(Un)Lucky Times in der Türkei - Part I

Von belerad · 23. Dezember 2022 ·
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    Holpriger Start



    Nachdem ich im letzten Bericht die Europäische Union bereits verlassen hatte, machte ich mich jetzt daran, ebenfalls dem europäischen Kontinent Lebewohl zu sagen.


    Gleich als ich angekommen bin, hätte ich mir schon denken können, dass die Türkei mir einige Probleme bereiten wird. Zuerst sprach der Grenzbeamte, der an der Grenze zu Europa stationiert war, kein einziges Wort englisch. Ich war mir nicht sicher wegen der Aufenthaltsdauer, da es aufgrund der Covid Situation unterschiedliche Aussagen gab, und hätte mich gerne darüber näher informiert, aber nein.
    Als ich schließlich in Edirne ankam, hieß es erstmal türkische Lira besorgen und eine Sim Karte. Aber es wurde schon langsam wieder spät, so dass ich nur sporadisch durch die Stadt fuhr und an jedem Geldautomaten, den ich fand, viel zu hohe Gebühren hätte zahlen müssen. So gab es nur geringes Taschengeld für mich und da ich auf die Schnelle auch keinen offiziellen Shop eines Providers fand, ging es dann auch ohne Internet weiter.

    Der Tag wurde auch noch immer besser, als ich, kaum hatte ich mein Zelt aufgebaut, von Moskitoschwärmen angegriffen, ja, attackiert wurde. Mein Plan, noch lecker zu Abend zu kochen, fiel also ins Wasser und stattdessen gab es Tomaten und Brot.

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    Der schnellste Weg weiter nach Istanbul hätte mich über die Autobahn geführt. Aber einerseits weiß man in jedem neuen Land nicht genau, wie das mit Radlern auf der Autobahn gehandhabt wird und andererseits versuche ich den großen Straßen ja ebenfalls aus dem Weg zu gehen. So führte mich mein Weg stattdessen über Kirklareli, Saray und Gümüspinar bis nach Catalca, was sich im Nachhinein aber ebenfalls als Fehler herausstellte. Zwar wurde ich hier schon Zeuge der türkischen Gastfreundschaft und des Öfteren zu Cay (Tee) und Essen eingeladen, doch war die Straße selbst ein Graus.

    Ich fahre ja gerne Berge und genieße neben der Aussicht am Summit auch die körperliche Anstrengung. Das macht mir einfach Spaß. Auf dieser Strecke ging es auch gehörig bergauf und bergab, aber immer nur im Bereich 50m Hoch und wieder Runter umzingelt von Wald. So gab es weder Aussicht, noch konnte der Körper richtig warmlaufen, um gut Bergauf fahren zu können.
    Aber das war nicht genug. Auf einem Groß des Streckenabschnitts sind ständig LKW mit Zement und Steinen hin und her gefahren und wirbelten endlose Mengen an Steinstaub in die Luft. Was das bei über 35°C, schwitzend auf dem Rad für mich bedeutet hat, kann man sich sicherlich denken.

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    In Catalca ging es nun endlich zum Provider für eine Simkarte, nur das dieser mit keine verkaufen konnte, da sie keine Touristen Sim Karten hatten. Ich war unendlich froh, dass ich eine App mit Offline Karten und Locations habe.
    Von dort ging es dann auf einem 5km langen Feldweg kerzengerade weiter, als ich an einer Unterführung unter Zuggleisen ankam, die auf dem ersten Blick etwas unter Wasser stand. Nicht absteigend fuhr ich schnurstracks durch und war ebenso schnurstracks bis zum oberen Ende meines Gepäckträgers im Wasser. Glücklicherweise bin ich nicht gekippt. Die Taschen sind zwar wasserdicht bei Regen, aber nicht für Unterwasserabenteuer gedacht. Trotzdem waren die unten angebrachten Taschen durchnässt, was nicht so schlimm war, war jegliche empfindliche Ausrüstung in der Lenker- und Sporttasche, die über dem Wasser blieben. Aber es nützte nichts, mit so nassen Sachen brauchte ich ihn nicht weiter zu fahren, weshalb ich direkt in der nächsten Ortschaft, Bahsayis, mein Zelt aufschlug.
    Natürlich stellte ich kurze Zeit darauf fest, dass mein toller Zeltplatz am Büyükcekmece See, ein halb ausrangierter Friedhof war. Das war mir zu dem Zeitpunkt dann aber auch egal!



