Politik - Zu trocken für Spiele?

Von TheVG · 16. November 2019 ·
Ist Politik aus Spielen herauszuhalten? Geht das überhaupt? Ein Erklärungsversuch.
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  1. Spielen und Politik – in technischer, philosophischer Hinsicht passen diese Themengebiete gar nicht zusammen. Wer als Spieler die Evolution von Heimcomputern und Videokonsolen mitverfolgen konnte, erkannte auch ein Auslassen oder zumindest nur rudimentären Kontext mit dem sonst schweren, trägen Thema, etwa in Filmadaptionen. Vielleicht ist dies auch ein Grund, warum in der Community Stimmen laut wurden und werden, man solle Politik und Spiel strikt getrennt halten.

    Allerdings sind Spiele in den letzten Jahren so weit in die Mitte der Gesellschaft eingedrungen, dass Überschneidungen nicht mehr ignoriert werden können. So mussten wir uns gesellschaftlichen Debatten stellen, die wir vorher so nicht auf dem Schirm hatten – etwa wenn Inhalte gesellschaftlich relevant wurden, zu einem Politikum stilisiert, zwischen Sündenbocksucherei und ideologischen Debatten verortet. Amokläufe wurden gerne zum Anlass genommen, eine vorgeblich unpolitische Zielgruppe mit einem Stigma zu belegen. Andererseits konsumieren wir Spiele, die genau diese Annahme nähren. Aktuell hat „Call of Duty – Modern Warfare“ erneut aufgezeigt, dass filmische Inszenierung und Technik die Unschuld vom Medium Spiele nimmt und politische Ideologien wirksam platziert werden können.

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    Die bösen Russen schießen um sich in der berüchtigten Flughafenszene von CoD: MW 2

    Ich stelle mir also eine Frage, die ich als wichtig erachte, andere pochen immer noch auf den Anspruch, Spiele wertfrei zu behandeln und Politik aus dem Medium herauszuhalten. Ich würde schon gerne eine Debatte darüber anstoßen, wie wir allgemein damit umgehen sollen – alles wie gehabt ausklammern und als Unterhaltung ansehen? Oder doch lieber Inhalte mehr in den Fokus zu rücken und darüber reflektieren?

    Radikale Sprites

    Als Spieletechnik Einzug in private Haushalte hielt, wären Debatten über Kriegs- und Gewaltverherrlichung müßig gewesen, auch wenn die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien das gerne mal anders sah. Es ist verständlich, dass Spielmechaniken wie die interaktive Nutzung von Waffen, Panzern und Gewalt verübende Personen spontane emotionale Reaktionen hervorrufen. Häufig brachte das Kritiker auf den Plan, die in ihrer Beobachterrolle moralisch aufgeladene Diskussionen aufheizten und Verbote forderten.

    Dagegen sprach, dass die grobe grafische Darstellung solcher „Gewalttaten“ sehr eindeutig abstrahiert und die Spiele außer Punkte anzuhäufen keine Belohnungen bereitstellte. Diese technisch bedingten Abstrahierungen lösten in mir selbst kaum Regungen, mich politisch zu bilden – dagegen waren Filme zu der Zeit viel deutlicher mit Subtexten versehen, immanent auf Aussagen bedacht, während Spiele nur die brachiale Technik für eine Wettbewerbssituation benutzten und nicht mal den Speicher zur Verfügung hatten, darin auch noch eine moralische Aussage zu verpacken. Dasselbe tun übrigens auch Kinder, wenn sie ihre Finger krümmen und „Piuu! Piuu!“ rufen. Und darüber mokierte sich, wenn ich mich recht entsinne, damals noch niemand ernsthaft.

