L.A. Noire

Von Black Baron · 12. Juni 2011 · Aktualisiert am 14. Juni 2011 ·
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  1. Dem Autor ist bewusst, dass dieser Blogeintrag eher als Spieletest zu betrachten ist, da L.A. Noire aber bislang konsolenexklusiv ist, ist ein richtiger Lesetest nicht möglich und somit hier als Blog am angebrachtesten.

    Die Stadt der Engel... oder doch das Tal der Finsternis?

    Mögen Sie Krimis? Gefallen Ihnen episodenhafte Erzählungen, die miteinander verflochten sind? Mögen Sie interaktive Filme, wie Heavy Rain oder Fahrenheit? Haben Ihnen die Mafia-Spiele mit ihrem Retro-Flair gefallen? Dann sollte man einen Blick auf L.A. Noire werfen, sofern man eine PS3 oder eine XBox360 sein eigen nennt. Das Spiel erzählt die Geschichte des jungen Polizisten Cole Phelps, der alle Höhen und Tiefen seines Berufs erlebt und nicht nur kleine Fälle löst, sondern auch in wahre Wespen-Nester sticht. L.A. Noire ist ein Gegenentwurf zu den Mafia-Spielen. Und obwohl man die spielerische Abwechslung nicht so groß schreibt wie bei den Mafia-Titeln - von der Action ganz zu schweigen - wird man von der Story förmlich aufgesogen... und damit in eine Stadt mit viel Glanz und Glamour, aber eben auch viel Schall und Rauch und vielen vielen Schatten. Hier regiert nur das Geld und oft auch das Gesetz des Stärkeren.

    Ist das noch ein Spiel?

    L.A. Noire fällt durch mehrere Dinge auf. Erstens: Man spielt einen Polizisten. Bei genauerem Überlegen ist das tatsächlich eine Kuriosität. Ganz besonders in Bezug auf das Szenario der 40er-Jahre. Zweitens: Das Spiel setzt auf eine Technik namens "Motionscan", doch dazu später mehr. Fakt ist: Das Spiel bietet eine schiere Anzahl an unterschiedlichsten Charakteren und präsentiert sich mehr wie ein Film oder eine Serie. Es wird geballert, man fährt mit Autos durch die Gegend, aber da hört die Verwandtschaft zur GTA-Serie (vom gleichen Publisher) und den Mafia-Spielen auf. Das Schießeisen zückt man nämlich bei Weitem nicht so oft und die Fahreinlagen dienen eigentlich nur dazu, um das Großstadtgefühl aufkommen zu lassen. Ansonsten setzt das Spiel vornehmlich auf Dialoge, die meist interaktiv in Form von Vernehmungen und Verhören ablaufen, und auf Ermittlerarbeiten.

    "Detective Phelps, LAPD!"

    Der Protagonist hört auf den Namen Cole Phelps und präsentiert sich zu Beginn als sehr enthussiastischer und ehrgeiziger Streifenpolizist, der sich sehr rasch in den gehobenen Dienst als Detective hocharbeitet. Dass er Kriegsveteran aus dem Pazifikkrieg ist, merkt man eigentlich nur an den Andeutungen und den Rückblenden, denn scheinbar ist er nicht nur körperlich unversehrt aus dem Krieg heimgekehrt. Und er zeigt schnell eine außergewöhnliche Begabung für die Arbeit als Ermittler. Kein Hinweis an Tatorten entgeht ihm, er deckt bei Vernehmungen jede Lüge auf und kitzelt alle Informationen aus den Verdächtigen oder Zeugen heraus. Mit Köpfchen, nicht mit Gewalt. Aber wenn erforderlich liefert er sich Feuergefechte mit Ladenräubern, verfolgt Tatverdächtige mit beeindruckender Hartnäckigkeit und Athletik per Pedes und verpasst auch bulligen Schlägern mit Leichtigkeit einen finalen Kinnhaken. Scheinbar ist der Mann ohne Makel, aber im Laufe des Spiels zeigt sich, dass er nicht umsonst den Ehrgeiz hat ein perfekter Polizist zu sein. Trotzdem beeindruckt er seine Kollegen und Vorgesetzten immer wieder mit seiner unbeirrbaren Integrität als Polizist und Person. Um so größer fallen aber auch Enttäuschungen aus, wenn Phelps mal daneben tritt.