    Ankunft in Istanbul


    Am nächsten Tag ging es dann auf nach Istanbul, schließlich konnte ich die Skyline der Metropole schon sehen. Und da meine Nerven von den letzten Tagen erstmal eine Pause benötigten, suchte ich mir auch ein Hostel aus. Oder besser gesagt, ich suchte mir eine Liste von meiner Karte zusammen und wollte sie nach und nach abfahren, bis ich eins finde, das mir passt. Zeit hatte ich ja genug, ich war ja schon fast da.

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    So dachte ich zumindest, hatte die Rechnung aber weder mit den enormen Höhenmetern gemacht, die ich in Istanbul zu bewältigen hatte, noch mit der enormen Hitze, die die Großstadt ausstrahlt. Mit was ich ebenfalls nicht gerechnet hatte, war die türkische Gastfreundschaft, die selbst in Städten wie Istanbul keinen Halt macht.

    Ich war gerade dabei, auf der Autobahn einen Berg hoch zu trampeln, als ich mich entschloss, an einer Tanke erst mal gemütlich Frühstückspause zu machen. Ich war keine fünf Minuten gesessen, als plötzlich ein Tankwart aus dem Büro kam und mir einen großen Becher Cay schenkte und kurz darauf schenkte mir noch eine Familie, die neben mir Pause machte, kommentarlos einen selbstgemachten Cupcake. Da war ich erst einmal baff.

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    Frisch gestärkt, trottete ich weiter durch den Verkehr und wurde eine Stunde später von einem Rollerfahrer eines Lieferdienstes angehalten und gefragt, ob ich Hunger hätte. Schwups war ich zum Essen im nächsten Cafe/Restaurant eingeladen. Dabei hatte der Fahrer selbst nicht mal Zeit, bestellte für mich Essen, zahlte und musste auch schon wieder weiter. So kam ich aber ins Gespräch mit dem Besitzer des Imbisses und bekam nach ein paar gewechselten Worten auch gleich die doppelte Portion und mehrere Gläser Cay ausgegeben. In Deutschland für mich so nicht vorstellbar.


    Bis ich dann aber schließlich am ersten Hostel angekommen bin, war es schon später Nachmittag und ich war fix und fertig. Wer meine bisherigen Berichte gelesen hat weiß ja, dass ich für Städte und ganz besonders den Verkehr nicht so viel übrig habe. So kehrte ich für die nächsten zwei Nächte im Agora Hostel ein. Am Tag dazwischen machte ich noch ein paar Wanderungen durch die nähere Stadt und schaute mich auch nach diversen Ersatzteilen um, wo ich aber enttäuscht wurde.
    Ebenfalls enttäuscht hat mich das Essen in Istanbul. So wollte ich mich selbst feiern und mal wieder etwas teurer türkisch Essen gehen. Im Nachhinein wäre ich lieber zum nächsten, günstigen Kebab gegangen, da das Essen im Restaurant echt enttäuschend war.

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    Am nächsten Morgen ging es aber endlich wieder weiter und per Fähre überquerte ich den Bosporus und war jetzt endlich auf der asiatischen Kontinentalplatte, wo ich mich am nächsten Laden auch gleich mit einer Sim ausgestattet hab.

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    Und wieder habe ich Istanbul unterschätzt. Es ist einfach unglaublich, wie groß die Stadt ist und wie lange man als Radler braucht, um auch nur die zweite Hälfte zu durchqueren. So schlug ich mein Zelt an diesem Tag an einer Strandpromenade auf, etwas hinter Buschwerk, so dass mich die Polizei von der Straße aus nicht sehen konnte. Autobahnen standen am nächsten Tag auf dem Programm. Es war einfach nicht mehr möglich weiter zu kommen, ohne darauf weiter zu fahren, was für mich zu dem Zeitpunkt noch sehr unangenehm war.


    Am Nachmittag zog das Wetter langsam zu und es fing an zu tröpfeln. Ich suchte mir einen Platz für die Nacht und wählte mir einen Pinienwald in einem Stadtpark mit Aussicht auf das Meer. Natürlich hatte ich gerade das Zelt aufgebaut, als Parkwächter ankamen und mich verjagten. Darum musste ich mich noch, bis in die tiefe Nacht im Regen, durch die Stadtregion Kocaeli kämpfen und baute letztendlich mein Zelt, direkt neben der Autobahn, an einem Hang, unter Regen und wie ein Narr um und auf mich schlagend auf.

