Gamerkasten

Von TheVG · 16. Januar 2016 · Aktualisiert am 16. Januar 2016 ·
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  1. Normalerweise spreche ich nicht so gerne über Technik. Nicht, dass ich keine Ahnung davon oder Minderwertigkeitskomplexe verspüre, es ist mir nur nicht so wichtig, den ganzen Tag über Chiptaktungen, Framerates oder Partikeleffekte zu plaudern.

    Wenn jedoch Spiele veröffentlicht werden, die mit ihren Systemanforderungen Technik wieder in den Vordergrund der Spielbarkeit rücken, dann sind mindestens ein paar Worte fällig. Seit langer Zeit wurde mir das mit dem Release von „Fallout 4“ wieder ins Bewusstsein gerückt, weil nun das eingetreten ist, das ich aktuell kaum für möglich gehalten hatte: „Fallout 4“ läuft bei mir nicht, und das mal so gar nicht. Windows zu schwach, Grafikkarte zu schwach... okay, Arbeitsspeicher kann ich gerade noch so mit dienen. Tja, aus die Maus.

    Für mich jetzt Grund genug, ein paar Zeilen darüber zu verschwenden, Déja-Vus aufzuarbeiten, Grundsatzfragen zu stellen und Diskussionsstoff anzubieten.




    Zwangshandlung



    Mitbekommen hatte ich davon ziemlich spät. Als noch alle möglichen Infoschnipsel durch die Gazetten flatterten, gab es meines Wissens nach noch keine konkreten Infos über Mindestanforderungen, bis dann ein paar Wochen vor dem Release von „Fallout 4“ die Techniktabelle auf GS einsehbar war. Plötzlich fühlte ich mich auch wieder in alte Zeiten versetzt, in denen ich für „Crysis“ eine Anzugfunktion „Maximale Grafikkarte“ gewünscht hätte oder mir für „Doom“ gleich eine „BFM“ („Big Fucking Machine“) anschaffen musste.

    Der Unterschied zwischen damals und heute ist dabei, dass ich heute eben nicht mehr gleich Webseiten und Fachgeschäfte abklappere, um meine Kiste für neue Spiele lauffähig zu bekommen. Zu „Crysis“-Zeiten fraß Gaming viel meiner Freizeit auf, in den 90ern befand man sich eh in einer Aufbruchstimmung, in denen man eh alles kaufen wollte, was der Markt so hergab. Es war also weniger ein Zwang gewesen, sondern das allseits bekannte Jäger-und-Sammler-Prinzip auf Grundlage dessen, dass man früher die heutigen Möglichkeiten noch nicht kannte, PC-Technik gezielt aufzurüsten.

    Aufrüstungen durch Module (C64) oder Chipsätze (Amiga) waren uns einst zwar schon bekannt gewesen, dennoch wollten die Entwickler Spieler nicht vergrätzen, indem sie die technischen Anforderungen nach oben schrauben würden. Es war noch die Ausnahme gewesen, bestimmte Spiele aufgrund des Umfangs oder der technischen Komplexität auf neue Wege zu bringen, und sicherlich wäre es nicht von Vorteil gewesen, Spieleentwickler und Spieler zur ausschließlichen Nutzung neuer Hardware zu nötigen.




    Bei Technikfragen Spieler fragen



    Mit dem PC wurde der direkte Einfluss des Nutzers auf seine eigene Technik deutlicher. Nun hatte man nicht nur ein paar wenige, steckbare „Pimper“ zur Verfügung, sondern konnte gleich mehrere Komponenten aufwerten, ohne gleich Komplettsysteme erwerben zu müssen, die den Geldbeutel ziemlich belasten würden. Zu wenig Arbeitsspeicher? Kein Problem, kaufe ich mir eben noch 2, 3, 40 GB dazu. Grafikkarte zu schwach? Dann schaun mer mal, was „Alternate“ denn so im Angebot hat. Und wenn das DVD-Laufwerk Mucken macht, kann ich mir je nach Anspruch einen BD-Player mit oder ohne Schreibfunktion besorgen.

