Das Leistungsprinzip

Dieses Thema im Forum "Smalltalk" wurde erstellt von Legion(CD), 4. Dezember 2019.

  1. Legion(CD) Lord of the Wort

    Legion(CD)
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    Leistung, Fleiß und Disziplin.

    Sind diese Begriffe wichtig für euch? Was schließt ihr daraus, wenn andere Personen sie (eurer Ansicht nach) nicht (auf-) bringen?

    Meine eigene Meinung:
    Anlass sind Kommentare und Meinungen, wie man sie eben aufschnappt, sei es Online wie im täglichen Leben, und dabei kommt es fast immer zu Kleinkriegen. Das ist natürlich nicht verwunderlich: Die Politik macht es uns vor, teilt Leute in Leistungsträger (und damit die anderen wohl in Minder- bis gar nicht Leister) ein; das Ganze fängt an zu überhitzen und eine Eigendynamik zu gewinnen.

    Und: Es ist ja nun nicht so, dass man damit komplett falsch liegt, oder? Von nichts kommt nichts, lautet die alte Binsenweisheit. Auf der anderen Seite ist ein System, dass Leistungsprinzip als Erstes vorschreibt, inhärent mit dem Problem verbunden ist, dass man die Menschen auch daran misst. Und dann? Was passiert dann mit denen, die es nicht können...oder gar wollen?

    Ich bin, nicht zuletzt aufgrund persönlicher Erfahrung, immer noch zwiegespalten, aber ich habe mittlerweile den Eindruck, dass diese Meritokratie, einen fatalen Fehler inne hat, denn fleißig, diszipliniert und leistungswillig sind deutlich mehr als es wirklich den Faulen gibt; aber schon rein arithmetisch gedacht, kann ja nicht jeder ein Gewinner sein. Dies wiederrum führt zu einer inneren Unzufriedenheit, den man auf andere projeziert.

    Aber: Kann eine Gesellschaft denn überhaupt ohne diese Gedanken funktionieren? Wir brauchen Leistung & Fleiß; in ziemlich jeder Form. Gibts also da wirklich einen goldenen Weg?
     
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  2. Daepilin

    Daepilin
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    Meine persönliche Meinung ist, dass Leistung sich auszahlen soll. Investiert jemand mehr Zeit und Mühe und erreicht bessere Ergebnisse soll er etwas davon haben.

    Nicht unbedingt um die zu bestrafen die sich weniger Mühe geben, aber um den zu belohnen der mehr tut als er muss.


    Diese Ansicht kommt sicher auch daher, dass ich aktuell auch promovierte um eben später mehr davon zu haben. Klar macht mir mein Job auch Spaß, aber unbedingt brauchen tu ich den Titel dazu nicht. Ich investiere die ganze Zeit, den Stress und einige Jahre weniger Einkommen um später mehr und bessere Optionen zu haben.

    Dafür möchte ich eben auch eine bessere Bezahlung, als wenn ich nach dem Master so nicht weiter gemacht hätte
     
  3. Fiesfee Mitmobsterin

    Fiesfee
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    Die Debatten ergeben sich nicht dadurch, dass Leistung, Fleiß usw. positiv hervorgehoben werden, sondern oft dadurch, dass gerne impliziert wird, dass alle reich und whatever sein könnten, wenn sie nur mal was leisteten. Und das ist einfach Unsinn.

    Finanzieller Erfolg ohne Leistung ist eher selten, meist durch Erbschaften. Leistung bedingt aber nicht zwangläufig finanziellen Erfolg.
     
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  4. Daepilin

    Daepilin
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    Natürlich. Gerade Menschen in Ehrenamt und Pflegeberufen leisten weit mehr als das wofür sie entlohnt werden.

    Dafür hört man oft genug, dass es diesen Menschen Lohn ist, wie froh die Patienten um sie sind (mein bester Kumpel ist pfleger, und diese Arbeitszeiten, den Stress und das geringe Gehalt würde ich mir nicht freiwillig antun. Dennoch wäre ohne natürlich Land unter)
     
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  5. Rubilein H/\TS(H!