    Hier hatte ich von der Türkei erst mal die Schnauze voll!


    Ich war froh, am nächsten Tag endlich wieder alternative Routen wählen zu können und bog auch gleich auf Höhe von Sapanca, auf einfache, steile, teils holprige, aber viel schönere Landstraßen ab und wurde am Ende des Tages auch mit einem schönen Zeltplatz am Fluss belohnt und von dessen Rauschen in den Schlaf gewogen.

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    Das Dilemma vor Ankara nimmt seinen Lauf


    Natürlich kommt eine solche Nacht nicht ohne einen gewissen Preis. Und so fuhr ich am nächsten Tag, mit bester Laune durch immer schöner werdende Landschaften, pflückte mir frische Mirabellen von Bäumen und genoss einfach das Leben.


    Am Nachmittag ging es mir dann aber schon nicht mehr so gut und ich entschied mich, für heute Schluss zu machen. Ich wollte gerade das Zelt aufbauen, als sich der Magen um 180° im Kreis drehte und ich schleunigst hinterm Busch verschwunden musste. Das Zelt baute ich anschließend nur fahrlässig auf und legte mich sofort hin, Klopapier direkt neben dem Kopf. Mir ging es echt hundsmiserabel und während ich schwitzend und frierend im dicken Schlafsack lag, stellte fest, dass ich 39°C Fieber hatte und döste völlig erschöpft ein.


    Mit einem sehr feuchten Gefühl im Gesicht wachte ich wieder auf. Es war mitten in der Nacht, es war sehr dunkel und das Wetter hat von einem ruhigen und warmen Sonnentag zu einem ausgewachsenen Gewittersturm umgeschlagen. Das nur halbherzig aufgebaute Zelt hatte sich teils aufgelöst. So schlug sich das Außenzelt halb über das Innenzelt, welches wiederum sein nasses Fabric in mein Gesicht drückte, da sich die Heringen auf der Windseite alle gelöst hatten. Als ich so langsam wach und mir meiner Lage bewusst wurde, meldete sich auch mein anderes Problem wieder zu Wort und lenkte meine Aufmerksamkeit auf die nasse Papierrolle.

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    Hätte ich diesem dringenden Verlangen nachgegeben, wäre mein Zelt wahrscheinlich im ganzen davon geweht. Stattdessen verbrachte ich die nächste Stunde damit, mit einer Hand die eine Zeltspitze am Kopf fest zu halten, dem Fuß an der gegenüberliegenden Seite und einer Hand am Magen, der sich immer wieder verkrampfte.


    Irgendwie hatte ich es dann aber dennoch überstanden, das Unwetter ließ nach und ich konnte dringende Bedürfnisse befriedigen und das Zelt nochmal ordentlich festmachen und mit einem Handtuch trocknen. Anschließend schlief ich endlich ein und konnte mich gut erholen.


    Noch etwas flau im Magen ging es am nächsten Tag weiter bergauf, durch eine trübe Nebelsuppe, der ich glücklicherweise entstiegen bin und am Ende vom Pass aus darauf hinunter blicken konnte.

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    Gleichzeitig änderte sich auch die Landschaft, fast könnte man sagen auf einen Schlag. Statt mit Wäldern und Bäumen bewachsene Berge, wurde die Landschaft immer karger, bald schon wüstenhaft zu einer richtig schönen Art eines Ödlands. Das mag nicht so beeindruckend klingen, schaut aber in Persona echt wunderschön aus und hob meine Stimmung wieder sehr.

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    Der Nachteil an dieser neuen Freude war aber relativ schnell gefunden, als die Sonne ohne Gnade auf mich herab brannte und es weder Schatten noch Wasser zum Abkühlen gab.
    Trotz der Hitze war ich aber richtig gut gelaunt und setzte mir das Ziel, am Aladag Cayi See zu übernachten, ein mit 100km wieder etwas höheres Tagesziel, welches ich auch fast erreichte.


    500m hatte ich bis zum See noch Downhill zu fahren, als es plötzlich einen Knall gab und mein Hinterreifen auf einen Schlag komplett leer war. Ein einfacher Platter ist ja schnell geflickt, wenn es denn so gewesen wäre, aber das war es nicht. Mein Reifen, also der Mantel ist seitlich gerissen, der Schlauch zerfetzt und ich dachte mir ich kann meinen Augen nicht trauen.


