Machen Spiele aggressiv?
Mein Ergebnis vorweg:
Auf jeden Fall tun sie das!
Eigentlich sogar regelmässig!
Mich zumindest.
Doch eins nach dem anderen:
Zig Studien hat es zu dieser gesellschaftlich so relevanten Frage schon gegeben, zig weitere sind zu erwarten.
Ich bin kein Soziologe, kein Psychologe (obwohl ich das fast geworden wäre) und schon gar kein wissenschaftliches Institut.
Empirische Mittel der Veri- und Falsifikation auf quantitativ hinreichender Basis repräsentativer Auswahlen stehen mir also nicht zur Verfügung.
Doch ich bin ein Spieler.
Hoffentlich nicht, wie der bei Dostojewski, aber doch eben ein Zocker.
Und das schon seit zig Jahren.
Also berichte ich mal, aus ureigenen Erfahrungen:
"Nein, verdammt nochmal, doch jetzt nicht das!
Aargh, das kann doch nicht sein, verfluchter Mist!
Moment, vielleicht kriege ich es noch hin...
(Pause)
War ja klar!
Das war mal wieder sooo klar!
So kurz vor Schluß, so ein Shit!!
Dreck nochmal, FU!
Ach, leck mich doch!"
Frage an den Leser:
Was glauben Sie, welches Spiel der Autor dieses Blogs gespielt hat, das solche, recht unschönen Reaktionen in ihm hervorrief?
Worauf tippen Sie?
Einen ultra-brutalen Shooter?
Ein zensiertes US-Spiel, das hierzulande nur unter dem Landentisch gehandelt wird und erst ab dem Rentenalter freigegeben wurde?
Ein bösartiges, von Ausserirdischen produziertes RPG, um den Planeten Erde widerstandslos übernehmen zu können, nachdem sich die Menschen gegenseitig umgebracht haben aufgrund der Aggressionserzeugung durch ebendieses?
Antwort:
Nein! Falsch!
Von Tetris ist hier die Rede
Klarer Fall eines Killerspiels.
Ich war seinerzeit kurz davor meinen eigenen Rekord zu brechen, als nur noch Teile angeflogen kamen, mit denen ich nichts anfangen konnte.
Die Plattform war ein Gameboy, das Jahr 1992, mein Alter damals war 18, die Altersfreigabe ... öhm .... muss ich raten:
ab sechs?
Ein weiteres Beispiel:
"Warum machst du das?
Das hättest du nicht tun müssen!
Du hättest genauso gut die andere Figur nutzen können, um eine mehr drin zu haben.
Das hast du absichtlich gemacht, stimmt's?
Na warte, Freundchen, du wirst noch dein blaues Wunder erleben, das zahl ich dir heim!"
Na, erraten, worum es geht?
Ich gebe mal einen Tip: es handelt sich NICHT um Counter-Strike und auch Doom ist kalt, sehr kalt, die Antarktis wäre wärmer.
Das Spiel nennt sich ironischerweise "Mensch ärgere Dich Nicht", ist ein Brettspiel, ein uralter Klassiker.
Die Plattform war ein Wohnzimmertisch, das Jahr war 1985, mein Alter damals war 11, mein Kontrahent war mein siebenjähriger Bruder, der mir eine Figur vom Brett fegte, statt eine andere in eines der freien Zielfelder zu führen.
Altersfreigabe: muss ich wieder raten, tippe abermals auf sechs, vielleicht acht oder zwölf.
Wobei spätere Partien mit meinem Vater nicht anders aussahen, da konnte ich keine Änderung aufgrund des höheren Alters feststellen.
Ein letztes Beispiel:
"Ja, ist er denn bescheuert?
Mann, das gibt's doch nicht, er sieht doch meinen Balken.
Sieht doch, dass der leer ist und ich auf dem Boden sitze und noch trinke!
Das ist jetzt schon das zigste Mal, ich habe bald keine Lust mehr, gedenke echt die Gruppe zu verlassen.
Ich hab's noch extra geschrieben, ist keine fünf Sekunden her.
Dass ich OOM bin.
Ein Blick auf meinen Balken hätte schon gereicht. Ater Falter, wie kann man nur so doof sein?