    Rubilein
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    Das Ziel reich zu werden durch Anstrengung ist sicher utopisch und da spielen leider die sozialen Grenzen in Deutschland eine zu große Rolle.
    Auf der anderen Seite darf man aber erwarten, dass derjenige, der z.B. 50 anstatt 35 h arbeitet - bei gleicher Qualifikation - dies mehr honoriert bekommt. Wenn man sich dann, auf welche Art und Weise auch immer, fortbildet, sollte sich auch dies im Gehalt widerspiegeln! Und ich denke schon, dass an dem Satz "von Nichts kommt Nichts" schon etwas dran ist. Jeder kann in dem Maße, was er zu leisten im Stande ist, "alles geben" und es sollte honoriert werden.
    Dass es genügend Negativbeispiele in vielen Branchen gibt, wo das nicht oder nur wenig zu Tage tritt, ist leider so.

    €.: Ich habe mittlerweile manches Mal das Gefühl, dass viele Personen ihren Lebensstandard als "Gott gegeben" hinnehmen, den sie bereits als junge Menschen haben und bereits mit Anfang 30 das haben möchten, was die Elterngeneration erst mit 45 oder 50 hatte. Sprich, das Verhältnis von Arbeit/Leistung zum Lebensstandard hat sich in den Köpfen etwas verschoben.
    Der Generation Y und Z geht es in jungen(!) Jahren deutlich besser, als beisplw. noch den "Babyboomern", oder gar der Nachkriegsgeneration. Und das wirkt sich meiner Erfahrung nach schon auf die Attitude aus, mit der manche Leute bei der Arbeit auftreten, oder wie man sich verhält - und das sicherlich nicht positiv!
     
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  6. MW_

    MW_
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    Das, wobei ich Erbschaften nicht als selten bezeichnen würde (immerhin ist exakt das der Grund, warum die wirklich Reichen seit langer Zeit aus denselben Familien kommen). Die Meritokratie als System, in der diejenigen, die Leistung bringen, auch diejenigen sind, die an der Spitze dieses Systems stehen, ist eine Illusion.

    Leistung gehört für diese Diskussion auch zuerst mal ordentlich definiert. Das ist auch ein grundlegendes Problem, warum solche Diskussionen oft ins Nichts laufen und man sich gegenseitig nur Vorwürfe an den Kopf wirft.
     
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  7. Sagt der Arzt.
     
  8. Daepilin

    Daepilin
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    Und? Er/Sie leistet einen wichtigen Beitrag an die Gesellschaft, hat ne harte Ausbildung, extremen Stress und viel Verantwortung.

    Das muss entsprechend entlohnt werden.

    Und ja, das kann man sich, auch, erarbeiten.

    Ich komm aus nem Handwerker/Angestellten Haushalt und heute promoviert ich. Akademiker gibt's in meiner Familie auf Generationen keine. Natürlich hat nicht jeder diese Chance, aber es ist auch falsch, dass es ohne Erbschaft keine Chance gibt aufzusteigen.
     
  9. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Mal aus Interesse. Wo ziehst du da die Grenze, wenn du sagst, dass sowas "nicht als selten" bezeichnet werden sollte?
     
  10. Rubilein H/\TS(H!

    Rubilein
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    Ja, sage ich. Ich komme aus einem "Nicht-Akademiker"-Haushalt und ich sehe, wie sich meine Eltern angestrengt haben, um das zu erreichen, was sie erreicht haben. Ich bin ihnen sehr dankbar und sie haben mich immer unterstützt - finanziell und emotional. Wenn es meiner Mutter nicht wichtig gewesen wäre, dass ich das beste aus dem mache, was ich(!) kann, dann hätte ich vllt nicht studiert! Du kannst mir glauben, dass ich weiß, wie es ist für 5,x €/h arbeiten zu gehen.
    Und ich stehe auf dem Standpunkt, bevor ich arbeitslos bin - egal mit welcher Qualifikation-, versuche ich etwas zu machen, wo ich zumindest etwas Geld verdiene, bevor ich zu Hause versaure. Und das meine ich nicht in dem Maße, dass man dem Sozialsystem auf der Tasche liegt, sondern vor allem aus rein psychischen Gründen. Ein durch die Arbeit geregelter Tagesablauf ist wichtig, um nicht krank zu werden!