    Diese Freiheit zu haben, ist natürlich etwas Tolles. Es weckt aber auch Begehrlichkeiten, die die allgemeine „Couchpotatoe“, ergo der Gamepadnutzer (oder sogar man selbst vor einigen Jahren) vielleicht nicht nachvollziehen könnte. Konsolenspieler hatten schon immer das Nachsehen, bei denen hat sich bis heute diese Freiheit noch gar nicht in dem Maße eingestellt. Diese starren Systeme können der Aufrüstwut des PC-Spielers einfach nicht das Wasser reichen. Dennoch brummt der Markt der Konsolenspiele wie kein zweiter, der PC ist nicht mehr Lieblingsplattform der Entwickler und Publisher. Für mich hat das einen ganz simplen Grund: Sie müssen einfach keine Bindung zum Kunden und seine individuell zusammengestellte Maschine herstellen, um ihre Spiele anzupassen. Wer von ihnen weiß denn, welche Konstellation jeder einzelne PC-Spieler auf/vor seinem Schreibtisch stehen hat? Vielleicht einen 386er mit 8 Gigabyte RAM und einer Radeon 9600? Ein Notebook mit eingebautem Nadeldrucker?

    Scherz beiseite – ihr wisst ja Bescheid und habt eine recht genaue Vorstellung davon, in welchem Rahmen sich die technischen Bandbreiten bewegen bzw. bewegt hatten. Entwickler wissen natürlich um dessen Grenzen. Bei den Konsolen sind die Spielräume lange nicht so ausgeprägt, dass vielleicht nur wenige sich mal ein Modul oder eine Erweiterung leisten und bedienen den Markt unter Einbeziehung der Standardkonfigurationen, damit eben nicht Millionen Spieler gezwungenermaßen teures Zusatzequipment kaufen müssen. Beim PC wird dieser Aspekt dagegen zur Schätzsache. Hier sind Umfragen vonnöten, die man am besten niemandem aufzwingen will, weil ansonsten die Diskussion der Datensammelei wieder entbrennen würde. Steam kann sicherlich noch ein Liedchen davon singen, obwohl sie ja eigentlich im Sinn hatten, sich (also Valve) und andere Publisher für die Spielerschaft anzugleichen.




    Preis der Freiheit



    Man kann schon behaupten, dass sich die Computerindustrie zum Preis der Unberechenbarkeit seiner Kundschaft ins eigene Knie geschossen hatte, als sie die Möglichkeit der selektiven Aufrüstung ins Leben gerufen hatte. Wenn die Gesamtheit der Spieler – jetzt mal grob geschätzt - eine Reichweite von einem bis zwanzig Gigabyte Arbeitsspeicher abdeckt, dann wird es selbstredend schwierig für den Entwickler, auf einen Nenner zu kommen, der alle zufriedenstellen würde. Doch ist das mittlerweile nicht mehr möglich. Ist die Technik im Spiel zu schwach, meckern die, die High-End-Geräte ihr Eigen nennen, anders herum ist es natürlich ähnlich. Die Situation ist also schwierig zu beurteilen, und wer muss dann letztlich das Nachsehen haben?

    Dabei ist das Wörtchen „Freiheit“ für mich nur ein idealistischer Ausdruck eines Lifestyles, den sich die PC-Spieler exklusiv auf die Fahnen geschrieben haben. In der Realität sieht dies anders aus, nämlich dass Menschen mit niedrigerem Einkommen nicht einfach mal so 200-500 € für eine neue Grafikkarte ausgeben können, weil „Fallout 4“ nun die NextGen-Generation befriedigen will. Klar: Es spielt auch die Bereitschaft dazu eine Rolle. Früher hätte ich bestimmt noch alles an Geld zusammengekratzt, um das Spiel endlich spielen zu können. Heute sieht es eher so aus, dass sich meine Interessen etwas erweitert bzw. verschoben haben; dass ich mein gespartes Geld eher in die Dinge stecke, die mir mittlerweile wichtiger erscheinen. 200-500 € kann man zum Beispiel auch noch gut gebrauchen, um für den nächsten Urlaub zu planen. Meine Freiheit besteht höchstens darin, Freiheit nicht zu nutzen – mich also dem „Wettbewerb“ des Aufrüstwahns nicht anzuschließen und Verzicht zu üben.

    Die Sache mit den Begehrlichkeiten spielt hier ebenfalls hinein, wenn man sich einem Hobby verschreibt, das eigentlich keine Weiterentwicklung verschlafen will. Wir erleben heutzutage am PC keine Zeiten mehr, in denen man jahrelang auf demselben Level Spiele spielt, was so lange ausgeschlachtet wird, bis es dem Spieler zum Hals heraus hängt oder ein Unternehmen endlich die nächste Konsole bzw. den nächsten Heimcomputer entwickelt hat. Es ist heute fast so, dass irgendeine Entwicklung im Kleinen gleich eine neue Welle des Fortschritts lostritt und somit eine ganze Branche oder Industrie mitzieht. Diese Beschleunigung macht die gesamte Unterhaltungsindustrie mit, und man fühlt sich, als hätte man sein hart erspartes Geld beim Kauf eines neuen Fernsehers für die „Zeitung von gestern“ verbraten.