(Mana-Trank genommen, Adds am Hintern, DDs greifen wahlfrei irgendwelche Ziele an, Tank hilft mir nicht, Mana bei 200, bei 100, Null, nächster Trank und Mana-Schmuckstück hat Cooldown, Verzweiflung kommt auf)
Super, jetzt hat er noch eine zweite Gruppe gepullt - und jau! - jetzt schreit er "Heal, Heal!".
Verdammt, wie ich diese Schnellspritzer hasse: halten sich für sonstwas, sind allesamt im Kindergarten-Alter hängen geblieben. Absolut keine Ahnung von Taktik, "Go Go Go"-Mentalität, die sie auch noch für das Maß aller Dinge halten. Nicht lernfähige, blöde Vollidioten, zu dämlich um eins und eins zusammen zu zählen!
Jo, prima, Wipe.
Ja selbstverständlich, war klar, der Heiler ist es jetzt natürlich gewesen.
"Warum haste nicht geheilt?", fragt der Spinner auch noch!
Ja, warum wohl, mein Freund - vielleicht weil Heilung ohne Mana nicht ganz so trivial ist?
Könnte doch sein, oder?!"
Ich glaube, hierbei muss ich keine Tipps geben, worum es sich handeln könnte, also löse ich gleich auf:
Das Spiel nennt sich World of Warcraft, ist ein MMORPG, das Jahr war 2005, mein Alter damals 31, ich spielte einen Heiler in einer, sagen wir, nicht ganz so geglückten Gruppe, was Teamplay oder Taktik angeht.
Der Tank neigte dazu einfach durch zu "rushen", also ohne Rücksicht auf Verluste vorwärts zu preschen, wobei er jeden der eigenen (und auch zahlreichen) Tode stets den anderen in die Schuhe schob.
Situation wie diese (oder ähnliche) kennen wohl eine ganze Menge MMO-Spieler nur allzu gut. Da bin ich sicher keine Ausnahme.
Die Plattform war ein PC, die Altersfreigabe 12.
Und um jeden Zweifel zu beseitigen:
WoW hat mir eine Menge Spaß gemacht!
Aber es hat mich eben auch zweitweise regelrecht zur Weissglut gebracht, genauer: Verhaltensweisen bestimmter anderer Spieler, der Begriff "Aggression" ist ein klares Understatement.
Und?
Ist dies alles nun so verwunderlich?
Ich halte es für völlig normal.
Ja, geradezu für zwingend logisch:
Spiele sind manchmal eine Simulation der Realität, meistens jedoch eine Sache für sich, die mit Realitäten so gar nichts gemein hat.
Sie abstrahieren jedoch realitätsähnliche Vorgänge und isolieren mittels eines Mediums (Brett, Computer, Sportplatz, ...) zumeist den kompetitiven Faktor darin, fokussieren sich also auf den Wettbewerb als solchen.
Wer bricht den Highscore?
Wer wird Gewinner, wer wird Verlierer?
Auf gut Deutsch:
Wer geht wem auf die Ei...Nerven
Sie bedienen sich dabei all derselben mentalen Mechanismen und emotionalen Umstände, die wir auch im Alltag kennen, die unser Leben als Menschen ausmachen, ob wir dies wünschen oder nicht:
Intrigen und Loyalitäten, Zweckbündnisse und Überzeugungen, Verrat und Ehre, Trauer und Freude, Niederlage und Triumph, Können und Versagen, Erfolg und Enttäuschung, Überheblichkeit und Bescheidenheit, Liebe und Haß, Verwzeiflung und Mut, Zorn und Güte, Würde und Gehässigkeit, Intelligenz und Dummheit, Freude und Qual.
Zahllose weitere Begriffspaare fänden hier Platz.
Ergo zeigen sich auch in Spielen dieselben sozialen und gruppendynamischen Muster, die man auch aus dem realen Leben her kennt:
Der kann nicht mit dem, der mag die, also lässt er ihr alles durchgehen, der ist neidisch auf den wegen XY, der wäre mal gerne Z in seinem Leben, der ist hilflos und wird Häme durch andere ausgesetzt, der hält sich für den Größten und benimmt sich entsprechend (schlecht) - was einigen imponiert und andere abartig finden - und so weiter und so fort.
