Von ästhetischer Atmosphäre

Von 8Lisa91 · 28. April 2016 · Aktualisiert am 28. April 2016 ·
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  1. Atmosphäre - ja, bitte!
    Wenn Personen über atmosphärische Spiele sprechen, kommen sie oft ins Schwärmen. Mit verklärtem Blick erzählen sie über virtuelle Geschehnisse, als wären diese Erlebnisse aus dem echten Leben. Atmosphärisch gelungene Werke sind etwas Besonderes und wenn in Rezensionen oder Testberichten dieses besagte „A-Wort“ fällt, bedeutet das fast schon so etwas wie ein kleines Gütesiegel.
    Und wen wundert's? Das Erzeugen einer stimmungsvollen Atmosphäre ist eine der Königsdisziplinen in der Videospielproduktion. Sie kann ein technisch eher mäßiges Spiel aufwerten und ein eigentlich gutes Werk ruinieren. Für viele Spiele ist ein stimmungsvolles Spiel wertvoller als eines, das zwar sonst keine Macken hat, aber einen nicht richtig mitnimmt, in die Spielwelt entführt.




    Atmosphäre – Was ist das überhaupt?

    Die ästhetische Atmosphäre ist ein eher komplexer und schwer greifbarer bzw. definierbarer Begriff. Will man ihn erklären, kommt man schnell ins Stocken, Worte fehlen, um die ganze Bedeutung wiederzugeben. Da Atmosphäre etwas Ästhetisches und damit auch subjektiv ist – was dem Einen gefällt, lässt den anderen kalt. Was bei dem Einen Emotionen erzeugt, hat keinerlei Wirkung auf den anderen – macht es noch schwerer, dieses Phänomen entsprechend zu erläutern.
    Allgemein lässt sich aber wohl sagen, dass Atmosphäre (zumindest in Videospielen) das stimmige Zusammenspiel von Setting (inkl. Lichstimmung und visuellen Effekten), Spielfiguren, Dramaturgie und Soundkulisse (oder das Fehlen einer oder mehrerer dieser Faktoren) ist. Diese Elemente müssen ineinander greifen und sich gegenseitig widerspiegeln, um den atmosphärischen Effekt zu erzeugen oder zu verstärken. Wenn all diese Dinge passend inszeniert werden, so, dass eine besondere Stimmung erzeugt wird, kommt eine Atmosphäre auf, die im Idealfall beim Spieler etwas auslöst. Diese Emotionen sind zumeist subjektiv, können aber auch eine breite Masse ansprechen.



    Wer eine stimmungsvolle Atmosphäre erzeugt, darf sich als Künstler bezeichnen

    Eine gelungene Atmosphäre zu erzeugen, ist an sich kein Hexenwerk (was man an gelungen Werken ja sehen kann), aber eben auch keine Kleinigkeit, die sich einfach so umsetzen lässt. Einige Werke stechen aus der breiten Masse heraus, weil sie etwas Besonderes an sich haben, weil sie dem Spieler ein Erlebnis schenken. Wer würde schon den dramatischsten Moment der Story von "The Last of Us" vergessen? Wer war nicht schon mal vom Stil, den die Bloodborne-Macher dem Game verpasst haben, hingerissen? Usw pp...
    Wenn Gamedesigner alles richtig machen, schaffen sie ein Szenario, in dem sich Geschichte, Ton und Bild ergänzen und beim Spieler Empfindungen auslösen. Man erlebt etwas, das echt, greifbar wirkt, obwohl man eigentlich nur virtuellem Gut folgt. Erlebnisse im Spiel werden zu wertvollen Erinnerungen. Wenn man sich wirklich mitreißen lässt, hat man das Gefühl, etwas erlebt zu haben, das man bis zum Ende seiner Lebzeiten nicht mehr vergisst.




