Lesertest zum Cinematic-Platformer Full Void.
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Irgendwann fing sie bei mir an, die Liebe zu den Cinematic-Platformern. Ich weiß nicht mehr, ob es Another World, Prince of Persia oder Heart of Darkness war, aber dank Spielen wie Oddworld Abe‘s Odysee, Limbo oder Inside wurde diese Liebe auch über die Jahre hinweg gepflegt. Mit Full Void hat nun auch der englische Entwickler Outofthebit einen Eintrag in die lange Liste dieser Spieletitel hinzugefügt. Ob dieser Eintrag nur eine Randnotiz ist oder ob er sich mit den Klassikern des Genres messen kann, erfahrt ihr jetzt im Test.
Seit Limbo, spätestens jedoch seit dem Indiehit Inside, erfreuen sich Cinematic-Platformer wieder größter Beliebtheit. Es vergeht kaum ein Jahr in dem nicht mehrere Titel dieses Untergenres erscheinen und die Einträge könnten nicht unterschiedlicher sein. Ein Black The Fall erzählt die Geschichte der Oktoberrevolution mit Hilfe eines futuristischen Settings, Deadlight und Little Nightmares sind Horrorspiele, mal mit Zombies und mal auf surrealistische und verstörende Art. Never Alone war ein arktisches Abenteuer, welches dank eines Polarfuchses einen optionalen Coop-Modus hatte und The Eternal Castle wollte mit 4-Farb-Optik krass Retro sein. Und nun kommt mit Full Void der nächste Titel dieses Untergenres, der schnell meine Aufmerksamkeit erregt hat.
Komme ich gleichmal zum Auffälligsten in Full Void, quasi zum Elefanten im Porzellanladen: der Grafik. Full Void sieht aus, als wäre es ein Spiel aus dem Jahre 1993. Entwickelt für den Amiga oder den Sega Mega Drive. Mit seinen fantastischen Animationen erinnerte mich der Titel streckenweise an Heart of Darkness. Ähnlich wie in dem von mir geliebten Titel von Infogrames spielt man auch in Full Void einen jungen Teenager. Der hört aber nicht auf den Namen Andy, sondern ist hier einfach nur ein namenloser Junge. Das passt wirklich gut, da man, je länger man spielt, immer mehr das Gefühl hat selbst dieser Junge zu sein, der da rennt, springt und Rätsel löst. Denn das macht man nun mal meistens in Cinematic-Platformern. Es gibt Ausnahmen wie das klassische Prince of Persia oder Oddworld Soulstorm, bei denen auch mal gekämpft wird, aber meistens heißt es nur du gegen die Umgebung. Und da bin ich wieder bei der Grafik, denn die ist wunderschön, sofern ihr natürlich mit Retrooptik etwas anfangen könnt. Anfänglich fand ich den Titel recht farbarm. Dunkle und gedrungene Farben dominierten die Spielumgebung. Das passte jedoch ins Bild, denn der Beginn des kurzen Abenteuers spielt in der Nacht. Diffuses Licht erhellt die Straßen einer bedrohlich wirkenden Stadt. Die Spielfigur spiegelt sich in von Laternenschein erhellten Pfützen. Wer ganz genau hinschaut merkt schnell: der Titel soll so wirken wie ein altes 16-Bit-Spiel. Das die damalige Hardware Full Void jedoch hätte stemmen können, glaube ich erst wenn ich es sehe. Schon Titel wie Alwa‘s Awakening, eine Reminiszenz an alte NES-Spiele hat dies auf dem NES selber gezeigt, als es nämlich in einer extra für diese Hardware geschriebenen Version erschien. So richtig auf Modul und so.
Und so richtig auf Modul und so habe ich auch Full Void gekauft, da es den Titel nicht nur für PC und Konsolen gibt, sondern er auch Mitte November 2023 für die Evercade-Hardware als erstes natives Spiel erschien. Wer es nicht kennt: Evercade ist ein Retrohandheld von dem es mittlerweile mehrere Versionen gibt. Das normale Model, schlicht Evercade, eine stationäre an das NES erinnernde, da mit einem ähnlichen Klappmechanismus versehene 4-Spieler-Variante, genannt VS und der Handheld Evercade EXP mit Tate-Funktion und vorinstallierten Capcom-Spielen. Und in eben diese Geräte schiebt man kleine, an Gameboy Advance erinnernde Module auf denen meist mehrere lizensierte Spiele drauf sind. Oder im Fall von Full Void nur eines. Full Void für Evercade kommt, wie jedes andere Evercade-Modul, in einer kleinen Hülle daher, in der ihr neben dem Modul noch ein 40-seitiges Handbuch und einen Prologue-Comic findet. Also Comic durchgeblättert und… um was geht es in Full Void?
