Teil 3: Starke Persönlichkeiten


  1. Die Rolle der Frau(en)


    Einer der interessantesten Aspekte bei der Betrachtung des Witcher-Universums ist das Frauenbild und welche Rolle den unterschiedlichen Frauen in der Welt zukommt. Dabei ist nicht nur die Prinzessin und spätere Hexerin Cirilla Fiona Elen Riannon erwähnenswert. Es sind unter anderen auch Magierinnen wie die ambitionierte Yennefer von Vengerberg, die gutmütige Triss Merigold von Maribor oder die ehrgeizige Philippa Eilhart, die Elfenanführerin und Rebellin Aelirenn, oder die Königin von Cintra Calanthe, genannt die „Löwin von Cintra". Während der Spiele übernehmen wir die Rolle von Geralt von Riva, einem männlichen Hexer, aber an seiner Seite haben sich dutzende Frauen als unschätzbare Hilfe und wichtige Verbündete erwiesen. Während der Singleplayer-Kampagne von „Thronebreaker: The Witcher Card Game" übernehmen wir die Rolle der Königin Meve, der Herrscherin von Rivien und Lyrien, bei der Verteidigung gegen den Aggressor Nilfgaard. CDPR zeigt hier eindrucksvoll, dass eine spannende Geschichte keinesfalls durch die Augen eines männlichen Protagonisten erzählt werden muss.

    Die Witcher-Serie muss sich, wie alle anderen Fantasy-Serien auch, den Vergleich zu einem „Herr der Ringe" oder einem
    „Game of Thrones" gefallen lassen. Das ist nachvollziehbar, da alle genannten zu dem Fantasy-Genre zählen und Fans und Kritiker gleichermaßen einen Vergleich bemühen. Abseits des persönlichen Geschmacks, der Vorlieben bei Bewohnern und Kreaturen einer Fantasy-Welt, wie die Handlung verlaufen und wer das Gute und wer das Böse verkörpern soll, ist die Besetzung der (wichtigsten) Rollen eine Entscheidung, welche die Schriftsteller, Drehbuch-Autoren und Game-Designer treffen, noch während sie die Geschichte schreiben und die Rahmenhandlung festlegen.
    Bei der Entscheidung zur Besetzung können dann soziologische Hintergründe eine Rolle spielen, also in welchen Strukturen leben und agieren die Autoren (Kultur, Geschlechterzusammenhänge, ökonomische oder politische Verhältnisse, Machtgefüge usw.) und die Entscheidung, wem welche Rolle zukommt beeinflussen. Im Vorfeld der Witcher-Serie kam es zum Beispiel zu einer Debatte über die Besetzung der Fringilla Vigo, die in den Spielen Weiß war und in der Serie Schwarz ist.
    Die Entscheidung zur Besetzung der Fringilla Vigo durch die britische Schauspielerin Mimi Ndiweni kann ebenfalls soziologisch und oder auch politisch beeinflusst gewesen sein. Das Thema ist ein sensibles, denn wer will entscheiden oder bewerten ob sie die Rolle wegen ihrer schauspielerischen Leistungen, ihrer ethnischen Herrkunft oder beidem bekommen hat?
    Festzuhalten bleibt, dass bei der Besetzung der Rollen, die Schriftsteller und Autoren durch gewisse gesellschaftliche Hintergründe beeinlussbar sind, während sie die Geschichte schreiben.
    Gleichzeitig und das ist dabei genauso interessant, können diese Werke dann, als Teil des Kulturguts, die Gesellschaft wiederum in gleichem Maße beeinflussen.

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    Triss Merigold von Maribor, auch genannt "Vierzehnte von der Anhöhe" macht keine halben Sachen. Ihre Angriffszauber
    können eine verheerende Wirkung entfalten.