    Spiele wurden trotzdem von den Sittenwächtern einsortiert. Ein gerne von mir präsentiertes, groteskes Beispiel für Spieleindizierungen ist „River Raid“. Da wird folgendermaßen argumentiert:

    Jeder, der das Spiel gespielt hat, wird mir beipflichten, wie haltlos die Begründung zur Indizierung ist. Würden die Argumente tatsächlich stimmen, hätte unsere Mittvierziger-Generation ein Problem gehabt – Menschen, die völlig von der Rolle wären und sich als Söldner durch´s Dickicht bewegen würden... Eine Vorstellung, die man beim Abgleich mit der „River Raid“-Spielmechanik eher als gelungenen Gag in einer Comedysendung verwenden könnte, ist also logisch betrachtet lächerlich.

    Rational gesehen passt die paramilitärische Behauptung schon mal gar nicht, sie auf reales Verhalten zu übertragen. Da kann man auch gleich das Gerücht in die Welt setzen, dass Pac-Man dazu animiere, kleine Kinder zu fressen. Es gäbe viele eher nachvollziehbare Beispiele, den kriegshetzerischen Vorwurf zu untermauern, aber die Mär vom Einzelkämpfer ist schon lange ad acta gelegt worden; wobei man nach heutiger Sicht nicht außer Acht lassen sollte, dass Facebook und Co. eher das Potential bieten, Aggressivität zu begünstigen. Von diesem Standpunkt aus müsste man auch die Frage stellen, warum man Facebook nicht verbietet, wo es schon soziopolitischen Einfluss durch Fake News und algorithmische Interessensabgleichungen genommen hat.

    Neuer Stolz

    Doch ist die Zeit der frühen Heimcomputer-Jahre eine gewesen, in der ein neues Medium durch seine Andersartigkeit und seinem Hang zur Depolitisierung durch Interaktivität schnell ins Visier der staatlichen Moralwächter geraten war. Es war eine Zeit des Aufbruchs gewesen, und die Programmierer stürzten sich auf die Geräte und ihre Möglichkeiten, um zu codieren und die Ergebnisse stolz der Menschheit zu präsentieren.

    Oftmals ließ sich ablesen, dass den Machern nicht daran gelegen war, politische Botschaften zu verbreiten, sondern – wenn überhaupt - eher die parallel verlaufende VHS-Zeit auf das Medium Computer zu übertragen. Filme mit Kultcharakter wurden als Spiel konzipiert, Story wurde lediglich in wenige Textzeilen gequetscht, während die Levels an sich inhaltlich austauschbar waren. Gut zu beobachten war dies in den Irrungen um die „Rambo“-Marke, wobei der erste Film gar nicht für eine Spieladaption angerührt wurde. Die Aussage des Originalfilms, die Versteckspielchen bei tristem Novemberwetter sowie die Darstellung des Traumas eines Vietnam-Heimkehrers hielt nicht für eine spielerische Heldenkonstruktion Stand. Besser geeignet schien die Adaption des zweiten Teils, der schon filmisch in eine andere Kante schlug. John Rambo ist darin nicht mehr der psychisch angeknackste Kriegsheld, sondern eine Killermaschine, die ihre Fähigkeiten gegen eine ganze Armee einzusetzen versteht. Passende Voraussetzungen also für ein Spiel, und so erschien der „Commando“-Klon unter dem für die Spielehistorie verwirrenden Titel „Rambo: First Blood Part II“. Moralische Einordnungen fanden darin schlicht nicht statt – Rambo war ein Held, der Rest Kanonenfutter.

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    Kult und Bogen - Rambo mutiert vom tragischen zum Überhelden (Bildquelle: daleyscreening.com