    Klassenkampf



    Schneller, höher, weiter, lauter – Superlative bestimmen mittlerweile unseren Alltag, was den Erwerb von Technik angeht. Das beginnt schon in der Küche, wenn der Toaster von WMF mit seinem edlen Edelstahllook mehr her macht als das Billigteil von Clatronic, auch wenn sie im Grunde für ein und denselben Zweck gebaut worden sind. Der Teufel steckt eben im Detail. WMF hat vielleicht noch Sensoren eingebaut, die den Bräunungsgrad der Toastscheibe genau abtasten kann, das Clatronic-Pendant kann höchstens die Brutzeldauer beeinflussen.

    Prinzipiell ist es beim PC genauso. Manche spielen auf einem 4:3-Rohrenmonitor in der Auflösung 800 mal 600 Pixel, andere mit drei TFTs, bei der die Grafikkarte alle locker mit HD-Format versorgen kann. „Die da unten“ könnten glatt neidisch werden, „die da oben“ winken vielleicht nur hochnäsig ab. Diese Spannbreite bringt demnach auch eine gesellschaftliche Komponente ins Spiel, die aktuell in vielen Bereichen zu beobachten ist. Da wird gerne mit dem neuen Toaster geprotzt wie mit der Heimkinoanlage. Im Bewusstsein, dass Technik ein ganzes Interessenfeld steuern kann, führt gerne mal zu Abhängigkeiten, denen man sich rein psychologisch schlecht entziehen kann oder will. Nicht überlebenswichtig, eher persönlichkeitsbildender Natur ist der Drang, seine käuflichen Errungenschaften dem häuslichen Besuch unter die Nase zu reiben oder in Internetforen „Schwanzvergleiche“ anzustellen. Wettbewerb belebt die Konkurrenz, und darum wissen die produzierenden Unternehmen nur zu gut. Ich selbst kann dieses Konkurrenzdenken im privaten Umfeld nichts abgewinnen, weil es dagegen spricht, jedem Menschen ein glückliches Leben nach individuellen Vorstellungen zu bereiten. Warum sollte ich denn jemanden verurteilen, weil er zuhause nichts anderes als einen Schwarz-Weiß-Fernseher im Wohnzimmer stehen hat?

    Es sind also Kasten unter den Spielern entstanden. Es gibt diejenigen, die überhaupt froh sind, mit einem Gerät im Internet surfen zu können, und diejenigen, denen man wortwörtlich jede neue Errungenschaft in den Rachen wirft, damit sie alles auf Anschlag drehen und damit alles und jeden ausstechen können. Für das von uns gerne so propagierte, demokratisch-freiheitliche Prinzip mag das eben eine unfaire Komponente beinhalten und splittet ein Medium dadurch in verschiedene Ebenen, von denen man – soweit ich das einschätzen kann – eigentlich kaum Notiz nimmt. Die mehrheitliche Gamer-Mittelschicht dürfte technisch und interessenmäßig so eingestellt sein, dass sie einerseits AAA-Titel mit Einschränkungen spielen können/wollen und sich andererseits nicht zu sehr in eine Schublade stecken lassen möchten. Jeder hat so sein Lieblingsgenre, doch muss fast jeder auch mal aus seinen ausgetretenen Pfaden austreten, bevor aus Leidenschaft Wahn entstehen könnte.




    Die neue Mitte



    Da sich die Spielebranche nun gesplittet hat und in Grundsatzfragen sehr unterscheidet, kommt mir unweigerlich der Selbstreinigungseffekt eines ganzen Mediums in den Sinn, der sich auch in anderen Bereichen vollzogen hat. Die Zeiten der Eier legenden Wollmilchsau sind vorbei, und man konzentriert sich auch in Entwicklerkreisen auf einzelne Aspekte. Vom Vollblutnostalgiker bis hin zum High-End-Spieler werden nun gezielt viele unterschiedliche Gamerschichten bedient. Die Indieszene setzt voll auf Inhalte und Spielmechaniken, Grafikmätzchen sind ihnen ein Graus. Dagegen wirken AAA-Titel wie der sprichwörtliche Pfau, der sein Federkleid ausbreitet und diejenigen beeindruckt, die Effekte und hochkarätige Synchronstimmen Komplexität vorziehen.