    In John R. R. Tolkiens Büchern „Der Herr der Ringe", welche Peter Jackson in den gleichnamigen Filmen ab 2001 in die Kinos brachte, waren alle Gefährten die sich aufmachten, um die Welt vor dem Bösen zu retten, männlich. Das nun ausgerechnet ein kleiner Hobbit, der friedlichste und harmloseste Bewohner Mittelerdes, die schwere Bürde des mächtigen Ringes tragen muss, ist natürlich so gewollt und ein wichtiger Aspekt der dramatischen und spannenden Handlung. Aber hatte Tolkien darüber nachgedacht Frodo zu einem weiblichen Hobbit zu machen? Darüber kann man nur spekulieren. Bekannt ist jedoch, dass auch nicht an Stelle einer der drei anderen Hobbits eine weibliche Heldin auf die gefährliche Reise geschickt worden ist.
    Eine weibliche Elfin wäre doch sicherlich genauso geschickt mit Pfeil und Bogen gewesen wie Legolas und eine weibliche Zwergin hingegen trinkfest und stark mit der Axt. Tolkiens Abenteuer enstand in den Jahren zwischen 1920 und 1930,
    wurde letztendlich 1954 veröffentlicht und spiegelt sicherlich auch Tolkiens Persönlichkeit, sein Umfeld und seine Lebensumstände wieder.

    In der TV-Show „Game of Thrones", welche auf George R. R. Martins Romanreihe „Das Lied von Eis und Feuer" basiert, haben wir es mit mehreren Charakteren zu tun, die eine Hauptrolle spielen und weiblich sind. Dabei hat Martin wert darauf gelegt
    die vielen verschiedenen Charaktere der Adelshäuser möglichst detailliert zu beschreiben. Bei den weiblichen Charakteren
    fällt jedoch auf, dass gewisse Makel sehr stark in den Vordergrund treten und die Frau nicht gerade gut dabei weg kommt.
    Es gibt eine menge Prostituierte und das scheint fast die einzige professionelle Beschäftigung zu sein, der eine gewöhnliche Frau in Westeros nachgehen kann. Die nach dem Tod ihres Mannes und ihrer beiden Söhne alleinige Herrscherin Westeros Cersei Lennister, ist eine Tyrannin und schon seit Kindheitstagen eine durchtriebene und gemeine Person. So zumindest wird es in der Serie dargestellt und auch sonst bleibt uns diese, eine Erklärung für Cerseis krankhaftes Verhalten schuldig.
    Die „Mutter der Drachen", Daenerys Targaryen, wird zur Heirat gezwungen nachdem ihr eigener Bruder androht, er würde sie von allen „Dothraki" mitsamt ihrer Pferde besteigen lassen, um seine Armee zu bekommen. Und obwohl Daenerys sich ihren eigenen Lebensweg nicht ausgesucht hat, nimmt sie im weiteren Verlauf ihr Schicksal selbst in die Hand, um dann zu einer Mörderin zu werden, im Blutrausch unzählige Menschen zu ermorden und dann letztendlich von einem männlichen Helden umgebracht zu werden. Die liebe und süße Sansa Stark durchlebt ein wahres Martyrium und schafft es bis zuletzt nicht sich von ihren Peinigern zu befreien, muss stattdessen von einem Mann gerettet werden. Aria Stark, ihre jüngere Schwester, wird zu einer Attentäterin mit beeindruckenden Fähigkeiten, jedoch fristet sie ihr Dasein am Rande der Gesellschaft. Immerhin darf sie den „Nachtkönig" töten. Die einzige Frau die ein wirklich selbstbestimmtes Leben führt, wird dann bei der „Roten Hochzeit" brutal erstochen, mit einigen Stichen in den schwangeren Babybauch und verblutet qualvoll am Boden. Und ein kleines Mädchen, welches ein (möglicherweise selbstbestimmtes) Leben noch vor sich hatte, wird auf dem Scheiterhaufen verbrannt (was so in den Büchern im übrigen nicht stand) und ihre desolate Mutter bemerkt erst im letzten Moment, wie untätig und lethargisch sie sich eigentlich die ganze Zeit über verhalten hat. Das alle Figuren ihre dunklen Seiten haben, war ein Anliegen von Martin. Auffällig ist jedoch, dass die freundlichsten, gutmütigsten und am wenigsten mit Makeln behafteten Wesen Männer zu sein scheinen. An erster Stelle John Snow, der sogar auf den Thron verzichtet, obwohl er ihm zusteht, nur um die weibliche Thronbesteigerin dann zu töten weil... ja weil es sein muss. Dann wäre da sein kleiner Bruder, der später sogar Herrscher über Westeros wird und ebenfalls beeindruckende Fähigkeiten hat. Sein Ziehvater, zwar tot, aber ebenfalls gutmütig und edel. Samwell Tarly, Maester Aemon Tyrion Lennister, Hodor usw. ...
    Erschienen sind die Bücher zwischen 1996 und 2011 und auch hier kann man, wie bei fast allen künstlerischen Werken, zwischen Autor und Werk und dem Umfeld und den Lebensumständen einen gewissen Zusammenhang vermuten.

