Kriterien für Kriege

Von Yeager · 27. August 2013 · Aktualisiert am 28. August 2013 ·
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  1. Wenn man wissen will, welche Kriege es allein in den letzten 100 Jahren gegeben hat, reicht ein Besuch bei Wikipedia völlig aus:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Kriege_und_Schlachten_im_20._und_21._Jahrhundert

    Auffällig ist, dass eine Vielzahl der dort beschriebenen Schlachten niemals in Computerspielen thematisiert wurde, andere hingegen unzählige Male.

    Wer entscheidet also darüber, wann ein Konflikt als "spielbar" gilt?
    Wann dessen Gräuel als "akzeptierbar" gelten?
    Wann genug Zeit vergangen ist, um den Konflikt als Hintergrund-Thema in ein Computerspiel überführen zu dürfen?
    Oder wann ein Konflikt sich besonders "eignet" als Computerspiel.

    Anders gefragt:
    Was sind die Kriterien für "spielbare" Kriege?

    Ich schreibe bewusst so viel in Anführungszeichen, da das ganze Thema schon in sich selbst zynisch ist. Gleichzeitig aber eben auch den Computerspiel-Alltag von Millionen von Spielern weltweit darstellt.
    Auch meinen.

    Wir haben uns im Rahmen der leidigen Killerspiel-Debatte so gern als Reflektierte heraus geputzt, um der medialen Hexen-Jagd auf uns Paroli bieten zu können.
    Aber sind wir wirklich so reflektiert?
    Mal sehen, also weiter mit Anführungszeichen und den unangenehmen Fragen:

    Ist es okay, wenn ich einen Delta-Force-Trupp im Irak-Konflikt anführe?
    Und falls ja: warum hat es nie ein Spiel gegeben, wo ich einen Sniper im Kosovo-Konflikt darstelle?
    Geht es in Ordnung, wenn ich amerikanische, englische oder russische Truppen im Zweiten Weltkrieg befehlige, bei zahllosen Spielen, z.B. bei "Company of Heroes"?
    Ist es auch okay Deutsche dabei zu befehligen?
    Falls ja: warum nur Wehrmacht, warum keinen von der Waffen-SS?
    Es hat Gräueltaten von allen Genannten gegeben, wie immer in einem Krieg.
    Ist also die reine Nähe zu den Nazis bei der Waffen-SS eher gegeben, als ein "patriotischer" Trupp auf Wehrmachts-Seite?
    Wirklich?
    Mein Grossvater kämpfte gegen beide.
    Ich glaube, er sah da wenig Unterschiede in Gesinnung oder Verhalten, wenn ich mich an seine Berichte erinnere.

    Also auch hier wieder:
    Solange der "Hetzer"-Jagdpanzer ein vergleichsweise neutrales deutsches Kreuz besitzt ist er ideologisch entschärft und seiner mit ihm assoziierten Erinnerungen beraubt?
    Ist das so?
    Oder liegt es daran, dass der WW2 so lange zurück liegt?
    Wenn man einen Afghanen oder Iraker befragt, ob er gerne einen Shooter oder ein Strategie-Spiel spielen will, in welchen es gilt sein Land zu "befreien" - natürlich vorzugsweise oder alleinig spielbar auf amerikanischer Seite, dann kann ich mir seine Reaktion schon vorstellen.
    "Geschmacklos" dürfte dabei noch das Geringste sein, was man hören wird.
    Zurecht.
    Warum hat es das also nicht mit dem Kosovo-Konflikt gegeben?
    Falls doch: Schande über mein Haupt, dann war ich nicht informiert genug.
    Ich jedenfalls kenne kein Spiel mit dem Hintergrund des Jugoslavien-Krieges.

    Wer also entscheidet darüber, was "geht" - und was nicht?
    Nach welchen Maßstäben?

    Die Zeit alleine kann es nicht sein.
    Der Irak-Konflikt ist jünger, als Jugoslavien.

    Es kann auch keine "Sieger-Mentalität" zu Grunde liegen:
    In PanzerCorps kann man nur Nazi-Deutschland spielen in der Kampagne.

    Es kann sich auch nicht alleine um eine Überhöhung der "Heldentaten" handeln:
    Im neuesten "Company of Heroes" gibt es stalinistische Sowjet-Offiziere, die kurzen Prozeß machen mit "Angsthasen" - also normalen Menschen.
    Andererseits gibt es zwar etliche, zumindest zum Teil USA-kritische Filme, die den Vietnam-Krieg thematisieren. Aber auch Spiele einer ebensolchen Art?
    Nur sehr wenige. Die zudem nur bedingt kritisch sind.
    Warum?

    Wer entscheidet?
    Nach welchen Kriterien?