    €.: Wollte noch einmal einen kleinen Punkt oben aufgreifen: es ist leider richtig, dass in Deutschland die soziale Herkunft viel darüber entscheidet, "wie weit man es bringt" und hier muss der Staat/die Gesellschaft bestmögliche Anreize bieten, damit Grenzen überwunden werden können. Aber trotzdem ist auch jeder immer noch für sich selber verantwortlich und es ist mMn zu einfach alle Schuld dem Staat in die Schuhe zu schieben!
     
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  11. Boris Brunz von Brunzelschuetz

    Boris Brunz von Brunzelschuetz
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    Je älter ich werde, desto weniger glaube ich daran. Vielen vermeintlichen "Leistungsträgern" wird der Erfolg in die Wiege gelegt. Vielleicht arbeiten manche davon auch hart, doch im Vergleich zu einem Arbeiterkind hat man mit reichen Eltern einen unglaublichen monetären Vorsprung, der oft nicht einzuholen ist.

    Dann noch die perverse Realität der Meritokratie selbst: Bullshit Jobs wie Unternehmensberater oder Marketing-Manager verdienen zigmal so viel wie eine Pflegekraft, obwohl sie der Gesellschaft einen Nettoverlust bringen. Ein Schönheitschirurg verdient mit großer Wahrscheinlichkeit mehr als ein Landarzt und ein hart arbeitender Bauarbeiter weniger als einer wie ich, der gemütlich Zahlen am Computer verschiebt. #Prinzdumm wird als Sprössling einer Kleptokratenfamilie ohne eigene Leistung mehr Geld haben als jeder Nobelpreisträger, der den Krebs heilt.

    Global ist es noch ungerechter. Ein Großteil der Menschen hat nicht mal annähernd die Chance, auf ein ähnliches Gehalt wie die meisten hier im Forum zu kommen, egal wie hart sie Arbeiten. Geburt, Glück, Kreativität, Arbeitswille - das ist so ungefähr die Reihenfolge, in der das eigene Lebenseinkommen bestimmt wird.

    In unserer recht liberalen Gesellschaft hat man trotzdem viele Freiheiten und kann sich auch "nur" mit harter Arbeit einen schönen Lebensstandard erkämpfen. Es ist dann aber echt ein Kampf & kein Tanz.
     
  12. Alex86 Nick der Schlitzer McGurk

    Alex86
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    Weiß nicht ob sich der Vergleich zb bei Themen wie Eigenheim oder Frau kann zuhause bleiben halten lässt.
     
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  13. Rubilein H/\TS(H!

    Rubilein
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    Das ist leider so. Und darum erwarte ich von jedem in einer Gesellschaft, dass jeder, der privilegiert ist, sich zu Herzen nimmt, "von wo er kommt", und sich nicht darauf ausruht, sondern durch Anstrengung seine Vermögen im besten Falle vergrößert.
    Nur das ist mMn ein großes Problem und die meisten vergessen, dass sie einen verdammt guten Start ins Leben bekommen haben!
     
  14. MW_

    MW_
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    Geerbt wird ständig, deswegen ist es nicht selten. Fiesfee sprach von "finanziellem Erfolg ohne Leistung" und dazu braucht es kein Millionenerbe, wenn wir uns daran orientieren, was gemeinhin als "gut situiert" angesehen wird. Ich würd da so ca. 100k auf der hohen Kante ansetzen. Da ist "selten" find ich der falsche Begriff. Und wenn wir dann in die richtig absurden Regionen vodringen, dann verharmlost er etwas, welche Auswirkungen leistungsloses Erben auf die Gesellschaft insgesamt hat.
     
  15. Rubilein H/\TS(H!

    Rubilein
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    Im Bezug auf Konsumgüter würde ich den Vergleich weiter so stehen lassen - da haben wir doch deutlich mehr, als frühere Generationen.
    Aber ich gebe dir recht, dass es heute schwieriger geworden ist, ein Eigenheim zu erwerben. Aber hierbei finde ich es nicht schlimm, dass beide Geschlechter arbeiten müssen, um sich ggf. eines zu finanzieren. Das schützt indirekt beide Partner vor dem Problem, dass man ggf. wenig Rente im Alter hat, wenn man nur halbtags oder gar nicht gearbeitet hat. Nicht umsonst würden viele Frauen, die jetzt Rentnerin werden, ohne ihren Partner doof darstehen, weil die eigene Rente nicht mal zum Leben reichen würde. Das ist aber eine generelle, gesellschaftliche Frage: findet man es gut, wenn Partner schnell wieder Arbeiten gehen und die Kinder in den Hort/die Kita bringen, oder nicht. Das sprengt mMn aber jetzt die ursprüngliche Diskussion.
     
