Atmosphäre - ja, bitte!
Wenn Personen über atmosphärische Spiele sprechen, kommen sie oft ins Schwärmen. Mit verklärtem Blick erzählen sie über virtuelle Geschehnisse, als wären diese Erlebnisse aus dem echten Leben. Atmosphärisch gelungene Werke sind etwas Besonderes und wenn in Rezensionen oder Testberichten dieses besagte „A-Wort“ fällt, bedeutet das fast schon so etwas wie ein kleines Gütesiegel.
Und wen wundert's? Das Erzeugen einer stimmungsvollen Atmosphäre ist eine der Königsdisziplinen in der Videospielproduktion. Sie kann ein technisch eher mäßiges Spiel aufwerten und ein eigentlich gutes Werk ruinieren. Für viele Spiele ist ein stimmungsvolles Spiel wertvoller als eines, das zwar sonst keine Macken hat, aber einen nicht richtig mitnimmt, in die Spielwelt entführt.
Atmosphäre – Was ist das überhaupt?
Die ästhetische Atmosphäre ist ein eher komplexer und schwer greifbarer bzw. definierbarer Begriff. Will man ihn erklären, kommt man schnell ins Stocken, Worte fehlen, um die ganze Bedeutung wiederzugeben. Da Atmosphäre etwas Ästhetisches und damit auch subjektiv ist – was dem Einen gefällt, lässt den anderen kalt. Was bei dem Einen Emotionen erzeugt, hat keinerlei Wirkung auf den anderen – macht es noch schwerer, dieses Phänomen entsprechend zu erläutern.
Allgemein lässt sich aber wohl sagen, dass Atmosphäre (zumindest in Videospielen) das stimmige Zusammenspiel von Setting (inkl. Lichstimmung und visuellen Effekten), Spielfiguren, Dramaturgie und Soundkulisse (oder das Fehlen einer oder mehrerer dieser Faktoren) ist. Diese Elemente müssen ineinander greifen und sich gegenseitig widerspiegeln, um den atmosphärischen Effekt zu erzeugen oder zu verstärken. Wenn all diese Dinge passend inszeniert werden, so, dass eine besondere Stimmung erzeugt wird, kommt eine Atmosphäre auf, die im Idealfall beim Spieler etwas auslöst. Diese Emotionen sind zumeist subjektiv, können aber auch eine breite Masse ansprechen.
Wer eine stimmungsvolle Atmosphäre erzeugt, darf sich als Künstler bezeichnen
Eine gelungene Atmosphäre zu erzeugen, ist an sich kein Hexenwerk (was man an gelungen Werken ja sehen kann), aber eben auch keine Kleinigkeit, die sich einfach so umsetzen lässt. Einige Werke stechen aus der breiten Masse heraus, weil sie etwas Besonderes an sich haben, weil sie dem Spieler ein Erlebnis schenken. Wer würde schon den dramatischsten Moment der Story von "The Last of Us" vergessen? Wer war nicht schon mal vom Stil, den die Bloodborne-Macher dem Game verpasst haben, hingerissen? Usw pp...
Wenn Gamedesigner alles richtig machen, schaffen sie ein Szenario, in dem sich Geschichte, Ton und Bild ergänzen und beim Spieler Empfindungen auslösen. Man erlebt etwas, das echt, greifbar wirkt, obwohl man eigentlich nur virtuellem Gut folgt. Erlebnisse im Spiel werden zu wertvollen Erinnerungen. Wenn man sich wirklich mitreißen lässt, hat man das Gefühl, etwas erlebt zu haben, das man bis zum Ende seiner Lebzeiten nicht mehr vergisst.
Spiel, Spaß und Spannung
Als Entwickler sollte man die Atmosphäre daher nicht außer Acht lassen. Wer heute ein Videospiel kauft, will gleich mehrere Sachen. Man will unterhalten werden – und das bestens. Wer will schon Geld für etwas ausgeben, das einen langweilt? Man will etwas erleben. Man vergisst nie ein Spiel, das einen mitgerissen hat, von dem man so begeistert war, dass man es am liebsten gar nicht mehr ausschalten wollte.
Und die Mundpropaganda wirkt immer noch ziemlich gut. Oft wird in Foren oder im Privaten nach atmosphärischen Spielen gefragt. Nicht umsonst haben neue und alte Klassiker ihre ganz eigene Atmosphäre, die sie unvergesslich macht und für ein besonderes Spielerlebnis sorgte.
Alien: Isolation – Beim ersten Durchgang ein nervliches Wrack, beim zweiten Mal immer noch tief beeindruckt
Wie viel eine dichte Atmosphäre wert ist, merkte ich, als ich Alien: Isolation (ein zweites Mal) zockte. (Achtung, Fangirl voraus).
Auch wenn es schon gut anderthalb Jahre her ist, dass ich mich das erste Mal durch die Sevastopol „kämpfte“ (ich saß oft in Schränken oder unter Tischen oder unter Krankenbetten), wusste ich noch, dass es relativ lange dauert, bis man das erste Mal auf das Alien trifft. War ich beim ersten Durchgang bereits ab dem ersten Schritt ein nervliches Wrack, ließ mich mein Wissen über das Spiel beim zweiten Mal viel gelassener an die Sache rangehen.
Bis ich auf der Sevastopol war. Und die unheimliche Atmosphäre zunahm. Man landet auf einer scheinbar verlassenen Raumstation, alles hastig zurückgelassen, der ganze Komplex ist zum Teil schon dabei zu verfallen, der Strom geht nicht, Wege sind versperrt und immer diese unheimlichen Geräusche, die sich so anhören, als würde das ganze Ding bald einfach auseinander brechen. Und man selbst mittendrin. Allein. Mit Menschen, die ums eigene Überleben kämpfen. Mit Synths. Und diesem Biest von Alien...
Bei Alien: Isolation stimmt so vieles. Sound, Lichtstimmung, verlassene Gänge, Synths, die einem in Massenmörder-Manier folgen – nicht rennen, nur zügig gehen – ein riesiger Planet, auf den man einen Blick erhaschen kann, wenn man an einem Fenster vorbeikommt, der Bewegungsmelder, der einem mit leisem Piepen mitteilt: "Achtung, da ist was!", unheilvolles Stöhnen und Ächzen der Raumstation, die genauso klingt wie die Titanic, als sie dabei war, unterzugehen, und das Alien, gegen das man keine Chance hat, wenn es einen erst einmal entdeckt hat. Und so kommt es, dass ich nach nur kurzer Spielzeit schon wieder nervlich am Ende bin. Mich im Schrank verstecke und mich frage, warum ich mir das eigentlich antue.
Wegen dem Spaß. Ja, diese psychische Folter macht mir Spaß (zumindest wenn ich das Spiel nicht alleine durchstehen muss). Und auch heute erzähle ich ständig davon, wie toll dieses Game von Creative Assembly einfach ist.
Die Atmosphäre beeindruckt mich in jeder Spielminute wieder aufs Neue. Fast fühlt es sich so an, als wäre ich wirklich auf der Sevastopol gewesen. Aber zum Glück eben nur fast.
Zum Abschluss ein Zitat: Goethe sagt "Alles Lebendige bildet eine Atmosphäre um sich her". Genauso ist es wohl mit atmosphärischen Spielen, sie sind irgendwie lebendig(er).
Von ästhetischer Atmosphäre
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