oder „Gewaltspiele“ als erste Ursache in den Fokus rücken würde. Nachdem ich mich in Artikeln und Foren schlau gemacht hatte, komme ich zu dem Schluss, dass eher seine Gesinnung und die damit verbundene Internet-Aktivität behandelt werden. Also kein Grund für überstürzte Kurzschlusskommentare.

    Und doch wird stellenweise wieder ein altes Feindbild ausgepackt. Zwar gilt die „Zeit“ in der Mediennavigation als gemäßigt konservativ, aber lässt sich bei akuten Vorfällen zu vorschnellen Einordnungen herab. Und wie fast schon erwartet lese ich wie folgt:

    „[...]Geprägt hat B. offenbar auch die Welt der Computerspieler. In seinem Tatvideo zeigt die Kamera immer wieder den Lauf der Waffe. Diese Perspektive aus der Sicht der Spielfigur nehmen Spieler in Ego-Shootern ein. Dass der Täter das Video auf Twitch hochgeladen hat, einer Plattform für Gamervideos, spricht ebenfalls für die offenbar gewollte Computerspielästhetik.

    Die Welt der Gamer spiegelt sich auch in einem menschenverachtenden Belohnungskatalog am Ende seines Manifests wider: jeder Mord ein Bonuspunkt, jede angegriffene Religionsgemeinschaft ein Pokal. Bekannt sind solche besonderen Achievements aus heutigen Videospielen für beispielsweise die PlayStation und Xbox.[...]“


    Zwar wird seine Motivation im Konjunktiv gehalten, allerdings scheint seitens der Schreiber eine vorgefertigte Einordnung des von uns tagtäglich gelebten Spielealltags vorgenommen. So ist das Achievement-System am Pranger, die „Computerspiel-Ästhetik“ sogar eine Zwischenüberschrift (und eine Schlagzeile mit üblichem Schlagwort) wert. Ich werte es mal vorsichtig als Einwurf, der kaum Widerhall erfahren dürfte. Doch wurde die Thematik im Artikel wieder mal angesprochen, ähnlich dem Amoklauf in Erfurt, als der Spielekonsum von Robert Steinhäuser lange in den Mittelpunkt geschoben worden war. Um dem ganzen nun die Relevanz zu entziehen – es war nur ein Artikel mit zwei kurzen Absätzen. Woanders konzentrierte sich die Suche auf die rechte Gesinnung des Täters und seine soziale Isolation, was man wohlwollend als gute Entwicklung anerkennen kann.

    Vielleicht ist diese Entwicklung Fluch und Segen zugleich. Einerseits ist das Gaming mittlerweile mehr in die allgemeine Kultur eingegangen und wird eher anerkannt. Andererseits läuft es durch die breite Akzeptanz Gefahr, bei Vorfällen dieser Art wieder am Pranger zu stehen, da die Mechanik und bestimmte Elemente wie das Achievement-System zu Nachahmungstheorien verleitet. Deswegen möchte ich den Status Quo dazu nutzen, mal kurz die Gedanken zu sensibilisieren. Bleibt zu hoffen, dass wir nicht noch mehr Fett weg bekommen als von ein paar Journalisten, die sich aus persönlichen Motiven heraus auf unser Hobby einschießen wollen.

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