Review: Control

Von Thrawns · 11. September 2019 ·
  1. Der Eingangsbereich des Federal Bureau of Control (FBC) ist eher unscheinbar. Eine Lobby, schlichte Betonwände, hier und da eine Pflanze. Eben das, was man sich unter einer amerikanischen Behörde so vorstellt. Man könnte auch sagen: Bürokratie und pure Langeweile. Als wir jedoch das Büro des Direktors betreten, verfliegt dieses Gefühl schnell. Denn der liegt in einer Blutlache tot am Boden, offenbar erschossen. Neben der Leiche liegt eine Waffe und wir können dem Drang nicht widerstehen, sie aufzuheben. Was sich bis zu diesem Augenblick eher wie einen Thriller anfühlte, wandelt sich mit der Waffe in der Hand schnell zu einem Szenario, für das das Wort „Mindfuck“ erfunden wurde. Wir werden auf schwebende Mitarbeiter treffen, auf ein sprechendes Zischen, auf sich wandelnde Räume, auf paranormale Feinde, auf machtbesessene Kühlschränke und auf andere Dimensionen.

    Worauf wir aber auch treffen sind Menschen, die in diesem „Ältesten Haus“, wie die Mitarbeiter das Hauptquartier des FBC nennen, arbeiten und die Vorgänge relativ normal finden. Kein Wunder, ist es doch genau ihre Aufgabe die Vorkommnisse zu untersuchen und unter Kontrolle zu halten. Wirklich verstehen was vor sich geht, können aber auch die Experten vom FBC nicht. Dafür scheint der sogenannte „Rat“ mehr zu wissen. Blöd, dass der sich nur höchst kryptisch ausdrückt und überhaupt nicht aus unserer Realität zu stammen scheint. Das einzige was wir wissen ist, dass eine umgedrehte, schwarze Pyramide irgendwie mit dem Rat zusammenhängt und das wir ihn an bestimmten Punkten im Haus kontaktieren können. Unschwer zu erkennen, dass dieses Wissen um den „Rat“ mehr Fragen aufwirft, als es beantwortet.

    Trotzdem müssen wir der Sache auf den Grund gehen. Denn mit dem Aufheben der Waffe im Büro des toten Direktors wird klar: wir sind der Nachfolger des Toten. Bei der Waffe handelt es sich nämlich um keine gewöhnliche Pistole, sondern um die sogenannte „Amtswaffe“. Wie das Haus selbst, scheint sie mit einer anderen Dimension verbunden zu sein und kann zudem nur vom jeweiligen Direktor der Behörde getragen werden. Und da wir die Waffe in unseren Händen halten ist klar: wir, Jesse Faden, leiten nun das FBC. Und auch wenn wir erst vor ein paar Minuten durch den Haupteingang spaziert sind um nach unserem Bruder zu suchen, akzeptieren die Mitarbeiter des Hauses den plötzlichen Direktorenwechsel anstandslos. Statt Freude über diese Akzeptanz als Direktorin, beschleicht uns dabei aber eher ein ungutes Gefühl. Diese Art der Beförderung erscheint uns doch etwas – nunja, ungewöhnlich. Aber an „ungewöhnlich“ müssen wir uns schnell gewöhnen, denn normal ist im FBC eher ein Ausnahmezustand.

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    Unser Vorgänger, Direktor Trench, birgt auch nach seinem Tod noch Geheimnisse.