    Spiel, Spaß und Spannung

    Als Entwickler sollte man die Atmosphäre daher nicht außer Acht lassen. Wer heute ein Videospiel kauft, will gleich mehrere Sachen. Man will unterhalten werden – und das bestens. Wer will schon Geld für etwas ausgeben, das einen langweilt? Man will etwas erleben. Man vergisst nie ein Spiel, das einen mitgerissen hat, von dem man so begeistert war, dass man es am liebsten gar nicht mehr ausschalten wollte.
    Und die Mundpropaganda wirkt immer noch ziemlich gut. Oft wird in Foren oder im Privaten nach atmosphärischen Spielen gefragt. Nicht umsonst haben neue und alte Klassiker ihre ganz eigene Atmosphäre, die sie unvergesslich macht und für ein besonderes Spielerlebnis sorgte.




    Alien: Isolation – Beim ersten Durchgang ein nervliches Wrack, beim zweiten Mal immer noch tief beeindruckt

    Wie viel eine dichte Atmosphäre wert ist, merkte ich, als ich Alien: Isolation (ein zweites Mal) zockte. (Achtung, Fangirl voraus).
    Auch wenn es schon gut anderthalb Jahre her ist, dass ich mich das erste Mal durch die Sevastopol „kämpfte“ (ich saß oft in Schränken oder unter Tischen oder unter Krankenbetten), wusste ich noch, dass es relativ lange dauert, bis man das erste Mal auf das Alien trifft. War ich beim ersten Durchgang bereits ab dem ersten Schritt ein nervliches Wrack, ließ mich mein Wissen über das Spiel beim zweiten Mal viel gelassener an die Sache rangehen.
    Bis ich auf der Sevastopol war. Und die unheimliche Atmosphäre zunahm. Man landet auf einer scheinbar verlassenen Raumstation, alles hastig zurückgelassen, der ganze Komplex ist zum Teil schon dabei zu verfallen, der Strom geht nicht, Wege sind versperrt und immer diese unheimlichen Geräusche, die sich so anhören, als würde das ganze Ding bald einfach auseinander brechen. Und man selbst mittendrin. Allein. Mit Menschen, die ums eigene Überleben kämpfen. Mit Synths. Und diesem Biest von Alien...
    Bei Alien: Isolation stimmt so vieles. Sound, Lichtstimmung, verlassene Gänge, Synths, die einem in Massenmörder-Manier folgen – nicht rennen, nur zügig gehen – ein riesiger Planet, auf den man einen Blick erhaschen kann, wenn man an einem Fenster vorbeikommt, der Bewegungsmelder, der einem mit leisem Piepen mitteilt: "Achtung, da ist was!", unheilvolles Stöhnen und Ächzen der Raumstation, die genauso klingt wie die Titanic, als sie dabei war, unterzugehen, und das Alien, gegen das man keine Chance hat, wenn es einen erst einmal entdeckt hat. Und so kommt es, dass ich nach nur kurzer Spielzeit schon wieder nervlich am Ende bin. Mich im Schrank verstecke und mich frage, warum ich mir das eigentlich antue.
    Wegen dem Spaß. Ja, diese psychische Folter macht mir Spaß (zumindest wenn ich das Spiel nicht alleine durchstehen muss). Und auch heute erzähle ich ständig davon, wie toll dieses Game von Creative Assembly einfach ist.
    Die Atmosphäre beeindruckt mich in jeder Spielminute wieder aufs Neue. Fast fühlt es sich so an, als wäre ich wirklich auf der Sevastopol gewesen. Aber zum Glück eben nur fast.

    Zum Abschluss ein Zitat: Goethe sagt "Alles Lebendige bildet eine Atmosphäre um sich her". Genauso ist es wohl mit atmosphärischen Spielen, sie sind irgendwie lebendig(er).

    Über den Autor

    8Lisa91
    Schreiben, Kino, Games&Medien, Kultur

Kommentare

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  1. Yeager
    Schöner Blog.

