Ich, mein Heliborne und sein Early Access

Von Jasper · 15. Juni 2016 · Aktualisiert am 15. Juni 2016 ·
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  1. Wie alles begann

    Ich habe zugesehen, wie mein Bruder Half-Life gespielt hat. Dann habe ich es selber gespielt, durchgespielt. Dann habe ich mit meinem Bruder einen Wettbewerb veranstaltet: Wer zuerst das Spiel durchgespielt hat, gewinnt. Ich habe Half-Life oft liegen gelassen aber immer wieder ausgepackt. Das letzte Mal habe ich es 2014 gespielt, 16 Jahre nach Veröffentlichung des Shooters.
    Durch die bekannte Modifikation Counter-Strike bin ich damals mit Spieleentwicklung in Kontakt gekommen, habe nicht nur die Entwicklung des Shooters aus Spielersicht mitverfolgt, sondern auch eigene Level entworfen, für Counter-Strike und später Einzelspielerkarten für Half-Life. Mein Bruder hat mir rudimentäres Programmieren beigebracht. Es hat dafür gereicht, dass ich ein kleines Computerspiel programmieren konnte. In »Adakudis« hat man sich als Buchstabe vor anderen Buchstaben verteidigt, indem man sie mit diesen »*« Sternchen abgeschossen hat. Es hat etwas gebracht, ich kann etwas Skripten.
    In jedes Spiel, dass mir gefallen hat, habe ich mich reingefuchst: Wie baue ich einen Level, zu was ist die künstliche Intelligenz in der Lage, taugt die Wegfindung ? Age of Empires II, Aliens versus Predator I+II (Im zweiten Teil gibt es lustige KI Befehle, die leider nicht im Spiel verwendet werden), Battlezone I+II, The Dark Mod (Unreal Engine). Das waren fertige Spiele die ich erkundet habe.
    Das erste Mal mit einem echten Early Access Titel in Kontakt gekommen bin ich mit Minecraft. Aber wie bei Counter-Strike war auch hier die grundlegende Spielmechanik bei meinem Einstieg schon ausgereift.
    Bei Train-Fever war ich das erste Mal aktiv in den Foren dabei, denn auch wenn das Spiel schon veröffentlicht wurde war es noch längst nicht fertig. Später haben die Entwickler bestätigt, das Geld war ausgegangen. Das Spiel musste in den Handel wie es war. Aktiv in den Foren war ich, weil ich wissen wollte, was sich ändert beim nächsten Patch. Und weil ich Einfluss nehmen wollte. Ich habe deutlich gemacht, was meinen Spielspaß bremst. (Wegpunkte?) Es lief gut, die Entwickler haben noch lange Zeit Spielmechaniken nachgereicht. (Wegpunkte!) Aber zu lange für mich, denn im Februar 2016 als der letzte Patch kam, habe ich Train-Fever schon nicht mehr gespielt.
    Etwa neun Monate hat mich Train-Fever beschäftigt und ich bin nicht sicher ob ich es nochmal spiele. Das ist nicht schlecht, neun Monate sind okay. Gehen wir mal davon aus, Spiele haben individuell für jeden Spieler eine Lebenszeit. Dann hat Half-Life etwa 16 Jahre und Train-Fever neun Monate bei mir.
    Und in diesen Monaten enthalten sind Spielstunden, die ich mit einer Liste im Hinterkopf verbracht habe: Die Performance wird noch optimiert, Wegpunkte kommen noch, die Sache mit den Verbindungsstraßen zwischen Städten wird diskutiert. Ich habe Train-Fever nie als fertiges Spiel genossen. Dafür habe ich weiteren Einblick in die Entstehung eines Spieles bekommen.