    Ein Haus voller Freunde, Feinde
    und Kontrollpunkte

    Vom Normalzustand der Welt und dessen Regeln, müssen wir uns also ohnehin sehr schnell verabschieden, um uns im „Ältesten Haus“ zurecht zu finden. Spätestens, wenn wir in der ersten großen Halle offenbar bewusstlose Mitarbeiter in der Luft schweben sehen, wird klar, dass an diesem Ort etwas nicht stimmt. Während die schwebenden Personen zwar verwirrend, aber nicht gefährlich sind, gibt es auch Mitarbeiter, die von einer feindseligen Kraft besessen sind und uns an die Lederjacke wollen. Die Gegnertypen reichen dabei von „normalen“ Wachmännern mit Pistolen, über schwer gepanzerten Einheiten bis zu fliegenden oder explodierenden Ungetümen, die mit dem ursprünglichen Wirt kaum noch etwas gemeinsam haben. Die Vielfalt an Gegnern ist jedenfalls unterhaltsam und bringt Abwechslung in die Kämpfe. Mal müssen wir Gegenstände auf Feinde schleudern, um deren Schilde zu durchbrechen. Ein anderes mal müssen wir Granaten mit Flächenschaden ausweichen. Dann wiederrum müssen wir Gegner erledigen, bevor sie uns zu nahe kommen, weil sie sonst neben uns explodieren und schwer verletzen. Garniert wird die Abwechslung mit stärkeren Zwischengegnern oder auch richtigen Bosskämpfen. Besonders gelungen ist Entwickler Remedy dabei die Dosierung. Der Fokus des Spiels liegt nicht nur auf den Kämpfen, sondern auch auf eher ruhige Passagen, in der die Atmosphäre und das Leveldesign genossen werden können. Und immer dann, wenn das Spiel in ein zu ruhig abzugleiten droht, ist wieder Action angesagt. Das heißt: ein Raum, den es von den sogenannten „Zischern“ zu säubern gilt oder ein Kontrollpunkt der eingenommen werden will.

    Kontrollpunkte sind im „Ältesten Haus“ gewisse Bereiche, bei denen eine besonders starke Macht zu spüren ist. Zwar untersuchen unsere Mitarbeiter diese Punkte im Rahmen ihrer Möglichkeiten, wirklich schlau aus ihnen werden sie aber nicht. Da wir aber offenbar eine besondere Gabe zu haben scheinen – sonst hätten wir die Waffe des Direktors nicht aufheben können und diese seltsame Stimme in unserem Kopf hat anscheinend auch etwas damit zu tun – können wir diese Machtpunkte für unsere Zwecke nutzen. Dazu müssen sie jedoch mithilfe unserer Kraft eingenommen bzw. gereinigt werden. Bei manchen Kontrollpunkten genügt dazu ein simpler Knopfdruck, bei anderen müssen wir zuvor Gegner beseitigen. Besonders eindrucksvoll sind die Momente, wenn wir einen Kontrollpunkt einnehmen und sich die Umgebung plötzlich verwandelt. Waren vorher noch Gänger verschlossen und das Haus voller unnatürlicher Verschiebungen und Vorsprüngen, wandelt sich das Areal nach Einnahme des Kontrollpunktes in seinen Ursprungszustand zurück. Nicht nur, dass wir so neue Wege freilegen. Es hat auch etwas Befriedigendes, da wir so den Eindruck haben, das geschundene Haus zu reparieren, da endlich wieder alles aussieht wie vorher: schlichter Beton, aufgeräumte Schreibtische und funktioniernde Türen.

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    Links ein befallener Kontrollpunkt, rechts der gleiche Punkt nachdem wir ihn gesäubert haben.

    Überhaupt ist das Haus des FBC der eigentliche Star des Spiels. Von außen betrachtet ein normal großes Gebäude, ist es innen um ein vielfaches größer. Scheinbar endlos viele Etagen und Räumen, die oft mit verwinkelten Brücken und Gängen miteinander verbunden sind, lassen das „Älteste Haus“ eher wie ein zum Teil großräumiges Labyrinth wirken. SpielerInnen, die schon in Open-World-Titeln Schwierigkeiten mit der Orientierung haben, dürften bei Control aber schlicht verzweifeln. Zumal es zwar Questmarker gibt, die sind aber eher grob gesteckt und was hilft es zu wissen, wo man hin muss, wenn man trotz Karte nicht genau weiß wie man dort hin gelangt? Abgeschwächt wird dieses Problem allerdings durch die vielen Kontrollpunkte. Die einzunehmen bringt nämlich nicht nur die Struktur des Hauses wieder in Ordnung, sondern können sie von Jesse auch als Schnellreisepunkte benutzt werden.