    Doch wurde schon der Film für seine platte politische Haltung kritisiert. Der dargestellte Patriotismus kam nach einer Bewusstseinsdepression einer Trotzreaktion gleich, mit der das amerikanische Nationalgefühl in der Reagan-Ära neuen Schub erfahren hatte. Man hätte Stallone vorwerfen können, solch heroische Plattitüden würden ein falsches Weltbild vermitteln, doch hatte der Star ein feines Händchen dafür, Strömungen aufzusaugen und sie filmisch aufzubereiten. Das genügte zwar nicht für ein tiefgreifendes Kriegsdrama der Marke „Apocalypse Now!“ oder „Platoon“, aber für eine Aufbruchstimmung nach der kollektiven Kritik der 68er-Generation am Nationalstolz und der Rolle des Militärs im Staatsgefüge, der in den 80ern wieder aufflammte. So kehrt Rambo schnurstracks in die Höhle des Löwen zurück und dezimiert neuen Mutes eine ganze vietnamesische Armee. Noch nicht ganz im Fokus standen auch die Russen als Militärberater, die später im dritten Teil als Antagonist in der Story eingesetzt werden sollten. Kurzum: der Kalte Krieg war zu jener Zeit in aller Munde gewesen; die Afghanen waren (man höre und staune!) die Guten im Kampf gegen die bösen Russen.

    Solche weltpolitischen Plakatierungen fanden dagegen in Spielen kaum statt. Das reichte bis in die 16-Bit-Ära, in der weiter fleißig Filmadaptionen in Form von Side-Scrollern veröffentlicht wurden und inhaltlich erwähnenswerte Stoffe höchstens in Rollenspielen Platz fanden. Der inhaltliche Tenor von Actiontiteln variierte höchstens in der Storygestaltung der Vorbilder, so kämpfte „Robocop“ einerseits gegen regierungskritische Punks und später gegen den mächtigen Konzern, der ihn erschaffen hatte. Den Kontext suchte man allerdings mit der Lupe, während der Film deutliche Kritik an Megakonzernen übte.

    Als in den 90ern der PC auch für Privathaushalte erschwinglich wurde, änderten sich auch die Verhältnisse über die Verfügbarkeit sowie Notwendigkeit von Technik, was wiederum Einfluss auf die Spielgestaltung hatte. Die Entwickler konnten nun freier auf Hardware zugreifen und entwickelten Spiele, die nicht selten am heimischen Gerät gar nicht liefen, außer man hatte das nötige Kleingeld für einen Ausbau der Maschine. Gleichzeitig wurden die Spiele komplexer, was sich auch in den Erzählungen bemerkbar machte. Allerdings dominierten Abenteuer- und Fantasystoffe die Branche, Politik und Gesellschaftsthemen eher abstrakt gehalten, etwa in frühen Cyperpunkspielen, Point-and-Click-Adventures und/oder Roman- und Filmadaptionen, die endlich aus dem Korsett mundfauler Storyfetzen schlüpfen konnten und trotzdem in den meisten Fällen gespielt werden wollten denn inhaltlich seziert. Somit wurden die Geschichten trotz allem ein wichtiges Element, die Vielschichtigkeit begünstigte auch inhaltliche Tiefe, auch wenn das Original-“Doom“ mit der üblichen Invasionsstory from hell auskam.

    Ich, der Staatsfeind

    Politisch aufgeladen wurden Spiele mit der Einführung von 3D-Shootern und rutschten so ins neue Jahrtausend. „Half-Life“ war nun nicht die Offenbarung mit seiner Hauptstory (Invasionsstory from outer space, mal zur Abwechslung), hatte aber etwas anderes im Petto: immersive Erfahrung und ein bisschen Verschwörungsplot, welche naturgemäß kritische Töne gegenüber politischen Systemen formulieren. Eine militärische Operation zur Sicherung von Alientechnologie und mit der Absicht zur Kontrolle eines fremden Planeten, ist keine direkte, aber angedeutete Kritik am politischen System westlicher Großmächte – eine ideologische Umkehr vom damaligen Haudraufpatriotismus eines John Rambos als Sinnbild für weltpolitische Umtriebe der „Weltpolizei“ USA. Als endgültig Rollenspielelemente mit der Shootermechanik vermischt wurden, war die Story plötzlich auch ein unverzichtbarer Begleiter im sonst aktionsgetriebenen Genre. „Deus Ex“ markierte eine wichtige Wegmarke in der Evolution von Spielen mit enthaltener Story, und spätestens mit der Source Engine, also „Half-Life 2“, nicht mehr wegzudenken. Die Dystopie vom Polizeistaat wurde virtuelle Wirklichkeit und hinterließ ein mulmiges Gefühl, wenn man sich selbst im Überwachungsapparat der Combine bewegt, mit Elektroschockern getriezt und später als Staatsfeind gejagt wird.

