Mass Effect. The good, the bad and the ugly. (7)

Von Thore · 17. Mai 2021 ·
  1. Die Normandy ist zurück!
    Die Normandy war für ein paar Minuten weg. Ich war schon leicht schockiert, als sie kaputt geschossen wurde. Das war ein krasser Bruch und ich dachte mir, dass der Autor sich mit neuen Ideen wohl nicht zurück hält.

    Man hat es dann aber kaum gemerkt, dass sie mal weg war. Shepard hat sie in der Zeit, in der er keinen Zugriff auf das Schiff hatte, auch gar nicht gebraucht.
    In der Szene, in der Shepard das Schiff zurückbekommt, zieht Bioware alle Register. Die Musik, die Kamerafahrt sowie Shepards und Jokers Reaktion versuchen das Gefühl von Katharsis zu vermitteln. Fuck Yeah! Die Normandy ist wieder da!
    Problem dabei: Shepard musste nichts dafür tun. Er hat keine Opfer gebracht und musste nicht darum kämpfen. Er musste nicht mal darum verhandeln oder auch nur nach einem Schiff fragen. Als ob Luke Skywalker in einer dramatischen Szene feststellt, dass die Macht ihn verlassen hat. Eine halbe Stunde später ist sie dann wieder für ihn da, ohne dass Luke irgendwie dafür etwas getan, geschweige denn sie in der halben Stunde benötigt hätte.
    Die Frage, die sich mir dann allerdings in der Szene unmittelbar und hartnäckig aufgedrängt hat: WARUM IST DA DAS LOGO VON CERBERUS AN DER SEITE DRAUF?!?
    Wenn die Normandy-SR2 so auf der Citadel andockt, ist in etwa dasselbe, als würde ein Kriegsschiff vom IS unter deren Fahne in New York einlaufen.

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    (Beim Lackieren immer schön das Logo unserer Terrororganisation mit draufmalen!)

    Das Joker seine Pilotenlizenz von der Allianz weggenommen wird, macht in etwa so viel Sinn, als würde Bayern Lewandowski feuern. Das Joker dann bei Cerberus unterschreibt macht dann wiederum so viel Sinn, als würde Lewandowski zukünftig für den IS auflaufen (wenn die eine Fußballmannschaft hätten, nicht mein bester Vergleich).

    Das ist weder Details First noch Drama first, das ist einfach nur faules Storywriting. Das wirkt, als wären dem Autor solche Dinge langsam egal. Der Autor legt einfach nicht die Grundlagen für diese krassen Änderungen. Na klar kann man eine Geschichte schreiben, in der Joker für Cerberus fliegt, in der die Galaxie die Reaper wieder vergessen möchte, oder in der Shepard erst stirbt, dann nach langer Zeit wiederbelebt wird und sein Vertrauen in Tim setzt. Aber da fehlt ein ganzer Berg an Dialog und World Building, damit das mit den Informationen funktioniert, die dem Spieler nach dem ersten Teil zur Verfügung stehen. Der Autor muss Shepard UND den Spieler überzeugen, dass es sinnvoll ist, für Tim zu arbeiten.
    Aber nein, die Plotkomponenten werden einfach hin und hergezaubert und der Autor verlangt dann, dass man bitteschön große Emotionen haben soll. (Das spitzt sich am Ende der Trilogie zu, wenn die Citadel plötzlich im Orbit der Erde auftaucht. Das hat keine logische Grundlage und wird mit keiner einzigen Zeile Dialog vorbereitet, sondern dient einzig dem Zweck, um im Finale die kaputte Erde im Hintergrund zu haben.)

    Aber okay, die Szene ist gesetzt. Shepard lebt wieder, die Normandy ist wieder da, die Crew ist zurück, Joker sitzt im Cockpit und das Universum steht dem Spieler offen. (Also alles wie vorher!!!) Ich bin sofort zur Citadel geflogen und hab gehofft wieder an der Mission „Stoppe die Reaper“ arbeiten zu dürfen. Aber Anderson sagt, dass ich mit Cerberus arbeite, deswegen kann ich nicht für die Allianz arbeiten. Top...

