Mit den Augen eines Kindes sehen

Von 4nt14ll3s · 28. November 2013 · Aktualisiert am 23. Januar 2014 ·
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  1. Über die Wahrnehmung von Videospielen in der Kindheit

    Wie gerne erinnere ich mich zurück an die Zeit, in der ich meine ersten Erfahrungen mit Videospielen gemacht habe. Nicht nur deshalb, weil die Nostalgie immer einen wunderschönen Schleier über die damaligen Spiele legt, sondern auch weil ich damals als Kind einen weitaus weniger kritischen Blick auf Videospiele geworfen habe. Niemals ging es darum, welche grafischen Fortschritte ein Sequel oder ein Franchise macht, niemals darum welche Gameplay Elemente ein Spiel bremsen oder ihm gut tun. Es wurde gespielt und so aktzeptiert, wie es ist. Welcher Entwickler und welcher Publisher hinter dem Spiel standen, spielte keine Rolle. Ein Spiel wurde im Handel zum Verkauf angeboten und man vertraute darauf, dass Produkte, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, qualitativ hochwertig waren. Eigentlich vertraute man noch nicht einmal darauf, da es keinen Grund dafür gab, einem Produkt kein Vertrauen entgegen zu bringen.

    Wenn ich heute zurückblicke, lässt sich diese kindliche Naivität, mit dem Kaufverhalten der Casualspieler vergleichen. Man schaut im Elektronikfachhandel seines Vertrauens durch die Regale und findet ein Spiel, das einen anspricht. Sei es auf Grund des Cover oder des Titels, aber man greift im Regal danach, dreht es um und ließt sich die Beschreibung auf der Rückseite der Verpackung durch. „Dieses Spiel setzt neue Maßstäbe in der künstlichen Intelligenz!“. „Atemberaubende Action erwartet sie in diesem packendem Abenteuer!“. „Mehr als 20 actiongeladene Level, die ihnen den Atem rauben werden!“. Dazu gibt es Bilder, die weite Landschaften, tollkühne Helden oder bombastische Explosionen zeigen. Man liest diese Sätze, sieht diese Bilder und nimmt eine Erwartungshaltung an, die ohne passende Vergleiche, nicht in Frage gestellt werden kann. Zudem, und so kehren wir zur zuvor erwähnten kindlichen Naivität zurück, mag man sich im Traum nicht vorstellen, dass wir belogen werden könnten. Dass die Werbeabteilungen des Publishers sich fetzige Slogans ausdenken und diese, mit geschönten Screenshots gepaart, hinten auf die Verpackung drucken, schlicht um ein Produkt zu verkaufen, ganz gleich ob es nun einer gewissen Qualität entspricht oder nicht.

    Und so stand ich als Kind oftmals voller Euphorie vor meinen Eltern, hielt die Verpackung eines Spiels in der Hand und flehte sie an, mir doch bitte dieses Spiel zu kaufen. Und taten sie es, konnte ich es kaum erwarten, nach Hause zu kommen. Im Auto öffnete ich die Hülle und las mir die gesamte Anleitung durch, die es damals ja noch gegeben hat. Mehrere Seiten dick und in Farbe gedruckt. Ich blätterte durch, bestaunte die Bilder und freute mich immer riesig darauf, endlich zu Hause zu sein und zu spielen. Und als Kind konnte mir diese Vorfreude kaum genommen werden. Ich spielte das Spiel und war zufrieden.

    Ich erinnere mich noch sehr gut an meine ersten Erfahrungen mit Videospielen. Es war mein achter Geburtstag und auch wenn es manchen vielleicht zu jung erscheint, um einen eigenen Fernseher in seinem Zimmer zu haben, besaß ich bereits einen. Und so wünschte ich mir eine PlayStation. Meine Freunde besaßen auch eine, aber bis auf Erzählungen und kurzem Ansehen, wusste ich noch nicht einmal so genau, was eine PlayStation überhaupt war. Ich bekam zwei Spiele dazu. Tomb Raider IV und Crash Bandicoot 3. Ersteres lässt manche von euch, solltet ihr an mein Alter denken, vielleicht fragwürdig drein blicken. Zu Recht, aber letztlich zeigt es doch nur, wie wenig auch die Erwachsenen von Computerspielen wussten. Da das Cover von Crash Bandicoot 3 wesentlich bunter und zeichentrickhafter war, entschied ich mich dafür, dieses Spiel zuerst zu spielen. Und es war klasse. Ich erinnere mich heute noch sehr gut daran, wie die damalige 3D Grafik bestaunte, Äpfel sammelte, um neue Leben zu erhalten und bereits im ersten Level ein wenig Angst, gegenüber den gruselig wirkenden Gegnern empfand. Und so dauerte es gefühlte Wochen, bis ich dem ersten Boss gegenüber stand – Tiny Tiger. Und ich habe es partout nicht geschafft, ihn zu besiegen. Heutzutage muss ich darüber lachen, besteht der gesamte Bosskampf doch bloß daraus, kurzen Angriffen auszuweichen, und ihm am Ende dieser einen gehörigen Schlag mit Crashs Drehfertigkeit zu verpassen. Aber ich schaffte es nicht. Kurz bevor ich glaubte, ihn dieses Mal doch endlich zu besiegen, begannen meine Hände zu schwitzen. Ich wurde nervös, ich dachte mir: „Los jetzt! Dieses Mal schaffst du es!“. Und wieder verlor ich. Also wiederholte ich die ersten Level. Sammelte Äpfel, um Leben dazu zu erhalten und nachdem ich mehrere Tage lang bloß Äpfel gesammelt hatte, trat ich dem Tiger mit sage und schreibe 99 Leben gegenüber. Und schließlich bezwung ich ihn. Ich wusste nicht, was nun nach meinem glorreichen Sieg passieren würde und so war ich total begeistert, als sich vom Hauptraum aus ein neuer Gang öffnete und sich 5 neue Level zu erkennen gaben. Und so ging es weiter, Level für Level und Boss für Boss. Bis ich dem Endboss gegenüberstand – Neo Cortex. Es kostete mich abermals gefühlte Wochen, in denen ich nichts anderes Tat, als Äpfel zu sammeln, um Leben zu erhalten. Und abermals trat ich dem so übermächtig wirkendem Gegner mit 99 Leben gegenüber. Die Hände schwitzen, der Schweiß lief mir von der Stirn. Die Zunge benetzte meine vor Nervosität trocken gewordenen Lippen immer mal wieder mit Spucke. Und abermals besiegte ich meinen Gegner. Die Credits liefen über den Bildschirm, ich warf den Controller auf den Boden und hob die Arme in die Luft. Ich war stolz auf mich, freute mich es geschafft zu haben und war mehr als zufrieden. Die verbrachte Spielzeit spielte überhaupt keine Rolle, ich habe Monate gebraucht, um diesen Triumph zu erringen und so konnte mir nichts und niemand, diese Freude nehmen.