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    Polizisten am Flughfen Los Angeles - Zukunftsvision oder schon Realität? (Bildquelle: spiegel.de)

    Damit war der Nährboden bereitet, politische Systeme plastisch darzustellen, durch die Ego-Ansicht personalisiert und nahbar. Der Spieler ist demnach meist Teil der Unterdrückten, und seine Aktionen wurden regelmäßig durch das Leveldesign in alternativlose Bahnen gelenkt, was indirekt wertend und richtunggebend ist. Dies war auch eine Gelegenheit, historisch korrekte Ereignisse wie den Zweiten Weltkrieg zu thematisieren. Dabei behielt ich ein Spiel besonders in Erinnerung: „Medal of Honor – Allied Assault“.

    Bekanntlich hatte Steven Spielberg Einfluss auf die Gestaltung des Spiels, und tatsächlich erlebt man es wie eine interaktive Version seines Films „Der Soldat James Ryan“. Es brauchte nicht mal die Drastik von gezeigten Kopfschüssen, um zu schockieren, denn kämpft man sich auch so mit einem mulmigen Gefühl durch gut designte Abschnitte, die einerseits historisch korrekt den Spieler in das Geschehen ziehen und damit sogar einen Bildungsauftrag erfüllt, andererseits würde man sich am liebsten dem Titel verweigern – ich möchte grundsätzlich nicht am Sandstrand von Schüssen durchlöchert werden wollen (wer will das schon?). Der Fakt, dass es sich „nur“ um ein Spiel handelt, kann man dabei gerne vorschieben, um die ideologische Einordnung der Erzählung ein wenig zu vernachlässigen. Dasselbe tat übrigens „Call of Duty“ als unmittelbarer Konkurrenztitel, das sich lose an wichtigen Ereignissen orientierte, aber als besser spielbar galt. Das bedeutete, dass die Spielbarkeit mehr Einfluss auf den Erfolg eines Titels hatte – die unterschiedlichen Erfolge der beiden Marken sind uns allen bekannt.

    Dennoch sind ausgerechnet die beiden Franchises gute Beispiele für kontroverse Debatten – auch weil beide durch ihr Design und das provokative Narrativ Stoff für eine gepflegte Empörung abseits des Spieleuniversums boten.

    Zweierlei Maß

    Ich muss wohl nicht mehr erwähnen, wie stark „CoD“ in der jüngeren Vergangenheit polarisiert hat. Die Titel bewegen sich manchmal stark an der Grenzlinie des Zumutbaren. Mal mehr, mal weniger wird mit Szenen geliebäugelt, die Tabus thematisieren, was letztlich durch den interaktiven Part Nadelstiche setzt und sich so vom Film emanzipierte.

    Es geht mir im Wesentlichen nicht um die Szenarien oder die Story, die oft fiktiven Charakter haben und sich in der Kramkiste der Geschichte die interessantes Fundstück herausziehen. Man muss die Spieleserie als Ganzes betrachten, um die Kompassnadel richtig lesen zu können. In „CoD“ kämpft man zwar an allen möglichen Fronten der Erde (und darüber hinaus), doch erkennt man in den „Guten“, den Alter Egos, immer die USA. Die „Weltpolizei“, die in der Realität als undurchsichtiges Gebilde Politik betreibt, wird in den Spielen vereinfacht als „gut“ dargestellt. Eine differenzierte Färbung passiert nur, wenn sich lokale Gruppen dem Westen zuwenden und ihn als Befreier ansehen, gleichzeitig redet man sich mit Splittergruppen heraus, die terroristische Akte planen, um Bedrohungsszenarien nicht allzu weltpolitisch aufzuladen.