    Die Kollektoren
    Nagut. Dann wird das Ausmaß der Handlung von „Stoppe die unaufhaltsamen alten Maschinengötter, bevor sie uns alle umbringen“ auf „Halte ein paar humanoide Insektenaliens davon ab, ein paar Menschen zu entführen“ reduziert.

    Dann macht man die Insektenaliens am besten so interessant wie nur möglich. Das wird nicht so einfach, denn aus Mass Effect 1 kann man sie nicht kennen, da werden sie mit keiner Silbe erwähnt.
    Da stellt sich mir sofort die Frage: Warum nicht? Hat Sovereign nichts von denen gewusst? Haben Harbinger und Sovereign nicht zusammengearbeitet? Der Plan der Reaper war es das Relay zur Citadel zu öffnen. Die Konfrontation zwischen den Citadel-Flotten und den Geth war Sovereigns one-and-only Chance, das Relay in den Dark Space zu öffnen, damit Sovereigns Freunde auf einen Genozid vorbei kommen können. Ich hätte vermutet, dass die Reaper da alles an Kräften aktivieren, was sie aktivieren können. Solche Sachen sollten irgendwie im Spiel adressiert werden, ansonsten besteht die Gefahr, dass die Antagonisten schaden davon tragen.

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    (Die Inkarnation von Graubraun)

    Die Kollektoren sind im Endeffekt langweilig. Niemand hat eine Meinung von ihnen und kaum ein NPC charakterisiert sie mal während eines Dialogs. Weder die anderen Rassen rücken mit Infos über sie heraus, noch die NPC´s die Shepard aufsammelt, noch die NPC´s mit denen er sich im Laufe der Handlung unterhält. Nicht eine der Missionen über die Nebencharaktere, hat mit den Kollektoren zu tun.
    Das ist nicht geheimnisvoll, das ist einfach gar nichts. Mysteriös wäre es, wenn die anderen Charaktere mysteriöse Dinge über sie erzählen würden. Tali könnte über einen sehr nervösen Austausch von Technologie zwischen Quarianern und Kollektoren erzählen. Legion´s Geth hatten Probleme mit einem unbekannten Virus der Kollektoren, der auf vollkommen unbekannten Algorithmen basierte. Mordin hatte mal eine Begegnung mit ihnen auf der Citadel, die er nie wieder vergessen konnte, weil sie einen großen Tank voller toter Tiere an ihm vorbei geschoben haben (Und so weiter...).
    Irgendwann kommt mal der Satz, dass sie kulturell tot wären. Das ist zwar ein guter Ansatz, wird aber überhaupt nicht weiter verfolgt. Zwischendurch kommt dann der große Reveal, dass sie ursprünglich mal Protheaner waren, aber kein Charakter reagiert da irgendwie drauf. Es wird dramatisch verkündet, ändert absolut gar nichts und sorgt nicht dafür, dass die Kollektoren stärker ins Universum eingebunden sind. All sowas gehört ins Spiel und müsste vom Codex unterstützt und nicht alleine vom Codex getragen werden.

    Vergleicht das mal mit den Geth aus dem ersten Teil. Die waren Teil eines der prägendsten Ereignisse des Mass Effect Universums und sind fest im Universum verankert. Viele NPC´s hatten eine Meinung zu ihnen und über Tali konnte man eine direkt von dem Ereignis betroffene Stimme hören.

    Wenn man die im ersten Teil etablierten Reaper als Antagonisten ersetzen möchte, dann sollte der Ersatz auch irgendwie Teil des Universums sein. Aber der Autor hat nicht weiter gedacht, als „Insekten Aliens“, damit der Spieler generisches Kanonenfutter zum drauf schießen hat.