  16. Alex86 Nick der Schlitzer McGurk

    Alex86
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    Nochmal eingehakt; selbst mit 1,5 oder 2 Arbeitsstellen ist kein Eigenheim garantiert.
    Und weiter noch; die Zahl der Zweitjobs geht auch nach oben. Wieder ein Punkt den ich nicht unbedingt den von dir genannten älteren Generationen zuschreiben könnte.
     
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  17. Daepilin

    Daepilin
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    Meine Mutter, und soweit ich weiß auch ihre Mutter, haben nebenbei putzen müssen, um leben zu können.

    Das war zumindest bei alleinstehenden Frauen/Müttern früher absolut nicht anders als heute.
     
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  18. Alex86 Nick der Schlitzer McGurk

    Alex86
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    Absolut richtig.

    Mir gings weniger um Alleinstehende, sondern um die 0815-Familie.
     
  19. Rubilein H/\TS(H!

    Rubilein
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    Das ist wieder eine Grundsatzdiskussion. Es kommt immer darauf an, wo sich das vermeintliche Eigenheim befindet. Dieser Trend ist leider in Zeiten von Niedrigzinsen sicherlich viel größer geworden, weil Immobilien größere Spekulationsobjekte geworden sind. Das können wir nur leider gerade nicht ändern. Auch glaube ich nicht, dass jeder ein Eigenheim besitzen muss/sollte. Aber auch das ist wieder eine andere Diskussion.

    Aber es passt doch insgesamt zu meinem Argument: unsere Eltern/Großeltern mussten damals hart Arbeiten, um sich ihr Haus finanzieren zu können. Wir sind darin groß geworden und haben dann häufig noch den Luxus miterlebt, dass Konsumgüter und Urlaube möglich waren. Mein Gedanke/meine These ist ja, dass die Generation X/Y das als Status quo ansieht und sich entsprechend (negativ) verhält --> noch nicht, oder wenig gearbeitet, aber den selben Lebensstandard haben wollen, wie die vorherige Generation mit 45+. Und diejenigen, die aus wohlhabenden Familien kommen, vergessen manches Mal einfach, dass es ihnen verdammt gut geht, ohne dass sie selbst etwas dafür geleistet haben!
     
  20. Goof Fuck me, I'm from Bavaria!

    Goof
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    Was man bei der Diskussion "Eigenheim" noch beachten sollte - früher wurden viele Handwerksberufe gelernt und zumindest auf dem Land wurde viel "schwarz" erbaut. Da half man dem Nachbar beim Verputzen, der half dann bei der Elektrik usw. So wurde früher (1950 und später) gebaut und das war hier zumindest total normal. Man musste damals nur die Ware bezahlen - den Rest hatte man in der Verwandt/Bekanntschaft. Und auch Luxusgüter wurden sich damals weniger gegönnt wenn man ein Haus bezahlen musste. Kein Urlaub, keine teuren Luxusgüter (Farbfernseher, eigener Kühlschrank, ...). Ich kann hier natürlich nur vom Landleben reden - da gab es noch Gemeinschaftskühlhäuser - für einige hier bestimmt "Neuland" :wahn:
     
  21. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    100k sind allerdings recht niedrig angesetzt. Das betrifft jeden mit einer Eigentumswohnung und noch etwas Hausrat und Sparguthaben.
     
  22. MW_

    MW_
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    100k liquide meinte ich.
     
  23. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Ach so. Nunja. Ich kenne dutzende Leute die, sofern sie sterben, ihren Nachkommen mehr Geld in Form der aufgelaufenen Altersvorsorgeanaprüche hinterlassen. Dazu gehört nicht viel, wenn man lange gearbeitet und einbezahlt hat.

    https://www.wiwo.de/finanzen/geldan...schaften-so-vererbt-deutschland/19897604.html

    2/3 (!) der Deutschen werden künftig mehr als 100k erben.
     