    Das soll nicht heißen, dass ich Terrorismus begünstigen oder gutheißen will. Jede Form von realer Gewalt gegen andere ist zu verurteilen, aber ich bin kein Heuchler, der sagt, dass Gewalt je nach Ideologie sogar gerechtfertigt wäre. Also muss man auch Angriffs- und Vergeltungskriege des Westens verurteilen. Ein weiterer Punkt in diesem Gesamtgebilde ist die Entwicklung, die die Spielebranche genommen hat, denn leiten auch die finanziellen Erfolge indirekt die politischen Aussagen durch die entwickelnden Studios. Spiele wie „Stalker“ oder „Metro 2033“, die von russischen/ukrainischen Studios entwickelt wurden, sind nur Fallbeispiele, wie relativ unpolitisch bzw. fiktiv angestrichen deren Releases Erfolge erzielen konnten. Würden sie nun konkret die Russen als Helden verwenden, würde der Aufschrei groß sein, da bin ich mir sicher. Gut zu beobachten war es, als „Medal of Honor“ 2010 damit unkte, einen Taliban spielen zu können. Ein weltpolitischer Affront, der vor allem das Militär zur Weißglut brachte. Wie schon erwähnt, sollte man keine Terroristen spielen dürfen, aber würde man es konsequent sehen, sollte auch die „CoD“-Reihe teils eingestampft werden, wenn man nicht der Doppelmoral angeklagt werden will. Man gerät in einen Zwiespalt, wenn man Armeen und Gruppen wie die Taliban ins Gespräch bringt – in den 80ern wurden sie noch gebauchpinselt, heute ein lästiger Gegner im so genannten Befreiungskampf in Afghanistan.

    Mir ist bewusst, dass ich mich mit dem Thema ein wenig in die Nesseln setze. Aber denke ich, habe ich einen anderen Blick darauf, wie Lagerdenken spielerisch genutzt wird, um „uns“ als die einzig wahre Gesellschaftsform anzusehen und alle anderen als Aggressor zu bezeichnen. Die Spielebranche steht vor einem Dilemma, bei dem mich das Gefühl nicht loslässt, dass man Kritik nur noch in abstrakter Weise darstellen darf, und so wird diese oft in Science Fiction gekleidet. Auf der Realität basierende Szenarien werden in der Regel unilateral skizziert. Dabei sollte man sich im genannten Beispiel folgendes fragen: Warum gibt es die Taliban überhaupt? Wer hat die Gründung des so genannten IS begünstigt? Welche Ziele verfolg(t)en die USA im Nahen Osten, wenn man die „Missionierung“ von Islamstaaten in demokratische Staatsformen wegdenkt? Ist der Anschlagsterrorismus abstrakterweise nur eine logische Weiterentwicklung westlicher Angriffsbemühungen?

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    Zufall? NATO-Stützpunkte unter Leitung der USA auf der Weltkarte (Bildquelle: sott.net)

    Da die Spiele oft nur eine Seite beleuchten, ist es müßig darüber zu diskutieren, sich über Spiele eine differenzierte politische Meinung zu bilden. Am „Taliban-Affront“ und der stillen Zustimmung über die Storygestaltung der „CoD“-Spiele kann man sehr wohl beobachten, wie die westlichen Mächte dazu stehen – und wie offenkundig nützlich sie Spiele im 21. Jahrhundert für die Verbreitung ihrer Ideologie ansehen. Am deutlichsten zeigt es sich, dass das Militär sogar selbst Spiele wie „Americas Army“ konzipiert hatte und dabei ein verharmlosendes Bild präsentierte, darüber hinaus noch zu Rekrutierungszwecken eingesetzt. Wie unpolitisch – bei allem Respekt - bei den Spielern damit umgegangen wird, ist die „Geiz ist geil“-Mentalität, einfach mal ohne zu zahlen ein 3D-Spiel zocken zu dürfen.