    Lamentieren nützt aber gar nichts, also rann an den Speck!


    Den Mantel flickte ich erstmal provisorisch mit Panzertape von innen und für das Innenleben kam ein neuer Schlauch zum Einsatz. Es dauerte nur eine gute viertel Stunde bis ich wieder auf dem Bock saß und es weiterging.

    Ich wollte gerade weiterfahren, als mir ein junger Motorradfahrer entgegenkam, anhielt und sich als Yunus vorstellte. Ein total netter, lustiger und freundlicher junger Türke, der mich schließlich zu sich nach Hause in Beypazari einlud. Es waren noch 30km zu fahren und ich hatte eigentlich keine Lust mehr und machte mir auch um meinen Reifen sorgen, willigte aber dennoch ein und er fuhr schon mal voraus.

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    Direkt gegenüber des Sees fuhr ich dann noch an einem künstlich angelegten Vogelpark vorbei. Eine grüne Oase im Ödland. Einfach unglaublich schön.

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    Und nein, damit wollte ich nicht davon ablenken, dass sich das Tape nach gut einem Kilometer schon wieder zur Hälfte verabschiedet hat und der Schlauch anfing heraus zu quillen. Fahren war also schon wieder passé und ich schob weiter, bis ich schließlich gegenüber einer Fabrik mein Lager aufschlug und den Mantel meines Reifens nähte, in der Hoffnung, morgen weiter fahren zu können.

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    Natürlich hatte ich wiederum kein Glück und am nächsten Morgen, nach gut 5km, gab es wieder einen Knall und der Reifen war wieder platt. So schob ich die restlichen gut 20km bis zu meinen Gastgeber, der mich schon erwartet hatte und mich erstmal richtig lecker zum selbstgemachten türkischen Manaman, meinem Lieblingsessen in der Türkei, einlud.

    Anschließend ging es per Motorrad in die Stadt, wo wir in einem Ramschladen, einen 26” Kindermountainbikereifen aus Plastik, für keine 5€ fanden. Besser als nichts.

    Ich verbrachte auf jeden Fall noch einen wunderschönen Tag mit Yunus und seiner Freundin und wir hatten wirklich viel zu lachen. Dennoch hieß es am nächsten Morgen Abschied nehmen. Beide fuhren auf die Arbeit und ich machte mich daran, den neuen Reifen aufzuziehen und hatte insoweit Glück, dass er sich montieren ließ und auch passte.
    Weniger Glück hatte ich bei den Fahreigenschaften. Da er weder für das Gewicht, noch für mehr als 3 Bar ausgelegt war, konnte ich damit zwar noch gut geradeaus fahren, jedoch ging er etwas in die Knie wenn ich mich drauf setzte und in Kurven musste ich äußerst vorsichtig sein, drückte es den Reifen doch sehr nach außen, was sich so anfühlte als würde man auf rohen Eiern fahren.

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    Jeder normale Mensch wäre wahrscheinlich auf der kürzesten und einfachsten Strecke nach Ankara gefahren, aber solche Sachen mache ich natürlich nicht. Anstatt also direkt über Ayas, führte mich meine Route über eine wunderschöne Berg- und Talstrecke durch Güdül, Turnalı, Kahramankazan und Kiliclar. Dabei ist mir Güdül hier am meisten in Erinnerung geblieben, nicht wegen der Landschaft, sondern wegen der Soundkulisse.


    Ich hatte mein Zelt, direkt östlich der Stadt, auf einer recht ordentlichen Anhöhe aufgebaut. Dabei war ich immer noch in einer Art Außenbezirk des Dorfes, da es noch vereinzelt Häuser und eine Moschee gab. Und es ergab sich, dass Abends der Muezzin mit seinem Gesang einsetzte und dabei schon zu den wenigen Ausnahmen gehörte, die wirklich singen können. Aber nicht nur das, sondern der Gesang hallte von der Bergwand wieder und im nächsten Moment erklang der Gesang des eben gleichen Muezzins aus der Moschee im Tal und auch dieser hallte, in fast perfektem Abstand eines Kanons, von der Bergwand wieder.

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    Über den Autor

    belerad
    Baujahr 1982, 30 Jahre Videospielgeschichte und jetzt Abstinent, gehe ich auf Weltreise und versuche Menschen mitzunehmen, die neben dem Zocken, auch auf wirkliches Abenteuer Interesse haben.

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