    Bloß aus Neugier schaue ich heutzutage auf die Metacritics von Crash Bandicoot 3 und siehe da: 91 Punkte. Scheinbar war das erste Spiel, das ich spielte, ein ausgezeichnetes Spiel. Und alleine, dass ich dies heutzutage nachschauen muss, um zu sehen, ob mein Empfinden einer objektiven Wertung gleicht, zeigt wie unreflektiert ich mich damals mit Computerspielen auseinander gesetzt habe. So zog es sich durch meine gesamte Kindheit. Es war sehr angenehm, keine Wertungen vor Augen zu haben, dem Spiel und seinen Gameplay Elementen keine kritischen Blicke zu zuwerfen. Es gab keine Szene im Hintergrund, keine Publisher die mir vermeintlich Böses wollten. Fachzeitschriften wurden weniger auf Grund des Inhalts, als auf Grund des kostenlosen Spiels auf der beiliegenden CD gekauft. Mit unter waren dort richtige Perlen dabei, die ich in meinen jungen Jahren noch nicht einmal zu schätzen wusste. Diablo beispielsweise. Ich klickte mich ein wenig durch die Gegend, doch wusste nie so recht wohin. Die Grafik gefiel mir nicht, die Story wurde in Textfenstern erzählt, die ich nicht lesen wollte und das komplette Inventar- und Skillsystem hielt ich für so umständlich und undurchsichtig, dass mir nach wenigen Minuten die Lust am Spielen verging. Als ich dann in der sechsten Klasse war und mir jemand erzählte, wie gerne er doch Diablo II spielt, konnte ich mich nur an meine Erlebnisse mit Diablo erinnern und fragte mich ernsthaft, wie jemandem soetwas gefallen könnte. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis sich mir der Blick für die Welt der Videospiele gänzlich öffnete und ich zu verstehen begann, dass Diablo nicht nur ein tolles Spiel, sondern auch ein Meilenstein in der Videospielgeschichte gewesen war. So ging es mir mit zahlreichen Titeln. Manch wichtiger und herrausragender Titel ging an mir vorbei, ohne dass ich ihm die Chance gab, mir zu zeigen, was in ihm steckt. Und so manch anderer grausiger Titel, bei dem sich Spielern und Redakteuren die Fingernägel hochklappten, wurde von mir exzessiv gespielt. Ich hatte keinen schlechten Geschmack, mir fehlte schlicht das nötige Verständis dafür, zu wissen, was gut ist und was schlecht.

    Und so sitze ich ab und zu hier und spiele ein Spiel, während ich versuche mich wieder in mein kindliches Denken hineinzuversetzen, bloß um nicht gleich eine meiner gedachten Wertungsschablonen darüber zu stülpen. Eigentlich will ich Spiele doch bloß spielen und sie genießen, doch ich merke, wie es mir immer schwerer zu fallen scheint, in einem Spiel schlicht ein Spiel zu sehen. Ich sehe Gameplay, dass ich bereits so oft zuvor gesehen habe und stecke das Spiel in eine meiner Schubladen. Und um in dieser Schublade zwischen all dem Kram, den ich in all den Jahren immer mal wieder achtlos dort hineingeworfen habe, als ein besonderer Gegenstand hinauszustechen, braucht es schlicht etwas ganz Besonderes. Und so liegt auch so manch tolles Spiel irgendwo weit unten in einer dieser Schubladen, überdeckt und zugemüllt von all den anderen ähnlichen Spielen, die ich jahrzente Lang dort hineingeworfen und buchstäblich entsorgt habe. Ich höre schlechte Synchronisationen, sehe matschige Texturen, spiele lieblos geschriebene Charaktere und interagiere auf stupideste Art und Weise.

    Und wenn das alles nicht reicht, dann ärgere ich mich über DLCs, über die Firmenpolitiken, über die Stagnation der grafischen Entwicklung auf Grund von Konsolen, ärgere mich über schlechte Portierungen, über Kopierschutzmaßnahmen, darüber wie Kunden ihren Rechten beraubt werden. Aufgezwungene Installationen von Programmen, die ich doch gar nicht haben will, viel zu frühe Releases bloß um der Konkurrenz vorraus zu sein, ganz gleich was für ein Produkt man seinen Kunden vorsetzt. Ja, ich wünschte, ich könnte mal wieder mit kindlichen Augen auf die Welt der Computerspiele schauen und würde einfach nicht den Blick für das haben, was hinter den Kulissen passiert. Vielleicht wäre ich dann ein glücklicherer Spieler.

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