    Da hatten wir eine ähnliche Idee - schreiben beide über Kunst.
    Aber ich befürchte, dass wir beide keine Ahnung davon haben - würde jedenfalls ein ECHTER Künstler sagen :)
    Weisst du, was Kunst ist? Oder was sie nicht ist?
    Ich bin da ehrlich gesagt überfragt. Und es ist nicht so, dass ich mir keine Gedanken dazu gemacht hätte. Vielleicht sollten sich also Atmosphären-Erschaffer besser als "Nuancen-und-Stimmungs-Schubser" bezeichnen, als als Künstler ;-)

    Nicht missverstehen: Ich sehe es sonst genauso wie du. Und speziell was Alien Isolation angeht: Da sehe ich es, wie es Thomas Schwerdtel von GameStar sagte: Es bräuchte einen Spectator-Modus!
    Ganz ehrlich, das Alien nervt! Ich will die Sewastopol erkunden, eintauchen in diese einmalige Retro-futuristische Atmosphäre, die bis aufs letzte Jota wie aus dem ersten Teil geflossen zu sein scheint. Statt dessen kauere ich immer noch in der Krankenstation grummelnd unter einem Tisch und warte bis das Vieh weg ist. Falls!
    Das sage ich übrigens als bekennender Alien-Fan :)

    Aber das bestätigt ja nur deine Aussage: Atmosphäre ist wichtig. Nicht immer, es gibt auch Spiele, die auch ohne sie (oder zumindest ohne eine ausgeprägte Version von ihr) funktionieren. Ob allerdings eine hervorragende Atmosphäre ein ansonsten kaum durchdachtes Spiel retten kann, wage ich zu bezweifeln. Zumal auf Dauer.

    Vielleicht liegt es daran, dass es nicht nur verschiedene Geschmäcker gibt, sondern auch verschiedene psychologische Motivations-Trigger: Ich liebe z.B. das Tüfteln in rundenbasierten Taktikspielen. Aber ich kann mit Rennspielen nichts anfangen, der Reiz ist für mich da sehr schnell weg. Ich liebe Space-Opera-Sims, freue mich auf Star Citizen - aber in einer Flugsimulation stürze ich nicht nur wegen Unkenntnis der Landesysteme ab, sondern auch aus Langeweile. Und so weiter.
    Ein atmosphärischer toller Flugsimulator - wäre für mich immer noch ein Flugsimulator. Ja, die Motivation wäre vielleicht zunächst ausgebaut, aber nicht haltbar. Wie ein Wassereis: Sieht lustig aus, schmeckt gut, ist aber viel zu schnell "leer", wird fad, geschmacklos. Augelutscht. Da können die Farb- und Geschmacksstoffe noch so toll, die Verpackung noch so bunt gewesen sein. Der Effekt bleibt derselbe. Leider. Oder Gott sei Dank, je nachdem.
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  2. 8Lisa91
    Ihr habt beide recht. Es ist schwer, Atmosphäre als künstlerischer Sicht zu definieren, dazu kommt, dass ich auch kein Künstler bin und keine Ahnung von wahrer Kunst habe, aber dennoch habe ich einen Erklärungsversuch gewagt. Mag sein, dass viele dem widersprechen oder nicht einer Meinung sind, aber das ist eben auch nur ein Versuch ;)

    Ansonsten,
    @Bastius:
    Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Ich habe bisher noch nie ein VR-Spiel in der Hand gehabt (was sich hoffentlich bald mal ändert, neugierig bin ich nämlich schon!)

    @Yeager:
    Danke für deinen Kommentar! :)
    Soweit ich weiß, gibt es eine Mod, die die Gegner aus dem Spiel nimmt, damit man die Sevastopol in Ruhe erkunden kann, vll wäre das etwas für dich? ;)
    Ja, das stimmt, es gibt auch andere wichtige Faktoren neben Atmosphäre, aber ich glaube, dass sie einer der Punkte ist, die einen am meisten fesselt/zum Staunen bringt und sie einem lebhaft in Erinnerung bleiben kann. Zumindest ist das bei mir oft der Fall :)
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  3. Bastius
    Vielleicht wäre ein Fokus auf dein Beispiel und dein eigenes Erleben besser gewesen, denn du sagst ja selbst, dass du den Begriff nicht definieren kannst. Wo soll man da überhaupt anfangen? Vielleicht passiert das auch alles unbewusst und ist deshalb so schwer zu fassen und wenn das so ein großes Konzept ist, dann ist der Versuch eh vergebens, weil andere dafür einen anderen Begriff wie Immersion nutzen würden.