    Die Kolonisten
    Sind nicht vorhanden. Man begegnet ungefähr nach der Hälfte des Spiels genau einem Kolonisten, der sich dann wie ein totaler Sack verhält. Ich hab kaum was zu ihnen zu sagen, weil sie einfach nicht im Spiel vorkommen.

    Wenn das Mass Effect 1 wäre, dann würde Shepard im Laufe des Spiels bestimmt zwanzig-dreißig NPC´s über den Weg laufen, die ihm alle ihr Leid klagen, weil sie durch die Entführungen persönliches Gräuel erfahren haben. Dadurch macht man die Schicksale greifbar. In meinem allerersten Blogeintrag hab ich das schon mal angesprochen.
    Das emotionale Investment des Spielers muss an den Kolonisten hängen. Das ist Tim´s großer Pitch: Dass die Kolonisten entführt werden und die Allianz untätig bleibt. Nicht nur Shepard, auch der Spieler muss(!) von der Mission „Stop the Reapers“ abrücken wollen, um ihnen zu helfen. Aber der Autor legt einfach nicht die Grundlagen dafür. Die Antagonisten bleiben blass und die Siedler trifft man einfach nicht. Dem Autor war auch das egal. „Es gibt Siedler, die entführt werden. Go kill Stuff!“ Mehr gibt es nicht vom Autor dazu.

    Samaras Loyalitätsmission ist eine der besten Quests, die ich kenne, obwohl nicht ein Mal geschossen wird. Die Asari Morinth, Samaras Tochter, hat einen seltenen genetischen Defekt, der sie sozusagen zu einer schwarzen Witwe macht. Geschlechtsverkehr mit ihr endet tödlich. Samara bittet Shepard um Hilfe, sie zu finden und zur Strecke zu bringen.
    Man lernt dabei das Leben ihres letzten Opfers kennen, einer jungen Frau namens Nef. Ihre Videoeinträge, die eine Art Tagebuch sind, erzählen davon, was Nef für ein Mensch war und wie sie Morinth kennen gelernt hat. Sie erzählen von Nefs Werten und wie sie unter den Einfluss von Morinth gefallen ist. Um das Ganze noch persönlicher zu machen, trifft man ihre Mutter. Sie ist durch den Verlust am Boden zerstört und versteht nicht, was passiert ist. Die Audiologs und das Gespräch mit der Mutter zeigen, was Morinths Machenschaften an persönlichen Tragödien zur Folge haben.
    Wenn es diese Grundlagen nicht gäbe, wenn die Mission nur ein Tagebucheintrag wäre, der ein paar Opferzahlen und Morinths Apartment als Ziel nennt, dann würde die finale Konfrontation der Mission mit jemandem sein, über den man nichts weiß, um ein Opfer zu rächen, über das man ebenfalls nichts weiß. Die finale Konfrontation mit Morinth ist dann allerdings spannend und mitreißend, aber das funktioniert nur wegen der Szenen davor, in denen wir Nef´s Audiologs, ihre Mutter und auch Morinth selbst kennenlernen konnten.

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    (Das ist nur episch, wegen den vorherigen Szenen. Ohne die Grundlagen wäre das nicht mehr als bunte Lichteffekte und krasse Anime-Posen)

    Das ist eine der Szenen, bei denen ich mich immer frage, wie zwischen Haupthandlung und Nebenmissionen so eine Kluft entstanden ist. Warum ist die bereits tote Nef besser charakterisiert, als die „hunderttausenden“ an Kolonisten, die uns so am Herz liegen sollen und wegen denen wir die Mission „Stop the reapers“ pausieren?

    Über den Autor

    Thore
    Jahrgang 85. Ich spiele Videospiele seit ich 7 oder 8 Jahre alt war. Ich bin schon immer von gut erzählten Geschichten fasziniert gewesen.

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