    Nun sollte man nicht vorschnell urteilen und dem Autor oder Werk böse Absichten und das Bestätigen von Klischees unterstellen. Aber die Erschaffung einer eigenen Fantasy-Welt, mit ihren eigenen Gesellschaftsformen, Idealen, Konventionen und Strukturen ermöglicht eben eine eigene Definition der Geschlechterrollen und damit auch die Möglichkeit, real vorhandene Modelle neu zu interpretieren bzw. aufzubrechen. Nichts was in der realen Welt Gültigkeit besitzt muss in der eigenen, der Phantasie entsprungenen Welt noch richtig oder von Wert sein. Wenn der Autor allerdings beabsichtigt gewisse Problematiken und Konflikte in der realen Welt auf seine Fantasy-Welt zu übertragen, ist das im besten Fall klar ersichtlich und gut akzentuiert. Und im schlimmsten Fall eben nicht so deutlich und nur noch Bedienung gängiger Klischees.

    Auch in Sapkowskis Fantasy-Welt treffen wir immer wieder Frauen, die dem horizontalen Gewerbe nachgehen. Nur werden sämtliche Bordelle in allen Witcher-Spielen von Frauen geleitet und nicht von einem Mann der Sorte Kleinfinger. Ob die Leitung eines der Bordelle auch in der Witcher-Serie an eine Frau fällt, bleibt abzuwarten.
    Eine weitere besondere Rolle fällt den Elfen in Sapkowskis Geschichten zu. Viele von den „freien Elfen" haben sich zu Rebellengruppen organisiert, den „Scoia'tael". Dort kämpfen weibliche und männliche Elfen gemeinsam einen Partisanenkrieg. Das gesamte Volk der Elfen wirkt im übrigen sehr fortschrittlich und man sucht vergebens nach klassischer Rollenverteilung.
    Ein weiterer Aspekt, der auch in der Serie erwähnt wird, ist die Magierinnen-Akademie Aretusa. Dort werden Frauen zu Magierinnen ausgebildet und je nach Talent, steigen sie entweder auf, oder dienen dem „Kapitel" auf andere Weise. In der siebten Folge erfährt Yennefer bei einem Besuch der Schule, dass wohlhabende Familien nun sogar für die Aufnahme ihrer Töchter ein Schulgeld bezahlen würden. Da die Magierinnen angesehene und teilweise auch gefürchtete Mitglieder der Gesellschaft sind, kann man hier durchaus von einer Elitebildung sprechen. Schließlich sollen viele Magierinnen künftig als Beraterinnen bei Hofe dienen und bekleiden somit wichtge Ämter. Frauen die eine Elite darstellen, für dessen Bildung auch noch bezahlt wird, sucht man in Westeros oder Mittelerde vergebens.

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    Drei starke Frauen, früher oder später, sind beispielhaft für Andrzej Sapkowskis Fantasy-Welt.

    Sapkowskis Fantasy-Welt hebt sich deutlich von anderen ab, auch in der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau, oder Frau und Mann. Und das ist ungewohnt und erfrischend zugleich. Das es nun auch noch einer Frau ist, die dieses fein nuancierte Universum mit all seinen „Graustufen" auf die Bildschirme bringt, scheint einigen Mitbewerbern und Kritikern nicht zu passen. Doch für unsere Kulturbildung und Gesellschaft ist es wichtig, dass wir allen Menschen die gleiche Bühne bieten, egal welches Genre sie bedienen, welche Hautfarbe sie haben und welche Geschlechtsidentität.

    Über den Autor

    Scherbenmeister
    Angefangen mit "The Witcher 2: Assassins of Kings", bin ich ein begeisterter Fan der Serie und habe mitlerweile alle Spiele gespielt, inklusive "Thronebreaker: The Witcher Card Game", die Bücher gelesen und die Netflix-Serie geschaut.

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