    Schaffe, schaffe, Spiele baue
    Spieleentwicklung besteht im Prinzip aus drei ineinander greifenden Prozessen. Stellen wir uns vor, wir entwickeln ein Brettspiel: Die grobe Idee ist vorhanden und auf dieser Grundlage entwerfen wir ein Spielbrett und Spielfiguren. Dann denken wir uns Spielmechaniken aus und feilen an den Regeln bis man es spielen kann. Jetzt zeigen wir das Spiel ein paar Leuten und lassen diese es testen. Macht es keinen Spaß verwerfen wir das Projekt. Bremsen bestimmte Aspekte den Spielspaß versuchen wir bessere Lösungen zu finden. Wenn das erfolgreich ist, kommen wir in die dritte Phase und schleifen an Ecken und Kanten, die Optimierung.
    Als ich in Train-Fever die ersten Passagiere befördere, steckt die Entwicklung irgendwo zwischen Spielmechaniken einbauen und Optimieren. Als damals bei Half-Life alle Mechanismen eingebaut waren wurde festgestellt: Die Leveldesigner haben zu wenig aus den programmierten Möglichkeiten gemacht, die Level machen keinen Spaß. Das ist verständlich, viele Passagen wurden entworfen ohne das Wissen, was später möglich sein wird. Alle Level wurden verworfen und komplett von vorne angefangen. Die Entwicklung hat ein weiteres Jahr gedauert und viel Geld gekostet.
    Aber davon habe ich nichts mitbekommen. Ich kenne die alten Level nicht. Es gibt keine Bewertungen aus der Entwicklungszeit von frustrierten Spielern, keine »Let's Plays«. Ich kenne nur das Endprodukt aus diesem Prozess, und das ist richtig gut.


    Auf die Nasen gestoßen

    Train-Fever wird von Dishonored abgelöst. Aber bevor ich das sehr gute Spiel durchspiele begegne ich Ark: Survival Evolved und verbringe einige Wochen mit schlechter Performance aber spannenden Dino-Momenten. Das Spiel werde ich mit einem neuen Computer irgendwann wieder auspacken, als Einzelspielererfahrung. Dann spiele ich RaceRoom Racing Experience DTM 2014 und erlebe damit ein »Games as a service«-Titel. Vor allem die KI soll in den nächsten Jahren noch besser werden, mal sehen. Im Winter spiele ich Dishonored zu Ende und es ist eine Rundes Erlebnis. Ein tolles Spiel, das wird bei mir noch älter werden.
    Dann kommt Heliborne. Eine Mehrspielererfahrung mit Hubschraubern. Im GameStar Artikel steht was von World of Tanks mit Helikoptern. Bevor ich das Spiel kaufe sehe ich mir Videos an und lese was die Entwickler vorhaben. Ich erfahre, dass zahlreiche Bereiche in denen Helikopter eingesetzt werden im Spiel auftauchen sollen - und viel wichtiger der Hinweis: Wenig davon ist bereits im Spiel. Das ist in Ordnung: Es ist vielversprechend und könnte genau meinen Geschmack treffen: Hubschrauber interessieren mich seit ich als kleiner Junge gesehen habe, wie Schweizer Piloten Lasten in den Bergen mit kleinen wendigen Maschinen transportieren und beeindruckend schnell durch die engen Täler manövrieren. 10€ sind für den Versuch in Ordnung. Das Spiel wird gekauft und gespielt.

    Und es ist fantastisch! Auf so ein Spiel habe ich gewartet. Für mein Gefühl ist es ein Counter-Strike mit Hubschraubern, kein World of Tanks. Ich bin begeistert, verfolge jede Diskussion im Forum, beteilige mich aktiv. Wenn man eigene Karten für Heliborne entwerfen könnte, wäre ich längst dabei. Ich bin gefixt wie damals in meiner Jugend.
    Wenn man Spiele auch für die Ambitionen seiner Entwickler bewertet, wie es ein ehemaliger GameStar Redakteur in einem Podcast beschrieben hat, verdient Heliborne aktuell eine sehr hohe Bewertung bei mir. Aber die vorhandenen Elemente können sich schon sehen lassen: Der Einstieg ist einfach, die Steuerung intuitiv. Man erreicht schnell erste Erfolge, aber die Skala nach oben ist offen. Waghalsige Fluglagen und gezielte Distanzschüsse sind möglich und man kann einen überlegenen Gegner ausmanövrieren, wenn man gelernt hat alles aus der Steuerung herauszukitzeln. Mit absetzbaren Truppen ist auch Taktik enthalten und Jetcatgames hat noch viel vor: Aktiv handelnde KI-Einheiten, unterschiedliche, absetzbare Truppen und ein Progressionssystem das einen ohne nerviges »Grinding« durch die unterschiedlichen Jahrzehnte Hubschraubertechnik führen soll, um nur einige zu nennen.
    Heliborne will viel und es hat Fehler. Die Grafik hat Aussetzer und die Netzwerkroutinen lassen einen zu Beginn gerne ins Leere schießen, Kopien von Hubschraubern entstehen und bleiben in der Luft hängen. Aber zukünftige Spielmechaniken lassen sich schon erahnen, die KI gesteuerten Fahrzeuge sind da und fahren. Da sie aber nur bereits eingenommene Stützpunkte anfahren, bewegen sie sich hinter den Spielern her auf dem Schlachtfeld. Wird der Stützpunkt vom anderen Team zurückgewonnen, bleiben sie einfach an Ort und Stelle stehen. Immerhin schießen sie weiter auf feindliche Helikopter. Nicht auf Bodentruppen, das können sie noch nicht.
    Die Entwickler reagieren täglich mehrfach auf Fragen, Anregungen und Kritik im Forum. Das Netzwerkproblem wird wie viele andere Kritikpunkt bald behoben. Das Spiel verkauft sich laut Jetcatgames gut im ersten Monat. Die Unterstützung der Geldgeber wird erhöht, neue Teammitglieder stoßen dazu und viele gewünschte Aspekte kommen auf die Feature-Liste der Entwickler: Ein besseres Flugmodell, Joystick Unterstützung, kooperatives Spiel, vielleicht sogar eine Kampagne.