Einzig der Spieler darin bleibt stets die alleinige Konstante.
Ist der Spieler also leicht zu ärgern, wird er sich auch leicht ärgern lassen.
Ich gehöre zum Beispiel zu dieser Kategorie, leider, muss ich dazu sagen .
Neigt der Spieler zu Aggressionsausbrüchen, werden diese an entsprechenden Stellen auch geschehen.
Ist er impulsiv von Natur aus, werden ihn entsprechende Situationen im Spiel möglicherweise ausrasten lassen.
Doch nicht nur im Spiel:
Windows kann einen ausrasten lassen, Word ist dazu imstande, Excel ein wahrer Meister darin, Ämter sind dafür geradezu prädestiniert, Verwandte, Weihnachten, der Chef, die politische Lage, das Wetter, das Gesicht des Nachbarn, die GEZ-Gebühren, rote Ampeln, der Schlüssel, der in den Gulli fiel, die Hundescheisse, in die man morgens trat, ...
Unzählige Dinge im Leben können einen so richtig schön auf Palme bringen.
Das Leben kann also aggressiv machen - und der eigene Tod erst (falls es ein Danach gibt)!
Was daran also so studierwürdig ist, entzieht sich mir.
Da könnte man auch eine Studie betreiben, die erforschen will, ob Nahrungsaufnahme unter Umständen satt macht, wenn man vorher hungrig war.
Oder ob sich das Springen aus einem Flugzeug ohne einen Fallschirm eventuell gesundheitsgefährdend auswirken könnte.
(An dieser Stelle fällt mir eine Anekdote ein, die zwar keinerlei Bezug zum Blog hat, ich aber dennoch lustig finde:
Mein Ausbilder bei der Bundeswehr, ein Jäger-Feldwebel, hatte mal Folgendes über einen Hilfsausbilder und Offiziersanwärter gesagt, der zu den Fallschirmjägern gehörte:
"Männer, schaut euch den Fahnenjunker an: so blöd muss man erst mal sein, um freiwillig aus einem intakten Flugzeug zu springen. Kein Wunder, dass er kaum 1,60m gross ist!")
Die Annahme, irgendein Medium, in dem Falle Spiele, würde aggressiv machen, im Sinne von:
sie würden im Spieler Tendenzen zur Aggressivität erzeugen, die es vorher nicht gab, ist in meinen Augen einfach nur grotesk.
Die Frage ist auch völlig falsch falsch gestellt:
Entscheidend ist doch, wie wir mit Aggressionen umgehen!
Wenn mir am Supermakt in der Kassenwarteschlange jemand von hinten mit seinem Einkaufswagen reinfährt, ist es doch völlig egal, ob ich vorher einen brutalen Shooter gespielt habe, fünftklassiges TV ala RTL guckte oder ein ziemlich mieses Buch mit noch schlechterem Deutsch las:
Nichts, aber auch wirklich rein gar nichts würde es rechtfertigen, wenn ich jenem in Folge an den Hals springen und ihn dafür würgen würde.
Dabei läge die Schuld nicht bei dem Spiel, der Sendung oder dem Buch.
Sondern einzig und allein bei mir - und meinem psychischen Gesamthaushalt.
Aus psycho-sozialen-, entwicklungsrelevanten Gründen wäre eine Kaskade an emotionalen Überreaktionen in meinem Hirn ausgebrochen, die jedwedes Verständnis für Verhältnismässigkeit, Gerechtigkeit, Moral, Empathie und zwischenmenschliche Toleranz völlig über den Haufen geworfen hätte.
Nur käme mir solch ein Verhalten niemals in den Sinn.
Da könnte ich noch so brutale Spiele rauf und runter spielen.
(Nicht, dass ich ein Fan brutaler Spiele wäre, doch nun ist mal Zeit Wort für sie zu ergreifen):
1001 geistige Schutzmechanismen würden gleichzeitig in meinem Kopf zünden und mir unisono mitteilen: "Das ist FALSCH!".
Das war übrigens mit ein Grund, warum ich die Bundeswehr seinerzeit verliess.
Die Vorstellung auf Menschen zu schiessen, die mir persönlich nichts getan haben, erfüllte mich nicht gerade mit Eifer.
