Zehn Jahre und das Wichtigste nicht gelernt

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  1. Über zehndreiviertel Jahre ist es nun schon her, dass das erste iPhone präsentiert wurde, über zehneinviertel Jahr, dass es tatsächlich auch mal gekauft werden konnte.



    Viel hat sich seitdem getan. Die Hardware spielt in komplett anderen Kategorien, statt bei der Kernhardware (CPU, GPU, Zusatzprozessoren) und dem RAM weit abgeschlagen zu sein wie in den ersten Jahren saß Apple in den letzten Jahren sogar erstaunlich konstant an der Spitze der Benchmarkfelder und hat allgemein hoch erfolgreiche Produkte. Teure Produkte, aber immerhin unterm Strich dann doch bei weitem nicht so teuer wie das nur unter Vertrag erhältliche erste iPhone.



    Doch eine eklatante Schwäche besteht seit dem ersten iPhone. Alle Displays spiegeln. Und dies ist ein eklatante Schwäche. Ein Makel in dem Bild, das Apple beschwören will. Die Brisanz dieses Makels wird auch in jeder Keynote seit dem original iPhone deutlich: Man bekommt in der Präsentation ein natürlich nicht spiegelndes, sondern makelloses Gerät zu sehen. Die Kamera, die die Live-Vorführung abnimmt, zeigt hingegen die nackte Wahrheit. Man hat Vision vs. Umsetzung direkt gegenüber.





    [​IMG]

    Natürlich kommt dies in den einzelnen Videos noch einmal viel deutlicher zum Ausdruck als auf Standbildern.

    https://www.youtube.com/watch?v=9hUIxyE2Ns8

    https://www.youtube.com/watch?v=McvLyEYwVvg



    Schon damals wurde sich zurecht darüber lustig gemacht. Ein (ultra-)mobiles Gerät mit spiegelndem Display, da hat doch wer einen Knall. Aber na gut, wenn es alternativlos ist, wird es sich schon verkaufen und in einem oder zwei Jahren bekommt man dann die gefixte Version vorgesetzt, von denen, oder von wem sonst. Auf diese kann man nur bis heute warten---statt dessen spiegelt der gesamte Consumer-Smartphonemarkt OutOfTheBox. Nein, noch schlimmer: Apple hat auch alles, was sie sonst mit Display anbieten, verspiegelt. Wahrscheinlich, um davon abzulenken, was für eine miserable Idee es eben ist, mobile Displays nicht zu entspiegeln, muss halt alles spiegeln. Eigentlich ist es auch für stationäre Displays, selbst in nahezu völlig abgedunkelten Räumen eine schlechte Idee. Aber bei mobilen Displays fällt es eben besonders auf. Die Hintergrundbeleuchtung, die oft auf Hochtouren laufen muss und den Akku lehrzerrt. Die gut sichtbaren Fingerabdrücke. Die Situationen, in denen alles nichts mehr hilft und ein ganz anderer Platz gesucht werden muss. Also, heute spiegelt bei Apple alles. Die iMacs, die Macbooks, die Watches, die iPads, die iPhones. Wobei die iPads sogar mal kurz einen Grund zur Hoffnung darstellten, hatte Apple doch dort mal mit immerhin den branchenweit geringsten Reflektionen geworben. Hat sich aber nicht fortgesetzt.

    Tja, die volle Hoffnung stirbt zuletzt. Vielleicht erlösen sie einen ja im nächsten Jahr. Vielleicht muss ich so was aber auch nochmal in fünf Jahren tippen. Ich hoffe nicht.


    Aber, aber, aber...

    ...ein Touch-Display vernünftig zu entspiegeln ist doch gar nicht so anspruchslos.

    Korrekt. Ein HighPPI-Display von der enorm starren Panelindustrie zu fordern war aber auch keine leichte Aufgabe. (iPhone4) Die anvisierten Spaltmaße von Auftragsfertigern zu fordern. Und so weiter. Es ist halt Apple. Es ist peinlich, dass überhaupt über derartiges nachgedacht werden muss. Apple bezahlt Entspieglung auf neuem Niveau aus der Portokasse.



    Aber, aber, aber...

    ...iPhones verkaufen sich doch trotzdem.