    Das Spiel

    Wie schon eingangs erwähnt handelt es sich beim neuen Titel von Rockstar eher um ein Detektivspiel, als um ein Action-Abenteuer. Mafia z.B. hat das gleiche Szenario, ist aber eher ein Shooter, was natürlich auch viel mehr zur Handlung und der Tatsache passt, dass man einen Mafioso steuert. In L.A. Noire stellt jedoch das Sammeln von Hin- und Beweisen den Kern des Spiels dar. Man durchforstet Tatorte oder Büros und Behausungen von Tatverdächtigen bzw. Opfern, untersucht Leichen auf Spuren. Dabei ist das Notizbuch die wichtigste Waffe des Protagonisten. Hier werden alle gewonnenen Erkenntnisse notiert, Zielorte für die Karte angewählt und Fragen an zu vernehmende Personen formuliert. Der Ablauf ist zwar prinzipiell ständig gleich, aber durch die vielen verschiedenen Persönlichkeiten und Schicksale, auf die Phelps im Laufe der Zeit trifft, hat man nie das Gefühl der Routine. Man hat eher das Gefühl echte Ermittlungsarbeit zu leisten. Wenn Phelps einen Tatort absucht und sich interessanten Gegenständen nähert, ertönt verräterisches Klaviergeklimper, welches sich gut in die Hintergrundmusik einfügt. Anschließend kann man das/die Objekt(e) näher begutachten. Lässt sich ein Gegenstand näher untersuchen muss man diesen per Analogstick herumdrehen, bis der Controller zu vibrieren beginnt, womit angezeigt wird, dass hier ein Hinweis zu finden ist, z.B. eine aufgedruckte Schrift oder ein Geheimfach. Phelps gibt anschließend Kommentare zu den gefundenen Hinweisen von sich und es wird eine entsprechende Notiz im Büchlein angelegt. Wenn Phelps alle wichtigen Hinweise am Untersuchungsort gefunden hat, ertönt ein kurzer Jingle. Dann gilt es entweder Personen zu vernehmen oder zum nächsten Untersuchungsort zu fahren, oder zu einem Ort, der aus gefundenen Hinweisen hervorgeht.

    Das Theater mit den Vernehmungen

    Die Vernehmungen bilden zusammen mit den Untersuchungen das Kernstück und zugleich den interessantesten Aspekt des Spiels. Hier hat der Spieler die Aufgabe Eine Liste mit Fragen abzuarbeiten, wobei die Vernehmungen sehr glaubhaft inszeniert werden, dank der Motionscan-Technik. Dabei steckt in diesem Feature wohl der größte Aufwand an diesem Spiel. Mit dieser Technik wurden mit Hilfe von Greenscreen-Technik die Gesichter von echten Schauspielern durch 32 Kameras von allen Seiten aufgezeichnet und in 3D-Modelle umgewandelt, die man anschließend auf per Motion-Capturing animierte 3D-Körper "kopiert" hat. Das Resultat: Lebensechte Mimik mit passender und glaubwürdiger Körpersprache. Die Liste der Schauspieler ist darüber hinaus imposant, nicht nur in der großen Anzahl, die dabei auch die Riege an Sprechern mehrerer anderer Spiele leicht überbietet. Man sieht einige bekannte Gesichter, wie z.B. John Noble (Herr der Ringe) oder Keith Szarabajka (The Dark Knight), viele davon bekannt aus kleineren Film- und Serien-Rollen. Es wurden also keine Laiendarsteller engagiert, sondern richtige Schauspieler, selbst bei den kleinsten Rollen. Man fühlt sich manchmal, als würde man eine Serie von HBO nachspielen, so professionell sieht das Ganze aus.
    Wahrheit oder nicht?!?

