Kugelhagel in Battlefield 1 - Die Kritik erklärt

Von Crickethill · 23. Juni 2016 · Aktualisiert am 5. Juli 2016 ·
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  1. Kugelhagel im Ersten Weltkrieg – Oder: Die Kritik an Battlefield 1

    Eine Antwort auf: „Mangelnder Realismus in Battlefield 1 - Ihr messt mit zweierlei Maß!“

    Ernüchterung. Nach der Gameplay-Präsentation von Battlefield 1 verspürte ich nur eines. Ernüchterung. Ich wusste dass die Panzer nicht der Höchstleistung von 8 km/h, die ein Renault FT im Gelände erbringen konnte, entsprechen würden, und dass die Doppel- und Triple-Decker schneller als ihre realen Pendants um die Lufthoheit kämpfen würden. Aber meine, vielleicht naive, Vorstellung des Infanteriekampfes sah Soldaten mit Repetiergewehren aufeinander feuern. Doch DICE zeigte uns leichte Maschinengewehre, Maschinenpistolen und Sturmgewehre und scheinbar eine einzige Klasse, die ausschließlich auf Repetiergewehre zurückgreifen wird.

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    Ich bin einer dieser „Fans“ deren Erwartung Philipp Elsner nicht nachvollziehen kann, und deshalb versuche ich, diese Erwartungen zu erklären. Es liegt nun, und da bin ich wohl nicht alleine, sicher nicht daran, dass zuvor die Information über den ersten Weltkrieg spärlich gesät war und jetzt aufgesogen wird. Ich glaube vielmehr, dass einerseits das Aufkommen des Wunsches nach mehr Spielen in der Ära des zweiten Weltkriegs, und der Jubel über das unverbrauchte Setting von Battlefield 1 eine gewisse Rückbesinnung darstellen. Eine Rückbesinnung auf langsameres Spielgefühl, weg von der Hektik. Vielleicht leide ich auch unter einer verklärten Sicht auf die Vergangenheit, die gute alte Zeit, denn trotz meiner 23 Jahre habe ich eine große Entwicklung bei Videospielen gesehen – das Medium unserer Wahl ist ein schnellebiges.

    Aber vielleicht gibt es dennoch eine Rückbesinnung. Der Wunsch nach einer authentischen (nicht zwingend realistischen) Darstellung des ersten Weltkrieges, mit Repetierwaffen, die Zielvermögen erfordern, und die Schlachten weg vom „Spray’n’Pray“ oder „Run’n’Gun“ führen. Ich glaube genau dieser Wunsch ist der Grund, warum doch viele so enttäuscht von der Allgegenwart von Maschinenpistolen und Automatikwaffen sind.

    Wir wissen, dass ein Battlefield niemals Realismus erreichen wird noch soll - es geht nicht um Realismus, es geht um Authentizität. Aus diesem Grund sehe ich auch die Kritik, sowie die genannten Beispiele im Artikel von Philipp anders.

    Nach der Lektüre des Artikels musste ich erst nachdenken. Liege ich falsch in meiner Kritik? Nehme ich Battlefield 1942 heute anders wahr als damals? Die Gameplay-Präsentation von Battlefield 1 gibt es ja aus verschiedensten Perspektiven zu bewundern. Oft genug kann man einen Blick in das Spawn-Menü erhaschen. Die Klassen: Assault, Medic, Support, Sniper. Von diesen vier Klassen (Piloten und Fahrer ausgeblendet) tragen zwei automatische Waffen, nur dem Medic und - logischerweise - dem Scharfschützen scheint es nicht vergönnt auf Maschinenpistolen, Maschinengewehre oder Sturmgewehre zurückgreifen zu dürfen, was, im Falle des Medic, dem Balancing geschuldet sein mag, war doch der Medic seit Anbeginn der Reihe die beliebteste Klasse.

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    Dann der Vergleich – zurück zum ersten Teil der Battlefield Serie: Battlefield 1942. Wir durften aus 5 Klassen auswählen: Assault, Scout, Anti-Tank, Medic, Engineer. Von diesen fünf Klassen trugen nur zwei (!) automatische Waffen. Im Setting des Zweiten Weltkrieges, also 20 Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges. Ja, die BAR ist eine dieser Waffen, aber betrachten wir die Nutzung von BAR und STG44 doch im Kontext. Es ist der Assault, der diese Waffen tragen darf, der designierte Angriffsspezialist. Man könnte durchaus argumentieren, dass der Assault die "Spezialeinheiten" (Airborne, SAS, Waffen-SS) verkörpert. Die zweite Klasse, die sich automatischer Waffen bedient ist (Überraschung!) der Medic, der auf US-Seite mit der Thompson-Maschinenpistole und auf Nazi-Seite mit der MP-40 herumläuft. Beide zu ihrer Zeit reguläre Bewaffnung vieler Truppen. Die Thompson war die Standardmaschinenpistole der US-Armee, die MP-40 auch in der Wehrmacht weit verbreitet und vornehmlich von Zug- und Gruppenführern eingesetzt.