    Waffen, Fähigkeiten und Mods

    Weiterer Vorteil der Kontrollpunkte ist die Möglichkeit dort unsere Waffe und unsere Machtfähigkeiten zu modifizieren. Neben der Standardpistole können wir einige weitere Waffen herstellen, z.B. eine Art Schrotflinte oder eine Art Scharfschützengewehr. Ausrüsten können wir jedoch maximal zwei, die wir bei Bedarf auf Knopfdruck wechseln. Jede Waffen hat dabei Slots für drei Modifikationen. Die entsprechenden Mods finden wir in Containern, die quer durch die Behörde verteilt sind oder stellen sie aus Materialien her, die die Gegner fallen lassen. So können wir die Schussfrequenz erhöhen, die Streuung verrringern und noch diverse andere Verbesserungen erreichen. Gleiches gilt für die Fähigkeiten von Jesse selbst. Anders als bei den Waffengattungen, können wir uns aber nicht einfach selbst upgraden. Zusätzliche Fähigkeiten erhalten wir, indem wir bestimmte Objekte der Macht an uns binden. Diese Objekte sind ein wichtiges Puzzlestück in der Story von Control und an verschiedenen Punkten im „Ältesten Haus“ verteilt. Die Bindung der Objekte an Jesse erfolgt durch kurze Reisen über das Objekt in eine andere Dimension – in die Astralebene. Dort wird die neue Fähigkeit in einer Art Tutorial erlernt. Wenn wir den Abschnitt erfolgreich meistern, steht uns die neue Fähigkeit zur Verfügung und kann wie die Waffen modifiziert werden. So können wir zum Beispiel den Wurfschaden erhöhen oder länger schweben. Sowohl die verschiedenenen Waffen, insbesondere aber die Fähigkeiten sorgen für viel Abwechslung in den Kämpfen. Können wir am Anfang nur mit der Pistole auf Gegner ballern, schleudern wir später ganze Sitzbänke gegen unsere Feinde – während wir in der Luft schweben! Das macht irrsinnig viel Spaß und geht gut von der Hand.

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    Das Kämpfen mit der Amtswaffe und paranormalen Fähigkeiten macht Laune und ist zudem cool inszeniert.

    Bürokratischer Wahnsinn


    Was leider weniger gut flutscht, ist der Gameplay-Flow insgesamt. Wobei hier die Einschränkung gilt, dass es sehr davon abhängt, was für ein Typ SpielerIn ihr seid. Solltet ihr gerne strikt die Haupt- und vielleicht die ein oder andere Nebenquest verfolgen und kein Auge für die Umgebung haben, dürftet ihr recht geschmeidig durch Control gleiten. Wollt ihr jedoch wissen, was sich hinter jeder Ecke verbirgt, habt ihr allein schon aufgrund des Leveldesigns – wie gesagt: viele Räume, viele Gänge, viele Türen – einiges zu tun. Das wäre nicht weiter schlimmt, allerdings drängt euch das Spiel geradezu dazu, alles abzusuchen. Denn ein großer Teil der Hintergrundgeschichte wird über Dokumente und einige Tonbänder bzw. Videos erzählt. Da hat es Remedy etwas zu ernst genommen mit der Bürokratie einer Staatsbehörde. Denn ihr findet wirklich jede Menge Dokumente. Jede! Menge! Ständig blinkt in irgendeinem Winkel des Raumes ein kleiner Marker für einen Container mit Upgrade-Material – oder eben für Dokumente. Egal wo hin ihr kommt, ständig liegt irgendwas rum, das eure Aufmerksamkeit erfordert. Und auch das Lesen der Dokumente selbst ist etwas umständlich: ihr sammelt die Akte mit einem Knopfdruck auf, müsst dann manuell ins Menü wechseln, wo es weitere Untermenüs für die verschiedenen Dokument-Typen gibt. Dort scrollt ihr eine immer länger werdende Liste durch, bis ihr das neue, markierte Dokument gefunden habt und endlich lesen könnt. Das reißt euch enorm aus dem Spielfluss, weil ihr viel zu viel Zeit mit Lesen und dem Bedienen des Menüs verbringt. Klar könnte man diese Story-Häppchen ignorieren, aber wer will das schon bei einem Remedy-Spiel? Denn die Inhalte, die ihr dort zu lesen bekommt, sind für das Verständnis dessen, was im Haus des FBC vor sich geht, durchaus interessant. Bisweilen sind die Akten sogar komisch, zum Beispiel wenn sich ein Mitarbeiter bei seinem Vorgesetzten darüber beschwert, dass durch die jüngste Verschiebung des Hauses die Toilette verschwunden ist und man sie doch bitte endlich suchen möge. Auch Verweise auf andere Spiele von Remedy, wie Alan Wake, würden durch das Ignorieren der Akten verloren gehen. Und so waren wir hin und her gerissen zwischen Freude über den Inhalt der Collectibles und Genervtheit über die Menge und umständliche Menüführung.

