Niemand nutzt sie, niemand kauft sie, alle regen sich darüber auf und trotzdem sind Spiele heutzutage voll davon: Micropayments. Levelboosts, Lootboxen, Skins für Waffen und Charaktere. Auch wenn manche getreu dem Motto: „Ihr müsst es ja nicht kaufen“ gelassen reagieren, gibt es doch einen gewissen Teil an Spielern, die Spiele auf Grund von kostenpflichtigen Zusatzinhalten sogar boykottieren. Zurecht?
Damals war alles besser
Vor vielen Jahren, fast schon Jahrzehnten haben Spiele unglaublich viel Geld gekostet. In meiner Kindheit habe ich Monate auf ein Spiel sparen müssen, streng genommen gab es neue Spiele eigentlich nur zum Geburtstag oder zu Weihnachten. Weitere 10 Jahre vor meiner Gaming-Karriere waren Spiele sogar noch teurer und Roms und Disketten wurden auf Schulhöfen untereinander getauscht. Spiele hatten deswegen immer einen ganz besonderen Wert für mich, egal ob sie besonders gut oder besonders schlecht waren. Das hat sich irgendwann grundlegend geändert, sogar noch bevor ich mein eigenes Geld verdient habe und Spiele für mich plötzlich so gut wie immer bezahlbar waren.
Anfang der 2000er Jahre wurden Spiele nach und nach massentauglich. Große Franchises wurden geboren, es folgte Fortsetzung nach Fortsetzung. Spielprinzipien waren grundlegend bekannt, es gab nur noch wenige „Aha-Momente“. Auch wenn ich meiner persönlichen Anfangszeit der Videospiele oft hinterhertrauere, ist doch eher meine eigene Erfahrung im Umgang mit diesem Medium Schuld daran, dass Spiele mich weniger begeistern. Auch heutzutage fällt mir immer wieder auf, wieviel Spaß mir ein Spiel die ersten Stunden bereitet. Und dann, sobald die Mechaniken verstanden sind, verliert sich diese Faszination sehr schnell wieder. Ich möchte lernen, gefordert werden, neues entdecken und bis zum Schluss überrascht werden. Das bieten Spiele heutzutage kaum: Man wird durch ein Tutorial geführt, nach wenigen Stunden sind alle Gameplay-Mechanismen bekannt und es stellt sich Routine ein – ich höre auf zu spielen, ich bin gelangweilt.
Wie aber verhalten sich Publisher und Entwickler um dem entgegen zu wirken? Damals gab es Addons, die nach unzähligen Stunden riesengroße neue Inhalte boten. Neue Skills, neue Level, neue Welten und neue Geschichten. Ein Spiel wurde wortwörtlich wiederbelebt, teilweise wurde Jahre an neuen Inhalten gearbeitet und Addons erschienen zu einem dementsprechenden Preis. Es war also eine Kombination aus beidem: Meine Unerfahrenheit in Bezug auf Videospiele und vielfältige neue Inhalte für Spiele, die bei mir subjektiv den Eindruck erweckten, dass damals nicht nur die Spiele an sich, sondern auch deren Erweiterungen qualitativ besser waren.
Und dann kam das Internet
Mit dem Durchbruch des Internets und seiner Verfügbarkeit in nahezu jedem Haushalt boten sich dem Publisher ganz neue Distributionsformen. Spiele und Addons wurden zum Download angeboten, doch ich war stets ein Freund von Retail-Versionen. Ja, damals hat es tatsächlich einen Mehrwert geboten, Spiele physisch zu besitzen. Handbücher waren dick und in Farbe gedruckt, es gab Karten, Zusatzinhalte und von der geringen Bandbreite, die Downloadtitel ohnehin unattraktiv machten, möchte ich gar nicht reden. Als Retail-Versionen irgendwann aufgehört haben, mehr zu sein als eine CD in einem Stück Plastik, hat sich auch mein Kaufverhalten geändert – Downloadtitel boten plötzlich das Gleiche, auf den obligatorischen Werbeflyer und das zwei Seiten dicke Handbuch in Schwarz-Weiß konnte ich verzichten. Hier zeigte sich zum ersten Mal, in welche Richtung sich Spielevermarktung entwickelt: Nicht mehr als nötig. Dieser Grundsatz sollte sich fortan immer wieder an vielen Stellen bemerkbar machen und läutete nach und nach das Zeitalter der Downloadable Contents ein.