    Scheinbar hatte die Indoktrination Erfolg, und sei es nur im Subtext. Solche Spiele verbesserten durch Pragmatisierung kriegerischer Handlungen den Eindruck junger Menschen gegenüber der Armee. Gegengewicht sind wiederum Spiele, die sich trotz Kriegsszenario gegen den Krieg aussprechen. „Spec Ops: The Line“ ist so ein Beispiel, in dem einem Soldaten, ergo auch dem Spieler, die Folgen für sein Handeln vorgesetzt wird. Auch wenn das Spiel ein großes mediales Echo erhielt, wird bei Infinity Ward fleißig weiter der US-Heldenmythos weiter verbreitet. Warum auch umdenken, wenn die Verkaufszahlen stimmen? „Spec Ops: The Line“ hingegen wurde kein finanzieller Erfolg, auch wenn man es als moralisch richtig erachtete, landete also in der Arthouse-Ecke und somit in der Versenkung medialen Interesses.

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    Spec Ops: The Line - Unmenschliches Handeln, plastisch und kritisch (Bildquelle: ceneo.pl)


    Heile Welt

    Dazwischen eine Grundsatzfrage: wie definiert Ihr Politik?

    Wenn ich Politik inhaltlich deuten will, dann gibt es da eine Diskrepanz, die die Medien, also Bücher, Filme und Spiele, kaum und ungern anrühren. Wir bewegen uns sehr, sehr selten im bürokratischen Teil der Politik wieder, und Themenfelder wie Gesundheit, Schule oder steuerliche Freibeträge sind wahrlich nicht sexy genug, für epische Erzählungen verwendet zu werden. Wenn, dann werden sie nur als Randnotiz in Erscheinung treten, was erzähl- und aktionsintensive Spiele angeht. Ansonsten finden wir das komplexe Konstrukt der Büropolitik nur in Strategiespielen vor, und selbst hier vermitteln sie nur Schulniveau, wirken schematisch.

    Ich würde jetzt nicht behaupten, dass ich es sexy finde, aber zumindest finde ich es gut, wenn ich manche Zusammenhänge verstehe. Schade nur, dass Unstimmigkeiten, Fußnoten und Niederungen nicht oder nur unzureichend implementiert werden. Es wäre aber auch zu viel verlangt, Spielelemente wie Diplomatie noch zusätzlich derart aufzuplustern, wo Strategiespiele von unterschiedlichen Elementen leben und so schon sehr komplex sind. In solchen Punkten sind Spiele prinzipiell, zumindest nach heutigem Stand, immer noch technisch limitiert, um Alltag und Realsituationen akkurat aufzuarbeiten bzw. abzubilden.

    Ironischerweise sind Spiele, die den Alltag abbilden wollen und auf politische Statements verzichten, sehr erfolgreich. Der „Landschaftssimulator“ oder „Die Sims“ verkaufen sich wie warme Semmeln und bedienen eine Zielgruppe, die sich auch mal nur „berieseln“ lassen möchte. Wir tauchen in eine Welt ein, die wir kennen, vor und hinter unserer Haustür. Doch auch sie zeichnen nur ein Idealbild, das vielen verwehrt bleibt. Karrieren starten, urbane Steilaufstiege – die Darstellung von Baukastenelementen und die Belohnungsspirale ist der von Actionspielen sogar ähnlich. Es bleibt also nur die Erkenntnis, dass das Leben in all seinen Facetten, ob Alltag oder Politik, viel zu komplex ausfällt, um es in ein einziges Spiel zu quetschen; letztlich kann man nur Themen gebündelt ansprechen oder gleich die pauschale Schiene fahren, was zu einer Wahrnehmungsverzerrung führen kann.