    Alles zu wollen, hat sich wie so oft als schwierig erwiesen, weil Pionierarbeiten nur selten erscheinen und Nachzügler in Zugzwang bringen. Von mir aus ist es daher gar nicht so schlimm, dass sich die Spielebranche ein bisschen in mehrere, eindeutig abgegrenzte Abteilungen aufgeteilt hat. Es ist also weniger ein fließendes Geflecht, sondern ein hartwandiges Baukastensystem entstanden, das sich seine Zielgruppen genauer heranziehen kann. Nimmt man alles zusammen, trifft sich die gesamte Branche irgendwo in der Mitte, was an sich doch gar nicht schlecht ist und leider doch wieder zu unnötigen Diskussionen führt.




    Ich habe nur eben das Problem, dass ich „Fallout 4“ eigentlich supergerne spielen würde. Doch sind da zu viele Stolpersteine darin, die mir diese eine Freude verwehren: andere, kostspielige Freuden. Und doch kann ich heute sagen, dass mir diese Freude nicht mehr so vordergründig wichtig erscheint – ich kann also warten. Und sollte der Tag kommen, an dem ich mal ein paar hundert/tausend Euro zuviel auf der hohen Kante hätte, wäre mir egal, ob ich nun auch „mittel“ oder „ultrahoch“ spielen würde und vielleicht erst in 4, 5 Jahren.

Kommentare

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  1. TheVG
    Ich müsste schon meine komplette Kiste auswechseln ;)

    Zum Vergleich für dich mal die Minimalanforderungen und meine Technik zum Vergleich, wo es hapert:

    Windows 7 (64Bit) - meins nur 32Bit
    AMD Phenom II X4 945 3.0 GHz - AMD Phenom 8450 3x2,8 GHz

    Das Geld brauche ich im Moment eher für die Fotografie und Urlaub. Auch zwei kostspielige Hobbys/Leidenschaften, bei denen 200 € gut investiert sind ;)
  2. syntax error
    Ach ja, früher als es noch den Begriff gab "IBM-Kompatibel" :)

    Meine Güte, was für eine Rübe muss man zuhause haben um ein Spiel so garnicht mehr spielen zu können ?!?!

    Selbst mein letzter PC den ich bis letztes Jahr noch hatte war im Grunde 6 Jahre alt. So alle 2 Jahre habe ich mal die Grafikkarte getauscht, so in der 200 Euro-Klasse. Das sind 100 Euro im Jahr. Eigentlich war das Meiste auf mittlere Einstellung immer gut spielbar.
    Ich habe eher den Eindruck dass der Aufrüstdruck nicht mehr so groß ist wie früher.

    Aber ich verstehe wenn man sich aus Bequemlichkeit lieber eine Konsole holt. Zumal die meisten Titel erstmal dort erscheinen.
    Aber wenn es so weit kommen sollte dass man am PC nichts gescheites mehr zocken kann hör ich lieber ganz auf :)
  3. TheVG
    Wenn ich mir so die Budgets anschaue, die Entwickler in Spiele stecken, dann muss ich mich aber wundern, warum sie nicht mehr so viel optimieren, bei so viel Manpower. Das kann höchstens daran liegen, dass sie einerseits auf Kooperationen mit Graka-Herstellern setzen, andererseits darauf basierend auf die Zahlungsbereitschaft der Kundschaft hoffen. Deswegen habe ich ja geschrieben, warum ich weniger gewillt bin, zeitnahe meine Hardware aufzurüsten.

    Mit "hartwandig" beziehe ich mich nur auf das Angebot der Spiele, nicht auf etwaige Scheuklappen der Spieler ;) Ich denke, dass viele gerne über den Tellerrand schauen, um mal was anderes auszuprobieren.
      1 Person gefällt das.
  4. Yeager
    Interessant, nicht wahr?

    Ich protze aber nicht.
    Ich ärgere mich darüber, dass meine Kiste für VR zu schwach sein wird.
  5. Takamisakari
    Der Klassenkampf hat sich eigentlich dahingehend geändert, dass man inzwischen protzt, mit was für einem alten System man noch ein bestimmtes Spiel spielen kann. Im Unterton setzt man damit auch direkt wieder zu einem Seitenhieb auf die Konsolen an.



    Das ist Fluch und Segen zugleich, doch auf Grund vergleichsweise schwächer werdenden Konsolen-Generationen überwiegt zunehmend der Fluch ... zumindest in Hinsicht auf plattformübergreifende Titel.

    Aber dank Early Access boomt auch wieder der Markt der (zunächst) PC-exklusiven Spiele, sodass weiterhin die indirekte Aufforderung im Raum steht, den Kasten mal wieder aufzupimpen. Darüber hinaus gibt aktuell auch die neue Technik (4k und VR) einen Grund dazu.
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