    Doch dieses derzeit einzigartige Feature findet auch spielerisch Verwendung: Wenn Phelps eine Frage stellt, kann der Spieler nach der Antwort des Befragten an dessen Gesichtsausdruck erkennen, ob er die Wahrheit sagt, oder ob er lügt bzw. Informationen zurückhält. Der Spieler muss dann entscheiden, ob er nachhaken will oder das Gesagte für bare Münze nimmt. Hierfür gibt es drei Optionen: Wahrheit, Anzweifeln, Lüge. Ersteres bringt die Vernehmung am schnellsten weiter. Ob jemand die Wahrheit sagt erkennt man, wenn der Vernommene Phelps nach einer Aussage unverwandt in die Augen blickt und keine nervösen Regungen im Gesicht zeigt. Wenn jemand aber ausweichend antwortet, blickt er nervös in der Gegend herum, meidet Augenkontakt und kaut beispielsweise nervös auf den Lippen herum. Phelps kann dann die Aussage anzweifeln und den Befragten beispielsweise mit Drohungen oder Beschwichtigungen bedrängen. Wenn der Befragte hingegen eine scheinbar sehr selbstsichere Antwort gibt und danach einen selbstgefälligen, fast höhnischen Gesichtsausdruck zeigt, dann beginnt der schwierigste Part: Man muss den Befragten der Lüge bezichtigen und dies anschließend mit handfesten Beweisen untermauern, um doch noch an die gewünschte Information zu gelangen. Auch hier ist wieder das Notizbuch die alles entscheidende Stütze, denn nur wer alle relevanten Hinweise zu einem Verbrechen gesammelt hat, ist auch ausreichend für diese Situationen gewappnet. Anschließend muss der Spieler aus den mitunter zahlreichen Hinweisen und Aussagen anderer Personen den Lügner entlarven und in die Ecke drängen, was manchmal leicht sein kann, manchmal aber auch sehr schwierig. Man muss nämlich bei den Vernehmungen sehr aufmerksam zu hören und auch schon bei Phelp's Kommentaren bei der Tatortsichtung wichtige Punkte im Hinterkopf behalten. Nur auf diese Art lassen sich die Fälle lösen und stichhaltige Verhaftungen durchführen, was die eigentliche Faszination des Spiels ausmacht.

    Allwissenheit, ein Segen? Oder harte Ermittlungsarbeit?

    Man gewinnt nicht durch den schnellsten Abzugsfinger oder das größte Geschick am Lenkrad, sondern durch aufmerksames Zuhören und Kombinationsfähigkeit. Dabei ist das Spiel nie unfair. Manchmal sehr fordernd, aber nie unlösbar, es sei denn man hat zu wenig Hinweise gefunden. Dann sind Vernehmungen aber ohnehin sehr kurz und kaum aufschlussreich. Trotzdem bietet das Spiel eine Hilfefunktion, die schlicht "Intuition" genannt wird. Insgesamt kann der Spieler 5 Intuitionspunkte ansammeln, die er durch zunehmende Erfahrung gewinnt. Jeder abgeschlossene Fall und jeder Durchbruch bei der Suche nach Beweisen wird mit Erfahrungspunkten belohnt, ebenso das Erfüllen von Nebenmissionen. Bei ausreichend Punkten steigt Phelps im Rang und bekommt entweder ein neues Outfit oder einen Intuitionspunkt. Wenn man in einer Vernehmung fest hängt und sich keinen Reim auf eine Aussage machen kann oder sich nicht sicher ist, ob die vernommene Person lügt oder Informationen zurückhält, oder wenn man trotz intensiver Suche nicht alle wichtigen Hinweise an einem Tatort findet, dann kann man über das Notizbuch verschiedene Intuitionsoptionen abrufen. Bei der Spurensuche ist die Hilfe schlicht eine Anzeige aller Hinweise auf der Minikarte, bei den Vernehmungen hat man zwei Optionen: Eine der beiden falschen Optionen wird gestrichen, ebenso alle nichtrelevanten Notizen - was auch die Kombination der Zusammenhänge erleichtert. Oder, wenn man Teil des Rockstar Social Networks ist, man kann sich anzeigen lassen, wie der prozentuale Anteil der gewählten Optionen bei der Spielerschaft ist. Dabei wird vor Wahl der Option schon ersichtlich, wie viele Spieler in Prozent nach Einsatz eines Intuitionspunktes die richtige Wahl getroffen haben. Diese Hilfefunktionen sind also mehr als Stubser in die richtige Richtung zu verstehen, man hat anschließend nach wie vor die Qual der Wahl. Zumal sich in einer Befragung pro Frage diese Option nur einmal anwählen lässt, man kann also nicht so lange Intuitionspunkte investieren, bis nur noch die richtige Dialogauswahl vorhanden ist.