    Was letztlich noch auffällt, ist die Gestaltung von eher gesellschaftspolitischen Themen, die die Bürger eher umtreibt als staubtrockene Politik. Rassismus wird in vielen Facetten dargestellt, dazu positionieren sich Entwickler mittlerweile im LGBTQ-Universum mit entsprechenden Statements oder bringen Jugendthemen gezielt ins Gespräch, etwa Mobbing oder Behinderungen. Mit solchen Themen kann man besser effektvoll polarisieren, mit frontaler Politik weniger, da die emotionale Bindung der Konsumenten eher erreicht wird als im Bundestag zu sitzen und sich langwierige Debatten anzuhören. Dazu kommt noch die Zielgruppenanpassung – es gibt nur wenige, die Plenarsitzungen etwas abgewinnen können. So arbeitet etwa „Life is strange“ Themen, die die Jugend eher abholt, und da sind Streitpunkte wie Mobbing, Sexualität und Lebenswegfindung direkte Ansprechpartner.

    Invasoren

    Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die Nutzung von Politik im Spielekosmos. Erst letzten Monat war der Anschlag von Halle in aller Munde gewesen, was durch die Interessen des Täters uns Gamer wieder in den Fokus des Sündenbocks gerückt hatte. Ich bin jedoch froh, dass die Debatte trotz Horst Seehofers Schlagwortattacke schnell vom Spielen weggeführt wurde. Ob und wie sehr politische Meinungen von unserem Hobby trennbar sind, ist für mich ein entscheidender Punkt, der in dieser speziellen Facette Diskussionsbedarf hervorrief.

    Die apolitische Grundhaltung der Community ist, etwa bei Steam, eine Einladung für all diejenigen, die ihre Ideologien bündeln und schärfen wollen. Da ich mich aus Foren so weit wie möglich heraushalte, kann ich nur das wiedergeben, was in Artikeln Thema geworden ist. Früher – daran kann ich mich sehr wohl erinnern – wurde mit Flyern, Aufklebern, dem Vorspielen von Musik (oder CD-Geschenken) und direkten Rekrutierungsversuchen gearbeitet; heute reicht das Internet, um mit Memes, Musikvideos und sonstigen Mitteln mehr Menschen zu erreichen als an den Schulhöfen oder im Freundeskreis. Steam hingegen geht nur auf Druck gegen solche Verfassungswidrigkeiten vereinzelt vor, und eben dies überschreitet die Grenzlinie demokratischer Freiheiten. Da sollten wir nicht mehr vom „Aushalten“ reden, vom „Ignorieren“ noch weniger.

    Ich bin eh der Meinung, dass allgemeines Schweigen solche Umtriebe überhaupt erst ermöglicht haben. Wer schweigt, anstatt Grenzen zu setzen, wird etwas, das ihm nicht passt, nur größer machen. Eventuell muss man sich deswegen auch wundern, wie eine rechtsextreme Gruppe sich völlig ungestört auf eigenen Servern und Maps tummeln kann. So werden bei einschlägigen Spielen (bezeichnender- und vorzugsweise Kriegsspiele, btw.) Maps mit Nazisymbolen und noch ausgeklügelteren Designs oder Programmroutinen gebaut. Ob es als virtuelle Realität dazu taugt, sich gegenseitig anzustacheln, um reale Taten zu verüben, wurde nach meiner Kenntnis noch nicht vollständig ergründet – was jedoch nicht heißen soll, dass ich das Spielen völlig vom Vorwurf entlassen kann, als Blaupause für rechtsextreme Taten instrumentalisiert zu werden. Natürlich ist es was anderes, mit Maus und Tastatur das Schießen zu simulieren und gleichzeitig am echten Schießstand ein Gefühl für das Abfeuern einer Waffe zu erhalten.

    [von der Moderation entfernt]
    Unverblümte Zurschaustellung von Nazi-Ideologie auf Steam (Bildquelle: vice.com

    Neben Spielen sind durch die bekannten Amokläufe auch die Schützenvereine selbst ins Fadenkreuz genommen worden, die vor allem von konservativ denkenden Leuten mit dem Traditionsargument geschützt wurden. Aus mechanischer Sicht jedoch würde ich gegenargumentieren, ob sie nicht mindestens genauso an den Pranger gestellt werden müssten wie Shooterspiele – egal, ob man nur Schießscheiben trifft oder menschenähnliche Figuren. Um nicht rein in die Gewaltdebatte abzuschweifen, gehören Punkte wie Ideologie, Moral oder die Gewichtung von Regelungen für das Gemeinwesen mit hinein. Politik ist also eher die Triebfeder für Konflikte. Wenn Rassismus eine solche Triebfeder ist, liegt es an uns allen, diejenigen zu schützen, gegen die sich die Ideologie wendet, und aus diesem Grund halte ich es für gefährlich, keine Stellung zu beziehen und der Motivation durch Schweigen Tür und Tor zu öffnen.

