Konditionierung des Shitstorms

Von Heruwath · 21. Juni 2018 ·
Kategorien:
  1. Erziehung! Eltern können ein Lied davon singen. Es ist umfangreich, schwer und verlangt sehr viel Geduld. Da steht man im Spielwarenladen und die Augen des Kindes können sich nicht sattsehen an dem, was hier angeboten wird. So kann es vorkommen, dass nach einigen vergossenen Tränen man doch mehr für das eigene Kind gekauft hat als ursprünglich eingeplant.

    Ich bin nun seit mehr als 10 Jahren in der Spielentwicklung tätig und mittlerweile habe ich einen wichtigen Zusammenhang verstanden. Spielentwicklung ist Erziehung. Als Gamedesigner macht man sich immer Gedanken über Konditionierung des Spielers, sei es die Farbe des Lebensbalkens, oder die Tastenbelegung. WASD ist genauso ein Standard, wie die Farbe Rot als Warnung. Allerdings scheinen wir uns mehr Gedanken darüber zu machen wie wir vorhandene Konditionierung im Spiel richtig nutzen um den Spieler schnell in unser Spiel eintauchen zu lassen, als darüber was außerhalb des Spiels passiert.

    Im digitalen Zeitalter gibt es viele einfache Möglichkeiten seine Meinung zu äußern. Das sorgt für einen schnellen Meinungsaustausch, neue Möglichkeiten und Fortschritt. So schreitet man voller Hoffnung in das „Games as a Service“ Zeitalter und lernt so langsam, was dort einen erwartet. Eine der Erkenntnis, die ich gelernt habe ist der Einfluss der vergangenen Konditionierung außerhalb des Bereiches auf das Verhalten innerhalb des Bereichs selbst.

    Aber was hat das mit Spielentwicklung zu tun? Um diese Frage beantworten zu können müssen wir uns die Geschichte ansehen.

    „In Paris brennen die Autos“. Dieses einfache Sprichwort beinhaltet ein ganz bestimmtes konditioniertes Verhalten, was heute im digitalen Zeitalter zu einem größeren Problem wird. Beleidigungen, Morddrohungen und shitstorms, wer kennt das nicht. Dabei sind wir selbst zu einem großen Teil dafür verantwortlich. Wir haben die Menschen seit Jahrhunderten darauf konditioniert, dass erstmal „Autos brennen müssen“ bevor die betroffenen mehr ihrer Aufmerksamkeit dem Thema widmen. Es muss, wie bei einem weinenden Kind erst unangenehm für die betroffenen Eltern werden bevor diese vielleicht nachgeben. Das passiert mehrmals und schon lernt das Kind, dass es mit Weinen und Schreien, viel eher das bekommt, was es möchte. Das setzt sich im späteren Leben fort.

    Da ist es nicht verwunderlich, dass die Leute zu einem shitstorm greifen um die Aufmerksamkeit der Entscheidungsträger zu bekommen. Sei es beim Thema lootboxen oder Frauen in Spielen. Wie kann es auch anders sein, wenn wir denen, die am lautesten schreien mehr Aufmerksamkeit widmen?

    Um die Situation zu verbessern müssen wir ganz tief ansetzen und unser Verhalten überdenken. Es ist erforderlich die Leute zu belohnen, die konstruktive Kritik üben und die Aufmerksamkeit nicht auf die Leute lenken, die am lautesten schreien. Nur so können wir eine bestimmte Botschaft senden. Die Botschaft, dass konstruktive Diskussionen für Aufmerksamkeit sorgen und nicht lautes Schreien, oder Beleidigungen.

    Allerdings ist das auch der schwierigste Ansatz. Wir müssen lernen uns früher mit Themen zu befassen und nicht erst, wenn „Autos brennen“ und es für uns unangenehm oder bedrohlich wird. Wir müssen lernen, dass nicht unbedingt alles in Ordnung ist, solange niemand schreit. Wir müssen unsere Denkweise anpassen. Und genau das macht es so schwierig. Eine Denkweise zu ändern, worauf wir seit Jahrhunderten in unzähligen Bereichen des sozialen Umfelds konditioniert wurden.

Kommentare

Um einen Kommentar zu schreiben, melde dich einfach an und werde Mitglied!
  1. Jeremir
    "Es ist erforderlich die Leute zu belohnen, die konstruktive Kritik üben und die Aufmerksamkeit nicht auf die Leute lenken, die am lautesten schreien. Nur so können wir eine bestimmte Botschaft senden. Die Botschaft, dass konstruktive Diskussionen für Aufmerksamkeit sorgen und nicht lautes Schreien, oder Beleidigungen."
    Dem kann man an sich nur zustimmen. Was die Aufmerksamkeit zu Gunsten von Krawallmachern und Populisten angeht sehe ich hier aber noch einen anderen wesentlichen Punkt, den man in meinen Augen sehr gut an dem Wahlkampf von Donald Trump nachvollziehen kann. Es gab bei Trump ja auch immer wieder die Diskussion, dass die ständige Kritik von Medien, Politikern und einiger Hollywoodgrößen letztlich kostenlose Wahlwebung für Trump darstellt. Das wurde so bereits während des Vorwahlkampfes thematisiert. Insbesondere von Politikern und Prominenten aus Hollywood wurden diese Bedenken aber ständig rigoros ignoriert und man setzte sich stattdessen öffentlich ständig weiter mit Kritik an Trump in Szene.
    Dafür gibt es in meinen Augen einen wichtigen Grund: Wenn man das eigene Weltbild immer nur mit Jemanden wie Trump vergleicht, fühlt sich dieses eigene Weltbild besonders gut an. Das Problem besteht also letztlich auch darin, dass einige Akteure im öffentlichen Diskurs derartig stark von der Richtigkeit ihres Weltbildes überzeugt sind, dass sie die Erkenntnis, dass es gemäßigte Kritiker dieses Weltbildes gibt nicht akzeptieren können und daher lieber Radikale stark werden lassen als Gemäßigten zuzuhören.
  2. Heruwath
    Der Grund den du ansprichst, ist meiner Ansicht nach fast derselbe. Auch hier ist es eine Konditionierung auf das "laute", wobei hier das "laut" eine leicht andere Ausdrucksform hat. Die Beachtung von Donald Trump durch die Medien ist an sich auch eine Art von Fokus auf den, der am "lautesten schreit". Also jemanden, der nicht etwas konstruktives beizutragen hat, sondern jemanden, der durch eine emotionale Äußerungen die Aufmerksamkeit auf sich zieht.
    Aus diesem Grund bin ich auch auf das "digitale Zeitalter" eingegangen, weil durch die Venetzung wir leichter solchen Situationen ausgeliefert werden. Unsere Konditionierung auf das "Laute" macht sich öfter und extremer bemerkbar, wodurch es zu einem Problem werden kann.
  3. Miles__Teg
    Zum Blog an sich:
    Da du mit Spieleentwicklung eingestiegen bist, hatte ich natürlich die Hoffnung, dass deine Gedankengänge sich dann auch mit dem Einfluss der lauten Minderheit auf Spiele beschäftigen. Insofern vielleicht eine verpasste Chance.