    Schießeisen und Flitzer

    Eher aufgesetzt wirken die Open-World-Elemente. Außer einigen Sehenswürdigkeiten der Stadt Los Angeles, den Polizeiwachen und den Tatorten bzw. Wohnungen involvierter Personen gibt es nämlich keine betretbaren Gebäude. Auch gibt es keine verschiedenen Händler in der Stadt, wie z.B. in GTA. Generell sieht man Geld eigentlich nur als Tatort-Funde oder Aufstellung verursachter Schäden in einer Statistik, die nach jedem abgeschlossenen Fall den Spieler über dessen Erfolgsquote informiert. Ansonsten spielt Währung überhaupt keine Rolle. Das mag den GTA-Fan stören, stört aber dennoch nicht die Atmosphäre und deren Glaubwürdigkeit. Warum sollte Phelps als Polizist auch irgendwelche Anwesen, Klamotten, Autos oder Waffen kaufen? Sein Haus bekommt man nur ein einziges Mal ganz kurz von außen zu sehen, das Outfit spielt eine untergeordnete Rolle, da er als Polizist ohnehin meist nen Dienstanzug trägt. Und Autos und Waffen stellt die Polizei. Mit dem Outfit kann man zwar die Effektivität mancher Waffen steigern oder Phelps widerstandsfähiger machen, die meisten Spieler dürften ihre Auswahl aber eher wegen der Optik treffen. Denn Stil haben die meisten Garderoben tatsächlich und neben den typischen Zivil-Bullen-Anzügen jener Zeit kann man auch etwas klischeehafter ohne Jackett und nur mit Hemd plus Kravatte, Weste und Pistolenhalfter umher stolzieren. Wer sich also voll auf die Story konzentrieren möchte, der muss sich nicht mit der Gegenstandsjagd wie in GTA und Co. beschäftigen. Falls man aber genau das vermisst, dann sollte man L.A. Noire wahrscheinlich eher meiden. Ähnliches gilt auch für die Autofahrten: Die Fahrphysik ist zwar gelungen und vermittelt trotz Arcadelastigkeit immer noch ein glaubhaftes Gefühl für die Autos der 40er-Jahre - also eher langsam, träge und nicht sonderlich agil in den Kurven. Es gibt aber abgesehen von den Verfolgungsjagden keine Renneinlagen oder Ähnliches, genauso werden auch Spieler mit Faible für Stunteinlagen und damit einhergehenden Belohnungen nicht fündig. Aber dafür sind die Verfolgungsjagden spitze inszeniert, da einige Umgebungsobjekte dabei physikalisch korrekt das Zeitliche segnen und die Autos auch ein halbwegs glaubhaftes Schadensmodell haben: In einer Verfolgung rast ein Flüchtiger z.B. eine hohe und steile Böschung hinab und stürzt mindestens 15 Meter in die Tiefe, wobei der Wagen zuvor eine leichte Erhöhung nimmt und so fast waagrecht auf der unten gelegenen Kreuzung aufsetzt. Der Autor dieses Blogs ist zwar wie ein Lemming hinterher gerast - der Bremsweg dieser Autos ist nunmal sehr lang - musste aber über das anschließende Bild lachen: Bei beiden Autos waren die Achsen gebrochen und die Räder lagen neben den Wägen, als würden die Autos wie schlappe Hunde bäuchlings die Beine wegstrecken. Insgesamt kommt hier eine tolle Gangsterfilm-Atmosphäre auf, zumal die Autos originalgetreu modelliert wurden und Beifahrer sich wagemutig aus den Fenstern lehnen, um auf Verfolger oder Verfolgte zu schießen. Auch die Stadt selbst trägt enorm zur Atmosphäre bei, auch wenn wie erwähnt fast alles nur Fassade ist. Laut Entwickleraussage wurde die Innenstadt zu über 90% originalgetreu nach dem damaligen Zustand nachgebaut. Die Hetzereien machen also sehr viel Spaß. Obendrein ist auch einiges los, dichter Straßenverkehr erfordert aufmerksames fahren und auch viele Passanten lassen die Stadt lebendig wirken.

