RÜB4: Die Wahrheit über den Schweinezyklus

Kennt ihr das? In einem bestimmten Kontext präsentieren manche Diskussionsteilnehmer einem einfach immer wieder die selbe Standardantwort. Und jedes Mal, wenn ihr sie lest, krümmen sich eure Zehennägel. Denn diese Standardantwort ist genauso Standard, wie einfach nur fehl am Platze oder anders gesagt: In diesem bestimmten Kontext ist sie schlicht und ergreifend falsch.
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  1. Kennt ihr das? In einem bestimmten Kontext präsentieren manche Diskussionsteilnehmer einem einfach immer wieder die selbe Standardantwort. Und jedes Mal, wenn ihr sie lest, krümmen sich eure Zehennägel. Denn diese Standardantwort ist genauso Standard, wie einfach nur fehl am Platze oder anders gesagt: In diesem bestimmten Kontext ist sie schlicht und ergreifend falsch.

    Genau um dieses Szenario handelt es sich beim Einwurf des Schweinezyklus in Diskussionen zu Arbeitsspeicherpreisen oder — noch schlimmer — zu Flash-Speicher für SSD, Speicherkarten oder ähnliche Produkte. Beispiele für solche Postings wären dieses hier für Arbeitsspeicher (https://www.computerbase.de/forum/threads/ram-preise-2020-soll-arbeitsspeicher-30-prozent-teurer-werden.1909640/#post-23437328[​IMG])) oder jenes (https://www.computerbase.de/forum/threads/preisanpassungen-nand-flash-koennte-2020-bis-zu-40-prozent-teurer-werden.1915570/#post-23546931[​IMG]) für Flash-Speicher. Das sind einfach nur zwei typische Beispiele, auch in sofern typisch, als dass sie sehr knapp sind und dennoch Massen an Upvotes einheimsen. Ich bin es leid, diese falsche Theorie so gefeiert zu sehen und deshalb gibt es nun diesen Blogeintrag.

    Was ist dieser Schweinezyklus?
    Am Anfang steht natürlich die Frage, was überhaupt der Schweinezyklus ist. Die User verweisen hier gerne auf https://de.wikipedia.org/wiki/Schweinezyklus[​IMG]. Das mache ich auch, zusätzlich schiebe ich hier aber auch noch eine direkt auf die Logik abgestimmte Version hinterher, in der Schweinefleisch- und Arbeitsspeicherproduktion direkt gegenüber gestellt werden:

    Die Schweinefleischproduzenten/ die Arbeitsspeicherhersteller bemerken, dass man gerade gut Geld für Schweinefleisch/ Arbeitsspeicher bekommt. Sie bauen ihre Produktionskapazitäten aus. Das dauert aber immer etwas, denn weder lassen sich Jungtiere mit einem Fingerschnippen erzeugen noch Fabriken sich binnen eines Wimpernschlages aus dem Boden stampfen. Dadurch sind mehrere Hersteller gleichzeitig mit ihren Produktionskapazitätserhöhungen fertig und der Preis verfällt rapide. Die eben noch enthusiastischen Hersteller sehen nun eine Krise auf sich zukommen. Das sorgt dafür, dass die Hersteller die Produktion wieder zurückfahren. Da auch dieser Rückbau nicht von heute auf morgen umgesetzt werden kann, schießen sie wieder über das Ziel hinaus und die Produktion wurde zu stark zurückgebaut. Daraufhin gehen die Preise gehen wieder durch die Decke. Und das geht zyklisch immer, immer wieder so weiter.

    Was für die Theorie spricht
    Nun, da ihr diese Theorie gehört habt oder sie euch wieder ins Bewusstsein gerufen wurde, stellt sich eine weitere Frage: Wie kommt man auf sie, was spricht dafür? Das ist im Kern zwei Dinge, und zwar gibt es ja einerseits beispielsweise im Wikipedia-Artikel eine Grafik und vergleicht man den Kurvenverlauf mit der Preisentwicklung von länger auf dem Markt befindlichen Arbeitsspeicher-Modulen, dann sieht der Verlauf schon recht passend aus.
    [​IMG]
    Quelle: https://geizhals.de/g-skill-ripjawsz-dimm-kit-64gb-f3-10666cl9q2-64gbzl-a706321.html?hloc=at&hloc=de[​IMG]
    Und andererseits sprechen Arbeitsspeicherhersteller gerne selber davon, dass sie Kapazitäten zurückbauen, weil die Preise zu gering sind oder sie ausbauen, weil die Preise zu hoch sind.

    Wieso sie aber dennoch falsch ist
    Das Verhältnis zwischen den beiden Kurven nennt man eine hohe Korrelation. Ein beliebter Fehler ist es, aufgrund einer hohen Korrelation darauf zu schließen, dass ein Kausalzusammenhang besteht. Einige wunderbare Gegenbeispiele gegen dieses Begründungsmuster, dass man aus ähnlichen Kurvenverläufen auch mit Sicherheit auf eine Verbindung zwischen beiden Themen schließen kann, liefert diese Grafik aus der ZEIT:
    https://www.droesser.net/wp-content/uploads/2017/12/1513-IG-Korrelationen.pdf
    [​IMG]
    Allerdings sollte man auch das ganze nicht ins Gegenteil verkehren: Identische Kurvenverläufe können durchaus ein Indiz dafür sein, dass es einen Zusammenhang gibt. Doch, wie wir gleich sehen werden, gibt es den hier nicht und somit handelt es sich um ein Musterbeispiel, wie einen Korrelation in die Irre führen kann.