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    Die Akten müssen umständlich über Untermenüs aufgerufen werden. Dafür enthalten sie interessante Hintergrundinformationen oder Verweise auf andere Remedy-Spiele, wie hier auf Alan Wake.

    Spannendes Setting und dichte Atmosphäre


    Am Ende empfiehlt es sich aber dann doch, Akten zu wälzen. Denn durch die erfahrt ihr einfach mehr von der Geschichte und der Tätigkeit des FBC. Ansonsten wird die Story nämlich eher kryptisch und spärlich erzählt. Flüsterstimmen, Der Rat und Gedanken von Jessem sorgen dafür, dass ihr Stück für Stück tiefer in den Kaninchenbau des Ältesten Hauses eintaucht und auch immer ein Stückchen mehr von dem versteht, was dort vor sich geht. Auch einige NPC sind in verschiedenen Bereichen des Hauses zu finden. Die versorgen euch mit Nebenquests, bieten aber zudem ein paar Dialogoptionen. In diesen Gesprächen erfahrt ihr mehr über die Person selbst, aber auch mehr zum FBC und den mysteriösen Ereignissen. Nicht gut gelungen ist jedoch die (deutsche?) Lippensynchronisation. Während die Sprecher selbst einen hervorragenden Job gemacht haben, ist die Verbindung zwischen Gesichtsbewegung und Sprechen schlicht nicht vorhanden. Oft wirken die Lippenbewegungen fast willkürlich: ihr hört euren Gegenüber sprechen, aber seine Lippen bleiben geschlossen – und umgekehrt. Dann wiederrum, passt die Synchronisation wieder für einen kurzen Moment. Da sollte Remedy dringend nachbessern, denn dieser technische Schnitzer kostet einiges an Immersion und somit Atmosphäre.

    Dennoch: gerade die Atmosphäre, die vielen Mysterien im Ältesten Haus, die Spannung, die permanent in der Luft liegt; all das sind große Stärken des Spiels. Immer wollt ihr wissen, was es mit diesem oder jenen Ereignis und Objekt auf sich hat. Und auf der Suche nach Antworten, begebt ihr euch durch eine Welt, die ihr so vorher in noch keinem Spiel erlebt habt. Der Mix aus Abgedrehtheit und kaltem brutalo-Industriecharme ist schlicht großartig! Und ohne spoilern zu wollen: bei gewissen Sequenzen (Stichwort: Labyrinth), konnten wir ein freudiges Grinsen der Begeisterung nicht mehr aus dem Gesicht bekommen.

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    Der Stil und die Atmosphäre sind zwei der großen Stärken des Spiels.

    Fazit


    Remedy hat es mit Control wieder einmal geschafft ein Spiel zu schaffen, das sich nicht darum schert, was gerade der große Trend am Gaming-Markt ist. Es ist kein Service-Game, hat keinen Multiplayermodus und bietet nicht mal Mikrotransaktionen. Aber nicht nur deswegen fühlt sich Control herrlich anders an, als der Rest der anderen Spiele da draußen. Das Setting ist besonders und die Story spinnt einen tollen Mix aus Realität und Mysterie. Akte X-Fans werden bei Control gewiss ihre Freude haben. Doch nicht nur mit Setting, Story und Atmosphäre kann Control punkten. Auch das Gameplay der Action-Sequenzen geht gut von der Hand. Die Gegner mit ausgefallener Knarre und verschiedenen Fähigkeiten optisch eindrucksvoll ins Jenseits zu befördern, macht einfach Spaß. Somit können wir Control nur jedem ans Herz legen, der sich auch nur einen Hauch für das Setting und Mysterie begeistern kann.

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