    Mit diesem Blog möchte ich nur das Nachdenken darüber anregen.
    Über ein Thema, dem wir, also Computerspiel-Spieler, uns so gut wie nie stellen.

    Weil es unangenehm ist.

    Weil wir es nur spielen möchten, eintauchen in unsere fiktive, niemals schmerzhafte Vorstellung davon. In eine Abstraktion, die mit der Realität nichts gemeinsam hat.
    Da nehme ich auch vor mir selbst keine Rücksicht, bin auch "so einer".
    Einer, der Kriegsspiele spielt.
    Gerne sogar.
    Warum?
    Weil sie Spaß machen. Nicht alle, aber doch einige davon.
    Einige sind wie Schach, nur bunter.
    Andere sind schweißtreibend wie frühere Arcade-Top-Scroller, nur aus Sicht der ersten / dritten Person in wunderschöner Grafik.

    Weil wir gerne die Faszinatiion von Crash, Boom, Bang, Ratter-ta-ta, Whoosh, Peng und Konsorten erleben.
    Uns gerne gegenseitig an die Gurgel gehen, welcher Team- oder Taktik-Shooter am "geilsten", am realistischsten ist.
    Als ob irgend einer von uns das ernsthaft beurteilen könnte.
    Die, die das wirklich können, sind entweder sehr alt, psychisch fertig mit der Welt, in sich verschlossen und verschwiegen, würden es nie spielen wollen - oder einfach tot.

    Nein, die Realität eines Krieges wollen wir nicht erleben.
    Sie jedoch spielen - jederzeit.

    Bleibt dennoch die Frage:
    Warum dieses Szenario - warum nicht jenes?

    Warum kein Spiel im Französichen Indochina-Konflikt?
    Warum keins mit dem Hintergrund des spanischen Bürgerkrieges?
    Der Korea-Krieg wurde bisher auch nur in Dog-Fight-Games "behandelt", afaik.
    Der erste Weltkrieg nur in (sehr wenigen) Strategie-Spielen und eher am Rande bei einigen wenigen Adventures.
    Der japanisch-chinesische Krieg soviel ich weiss gar nicht.
    Warum?
    Weil diese Szenarien nicht von Interesse sind?
    Wer sagt das?
    Und mit welcher Begründung?
    War der Falkland-Krieg zu kurz und der Jom-Kippur-Krieg zu "israelisch"?
    Der Irak/Iran-Golfkrieg für die westliche Welt uninteressant?
    Der amerikanische Bürgerkrieg epochal, aber die Oktoberrevolution zu kommunistisch?
    Der kalte Krieg hingegen nicht mehr "zu" kommunistisch?
    Der Tschetschenien-Krieg zu unethisch, aber der Überfall auf Polen von deutscher Seite aus gespielt in ethischer Hinsicht kein Problem (Codename Panzers, PanzerCorps, ...) ?
    Liegt es daran, dass es immer ein klar definiertes Gut und Böse geben muss?
    Falls ja: wer war denn der "Gute" im Vietnamkrieg?
    Oder im zweiten und dritten Golf-Krieg?

    Wie hiess es so schön in Fallout?
    "Krieg - Krieg bleibt immer gleich."

    Der Irak-Krieg dauerte noch an, als schon die ersten Spiele dazu erschienen.
    Kaum jemand störte sich daran.
    Es störte auch niemanden, als man fiktive zukünftige Konflikte mit der USA und China in einigen Spielen zum Thema machte.
    Ich bin mir aber sicher, dass es sehr viele stören würde, wenn man nun ein Spiel brächte, das die (momentan noch fiktive) Einmischung in den syrischen Bürgerkrieg thematisiert.
    Mich selbst eingeschlossen.
    Es fällt mir dabei nicht leicht zu beantworten, warum mich dies mehr störte, als oben genannte Szenarien.
    Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich das wirklich weiß.
    Das brachte mich zum Schreiben dieses Blogs.

    Was sind also die Kriterien für "spielbare" Kriege?

    Ich stelle die Frage nicht, weil ich mehr Abwechslung will.
    Sondern weil ich darüber zum Nachdenken anregen möchte.
    Was wir spielen, wer uns das vorgibt, was dabei thematisiert wird.

    Was wir infolgedessen als "okay" erachten.
    Als interessant, unverbraucht, moralisch nicht kompromittierend.
    Als spielbar.

    Und warum.

    Über den Autor

    Yeager
    Chuck Yeager durchbrach als erster Mensch die Schallmauer.
    <br/>Ich stolperte über seinen Namen als damals noch kleiner Junge beim Gucken von "Der Stoff aus dem die Helden sind".
    <br/>Sein Name gefiel mir, wurde zum Nick und blieb es.

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