Wenn schon - dann sollten Studien dieser Art sich mit der Fragestellung auseinandersetzen, inwieweit Computerspiele bereits labile Persönlichkeiten noch weiter auf ihrem Psychopathen-Kurs konditionierten.
Und welche Möglichkeiten der Früherkennung es hierbei gäbe, denn das Medium, das den berühmten letzten Tropfen in das beinahe überlaufende Fass giesst, spielt dabei letzlich keine Rolle:
Man erinnere sich an den (großartigen) Film "Falling down", mit Michael Douglas,an die McDonald's Szene!
Jenes Medium war ein Plakat - will man nun Plakate verbieten?!
(Dort war der Auslöser einer Eskalation die Diskrepanz zwischen Schein (Werbeplakat mit abgebildetem, lecker aussehenden Burger) und Wirklichkeit (echter, matschiger Burger).
Das wäre mal differenziert, das wäre mal erwachsen.
Und realistisch.
Vor allem:
Es wäre empirisch ernst zu nehmend!
Da dies aber nicht stattfindet, sondern selbst ernannte Elite-Wissenschaftler, also nicht Menschen, wie Sie und ich, sondern Voreingenommene, die selbst nie Spiele spielten - dafür umso lieber Hexenjagd betreiben, ganz besonders, wenn diese von einschlägigen Kanälen aus Wirtschaft, Politik und Religon bezahlt werden (ein Schelm, wer Böses dabei denkt) zu den fragwürdigen Ergebnissen kommen -
machen mich diese Studien aggressiv!
Es macht mich aggressiv, dass wir selbst im 21. Jahrhundert immer noch Prozesse führen, deren Urteil schon vor dem Prozessbeginn fest steht.
Wie seinerzeit bei Giordano Bruno, Nikolaus Kopernikus und Galileo Galilei.
Wo man also analog zu den dreien die Wahl hat zwischen Scheiterhaufen (Verbot von Spielen), Schweigsamkeit (Ignoranz durch schlagzeilengeile Presse) und Hausarrest (Zensur, Voreingenommenheit bei der Berichterstattung).
Aggressive Zocker als Feindbild?
Was sagte nochmal Sarah Connor am Ende von Terminator 2, kurz vor dem Abspann:
"In einer wahnsinnig geworden Welt ist vielleicht diese Maschine, dieser Terminator, zur vernünftigsten Alternative geworden."
Übertragen hiesse es:
Der Spieler, der sich aufregt, ist vielleicht das Vernünftigste, das man sich vorstellen kann. Demonstriert er doch typisches, normales, menschliches Verhalten und beweist somit, dass er noch nicht zur völligen Beteilungslosigkeit abgestumpft ist.
Doch eine solche Sichtweise ist verpönt von denen, die Studien betreiben. Und in Auftrag geben.
Denn um wieviel schwerer würde es wiegen, sich mit Realitäten zu beschäftigen?
Die möglicherweise weh tun?
Die vielleicht mit dem Finger auf jene zeigen, die sich selbst als den Hüter des Grals jeglicher Moral wähnen, nicht selten ewiggestrigen Politikern mit Alm-Öhi-Stammwählern.
Die immer noch einen Sündenbock für alles brauchen: Hartz IV-Empfänger, Jude, Schwarzer, Ausländer - oder eben Spieler - alles ist ihnen recht(s) dabei.
Hauptsache, es lässt sich leicht stigmatisieren, passt in jede BILD-Überschrift hinein.
Überforderte Eltern, die zur Not wieder an den Weihnachtsmann glauben würden.
Lieber jedenfalls, als daran, dass sie als moralischer Leuchtturm für ihre amoklaufenden Zöglinge auf ganzer Linie versagt haben.
Pen & Paper-Rollenspiele waren einst der Inbegriff des Bösen für sie, heute haben Computerspiele dieses zweifelhafte Erbe angetreten.
Propaganda, die sich Wissenschaft nennt, war ihr stetiger, verlässlicher Wegbereiter.
Gegen entsprechende Bezahlung, versteht sich.
Ja, das macht mich aggressiv.
Mehr sogar, als Tetris...
Machen Aggressions-Studien aggressiv?
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