    "Fritz, bist du da?!?"

    Die Feuergefechte sind zwar optisch und akustisch stilecht geraten, aber spielerisch keine Herausforderung, höchstens wenn die Steuerung mal nicht so will wie der Spieler. Man sucht sich Deckung, wartet auf einen günstigen Moment, zielt und schießt. Dabei stellen sich die Gegner manchmal sehr dumm an, kauern zwar hinter Deckung, wenden dem Protagonisten dabei aber gerne mal den Rücken zu oder ziehen die Köpfe nicht weit genug ein. Auch sind sie keine annähernd so guten Schützen wie Phelps, der dank - abschaltbarer - Zielhilfe meist sehr sicher ins Schwarze trifft, auch über größere Entfernungen, genau wie in Red Dead Redemption, wobei es keine Zeitlupenfunktion gibt – die wäre aber auch gar nicht von Nöten. Freilich kann man jetzt sagen "Naja, Phelps war ja Soldat, deshalb ist er mit Schießeisen so überlegen", aber dennoch ist dieser Teil des Spiels recht anspruchslos geraten. Auf der anderen Seite kann das Deckungs- und Kamerasystem Probleme bereiten, wenn man dank schlechter Perspektive z.B. die gewünschte Deckung nicht ganz erreicht. Oder man lehnt sich unabsichtlich an einen nahegelegenen Schreibtisch und ist damit mitten im Schussfeld, anstatt sich wie gewünscht an eine Mauer direkt gegenüber - und zwischen Feind und Phelps - zu drücken. Hier hat der Entwickler anscheinend die Absicht verfolgt den Spielern, die eher an die Story und die Detektiv-Einlagen interessiert sind, eher eine Abwechslung als eine Herausforderung zu bieten. Das zeigt sich auch daran, dass man nach ein paar Mal Scheitern bei solchen Actionsequenzen (auch bei Verfolgungsjadgen) diese überspringen kann, ohne dabei den Storyverlauf zu gefährden. Ich finde das in Ordnung, denn dadurch kann man sich selbst entscheiden, ob man eine solche Sequenz doch erfolgreich abschließen will oder bei zu viel Frust überspringen möchte. Damit ist der Schwierigkeitsgrad sehr variabel vom Spieler beeinflussbar. Und obwohl die Ballereien manchmal an sehr toll designten Schauplätzen stattfinden, z.B. im Stattarchiv mit dem omnipräsenten und spiegelglatt polierten Marmor, sie sind für geübte Spieler viel zu einfach. Selbst ohne Zielhilfe, denn Munition ist nie ein Problem. Phelps kann Gewehre nutzen, deren Munition ausgeht, aber seiner Dienstwaffe geht sie nie aus. Und wenn man doch mal Treffer kassiert - erkennbar daran, dass dem Bild immer mehr Farbe verloren geht und der Herzschlag hörbar wird - muss man nur ausreichend lang aus der Schussline bleiben und regeneriert sich wieder. Ganz wie heuzutage in Shootern üblich. Selbst das Deckungssystem erfordert kein taktisches Vorgehen, da es kaum Möglichkeiten zum Flankieren gibt und es viel einfacher ist zu warten, bis ein Gegner so dumm ist den Kopf herauszustrecken. "Fritz?!?" "Ja?" "Bist du da!?!" "Ja, hier bin ich!" PENG.