    Klar. Na und? Seit wann war denn so etwas jemals ein Argument? Eben, noch nie. Können die gar keine Verbesserungen abseits besserer Kernhardware bringen und das geht bis zum Skt. Nimmerleinstag so weiter? Nein, können sie nicht. Selbst Apple kann das nicht. Irgendwann werden sie weitere Verbesserungen brauchen. Wieso nicht eine, die richtig was bewirkt?



    Aber, aber, aber...

    ...spiegelnd oder nicht, das ist doch Geschmackssache.

    Was für ein Quatsch, der aus dem Ende des letzten Jahrzehnt hätte stammen können. Damals haben so was Leute bei dem zu 95% spiegelnden Notebookmarkt gesagt. Und schon damals wurden sie weggekontert, dass es bei einem fairen Vergleich zwischen einem spiegelnden und einem sinnvoll entspiegelten Gerät auf Basis des gleichen Panels eben keine Geschmackssache mehr darstellt. Wieso wohl ist der gesamte Markt an Profi-Displays für die Bildbearbeitung entspiegelt? Weil die Gerüchte, dass sich Entspiegelung und Top Bildqualität beißen eben nicht stimmen. Wäre schön, jetzt einfach einen guten Artikel zu dem Thema zur Hand zu haben. Den gibt es leider meines Wissens nach nicht. Ein Geschmackssache ist es tatsächlich im ausgeschalteten Zustand, was man da attraktiver findet. Aber, ehrlich. Ausgeschalteter Zustand und dessen Bedeutung. Und es ist ja auch nicht so, als würde sich dann wer vom Anblick übergeben müssen...



    Aber, aber, aber...

    ...der US-Markt liebt spiegelndes Zeugs.

    Klar, der US-Markt. Wenn einem echt gar nichts mehr einfällt, dann muss mal wieder der US-Markt herhalten. 2000-Watt-Netzteile? Ja, der US-Markt will das. Aufgepfropfter Multiplayer? Ja, der US-Markt will das. Bullshit-Autos? Ja, der US-Markt will das. Leute, selbst wenn, ja selbst wenn der US-Markt wirklich so super hirnrissig wäre, vergesst ihr, um wen es hier geht. Um Apple. Die kriegen jedes gute Feature als super gut und unentbehrlich angepriesen. Habt ihr mal die Reaktionen auf ForceTouch gesehen? Und jetzt vergleicht dessen Bedeutung mal mit dem eines entspiegelten Displays? Have you seen it? It almost looks like no glass at all. It seems like magic! MAGIC!!!



    Aber, aber, aber...

    ...ein entspiegeltes Display ist doch nicht so wichtig.

    Sicherlich. Erhöhte Akkulaufzeiten, bessere Ergonomie, bessere Schmutzresistenz, alles auf einmal, nicht so wichtig. Meine Güte, im Notebookbereich ist GlareDisplay nicht ohne Grund ein populäres Ausschlusskriterium. Im Smartphonebereich mangels Optionen natürlich schwer machbar...



    Aber, aber, aber...

    ...wieso sollte man dafür auf Apple einhauen?

    Apple sind diejenigen, die den Smartphone-Boom ausgelöst haben und sie haben den Selbstanspruch, den Markt zu prägen. Ob das so tatsächlich der Fall ist, ist natürlich eine andere Frage. Ich gehe davon aus, dass wenn sie das, was sie und ihre Mitbewerber versäumt haben endlich mal nachholen, und zwar eben auf einem exorbitant gutem Niveau, dann wird der Markt innerhalb kürzester Zeit umgewälzt. Hat bei HighPPI ja auch geklappt. Es ist halt Apple.



    Aber, aber, aber...

    ...man kann sich doch Entspiegelungsfolien kaufen!

    Nichts, was man mit einer Entspiegelungsfolie erreichen kann, kommt an eine Werksentspiegelung heran. Klar, eine Entspiegelungsfolie ist trotzdem etwas, was sinnvoll sein kann. Aber es ist bloß ein Workaround. Nochmals, es ist Apple. Es ist peinlich, dass überhaupt über derartiges nachgedacht werden muss. Apple bezahlt Entspieglung auf neuem Niveau aus der Portokasse.







    Ein Bruchstücke-Satz noch über mich:
    Ich bin kein Apple-User, allgemein kein begeisterter Smartphone-User, sondern in erster Linie enthusiastischer Notebook-User.

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