Publisher sind auch nur Unternehmen
Ähnlich wie in der Musik- und Filmindustrie stehen sich auch bei Videospielen zwei grundlegend verschiedene Punkte gegenüber: Kunst und Wirtschaft. Während man anfangs seinen Traum und sein Hobby verfolgt, kreativ arbeitet und das erschafft, wonach einem der Sinn steht, übernehmen irgendwann große Firmen in Form von Publishern, Plattenfirmen und Filmstudios die Vermarktung künstlerischer Produkte. Und daraus ergibt sich ein riesiger Widerspruch. Kunst ist eben niemals massentauglich, sie berührt jeden einzelnen von uns auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Marketing hingegen zielt darauf ab, Produkte an so viele Menschen wie möglich zu verkaufen. Es muss also eine Mitte gefunden werden, in der Entwickler künstlerische Freiheiten haben, das Projekt für den Publisher aber rentabel bleibt. Und dieser Mittelweg wurde im Laufe der Zeit verlassen, Vorgaben wurden strenger und fester definiert, Entwicklerstudios verpflichteten sich, an Sequels zu arbeiten, ganz gleich welche Ideen die Entwickler ansonst gehabt und gerne umgesetzt hätten. An diesem Punkt befinden wir uns heute, das Zeitalter in dem jährlich neue Spielfortsetzungen erscheinen und wir glauben, das alles doch schon einmal gesehen zu haben. Aus Kreativität wurde ein Businessplan.
Und was hat das alles nun mit Mikrotransaktionen zu tun?
Das auf einen winzigen Kern Herunterbrechen von Retail-Versionen, die zahllosen Jahre an lieblosen Sequels, kurze Kampagnen, austauschbare Charaktere und halbherzig umgesetzte Synchronisationen sind allesamt die logische Schlussfolgerung dessen, wenn aus einem einst künstlerischen Produkt knallhartes Business wird. Publishern geht es nicht darum, Spielern wundervolle Inhalte, tolle Welten und interessante Geschichten zu präsentieren. So traurig es auch klingen mag, es geht letztlich nur ums Geld. Vollwertige neue Spiele setzen dem Publisher immer ein Risiko aus, da nicht vorherzusehen ist, wie viele Einheiten eines neuen Franchises verkauft werden. Fortsetzungen allerdings sind kalkulierbar, man kennt Absatz- und Umsatzzahlen, es gibt Wachstumsprognosen und einen fest definierten Abnehmermarkt. In der Wirtschaft gibt es die sogenannte ökonomischen Prinzipien, nachdem jede Firma arbeitet. Das Minimalprinzip besagt, dass mit möglichst geringem Aufwand ein festes Ziel erreicht werden muss, während das Maximalprinzip dafür zuständig ist, mit den vorhandenen Mitteln möglichst viel zu erwirtschaften. Führt man sich also vor Augen, dass jedes gewinnorientierte Unternehmen nach diesen beiden Prinzipien arbeitet, erklärt sich der Durchbruch der Mikrotransaktionen nahezu von selbst. Franchises, dessen Umsatzzahlen man kennt, lassen das Unternehmen einen Plan erstellen, der den angestrebten Umsatz im nächsten Geschäftsjahr enthält. Dieser soll nun mit möglichst geringem Aufwand erreicht werden. Umgekehrt bedeutet dies: Mit dem was wir haben, soll möglichst viel Gewinn eingefahren werden. Mikrotransaktionen kosten kaum Zeit, kaum zusätzliche Entwickler, sie lassen sich schnell und verhältnismäßig einfach während des eigentlichen Entwicklungsprozesses anfertigen. Rein wirtschaftlich sind Micropayments also der heilige Gral unternehmerischen Denkens. Dabei ist es nahezu egal, ob beispielsweise Addons teurer verkauft werden würden, man wiegt lediglich gegeneinander ab: Wie viel Aufwand erwirtschaftet wie viel Gewinn.
Und nun?
Wir leben nun mal in einer vom Kapitalismus geprägten Welt. Wir profitieren größtenteils von ihr, während andere unter ihr leiden. Die Entwicklung der Videospiele von ihren Anfängen bis heute, bezeichnet treffend, den Wachstum großer Publisher. Micropayments sind also letztlich bloß eine logische Konsequenz aus dem Erfolg, den Videospiele gehabt haben und immer noch haben. Die Kunst ist dabei zwangsläufig über weite Strecken verloren gegangen. Jedes Projekt ist bis ins Detail geplant, jede Marketingschraube voreingestellt, jede Mikrotransaktion fest einkalkuliert. Als Spieler enscheiden wir selbst, welche Inhalte wir kaufen oder nicht. Der Verlust den wir als Spieler heutzutage beklagen, ist immer der der künstlerischen und kreativen Vielfalt, die es damals gegeben hat und heutzutage fast nur noch im Indie-Bereich vorhanden ist. Es liegt also an uns, Projekte zu unterstützen, an denen Entwickler noch frei von wirtschaftlichem Kalkül gearbeitet haben. Letztlich muss man sich aber immer über Eines im Klaren sein: Wenn der Vorwurf fällt, dass es einem Publisher doch nur ums Geld geht, dann ist das richtig. Er ist dadurch nicht gierig oder skrupellos, sondern arbeitet bloß genau so gewinnorientiert, wie es unsere heutige Marktwirtschaft vorschreibt. Und hey, ab und an entstehen auch dort noch tolle Spiele, die es trotz Mikrotransaktionen wert sind, gespielt zu werden. Allem voran aber dem Entwickler zu Liebe, der im Rahmen seiner Möglichkeiten tatsächlich noch viel daran setzt, dem Spieler ein tolles Produkt abzuliefern.
Mikrotransaktionen: Wenn Kunst zur Wirtschaft wird
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