Um den Planeten zu retten haben wir Menschen eine KI beauftragt uns zu helfen: Alpha. Da Politiker immer mehr wollten gab es später eine neue, verbesserte KI: Omega. Und eben diese KI wusste genau, was das Beste für den Planeten ist. Uns Menschen loswerden. Da sie scheinbar so programmiert wurde uns nicht gleich alle umzubringen, hat sie uns einfach an Virtual Reality Headsets angeschlossen und uns so quasi aus dem Verkehr gezogen. Wir leben in der Welt von Full Void sozusagen in der Matrix. Ausgenommen davon sind Kinder, weil ihre Gehirne sich noch in der Entwicklung befinden. Deshalb werden alle Kinder gefangen genommen und eines dieser Kinder ist geflüchtet und ist nun die letzte Hoffnung der Menschheit. Die Story also nochmal knapp umrissen: Wir Menschen gegen eine KI. Hat hier gerade jemand Skynet gesagt?
Nach dem Intro liegt der Junge erschöpft am Boden. Ein Druck auf die Sprungtaste und das Spiel geht los. Neben dem Steuerkreuz um nach links oder rechts zu laufen braucht ihr in dem Titel nur 2 weitere Tasten, Springen und Benutzen. Es gibt keine Taste zum Rennen oder beispielsweise zum Schleichen, da der Junge immer läuft und er sich auf den Boden legen kann, wenn man das Steuerkreuz nach unten drückt, was dann das Äquivalent zum Schleichen ist. Durch diese simple Steuerung geht die Bewegung durch die Spielwelt schnell in Fleisch und Blut über. Sprünge über Abgründe gelingen schnell und unkompliziert und Kisten werden ohne Probleme an ihren Bestimmungsort geschoben. Gleiches gilt für die Minispiele, zumindest nennt das Handbuch sie so.
Ab und an muss der Junge etwas hacken. Dazu zieht er einen Laptop aus seinem Rucksack heraus, was uns manchmal auch in einer kurzen Videosequenz präsentiert wird. Dann wird eine grünliche Oberfläche über das Spielbild gelegt, auf der beispielsweise ein sich drehendes Rohr oder Bedienelemente zu sehen sind. Das drehende Rohr (es soll sicher ein Kabel repräsentieren) muss nun mittels Tastendruck bei der richtigen Position gestoppt werden, schon ist der Hack geglückt. Bei den angesprochenen Bedienelementen sieht die Sache ein wenig anders aus. Hier müssen die richtigen Knöpfe in der richtigen Reihenfolge gedrückt werden. Am Anfang ist das simpel und wird auch sehr schön eingeführt. Eine Palette, die an einem Kran hängt, ist zu hoch um an sie dran oder auf sie drauf zu springen. Also den Kran hacken und da man den nur nach oben oder unten fahren kann, ist die Lösung so klar wie einfach. Später im Spiel wird es komplizierter. Nach zirka einem Drittel des Spiels bekommt man einen Begleiter. Einen kleinen kugelförmigen fliegenden Roboter. Diesem gibt man dann per Laptop ebenfalls Befehle. Hangle dich nach oben, gehe drei mal nach links, hangle dich nach unten und drücke dann den Schalter. Klingt kompliziert, geht im Spiel durch die schöne Lernkurve aber leicht von der Hand. Generell ist der Titel sehr fair, da neue Spielelemente sehr behutsam eingeführt werden und ihr durch die präzise Steuerung wortwörtlich alles selbst in der Hand habt.
Solltet ihr trotz der guten Steuerung zu Tode kommen, so ist das durchaus gewollt und durch die vielen Checkpunkte im Spiel auch nie nervig. „Kann ich hier runterspringen? Ah ne kann ich nicht.“ Zack tot. „Ich werde von einem Roboter verfolgt und hätte hier hochspringen sollen.“ Zack tot. „Diese Plattform sieht aber nicht sicher aus, wirkt als könnte sie runterfall….“ Zack , naja ihr wisst schon. Manche Tode waren sogar recht lustig. „2 Türen? Mal gucken was hinter Tür eins ist? Ups, haha, okay. Also erst Tür 2 und dann Tür 1.“ Da der Titel keine Ladezeiten hat, sondern ihr nach dem Ableben, immer präsentiert mit einem kurzen Video, meist gleich wieder an der Stelle steht wo ihr gestorben seid, ist das Sterben hier nicht schlimm. Wenn es passiert, dann habt ihr was gelernt und macht es beim nächsten Mal garantiert besser. Oder beim übernächsten Mal.