    Zuletzt bearbeitet: 4. Dezember 2019
  24. Kugelfisch

    Kugelfisch
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    Wut? Du erwartest von privilegierten Menschen, dass sie ihr Vermögen vergrößern?
     
  25. Terranigma

    Terranigma
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    Meritokratie ist ein Legitimations- und kein Verteilungsprinzip. Wohlstand und Armut bemisst sich nicht an Leistung, sondern sie wird mit Verweis auf Leistung derart legitimiert. Mit der Abschaffung der Ständegesellschaft wurde eben das ständische Legitimationsprinzip für Ungleichheit abgeschafft, die Ungleichheit bestand allerdings weiterhin fort. Die Demografie - Armut und Reichtum, Verteilung der Menschen auf die Arbeitsbereiche, u.Ä. - war von der Abschaffung der Ständegesellschaft insgesamt nicht tangiert, sondern es kam nur zu Verschiebungen der Individuen, die Gesellschaftsschichten als solche blieben allerdings weitesgehend konstant. Das Leistungsprinzip, d.h. die Verteilung von Lebens- und Berufschancen anhand von Leistungsnachweisen - insb. zu Anfang über das Schulsystem - wurde als Legitimation eingeführt, um die bestehende Demografie weitesgehend beibehalten zu können, diesmal eben nur mit einer anderen Rechtfertigung. Insofern: Ich würde es daher nicht einmal Leistungsprinzip nennen, weil dem kein Prinzip zu Grunde liegt.

    Im Hinblick auf die gegenwärtige Verteilung von Armut und Reichtum auf der Welt wäre es sehr vermessen dies mit der Leistung oder gar natürlichen Leistungsfähigkeit der Einzelnen erklären zu wollen. Die Legitimation passt sich den Veränderungen der Arbeitswelt an, nicht umgekehrt. Der aktuelle Strukturwandel von der Industrie zur Informationsgesellschaft ist ja nicht darin begründet, dass die Menschen auf einmal klüger oder leistungsfähiger wären, gleichwohl wurde die Leistungsfähigkeit und Bildung als Ausdruck derselben in den Jahrzehnten zuvor als Begründung genommen um zu erklären, warum so viele Männer eben nur in der Industrie arbeiten können und sie nicht für besser bezahlte "Kopfarbeit" zu gebrauchen seien. Heutzutage macht diese "Kopfarbeit" einen Großteil der Berufe auf, d.h. die heutigen Generationen sind offenbar leistungsfähig genug um Arbeiten auszuüben, die vor Jahrzehnten vergleichsweise wenigen vorbehalten waren. Die Ursachen dafür liegen nicht im Leistungsprinzip, sondern in den veränderten Anforderungen des Arbeitsmarktes.

    Wenn der Arbeitsmarkt billige Arbeitskräfte in einfachen Positionen brauch - aktuell liegt der Niedriglohnsektor bei ca. 20% - dann bekommt er die auch, sofern die Politik dafür die Rahmenbedingungen schafft. Die Begründung, weshalb die Menschen in diesen Positionen arbeiten, erfolgt nachträglich: weil sie aufgrund ihrer Bildung, Qualifikation oder Leistungsfähigkeit eben keine besseren Jobs finden können. Das ist unwahr. Gesellschaften produzieren das Maß an Ungleichheit und schlechten Berufsperspektiven, welche vom Arbeitsmarkt gewünscht und von der Politik gefördert werden. Sie ergeben sich nicht aus einem Leistungsprinzip, o.Ä. heraus. Sollten immerhin zu viele Menschen zu qualifiziert sein, so würde dies umgekehrt z.B. als "Studentenschwemme", o.Ä. gleichermaßen negativ abgeurteilt werden.


    "Leistung" ist ein Mythos der Moderne und steht dort, wo zuvor der erbliche Stand oder die Göttliche Ordnung stand.
     
  26. Lurtz lost

    Lurtz
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    Ist das so? Das würde ich angesichts der extrem im Preis steigenden Grundbedürfnisse wie bei Wohnraum stark bezweifeln. Bitte mal weiter als zum nächsten Smartphone und Flatscreen schauen.