    Ich denke, Computerspiele durchleben gerade eine schwierige Phase. Beim Buch ist es schlau, viele Dinge wegzulassen und dem Leser die Aufgabe zu überlassen, die Szene zu vervollständigen. Bei Spielen war das früher vielleicht auch so, aber inzwischen haben sie ein so realistisches Niveau erreicht, dass eine Szene (wie beim Film) in allen Details vollständig sein muss. Vielleicht ist das auch alles gar nicht mehr so subjektiv, sondern es gibt so eine Art kultureller Kanon. Im Falle von Alien Isolation wurde der dann schon vor Ewigkeiten durch die Filme geprägt. Man simuliert ja sogar Effekte, die durch eine Kamera verursacht werden. Macht man sowas in VR Spielen auch?

    Alien Isolation wird auch von der limitierten Umgebung profitieren, im Gegensatz zum Film ist der Protagonist unberechenbar, deshalb muss man ihn zu bestimmten Verhalten motivieren oder im besten Fall so täuschen, dass der Spieler gar nicht erst auf die Idee kommt, etwas tun zu wollen, das im Spiel gar nicht möglich ist.

  4. Yeager
    Keine Frage, so ist es nicht nur bei dir.
    Atmosphäre ist wie Farbe in einem Gemälde. Ja, S/W wäre auch gegangen, reine Strukturen oder Formen. Aber die Vielfalt des Wellenspektrum des Lichts bringt - nunja, eben Farbe rein.
    Leben. Bewegung. Gefühl. Stimmung.
    Atmosphäre erzeugt also von sich aus schon Gefühle. Zumindest Stimmungen, also die Mini-Ausgabe von Gefühlen. Damit macht sie etwas, was Kunst auch macht.

    Doch im Wörtchen "auch" liegt der grosse Unterschied:
    Ich glaube, dass Kunst mehr ist, als das. Mehr macht, mehr will und mehr kann. Ich glaube, dass Kunst sich nicht einschränken lässt. Weder auf Rationales, noch auf Emotionales. Weder auf Aussage, noch Nicht-Aussage. Das macht sie so unglaublich schwer greifbar.

    Ich habe mal ein Kinderbild gesehen. Es war, wie wahrscheinlich die meisten Kinderbilder, grottenschlecht gemalt :D. Aber es war unglaublich farbenfroh und sehr, sehr ehrlich.
    Für mich war das Kunst.
    Aber ich habe auch mal einen schnöden Topf in der Landschaft gesehen. Kaum Farbe, erzeugte keine wahrnehmbaren oder klar definierbaren Gefühle - und dennoch war da "etwas", schwer in Worte zu fassen. Auch das war Kunst.
    Und dann habe ich mal ein seltsames Graffiti gesehen. Es bestand nur aus einem Zeichen. Wahrscheinlich kein grosser Hintergedanke, nur die hastig hingesprühten Initialen des Künstlers. Aber im Zusammenspiel mit der riesigen, weissen Fläche wirkte es in seinem gewollten oder ungewollten Understatement. Mir drängten sich beim Betrachten Mischmasch-Gedanken-Gefühle auf wie "So sieht die Welt aus, da ist nicht viel. Oder sehr viel. Such es dir aus." oder "Ich musste schnell weg." oder "Singularitäten haben ihre eigene Eleganz und verleihen der Leere ihren wortwörtlich akzentuierenden Punkt."
    Also sowohl emotionale, als auch rationale, als auch banale Empfindungen. Nur nicht in dieser Reihenfolge.
    Auch Kunst in meinen Augen.

    Vielleicht ist Kunst nicht zum Begreifen da. Sondern zum Erfahren. Und wenn Atmosphäre ein Teil von ihr ist, dann ja, dann ist sie sehr, sehr wichtig.
  5. 8Lisa91
    Sehr interessant, da zeigt sich wieder, dass Kunst ja sehr subjektiv ist. Wo der eine vorbeiläuft, weil er nur ein paar Schnörkel an der Wand sieht, siehst du Kunst :)
    Kunst ist wirklich zum Erfahren, sie löst etwas in uns aus (bei mir sind das z. B. weite Felder, auch wenn das keine menschliche Kunst ist). Aber so hat jeder das, was ihn irgendwie berührt/anspricht/...
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