    Setzen wir diese Information in Kontext: In Battlefield 1942 trugen zwei von fünf Klassen automatische Waffen, ihrer Klasse entsprechend auch durchaus passend und durchaus verbreitet. Zum BAR verrät Wikipedia: „Mangels eines geeigneten Nachfolgers war das B.A.R. auch im Zweiten Weltkrieg noch das Standard-LMG der US-Truppen“ und auch das Sturmgewehr 44 war nicht etwa eine Rarität, sondern ab 1943 häufig eingesetzt.

    In Battlefield 1 scheint die Hälfte aller Klassen Zugriff auf automatische Waffen zu haben, in einer Ära, die den Beginn der Vollautomatik markiert.

    Natürlich ist auch Battlefield 1942 nicht realistisch, genausowenig wie alle Serienteile die danach kamen. Realismus ist auch nicht der Anspruch, aber Authentizität. Und setzen wir doch auch andere Teile in Kontext: Battlefield 3 und Battlefield 4 spielen in der nahen Zukunft. Ja, auch in der nahen Zukunft werden Soldaten nicht mit Giftpfeilen aufeinander schießen, aber Prototypen könnten durchaus Einzug in die Standardbewaffnung mehrerer Armeen finden (man sehe sich dazu nur den Aufstieg des HK416 an). Zudem ließe sich argumentieren dass Battlefield 3 und 4 eher Spezialeinheiten als die Truppe betonen, und etwa den Navy-SEALS die Auswahl ihrer Waffe freigestellt ist. Aber das sind Spitzfindigkeiten. Es stört mich ja selbst auch, dass ich auf US-Seite mit einer AN-94 herumlaufen darf. Betrachten wir Battlefield 2, sehen wir, dass die Waffen auf ihre jeweiligen Seiten beschränkt waren und zudem im Hintergrund des Spiels authentisch und realistisch waren.

    Also ja, es stört mich, dass Battlefield 1 die Schlachten des Ersten Weltkrieges verfälscht, vor allem weil die Reihe das in der Vergangenheit anders gehandhabt hat. Ich fordere keinen Realismus, aber die, in diesem Artikel bereits vielbeschworene Authentizität. Ich kann gut mit Panzern leben, die sich schneller als eine Schildkröte vorwärts bewegen, ich kann gut mit schnelleren Flugzeugen leben, und in vielerlei Hinsicht macht Battlefield 1 auch scheinbar einen Schritt in Richtung „Realismus“ – etwa mit designierten Fahrer-Klassen oder vom Fahrer losgelösten Panzerrohren. Musik in meinen Ohren. Aber warum dann nicht den Mut beweisen und zurück zu Repetierwaffen als Standardarsenal gehen? Call of Duty 2 und Battlefield 1942 haben doch bewiesen dass genau das funktioniert, und eine moderne Spielerbasis kann sich doch bestimmt, bei all den Forderungen nach Spielen im Hintergrund des Zweiten Weltkriegs, an Repetierwaffen gewöhnen.

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    Warum nicht dem Support ein aufstellbares Maschinengewehr, zusätzlich zu einer Pistole als Standardausrüstung mitgeben, sodass Positionierung wichtig wird (denken wir an Bastion aus Overwatch)? Warum nicht alleine den Assault mit einer Maschinenpistole ausrüsten? Ich denke der Jubel um das Szenario des Ersten Weltkriegs war auch deshalb so groß, und die Ernüchterung auch deshalb so umfassend, weil doch viele eine Abkehr von automatischen Waffen erwartet haben. Das hat nichts mit neu gewonnener Belesenheit über den Ersten Weltkrieg zu tun, das hat nichts mit einer Forderung nach „Realismus“ zu tun, sondern einerseits – so denke ich – mit einer Müdigkeit gegenüber „Run’n’Gun“ und andererseits mit dem Wunsch nach einer akkuraten Zeichnung des Settings