    In den USA leben mittlerweile mehr Menschen unter 30 bei ihren Eltern als mit einem Partner. Und nein, das liegt nicht nur daran, dass die sich alle gerne in Hotel Mama durchfüttern lassen. Das liegt eher daran, dass die heutigen Babyboomer jahrzehntelang auf den Kosten nachfolgender Generationen gelebt haben.

    Ich sehs doch an meinem Großvater, Hauptschulabschluss, irgendwann Beamter bei der Bundesbahn, der hat eine Rente danach würde sich manch Vollzeit Arbeitender heute die Finger lecken. Mit Anfang 30 ein Haus gebaut, längst abbezahlt. Völlig undenkbar sowas heute, wenn man nicht gerade selbst wohlhabende Eltern oder einen der wenigen wirklich gut bezahlten Jobs hat.
    Dafür kenne ich genügend durchaus engagierte junge Leute mit Hochschulabschluss die mit Anfang 30 in ihrem Leben weder ein Auto besessen haben geschweige denn eine Immobilie.

    Trotzdem darf man fragen wieso heute idealerweise beide Partner Vollzeit arbeiten sollten obwohl die Effizienz eines Arbeiters heute in vielen Berufen weit über den Werten von damals liegt. Dieses Outsourcing der Kinderbetreuung, für die man noch mehr arbeitet, um sie sich überhaupt leisten zu können, ist wirklich ein spannendes Gesellschaftskonzept...
     
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  27. DuskX Absolut unkreativer Benutzertitel, weil keine Lust mich anzustrengen.

    DuskX
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    Es funktioniert schon, aber wie du selbst sagst, die Startsituation macht halt viel aus. Es ist wie eine Leiter. Wenn du auf der unteren Sproße anfängst ist es für dich wesentlich schwerer bis ganz noch oben zu kommen als bei einem Start ganz weit oben an der Leiter.

    Früher hat mich das tatsächlich tierisch aufgeregt und ich finde es immer noch nocht gut, wenn Leute halt einfach viel Kohle oder Häuser erben und nie wirklich arbeiten müssen, während sich Leute am anderen Ende der Skala dei Bukkel krumm arbeiten.

    Letztendlich kann man sich allerdings hocharbeiten.
     
  28. Terranigma

    Terranigma
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    Auf der Ebene des Einzelnen ja, aber nicht in der Gesamtheit. Um bei dem Bild der Leiter zu bleiben: eine Leiter als Sinnbild für eine Hierarchie ist auf eine Unterscheidung von Oben und Unten angelegt. Würden alle die Leiter nach oben klettern wäre oben nicht mehr oben. Es kann nicht jeder ein Unternehmer, Abteilungsleiter, Akademiker, u.Ä. sein. Hierarchische Strukturen sind nicht eine Abbildung einer vorgefundenen Hierarchie, sondern sie stellen diese Hierarchie systemisch her - weil dies den Erfordernissen des Arbeitsmarktes entspricht. Insofern ja, jeder kann sich hocharbeiten, aber nicht alle. Und hier liegt für mich auch das Perfide des Leistungsprinzips, weil es "alle" suggeriert, sich bei kritischer Nachfrage aber stets darauf zurückziehen kann, es meine ja nur "jeder."
     
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  29. Sehe ich inzwischen leider genauso.

    Anno 2011 hab ich für Daimler in der Hotline angefangen und gemerkt, was es bedeutet, jeden Tag bis zu 120 Anrufe am Tag abzuarbeiten. Ich selbst lag bei täglich 60-80. Mehr hab ich dann einfach nicht mehr geschafft, Anrufe gab es natürlich mehr als genug und von unseren vertraglich vereinbarten 75% Erreichbarkeit innerhalb von 30 Sekunden haben wir meist 75-80% geschafft, dabei ist meist jeder an sein persönliches Limit gegangen. Man kann nicht den ganzen Tag mit teils schwierigen Kunden am Telefon verbraten ohne eine Pause zu benötigen, geht einfach nicht.
    Manchmal glaube ich, dass "die Oberen" meinen, wir sind inzwischen menschliche Roboter bzw. menschliche Anrufbeantworter. Irgendwann ist die Batterie einfach leer und muss neu geladen werden.

