Ich sagte letztens zu einem Kumpel: „Ich mag Geralt“. Ich war nicht darauf gefasst was folgte, doch gerade als Frau können solche Äußerungen ungeahnte Interpretationen zur Folge haben. In diesem Beispiel:
Ja Geralt, kein Wunder, auf den fahren doch eh alle Frauen ab. Er ist übermenschlich stark, gut im Bett, behandelt Frauen immer zuvorkommend und mitfühlend. Mehr ein Superheld, als etwas anderes. Er hilft den Schwachen und hat viele Freunde obwohl er selbst eigentlich eher ein Außenseiter ist“ –freies Zitat -
Ich war im wahrsten Sinne des Wortes verdutzt.
Denn das war gar nicht, was ich damit andeuten wollte.
Ich meinte Geralts Persönlichkeit, die Art, wie er in den Büchern dargestellt und von CD Projekt Red in das Spiel übertragen wurde. Sein Humor, seine stoische Ruhe und sein Zorn. Nicht Mensch sondern Mutant. Für ihn gibt es keine Zugehörigkeit, weil er in den meisten Fällen nur auf Ablehnung trifft. Diese Haltung schwingt im Spiel überall mit.
Viele sind ihm wohl gesonnen, aber er weiß, dass das hauptsächlich daran liegt, dass sie nicht seine gnadenlose kalte Seite gesehen haben. Geralt hat klare Wertvorstellungen, aber für die wenigen Personen, für die er wirklich Zuneigung empfinden kann, geht er über Leichen. Er ist kein Heiliger und hat viele Unschuldige auf dem Gewissen.
Nur vergessen wir das im Spiel schnell, denn es ist so leicht immer gute Entscheidungen zu treffen.
Die Geschichte um Geralt begann bereits 1992 mit den ersten Kurzgeschichten um den mürrischen Hexer, die 1998 nach Deutschland kamen. 2008 erschien dann „Das Erbe der Elfen“ als erstes Buch auf dem Markt und leitete die Reihe ein. 2007 erschien bereits das erste Spiel zu Geralt und seiner Welt, 2015 dann mit dem 3. Teil „The Wild Hunt“ ein wahres Meisterwerk. Open World und eine inszenierte Erzählung wurden bis dato als unvereinbar gesehen. Dazu ein durch und durch erwachsenes Spiel, was aktuelle und ernste Themen anspricht, ohne belehrend den Zeigefinger zu heben.
Doch am Anfang standen bei alledem die Bücher von Andrzej Sapkowski. Die beiden Romane mit den Kurzgeschichten las ich bereits bevor ich von den Spielen auch nur irgendetwas gehört hatte. Und vor allem lernte ich die Personen in den Geschichten schon kennen und lieben. Ihre Gedanken, Gefühle und Schicksale. Gerade in „The Witcher 3“ sind diese Charaktere meiner Meinung nach sehr gut getroffen. Sie wurden praktisch aus meiner Fantasie zum Leben erweckt und ich finde es nahezu unheimlich wie sehr sie meiner Vorstellung entsprechen.
Doch nach diesem Gespräch frage ich mich, überinterpretiere ich sie vielleicht auch einfach nur, weil ich eben einen anderen Hintergrund habe. Weil ich die Figuren anders sehe, weniger das äußerliche ist Interessant sondern die Persönlichkeit. Oder die Figuren lassen mir genug Fläche zur Projektion um mein Bild von Geralt auf sein Spiel-Ich zu übertragen.
Ist das schlimm?
Nein, keineswegs. So kann ich die Spiele spielen ohne das Gefühl zu haben, sie werden den Büchern nicht gerecht. So schlägt CD Projekt Red die Brücke zwischen Spielern, die die Bücher kennen, und denen die es nicht tun.
Allerdings kann die Zuneigung zu einem Charakter so auch schnell falsch verstanden werden, weil wir eben verschiedene Personen in Geralt sehen. Eben weil wir unterschiedliches Wissen haben, unterschiedliche Eindrücke, unterschiedliche Interpretationen. Ich sehe in Geralt die Figur aus dem Buch, er die aus dem Spiel. Etwas, dass erst deutlich wird wenn man einmal darüber spricht und sieht wie weit Meinungen auseinander liegen können.
Zu oben genanntem Zitat, besagter Kumpel bringt mich gerne mit solchen Aussagen auf die Palme, meist erfolgreich, trotzdem brachte es mich zum Nachdenken, da ich bei Spielen solch eine Diskrepanz nie bemerkt hatte. Und ja ich find Geralt sieht schon gut aus (besser als ich ihn mir in den Büchern vorgestellt habe)…aber das ist ein anderes Thema.
Wer ist Geralt? Und wenn ja: Wie viele?
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