    Battlefield 3 & 4 haben sich durchaus von dem entfernt, was für mich ein „Battlefield“ ist, trotzdem habe ich sie mit Spaß gespielt. Und ich bezweifle nicht, dass Battlefield 1 Spaß machen kann, aber ich finde es schade, dass DICE das Szenario nicht zuende gedacht hat. Ich will keine Hardcore-Simulation wie ArmA, Verdun oder Red Orchestra, ich will keinen „Realismus“, denn der bedeutet, dass ich im Panzer von jedem Soldaten zu Fuß überholt werde, denn der bedeutet, dass ich mit einer einzigen Kugel in den richtigen Körperteil getötet werde. Auch die Wiederbelebungs-Mechanik gehört für mich zu Battlefield, und auch wenn die Herzdruckmassage und Wiederbelebung erst in den 50ern erfunden wurden und Morphiumspritzen erst im Zweiten Weltkrieg häufig eingesetzt wurden (und sind wir uns ehrlich: Realistisch war es auch nie, dass ein Defibrillator eine Kopfschusswunde heilt), so möchte ich die Wiederbelebung eben auch nicht in Battlefield 1 missen.

    Aber ich glaube nicht, dass das viel beschworene „Battlefield-Gefühl“ auf automatischen Waffen basiert. Ich glaube, dass es genauso mit Repetierwaffen funktionieren würde, und dass ebendiese dem Szenario auch besser täten. Ich halte es aber für falsch, den Wunsch nach Authentizität (und nicht „Realismus“) einfach abzutun und zu behaupten die anderen Teile der Reihe wären ebenso nachlässig damit umgegangen. Natürlich haben sich nie Soldaten auf die Tragflächen eines B-24 Bombers gelegt und damit El Alamein unsicher gemacht. Und natürlich bedient kein Panzerkommandant das Rohr seines Fahrzeugs. Aber die Darstellung, die Präsentation stimmt, und die wird durch eine Überzahl an Automatikwaffen (und wenn drei Viertel der Klassen ebendiese tragen gehe ich von einer Überzahl aus) verfälscht.

    Es mag der Wunsch nach langsameren Schlachten sein, der Wunsch danach, weniger Soldaten zu sehen die um eine Hausecke springen und ihr Magazin entladen – aber es ist natürlich auch der Wunsch danach, dass ich das, was ich sehe, die „Welt“ in der ich spiele auch für glaubwürdig halten kann. Und da hat Battlefield 1 aktuell noch - auch dank Roboterstimme („We’re losing objective Butter“) und generischem UI, das ist allerdings ein Thema für ein anderes Mal – einen Weg vor sich.

    Wozu also die Verteidigung? Warum nicht Kritik üben an diesem Fauxpas, den sich DICE hier gestattet? Brauchen wir Automatikwaffen in Spielen tatsächlich? Ich denke nein. Ich denke wir könnten auch mit Repetierwaffen Spaß haben, denn, das gar nicht so unauthentische, Battlefield 1942 hat bereits bewiesen, dass man auch so Spaß haben kann. Und ich will nicht, nur um der automatischen Waffen willen, diese Authentizität in Battlefield 1 missen.

Kommentare

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  1. Dillex
    Bei der Art von Gameplay hätte ich mir auch lieber den 2. Weltkrieg gewünscht. Künstlerische Freiheit - schön und gut, aber bei dem Setting ist mir das Gameplay zu sehr auf automatische Waffen ausgelegt.
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  2. Meermensch
    Sehr toller Blog, kann mich deiner Meinung 100%ig anschließen. Es ist schade, denn BF1 sieht ansonsten sehr vielversprechend aus. Bis zum Release ist ja noch ein bisschen Zeit und ich hoffe, dass DICE in dem Bereich die Balance noch ändert.
      23 Person(en) gefällt das.
  3. sch@mpus
    Schliese mich deiner Meinung voll an. Ich verstehe auch nicht, warum Dice für dieses Setting als mutig gelobt wird, wenn spielerisch doch letztlich alles beim alten bleibt.
    Das wäre der erste neue Multiplayer-shooter seit langer Zeit für mich gewesen - so bleibe ich wie die letzten 6 Jahre bei Forgotten Hope 2 ...
    p.s. :Das gezeigte Gameplay Video der GS-Redaktion hat mich jetzt komplett abgeschreckt:
    Da rennt wirklich jeder Honk mit einer automatischen Waffe rum; und wozu die supertolle Grafik und zerstörbare Umgebung, wenn das Bild von quitschbunten Icons dominiert wird, die mich komplett aus der Spielwelt raushauen ?
      29 Person(en) gefällt das.
  4. Tsabotavoc
    Sehe ich genauso. Das Setting des Spiels hat mit WK I mal so richtig gar nichts zu tun. Und ich frage mich wozu? Das Spiel gewinnt dadurch nichts.
      43 Person(en) gefällt das.
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