    Jedenfalls hatten wir zu der Zeit einen Unternehmensberater da, weil die Zahlen immer schlechter wurden und die Ausschreibung bevorstand. Es gab ziemlich gute Vorschläge, darunter auch der, dass jeder Call Center Agent 40 Anrufe täglich als erreichbare Norm haben sollte. Was darüber reinkommt wird extra vergütet. Beispielsweise jede 5 bis 10 Anrufe mehr sollte dann extra Geld zu den vertraglich vereinbarten 1.850 Euro brutto (ich lag bei 2.100 brutto) dazukommen.

    Die Ausschreibung wurde letztlich gewonnen und vom Extrageld wollte man nichts mehr hören. Entweder man akzeptiert die 1.850 Euro brutto als 1st Level Mitarbeiter oder man kann gehen.

    Ja dann...
     
  30. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Aber das muss doch jedem klar sein. Ich denke es meint auch nicht "alle nach oben", sondern eher: "viele eine, zwei, drei, Sprossen mach oben". Es geht um eine relative Verbesserung ausgehend vom jeweiligen Startpunkt. Vom Tellerwäscher zum Service-Leiter etwa.
     
  31. Terranigma

    Terranigma
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    Aber was ist das für eine Aussage, einmal ernst genommen. Einem Kind zu sagen, "Du stehst hier unten und vom Tag deiner Geburt an steht fest, wo du am Ende deines Lebens stehen wirst." Das ist nicht allzu anders als eine Ständegesellschaft, nur mit etwas mehr Armfreiheit. Ich empfinde es deprimierend, dass man bei der Geburt eines Menschen bereits recht zuversichtlich voraussagen kann, wo in der Hierarchie er Jahrzehnte später landen wird.

    Wobei ich auch da nicht mitgehen würde. Der aktuelle Niedriglohnsektor - um's nicht zu vergessen: der größte in Europa - ist nicht das Ergebnis invidueller Leistungsunfähigkeit, sondern politischer Entscheidungen. Das Leistungsprinzip verklärt gesellschaftliche Verhältnis als Ausdruck individueller Eigenheiten. Im Hinblick auf den Strukturwandel, u.Ä. ist's evident, dass dies unwahr ist. Das Leistungsprinzip auf den Niedriglohnsektor angewandt würde bedeuten, dass sehr viele Menschen in den letzten Jahrzehnten einige Sprossen nach unten gestiegen sind, nicht nach oben.
     
  32. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    So sagts ja keiner. So wäre es auch falsch. Das Kind kann alles werden. Es ist eine Sache von Wahrscheinlichkeiten. Aber vielleicht studiert das Kind als erstes aus seiner Familie, die bisher Fliesenleger und Nageldesignerinnen hervorgebracht hat, und wird Arzt. Das würde man wohl als gesellschaftlichen Aufstieg begreifen, ohne die beiden genannten Berufe herabwürdigen zu wollen. Vielleicht reicht es nicht auf die Uni, aber es wird Kaufmann und arbeitet sich zum Teamleiter hoch. Wäre doch auch ein Fortschritt. Das sind keine gänzlich unmöglichen Biografien.
     
  33. Terranigma

    Terranigma
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    Ja, richtig. Das Kind kann alles werden, aber es können nicht alle Kinder alles werden. Notwendigerweise werden sehr viele Kinder am unteren Ende der Leiter verbleiben. Die Frage ist halt nur wer, aber nicht ob und auch nicht wie viele. Ersteres liegt innerhalb des individuellen Einflussbereichs, letzteres nicht. Ich könnte daher in einer 1. Klasse gehen und den 6-Jährigen sagen, dass ca. 20% von ihnen später einer Arbeit nachgehen werden, die ihnen nicht einmal einen kleinen Wohlstand gewährt und Armut im Alter bedeutet. Ich kann lediglich nicht sagen, wen es betreffen wird.
     
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  34. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Ja gut, man kann natürlich sagen "jeder Xte von euch wird es schaffen einen besseren Beruf zu haben als heute Eltern". Aber das klingt nicht nach einer guten Ansprache.
     
  35. Terranigma

    Terranigma
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    Es ist allerdings die Wahrheit.
     