Die Speicherpunkte bzw. Kapitel funktionieren ähnlich wie in Spielen wie Limbo oder Inside. Über das Hauptmenü könnt jeden erreichten Checkpoint wieder laden und dort weiterspielen. Anders als in modernen Spielen scrollt der Titel im Übrigen nicht, sondern ihr spielt Full Void von Bildschirm zu Bildschirm. Dadurch kann Full Void aber eine Sache machen, die anderen Titeln meist verwehrt bleiben und die mich, als ich sie das erste Mal sah auch komplett geflasht hat. Der Junge mit seinem lilafarbenen Kapuzen-Hoodie kann in die Tiefe des Raumes gehen. Ja, okay, in vielen 2D-Spielen kann man Häuser oder Räume betreten, in dem man nach oben drückt oder springt. Aber in Spielen wie Full Void wird dies nur selten bis gar nicht benutzt. Egal ob Hinterhöfe, Bahnhofstoiletten oder Räume in der Kanalisation. Drückt ihr das Steuerkreuz nach oben, so dreht sich der Junge in den Hintergrund und der Bildschirm wechselt in die neue Perspektive. Durch diese Perspektivwechsel scheint die Welt auch in 3D zu existieren, obwohl alles dargestellte nur reines gepixeltes 2D ist. Man könnte quasi um einen Häuserblock herumlaufen, wenn es denn einen in Spiel gäbe um den man herumlaufen könnte.
Full Void ist freigegeben ab 12 Jahren, was sicherlich an den Todessequenzen liegt. Das könnte für jüngere Kinder schon verstörend sein, wenn ein Metallwurm mit scharfen Zähnen auf die Kamera zufährt. Es ist aber nie blutig oder übertrieben brutal. Für den ersten Spieldurchlauf habe ich 3 ½ Stunden gebraucht. Wer genau weiß was zu tun ist, braucht nur etwas mehr als eine Stunde für einen kompletten Spieldurchlauf. Damit ist Full Void wohl der kürzeste Cinematic-Platformer den ich je gespielt habe, also rein theoretisch, denn ich wusste ja nicht was zu tun ist. Tür eins und so. Da wir es hier mit einem modernen Spiel zu tun haben, fühlte sich auch das Gameplay modern an. Die Steuerung war nicht hakelig, die vielen Rücksetz- bzw. Speicherpunkte oder einfach nur die Tatsache, das der Titel in englisch, italienisch und deutsch spielbar ist. Dabei gibt es im Spiel selbst, also in der Erzählung, mit Ausnahme vom Ende, keinen einzigen Text. Es gibt auch keine Sprachausgabe. Es wird alles mit Sound, Musik und Bild erzählt. Neben der atmosphärischen Soundkulisse setzt das Spiel seine Musik sehr akzentuiert ein. Hier läuft nicht die ganze Zeit im Hintergrund belangloses Gedudel, sondern die Musik setzt da ein, wo der Entwickler sie haben will, wo ein Effekt verstärkt werden soll.
Und wo reiht sich der Titel mit seiner Retrooptik nun ein? Nun, ein Heart of Darkness sieht im direkten Vergleich besser aus, aber das ist damals ja auch für eine 32bit-Plattform erschienen. Full Void wirkt schon fast wie der Vorgänger. Die schönen Animationen, die Zwischensequenzen beim Tode oder beim Hacken, Intro und Outro. Hinzu kommt ein versöhnliches Ende mit einer wunderschönen Widmung, mit der das Erlebte eine gewisse Tragik bekommt. Ich spiele diese Art von Spielen wirklich gerne, aber manchmal muss ich mich auch zwingen solche Titel weiterzuspielen. Bei Full Void war das nicht so. Das muss sich in der Wertung widerspiegeln und darum bekommt Full Void von mir ganze 9 von 10 Punkte. Full Void war einfach auch eine Ecke charmanter als die vielen anderen Spiele, die ich gespielt habe. Auch nach dem Durchspielen wollte ich nicht loslassen. Da gab es Errungenschaften, die ich noch nicht gefunden hatte. Nur gibt es dafür auf Evercade kein übergreifendes System. Es gibt keinen Gamerscore oder ähnliches. War mir komplett Wurscht. Ich wollte alle haben, da die Erfolge meist nur kommen, wenn man bestimmte Szenen in der Welt findet. Kleine Geheimnisse sozusagen, die dann noch mehr von dieser düsteren Welt zeigen.
Wer Full Void nun nicht nur digital, sondern auch physisch besitzen möchte bekommt mit der Version für Evercade eine günstige Alternative, da Evercade-Module einen Festpreis von 20€ haben und nicht in Preisregionen von Limited Run Games oder ähnlichen Publishern liegen. Und wer keine Evercade hat, bekommt mit den neuen Taito und Capcom gebrandeten Super Pocket Handhelds eine günstige Alternative, da auch hier die Evercade-Module reinpassen.
Ihr lest nicht gerne und hört lieber zu? Den Test gibt's auch hier als Podcast: "Klick".Über den Autor
Geb.1980 in der DDR. Dann zur Wende einen Atari 2600 bekommen und die Videospielleidenschaft war geweckt. Danach kam C64 und später PC. Jetzt auch allerlei Konsolenkram.
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