    Als Nächstes das Squad System

    Als Nächstes, verkündet jemand aus dem Team, folgt das Squad System. Wie in einem Kartenspiel sollen sich Spieler für die Matches ein Deck aus drei Helikoptern zusammenstellen und individuell Waffen und Spezialtruppen auswählen. Mit weiteren Features soll es ein wichtiges Werkzeug sein um ausgeglichene Partien zu gewährleisten und für mehr Spieltiefe zu sorgen.
    Es kommt nicht in der folgenden Woche. Es kommt nicht innerhalb eines Monats. Nur kleine Updates kommen, Details werden verbessert, neue Hubschrauber und schließlich eine neue Karte mit erweiterter Bodentruppen-KI (Einmal gestartet fahren die Fahrzeuge weiter, greifen Soldaten an und nehmen Stützpunkte ein!) sind drei Monate lang die Highlights. Große Teile der Spielerschaft sind frustriert.

    Wenige spielen Heliborne in dieser Zeit noch und diese teilen sich auch noch auf. Zum eigentlichen Spiel gesellt sich der Testbereich, in dem die erste Rohfassung des Squad Systems ausprobiert werden kann. Ein Zeichen der Entwickler um zu zeigen: Wir sind noch da! Im Forum geht der Tipp um, ein Spiel zu starten auch wenn keine Spieler online sind. Viele Spieler scheinen nur noch kurz Heliborne zu starten, um zu sehen ob es ein laufendes Spiel gibt. Wenn niemand den ersten Schritt wagt, kommt kein Spiel zu Stande und jeder der nur kurz im Menü ist denkt:


    Heliborne ist tot.

    Tatsächlich tauchen entsprechende Fragen und Kommentare im Forum auf. Aktive Spieler beschweren sich über leere Server und zu wenig neue Inhalte. Potenzielle Käufer fragen verwundert nach und bekommen promt die Antwort: Ja, Heliborne ist tot.
    Etwa 10.000 verkaufte Exemplare weltweit im ersten Monat nachdem ein paar Internetseiten über das Spiel berichtet haben. Mittlerweile sind es mehr, aber das ändert daran nichts: Heliborne hat wenig aktive Spieler und diese verteilen sich über alle Zeitzonen. Wenn sich dann zwei im Forum beschweren, hat das große Wirkung. Stunden später melden sich die Entwickler zu Wort und glücklicherweise auch andere Spieler; das Spiel sei noch nicht veröffentlicht, wie könne man jetzt davon sprechen, es sei gestorben?
    Jetcatgames hat aus den ersten Wochen Early Access gelernt. Vorsichtige Ankündigungen ohne Fristen werden gemacht; an dem Feature würde gearbeitet, es komme eventuell in den nächsten Wochen.
    Jetzt gibt es keine wöchentlichen Updates an jedem Montag mehr, es wird auf einen zweiwöchigen Zeitraum umgestellt. Im Forum von Jetcatgames bin ich wegen meinem Blog im direkten Gespräch mit einem Entwickler. Ich frage gezielt nach Spielmechaniken die noch kommen sollen und er antwortet in etwa: Wir haben Probleme damit, wir arbeiten dran, wir bestätigen das Feature nicht offiziell. Damion Rayne, verantwortlich für das Community Management, meldet sich nur noch mit vereinzelten Beiträgen.
    Lange genug hat er darauf hingewiesen, dass die Einarbeitung der neuen Mitarbeitern Zeit kostet und sich für die Verzögerungen entschuldigt. Aber seine Beiträge mit Bildern der aktuellen Fortschritte und Artikel über Hubschrauber im Allgemeinen fehlen mir.
    Zwei Wochen später am Montag gibt es kein Update. Es ist ruhig geworden im Forum. Am Dienstag fange ich an mir Sorgen zu machen.
    Was passiert mit den Bewertungen, wenn das Update diese Woche nicht kommt? Welchen Eindruck macht es auf mögliche Käufer, wenn im Forum der letzte Eintrag unter dem Titel »Game dead or still going?« steht? Es gibt tatsächlich negative Bewertungen des Spieles mit dem Hinweis: Das Spiel ist gut, aber es gibt zu wenig Spieler. Wut kommt in mir auf, aber ich kann nicht mehr machen als der Bewertung wiederum eine schlechte Bewertung zu verpassen. Mehr will ich nicht riskieren. Ich befürchte mit einem entsprechenden Kommentar im Forum nur Öl ins Feuer zu gießen. Könnte das eine selbstverwirklichende Prophezeihung werden? Wenn viele schreiben, dass das Spiel tot ist, vielleicht geht es wirklich noch vor der Veröffentlichung an schlechten Bewertungen und abschreckenden Kommentaren zugrunde? Die meisten Videos auf YouTube in denen über Heliborne berichten wird sind von Leuten, die ihre ersten Schritte dokumentieren, die in den Optionen die Steuerung nachlesen müssen, nicht wissen wie die Spielmodi funktionieren und nicht das Feinde blau und Freunde rot sind. Keine gute Werbung.
    Kurz bevor ich ins Bett gehe werfe ich einen Blick ins Forum. Noch ein Kommentar unter der unglücklichen Überschrift. Ich öffne ihn und lese:

    Mindoug [Entwickler]: »Guys, Squadron update is live on the main server! :)«

    Wie alt wird Heliborne bei mir?

    Zum Zeitpunkt dieses Artikels ist das Squad Update mehr als eine Woche alt und auf den Servern und im Forum ist wieder mehr los. Jetcatgames haben Heliborne damit viel mehr Spieltiefe verpasst und für mich persönlich den Spielspaß auf eine neue Ebene gehoben. Sie mussten dafür das komplette Menü neu programmieren und gestalten, neue Spielmechaniken einbauen und ein Punktesystem ausbalancieren.
    Es sind jetzt wieder alte Grafikfehler aufgetaucht, die neue Menüführung ist sehr umständlich. Wer den entsprechenden Blog der Entwickler nicht ließt, hat Schwierigkeiten in ein laufendes Spiel zu kommen.
    Aber das ist okay, es ist ein fortlaufender Prozess. Die Spieler haben sich geradezu auf die neuen Aspekte gestürzt und schon Feedback gegeben, bevor Damion Rayne eine entsprechende Diskussion eröffnen konnte. Und die Entwickler melden sich auch wieder mehrfach täglich zurück. Ein einfacherer Zugang ist jetzt in Arbeit,

    Wenn die Entwickler in der Lage sind ihre Pläne zu verfolgen wird sich Heliborne von einem Hubschrauber-Counter-Strike zu einem vielversprechenden Hubschrauber-Taktikshooter-MOBA entwickeln und dabei werden sie noch viele Hürden nehmen müssen. Kaum hat sich das Spiel in Richtung Taktik bewegt melden sich die ersten Spieler, die das alte System besser fanden. Hoffentlich werden die Mechanismen im Early Access nicht zum gefürchteten Einheitsbrei zermahlen.
    Veröffentlichen möchten sie es im Dezember diesen Jahres und ich gehe selbstverständlich davon aus, dass das nicht klappt. Welches Spiel kommt schon zum ersten angepeilten Termin raus? Wer weiß, vielleicht müssen dann erstmal alle Gebiete neu gestaltet werden. Ich denke nicht, dass nochmal ein Spiel 16 Jahre alt wird bei mir, da müssten so einige Parameter zusammen passen. Aber ich habe schon ein sehr gutes Gefühl bei der ganzen Angelegenheit. Wer weiß, vielleicht spiele ich Heliborne ja sogar noch, wenn es fertig entwickelt ist.

    Mein nächster Artikel „Ein Blog sie zu knechten“ wird eine Spielanleitung für Heliborne inklusive Taktiken für Anfänger und Fortgeschrittene.

Kommentare

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  1. Jasper
    Helikopte-Techtree steht gerade auf der »currently in progress«-Liste. Mit dem Squad System ist einiges am Balancing passiert. Weiß nicht, wann du genau das letzte Mal gespielt hast.

    Ich setze noch große Hoffnung in die weitere Entwicklung, weil es mit seinen recht kurzen Partien und seinem Action/Taktik Mix genau meinen Geschmack trifft.
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