    Cole „The Stalion“ Phelps

    Wie auch mehrere andere Titel, so beschränkt sich auch L.A. Noir nicht nur aufs Schießen. Manchmal muss sich Phelps auch mit bloßen Fäusten wehren. Das passt aber auch besser, denn nicht jeder Tatverdächtige greift unbedingt gleich zu tödlichen Waffen. Dabei sind aber auch diese Nahkampfeinlagen nur wenig anspruchsvoll, sehen aber typisch 40er-Jahre-Krimimäßig aus, da damals jeder Kerl so tat als könne er boxen. Also Fäuste hoch und Ring frei. Man visiert den Gegner an, landet schnelle Haken, die geblockt werden können oder denen man durch Ausweichen entgeht und anschließend einen Magenschwinger als Konter landet. Hat man den Gegner ein wenig lädiert, kann man ihn mit einem Tastendruck am Kragen packen und per Kopfstoß zu Boden schicken. Zähere Gegner stehen danach meistens wieder auf und lassen sich entweder auf gleiche Weise erneut zu Boden schicken oder mit einem finalen Kinnhaken ins Land der Träume schicken. Das Ganze hat also nichts mit den akrobatischen kampfsportgeschwängerten Prügeleien in Filmen/Spielen moderner Szenarien zu tun, ist aber dennoch glaubwürdig genug und Stilecht. Allerdings kann man keine Nahkampfwaffen verwenden, wobei man grade in einem solchen Spiel erwarten würde, dass die Dichte an Springmessern und Baseballschlägern relativ hoch sein müsste.

    Die Story

    Ohne ins Detail zu gehen und Teile der Story zu spoilern, versuche ich nur in etwa die Struktur und die Atmosphäre zu beschreiben. Weiterlesen ist also ohne Risiko, keine Angst. Wie schon eingangs erwähnt präsentiert sich L.A. Noire episodenhaft, wie eine Serie. Manchmal werden Brücken zwischen einzelnen Fällen geschlagen, manche gehören auch zur gesamten Story. Allerdings gibt es an sich keine Hauptstory mit einem einzelnen Antagonisten oder etwas derartiges. Es gibt zwar ein aufklärendes Ende, die genauen Zusammenhänge erschließen sich aber wirklich erst am Schluss. Bis dahin wirkt L.A. Noire eben wie eine Serie, in der man manchmal über mehrere Folgen hinweg einem Handlungsbogen folgt und danach wieder neue Geschichten erzählt. Das ist insofern sehr angenehm, weil das Spiel dadurch umfangreicher wirkt, als es ist (ca. 20 Stunden Spielzeit), aber vor allem auch abwechslungsreicher. Denn Phelps bleibt nicht nur bei einem einzelnen Dezernat tätig, sondern wird immer wieder befördert und versetzt. Mal ist er als Detektive des Verkehrsdezernats tätig und mit der Suche gestohlener Fahrzeuge beauftragt, dann arbeitet er im Morddezernat und geht vollends in seinem Talent als Ermittler auf, genau wie auch beim Sittendezernat, dass mit Drogendelikten (inkl. Morden im Milieu) und Betrugsfällen befasst. Jedesmal wird ihm ein anderer Partner zur Seite gestellt, die unterschiedlich auf Phelps reagieren und durch Ansprechen kleine Hinweise zum weiteren Vorgehen geben – dem man aber nicht immer folgen muss und auch nicht sollte. Es kommt Polizeiatmosphäre auf, wie man sie aus einschlägigen Krimiserien kennt, eine der ganz großen Stärken des Spiels. Weitere Storyelemente sind Rückblenden mit Erinnerungen an den Pazifikkrieg, die immer nach einem abgeschlossenen Fall zu sehen sind und zunächst keinen Bezug zum Spiel an sich haben, aber nach und nach Phelps als Menschen besser verständlich machen und auch die Reaktionen mancher ehemaliger Kameraden erklärt, auf die Phelps ab und an mal stößt. Und eine dritte Variante sind Story-Szenen, die man freischaltet, in dem man insgesamt 13 Zeitungen im Spiel findet - schwer zu verfehlen an wichtigen Tatorten oder Ermittlungszielorten. Dabei zeigt das Spiel Gespräche von scheinbar unbeteiligten Personen, auf die man aber im Verlauf eventuell trifft. Ähnlich wie bei den Rückblenden fügen sie sich erst gegen Ende zu einem Gesamtbild zusammen, wie in einem Roman, in dem der Autor zwischen den Kapiteln die Perspektive des Protagonisten verlässt und dem Leser kurze Einblicke in scheinbar zusammenhangslose Ereignisse außerhalb der Wahrnehmung des Helden bietet. Überhaupt hat das Spiel auf jeden Fall die Klasse eines guten Krimi-Romans bzw. Thrillers, wirkt dabei aber nie aufgesetzt oder zu klischeehaft. Und bietet zu dem einen interessanten Einblick, wie es damals in L.A. vielleicht wirklich zugegangen sein könnte… dabei handelt es sich hier um ein grundsätzlich sehr lakonisches Spiegelbild der Realität. Ein paar Fälle basieren auf wahren Verbrechen jener Zeit, z.B. wird der sogenannte "Black Dhalia Mord" in abgeänderter Form verarbeitet.