    Zum Thema:
    Es gilt hier wie immer, dass man den Boten ignorieren muss. Klar ist es schön befriedigend sich an jemandem persönlich abzuarbeiten. Der eine nimmt sich halt Trump als "Bösewicht", der Andere eine Anita Sarkessian.

    Möchte man nur Dampf ablassen oder persönliche Aufmerksamkeit generieren, kritisiert man die Personen - natürlich immer mit der Behauptung, sich nur an der Sache zu orientieren.

    Beide sind jedoch nur Symptome, ergo "Boten", eines tieferen Problems der herrschenden Verhältnisse. Möchte man Personen für die Probleme der aktuellen Verhältnisse sensibilisieren, MUSS man den Boten ignorieren und sich direkt mit der Thematik auseinandersetzen. Jede Erwähnung des Boten - egal ob gut oder schlecht - verlagert die Aufmerksamkeit auf den Boten und die eigentliche Thematik tritt in den Hintergrund.

    Dies ist die klassische Medienstrategie der Rechtspopulisten. Der starke Führer "saugt" die Aufmerksamkeit auf und lenkt so von Problemen ab.

  4. Heruwath
    Das gehört ja praktisch dazu, unabhängig davon ob es eine Minderheit ist oder nicht. Sobald jemand Laut wird bekommt er Aufmerksamkeit und das ganze kann sich recht schnell auch noch hochschaukeln. Somit beschäftige ich mich mit diesem Thema, nur nicht direkt.
    Hier geht es dann mehr um das Mittel, was Minderheiten so viel Macht verleiht. Seien es hardcore fans in Foren, SJWs oder jemand anders. Und das macht es nicht mehr zum Symptom, sondern zu einer der Ursachen. Die Konditionierung ist zum Teil auch durch die Evolution geprägt.
    Ich bin aus bestimmten Gründen so nah an dem Thema Konditionierung geblieben. Zu vieles Hüpfen von einer Seite auf die andere würde es nur unnötig verkomplizieren. Ich möchte auch, dass die Leute, die das lesen sich auch selbst Gedanken darüber machen, was diese Konditionierung für Auswirkungen hat und in welchen Situationen. Erst so werden einem die Ausmaße bewusst. Der dritte Grund ist die Menge an Text. Im Moment hat der Blog eine angenehme Länge.
  5. Tsabotavoc
    Ein toller Blog! Ich möchte hier mal das MMORPG Neverwinter anführen das eine wirklich tolle Mechanik eingebaut hatte:

    Spieler können dort selbst Abenteuer erstellen die andere dann spielen können (Ja ich meine das MMO!) Wenn den Spielern diese Abenteuer gefallen können sie ein paar Astraldiamanten spenden die dann der Ersteller des Abenteuers bekommt.

    Für das Absolvieren dieser Abenteuer wiederum bekommt man vom Spiel selbst Astraldiamanten als Belohnung. Lange Rede kurzer Sinn: Die Spieler haben ein vitales Interesse daran ihre Lieblingsautoren zu loben und ihnen etwas von der Ingamewährung abzugeben. Denn nur so ist sichergestellt das die Lieblingsautoren auch weiter motiviert sind und neue Abenteuer veröffentichen.

    Ich weiß nicht ob das wirklich so geplant war aber man findet in diesem Ingamekommentarbereich einfach eine sehr positive enthusiastische Grundstimmung bei der man sich gegenseitig lobt und unterstützt. Spiele müssten mehr auf diese Mechaniken setzen.
  6. Heruwath
    Vielen Dank!

    Dein Gedankengang ist nicht so abwegig. Das wird vielleicht Wirklichkeit, schwer zu sagen. Die Beteiligung der Spieler an der Erstellung der Inhalte ist ein valides und interessantes Thema (UGC - User Generated Content und Blockchain), weil wir bereits jetzt die Technologien haben um das umzusetzen. Und es hätte definitiv viele Vorteile. Allein darüber kann man einen Blog schreiben.

    Dieser Blog ist nur der erste von einem Dreiteiler und es folgt einer bestimmten Struktur. Ich gehe zwar nicht auf dein Thema ein, aber ich werde vielleicht in einem anderen Blog darauf eingehen, denn es ist zu einem großen Teil mit in dem Gedanken verwoben.
Top