  36. DuskX Absolut unkreativer Benutzertitel, weil keine Lust mich anzustrengen.

    DuskX
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    Letztendlich sind das für mich alles nur Mittel zum Zweck. Was wichtig ist, ist halt das Ziel auf welches man hinarbeitet. Bis ich irgendwann mal rausgefunden habe, was ich den überhaupt vom Leben will, war ich eine stinkfaule und unmotivierte Socke. Jetzt arbeite ich seit bald 10 Jahren halt konsequent auf ein Ziel hin, dass ich immer noch nicht erreicht habe, bei dem unklar ist, ob ich es den mal erreichen werden und opfere dafür sehr viel, und bin aber zufrieden damit, weil die Richtung stimmt.

    Die Frage ist halt, was das Ziel ist, will man ein Haus bauen? Reich werden? Den Mount Everest besteigen?

    Und dann gilt halt, dass die Tugenden in manchen Bereichen belohnt werden und in manchen nicht. Du kannst auch eine fleißige, leistungsbereite und disziplinierte Pflegekraft sein. Eine gute Rente hat man davon allerdings nicht. Auf der anderen Seite ist so ein Bernd Höcke auch sehr fleißig und diszipliniert, das macht er aber halt, weil einer ein Faschismus Fan ist, von daher kann ich die Leistungsbereichtschaft da auch nicht so gutieren.
     
  37. SolemnStatement

    SolemnStatement
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    Beiträge:
    11.047
    Zum Thema Lebensstandard damals und heute habe ich bereits mehrfach etwas geschrieben und tue es immer wieder gerne. :ugly:

    auch ich bin der festen Überzeugung, dass unsere Eltern es besser hatten als wir und noch deutlicher unsere jüngeren Geschwister, die jetzt erst ins Berufsleben starten.

    unstrittig ist, dass wir es heute im Alltag bequemer und konsumorientierter haben. Mit Anfang 20 ein Auto, Handy, TV und Europareise? beinahe Standard. Früher undenkbarer Luxus.

    dieser Alltagskonsum ist allerdings kein Zeichen dafür, dass die heutigen Jungen so viel reicher sind, sondern Zeuge des technologischen Fortschritts. Früher war ein TV technisch noch etwas besonderes und eine Europareise eine Hürde. Heute sind beides Peanuts, vergleichbar mit einem Toaster damals. Der war wohl auch 1980 schon kein Luxus. Konsum und Technik fallen raus, wenn wir Jahrzehnte miteinander vergleichen wollen.

    relevant waren, sind und bleiben harte Faktore, also z. B. Gesundheit, Lebenserwartung, Arbeitszeit, tarifbindung, pendeldistanzen, Anzahl der Arbeitseinkommen je Haushalt, Anzahl der Kinder, soziale Absicherung, eigenheimquote, usw..

    Tjoar, und da sieht die Welt schon anders aus. Die Leute müssen heute häufig mehr und länger lernen, häufiger und weiter pendeln, häufiger den Job wechseln und bekommen dafür im Gegenzug seltener Tarifverträge, weniger Rente/Sozialleistungen, haben weniger Kinder, seltener Eigenheime und beide Partner werden beim Arbeitszwang gleich berechtigt, weil ein Einkommen nicht mehr reicht.

    Long Story Short: so viele IPhones und Netflix Abos kann ich gar nicht kaufen, um die Alleinverdienerehe mit 2+ Kindern der Generation meiner Eltern auszugleichen. :ugly:
     
  38. DuskX Absolut unkreativer Benutzertitel, weil keine Lust mich anzustrengen.

    DuskX
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    Klar geht das auf der Ebene der Gesamtheit. Ich behaupte jetzt mal das 95% der hier Anwesenden ein viel besseres Leben führen als Ihre Urgroßeltern.
     
  39. Terranigma

    Terranigma
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    Es ging um die Platzierung auf der Leiter, d.h. wo man zwischen dem Oben und Unten steht. Allgemein hast du natürlich Recht, dass 100% der hier Anwesenden einen höheren Lebensstandard haben als unsere Vorfahren im 12. Jhd. Aber auf dieser Ebene fungiert ja das Leistungsprinzip nicht. Dieser allgemeine Anstieg des Lebensstandards ist ja nicht das Ergebnis einer individuellen Leistungsfähigkeit. Das Leistungsprinzip fungiert ja als Erklärung wo jemand in der bestehenden Hierarchie steht, nicht als Erklärung des Anstiegs oder Abfalls des Lebensstandard.
     
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