    Die Technik

    Das Spiel versucht alles aus der PS3 und der XBox360 herauszukitzeln, dies gelingt aber nur in Teilen. Die Fahrten in der Stadt wirken z.B. nicht so schön wie in GTA IV, weil viele Objekte erst sehr spät ins Bild ploppen. Die generelle Sichtweite ist zwar sehr hoch, wodurch man zumindest großteils von auffällig aufploppenden größeren Gebäuden verschont bleibt, aber die dynamische Regulierung der Detailsichtweite ist nicht so gelungen wie in GTA IV oder auch Red Dead Redemption. Weiterhin sind einige Texturen verwaschen und auch die Gesichter wirken trotz der revolutionären Technik grundsätzlich "unscharf". Für Bartstoppel, kleine Muttermale, Fältchen oder sichtbare Poren, wie schon länger in anderen Titeln zu sehen, reicht der Detailgrad nicht aus, woran man erkennt, dass man Kompromisse bei der Technik eingehen musste. Am PC wäre das Resultat mit Sicherheit bei der aktuellen Technik spektakulär ausgefallen. Die Grundsätzliche grafische Qualität kann man aber als ordentlich bis gut bezeichnen, denn die Fahrzeuge sehen top aus und auch bei den Innenräumen hat man sich einige Mühe gegeben. Auch die Kleidung wirkt detailreich und hält Nahaufnahmen stand, man erkennt dann Feinheiten der Stoffstrukturen. Hinzu kommt eine tolle Beleuchtung, hinter der ebenfalls eine neuere Technik steckt, die sogenannte Echtzeitbeleuchtung, die – soweit ich weiß - auf Raytracing basiert und dazu führt, dass korrekte Schattenwürfe auf Objekten zu sehen sind. So wirken vor allem Falten in Kleidungsstücken sehr plastisch. Dennoch wirkt die Grafik insgesamt angestaubt und eher auf dem Niveau von vor zwei bis drei Jahren.

    Der Sound ist ebenfalls von leicht schwankender Qualität. Während die Musik sehr dynamisch und gut rüber kommt, wie es ein Filmscore eben sollte, so wirken die Sprachaufnahmen qualitativ rückständig - offenkundig musste Datenplatz eingespart werden, trotz dreier Discs bei der XBox-Version - und manche Soundeffekte wirken sogar qualitativ wie aus einem alten Spiel der DOS-Ära des PCs - ein Extremfall, der nur selten so wahr zu nehmen ist, aber auffällig sein kann. Auch hier drängt sich die Frage auf, ob eine PC-Version mit Bluray-Unterstützung und damit ausreichend Datenplatz nicht mehr Möglichkeiten bieten würde... wie diese schwankende Qualität bei der PS3-Version ausfällt weiß ich allerdings nicht. Atmosphärisch ist der Sound aber allemal, vor allem in musikalischer Hinsicht. Während der Autofahrten kann man abwechselnd zur dramatischen Musik bei Story-Höhepunkten auch Radiohits von damals hören, die zwar hörbar aufgemöbelt wurden, aber trotzdem angenehm "oldschoolig" rüber kommen und somit die Immersion deutlich steigern.