    Genau aus denselben Gründen sollte man auch Spiele wie „Call of Duty“ nicht völlig aus der politischen Debatte fernhalten, nur weil es sich knackig spielt oder sich aus moralischen Debatten herauswinden möchte. Die Konfliktereignisse in der Solokampagne sind eindeutig realen entnommen und lediglich verfremdet worden, was sie aber nicht davon entlässt, die Deutung von realen Pendants zu umgehen. Man wertet alleine schon dadurch, welchem Alter Ego man die virtuelle Waffe in die Hand drückt. Dass man es bei Nazis tunlichst vermeidet, ist tatsächlich allgemeingültig geworden, und doch liest man davon, dass sich Nazis in „Wolfenstein 3D“ dem Charakter von Blaskowicz bedienen und dazu noch Nazisoldaten abschießen, obwohl es sich spielmechanisch und inhaltlich gegen Rassismus platziert. Was würde passieren, wenn man einen SS-Soldaten spielen könnte und all die Undinge tun, die man aus dem Dritten Reich kennt? Ich will gar nicht darüber nachdenken, und wir hatten schon einen deftigen Aufreger mit dem Release des Spiels „Hatred“...

    Umkehrschluss

    Ihr merkt wahrscheinlich schon, wie grotesk und ausschweifend die Debatte werden kann, und ich fühle mich teils auch fast überfordert damit, wie Politik und Gesinnungen trotz der vorgegebenen Richtung für genau das Gegenteil genutzt werden kann.

    Wenn Ihr es bis hierher geschafft habt, dann habt Ihr auch ein ernsthaftes Interesse daran gehabt, euch mit dem Thema eingehender zu beschäftigen. Es liegt nur in der Natur der Sache, dass es schwierig ist, das unterhaltend zu verpacken. Dabei habe ich natürlich meine eigene Einschätzung davon zu Papier gebracht und freue mich, wenn dadurch eine Diskussion über ein Themenfeld entstünde, das unser aller Leben maßgeblich beeinflusst. Um ein wenig Ehrenrettung zu betreiben, sollte ein Eindruck darüber entstanden sein, dass ich Gamer für doof halten würde, möchte ich noch anmerken, dass einige wohl differenzierte Aussagen im Kommentarbereich platzieren.

    Auch da aller Voraussicht nach keine eindeutige Einordnung zu erwarten ist, wird das Thema irgendwann versanden. Im Sinne der politischen Korrektheit könnten Spiele gleich völlig auf Moral und politische Inhalte verzichten. Aber wird das nie passieren. Schon „River Raid“ hat Mechanik dafür genutzt, sich ein Kampfszenario aufzubauen, das die Sittenwächter zu einer Wertung veranlasste. Es ist also nicht egal, wie sehr man auf Politik in Spielen verzichtet, sondern eher egal, wie sehr man sie heraushalten will – es wird immer jemanden geben, der in die einfachsten Begebenheiten irgendetwas Verwerfliches hineindeutet, also wird Politik auch nie wirklich aus Medien verschwinden. Besonders in heutigen Zeiten, wo der Ton der politischen Korrektheit zunehmend schroffer wird und sie selbst schon einem autoritären Führungsstil gleichgesetzt wird. Auf erhobene Zeigefinger haben Leute nämlich auch keine Lust mehr, und so wird fast jede Themennische gefühlt zu einem Politikum. Früher oder später. Ob man will oder nicht.
    EgoremiX gefällt das.

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