Wie ich durch Corona meine Liebe zu Hörbüchern entdeckte

Von MissDean · 29. März 2020 ·
Wie die Zwangspause in mir eine neue Liebe geweckt hat.
Ein subjektiver Streifzug durch meine literarische Karriere.
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  1. Bücher sind für mich existentiell. Schon immer gewesen. Klassiker meiner Kindheit von Ende und Preußler begleiten mich noch heute und man sieht ihnen das Viel-Gelesen-Worden-Sein an.
    Auch von den großen aus meiner Jugendzeit trenne ich mich nicht, sondern entdecke deren Welten immer wieder neu: Mittelerde, Osten Ard, Otherland. Tausende Seiten geschriebenen Wortes, die mich bis heute tief in ihre Welten entführen und wohl nie völlig loslassen werden.
    Dann studierte ich, wie sollte es anders sein, mehrere Geistes- und Kulturwissenschaften und die Bücherregale füllten sich unter anderem mit den herausragenden Werken von Osterhammel und Kershaw. Die leseintensiven Studiengänge hielten mich aber nicht davon ab auch in der Freizeit weiter meiner Leidenschaft nachzugehen. Ich zog aus, besser spät als nie, gen Scheibenwelt und las den besten ersten Satz eines Buches, der je geschrieben wurde. Es zog mich nach Südschweden, von dessen düsteren Atmosphäre ich mich im Winter schon selber überzeugen konnte, auch wenn Ystad bei Sonne wirklich idyllisch ist; ich mochte es kaum glauben. Worte, Geschichten, Phantasie: All dies bedeutete für mich auch selber erleben, das Papier spüren, jede Eigenart des Umschlags wahrnehmen, herausgefallene Lesezeichen verfluchen. Selber lesen ist für mich mehr als nur ein Hobby, es ist eine Leidenschaft.
    Hörbücher waren dagegen nicht so meins. Schlecht gelesene, einschläfernde Beispiele haben in mir nie eine Freude dafür aufkommen lassen. Dabei war es so naheliegend. Denn wenn ich etwas liebe, dann sind es Hörspiele. Von den ??? bis zu den fantastischen 24 Stunden Otherland; seit meiner ersten Benjamin-Blümchen-Kassette war ich verloren. Wie sage ich gerne: Ohne Andreas Fröhlich kann ich nicht einschlafen. Und es ist ein festes Ritual, jede Nacht. Aber die Kürze bietet es an. Wenn man das Ende verschlafen hat, kann man auch einfach die ganze Folge noch mal hören. Ok, Otherland eignet sich beim erstmaligen Hören dafür nicht, das gebe ich gerne zu. Hörbücher waren mir immer zu lang, um sie für dieses Ritual zu nutzen, da konnte auch die Aussicht auf 100% Fröhlich nicht drüber hinwegtäuschen. Und tagsüber hören? Oder während des Autofahrens? Immerhin verbringe ich ja sehr gerne sehr viel Zeit auf deutschen Autobahnen. Kann, muss aber nicht. Dabei mangelt es mir nicht an Material, das eine oder andere Schätzchen findet sich schon in meinen analogen und digitalen Regalen. Aber nur die wenigsten wurden zur Gänze gehört. Es ist aber auch nicht so einfach, wie man meinen könnte. Leser und Inhalt müssen gefallen und meist traf das bisher nur auf eines von beiden zu.
    Und dabei will ich auf gar keinen Fall die Zunft und die Arbeit von Synchronsprechern schmälern. Ganz im Gegenteil. Ich bin so unendlich dankbar in einer Kultur zu leben, die es sich zur Kunst gemacht hat, fremdsprachige Filme zu synchronisieren. Natürlich gelingt das nicht immer gut, aber es können eben auch eigenständige Kunstwerke entstehen. Es gibt einige Filme, die ich auf Deutsch und im Original liebe und mitsprechen kann, weil die Synchronisations-Regie einfach fantastisch war. Danke Herr Fröhlich, ohne ihre Arbeiten würde mir wirklich etwas fehlen.
    Und nun sitze ich hier, zu Hause. Eine Zwangspause, ohne meine Lieblings-Outdooraktivitäten. Natürlich habe ich mir hochtrabende Ziele gesteckt: Wohnung putzen, Bücherregale aufräumen, ausmisten, meine Spiel-Bibliothek durchspielen, Film- und Serienmarathon starten, Spieletests und Blogeinträge auf gamestar.de schreiben, und, und, und. Kurze Auflösung: nichts davon wurde bisher umgesetzt. Na, an einem arbeite ich gerade.
    Irgendwie fehlte das Brennen. Und ohne bin ich nur schwer zu motivieren oder anders gesagt leichter zu frustrieren. Also habe ich einige offene Savegames, eine neu sortierte Küche und drei Blogeintrag-Gerüste.
    Und dann kam die Gelegenheit. Lesetechnisch bin ich gerade erst wieder in Osten Ard eingestiegen und zwar am Anfang. Es stehen also noch ein paar Seiten zwischen mir und der Fortsetzung. Das Lesegroßprojekt ist also schon vergeben. Aber diese Idee ließ mich nicht los. Noch mal alle Stadtwache-Romane in chronologischer Reihenfolge und, ja, es gibt noch Welten von Tad Williams, die mir bisher unbekannt waren. So erstand ich alle vier Teile von Shadowmarch und die mir noch fehlenden Stadtwache-Hörbücher.
    Sieben Tage und durchschnittlich elf Stunden Hörbuch sind seitdem vergangen und ich erfahre ein völlig neues Erlebnis von Literatur. Ich habe mit Shadowmarch angefangen und feiere einen großartigen David Nathan. Parallel zwei Epen von Tad Williams zu erleben ist manchmal ein bisschen irritierend, aber vor allem die Chance den Meister noch tiefgehender zu entdecken. Der Wiedererkennungswert liegt in den Nuancen, so fein, dass sie meist kaum greifbar sind. Und nun liegen sie vor mir, lassen mich anders über seine Werke nachdenken und erahnen, warum ich mich oftmals an Autoren halte und ihnen treu bleibe, unabhängig vom verarbeiteten Stoff.
    Sich eine Geschichte vorlesen zu lassen, entrückt einen. Es lässt einen nicht nur eine andere, neue Beziehung zu Inhalt und Autor aufbauen, es dringt tiefer in uns ein. Für mich ist es wie früher. Bei uns wurde sehr viel vorgelesen, auch als wir schon größer waren und auch immer mit der ganzen Familie. Bei anderen wird Vorlesen wahrscheinlich nicht so ein intensives Gefühl von Ruhe und Geborgenheit auslösen, aber eine Reduktion der Sinne muss stattfinden, um dem Gesprochenen komplex folgen zu können. Und so hat mich diese Zwangspause zu etwas geführt, das mich wirklich zur Ruhe bringt, den aufgestauten Stress ablegen lässt, alles um mich herum auf das Minimum herunterzufahren. Anstatt mich medial zu überfluten, genieße ich diese Reduktion und erinnere mich nicht, wann ich das letzte Mal so frei von Erlebensdruck war.
    Gut 45 Stunden Shadowmarch warten noch auf mich und dann geht es gen Scheibenwelt. Und wer weiß, wie die Welt da draußen dann schon wieder aussieht.


    In diesem Sinne: bleibt gesund!

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    Über den Autor

    MissDean
    Weiblich, Jahrgang 1988, studierte Geisteswissenschaftlerin
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    Heldin von Fereldin
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    Champion von Kirkwall
    -
    Inquisitorin
    MadCat, Kalnasir und gesuntight gefällt das.

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