    Vertonung und schauspielerische Leistung

    Gleich vorweg: Wie alle Rockstarspiele ist auch L.A. Noire nur auf Englisch vertont und mit deutschen Untertiteln versehen. Aber noch mehr als bei den letzten beiden Spielen dient dies der Atmosphäre und der realistischen Darstellung der Charaktere, da die Darsteller beim Sprechen der Dialoge gleichzeitig gefilmt wurden und somit alles absolut Lippensynchron ist. Man hat oft das Gefühl einen US-Film oder eine US-Serie im O-Ton zu sehen. Dabei haben sich die Schauspieler viel Mühe gegeben ihre Mimik an das Gesagte anzupassen und es wurde sogar darauf geachtet, dass angesprochene Charaktere beispielsweise die Augen verdrehen oder genervte Gesichtsausdrücke aufsetzen, wenn ein anderer Charakter spricht. Und das obwohl jeder Darsteller komplett allein vor - oder besser zwischen - den vielen Kameras saß, wie bei einem Film, in dem ein Schauspieler mit nachträglich per CGI eingefügten Charakteren sprechen muss. Dabei haben die Macher und die Darsteller den großen Vorteil genossen, dass Letztere ihre Köpfe nur wenig bewegen mussten und man per Programmierung die korrekte Ausrichtung der Gesichter von Hand vornehmen konnte. Somit blicken sich alle Beteiligten tatsächlich gegenseitig an, obwohl die Darsteller wie erwähnt eigentlich ins Leere blicken mussten. Auch hier ist wieder der große Aufwand zu sehen, der auch die lange Entwicklungszeit (über 4 Jahre) rechtfertigt. Und obwohl die Darsteller grundsätzlich „larger than Life“ spielen – das fällt vor allem bei manchen leicht übertriebenen Gesichtsausdrücken in den Verhören auf – bleibt das Ganze mindestens so glaubwürdig wie bei einer guten Serie und man hat das Schauspiel erfolgreich als Spielelement eingefügt. Sollte L.A. Noire bei manchen Kritikern vielleicht aus spielerischer Sicht zu seicht sein, so dürfte es aber dennoch wegen dieses Aspektes Videospielgeschichte schreiben.

    Fazit

    Insgesamt gut gelungen, aber man merkt einfach, dass es für Spiele mit diesem Detailgrad allmählich Zeit wird, dass leistungsfähigere Plattformen her müssen... wie schon ein paar Mal erwähnt, eine PC-Version mit entsprechender Ausreizung der aktuellen Hardware würde L.A. Noire mit Sicherheit zu einem weit über Spielerkreise hinaus beeindruckenden Phänomen werden lassen. Trotzdem hat Team Bondi (Entwickler) hervorragende Arbeit geleistet, weil alles schlüssig wirkt und wirklich viel Liebe zum Detail im Spiel steckt, wie bei eigentlich jedem Rockstar-Titel. Und auch wenn der spielerische Anspruch bei den Fahrzeug- und vor allem Ballereinlagen eher recht gering ist, sie dienen der Atmosphäre. Dieses Spiel ist eben nicht für Spieler gedacht, die sich gerne in Sandbox-Spielen austoben oder spielerisch hohen Anspruch erwarten, sondern für jene, die an komplexen Geschichten interessiert sind und gerne dabei gefordert werden, wenn es darum geht die Geschichte selbst vorranzutreiben und zu beeinflussen. Damit ist L.A. Noire eine exzellente Alternative zu einem Spielfilm-Abend und läd obendrein sogar dazu ein, dass man das Ganze nicht nur alleine am Bildschirm verfolgt. Denn auch wenn kein Multiplayer geboten wird, gemeinsam über Beweisen bei Vernehmungen zu brüten hat sicherlich seinen Reiz. L.A. Noire ist zudem ein ganz großer Beleg dafür, dass Videospiele sich auch als Hobby für Erwachsene etabliert haben, denn Kinder und Jugendliche dürften nur wenig Interesse an einem so verkopften Spiel mit so viel „Blabla“ haben. Also eine dringende Kaufempfehlung an Alle, die eine erwachsene Story in einem realistischen Szenario wollen.

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