    Und zwar ist es ganz einfach zu sehen, dass der Schweinezyklus nicht tonangebend für den Speichermarkt sein kann, denn jahrelang lief es ganz anders: Das wird allein schon klar, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass beispielsweise der C64 nach seinen 64 KiB Arbeitsspeicher benannt wurde. Heutzutage hingegen kann man einen aktuellen Rechner locker mit 64 GiB Arbeitsspeicher ausstatten. Anders gesagt, die Preis pro GiB-Kurve muss früher einmal deutlich fallend gewesen sein. Und das ist sie auch, dazu kann man sich einfach Kurven von früheren Arbeitsspeichermodulen angucken:
    [​IMG]
    Quelle: https://geizhals.de/corsair-valueselect-dimm-1gb-vs1gb533d2-a105270.html?hloc=at&hloc=de[​IMG]
    Oh. Hmm, diese Kurve sieht ja mal so himmelschreiend anders aus, dass ja nun wohl eindeutig klar ist, dass die Schweinezyklustheorie vollkommener Blödsinn ist. Bei Flash-Speicher sieht es ähnlich aus. Na dann kann der Blogeintrag ja hier enden. Mehr braucht nicht gesagt werden, die Theorie muss weg, fertig aus.

    Nicht ganz, es gibt noch einige offene Fragen, zum Beispiel, was denn nun die Änderung dieses Kurvenverlaufes erklären kann?

    Vorneweg sei gesagt, dass ich meine Datenbasis als nicht ausreichend ansehe. Nichts desto trotz spreche ich gerne darüber: Es gab einfach in den letzten Jahren diverse Anomalien, die die Regeln im Arbeitsspeichermarkt verwaschen haben. Ganz vorne dabei ist natürlich das Abnehmen der Gültigkeit des berühmten Moores´ Law. In seiner praxistauglichsten Variante besagt dieses ja, dass sich die wirtschaftlich sinnvolle zu fertigenden Anzahl an Transistoren auf gleicher Chipfläche alle anderthalb Jahre einmal verdoppelt. Dieses Gesetz, oftmals das Musterbeispiel einer selbst erfüllenden Prophezeiung genannt, (weil quasi alle davon ausgehen, dass es gilt, gilt es, weil alle damit planen, dass es gilt) hat die Chipfertigung jahrzehntelang geprägt. In den letzten Jahren verlangsamt sich der Fortschritt allerdings. Klar, dass das auch Auswirkungen auf die Preiskurve hat.
    Wieso es zu dieser Verlangsamung kam und wie man den Fortschritt wieder beschleunigen kann, steht auf einem ganz Blatt. Darüber zu sprechen, kann Artikel über Artikel füllen und wird hier nicht Thema. Denn es steht ja eine andere Frage im Mittelpunkt. Wie lässt sich erklären, dass die Kurve nicht mehr einfach nur langsam gesunken ist, sondern dass sie diese abartige Form angenommen hat, dass man 16GiB 0815-Arbeitsspeicher mal für 200, dann für 50, dann wieder für 200 und dann wieder für 50 Euro bekommt?
    Meine Erklärung für den ersten Berg 2013/14/15 ist komplex, für den zweiten Berg 2016/17/18 eine Mischung aus simpel und komplex. Erst einmal den simplen Part: Es gab so etwas, das nannte sich Miningkrise. Die ist wohl kaum an jemanden mit Interesse am Grafikkartenmarkt vorbeigegangen, hat sie doch die Preise von Grafikkarten im Jahre 2017 für hohe Preise gesorgt. Auf Grafikkarten sitzt auch Arbeitsspeicher. Die Nachfrage nach Karten für das Mining hat einfach den Arbeitsspeicherpreis in die Höhe getrieben. Auch, weil zu der Zeit der DDR4-Standard noch nicht sonderlich etabliert war und die neuen Ryzen-Prozessoren auf ihn angewiesen waren, gab es einfach eine bedeutend höhere Nachfrage als sonst; einfach vorhandenen DDR3 weiterzunutzen oder gebraucht zu erwerben war nicht möglich.

    Die komplexe Erklärung
    Weshalb es diesen ersten Berg 201314/15 gab, ist weniger einfach zu erklären. In meinen Augen liegt das an diversen langfristigen Prozessen, die dazu geführt haben, dass die Nachfrage nach GiB Arbeitsspeicher sich viel schwächer entwickelt hat als von den Herstellern erhofft.
    Allgemein gab es viel Hype um bestimmte Arbeitsspeichergrößen: Als Windows 7 erschien wurde immer wieder gesagt, dass niemand mehr als 4GiB Ram braucht, einige Jahre später waren es dann nie mehr als 16GiB Ram. Sowas bremst natürlich Konsumenten. Aber vor allen Dingen ist es in meinen Augen die Bewegung weg von PCs und hin zu Smartphones, die für einen Abschwung gesorgt haben: Denn Smartphones wurden und werden mit wenig Ram ausgestattet. Besonders zu der Zeit war der Kontrast stark ausgeprägt. Das iPhone 5, 5S und 6 hatte zum Beispiel jeweils nur 1GiB Arbeitsspeicher. Die zeitgenössisches Konkurrenz hatte mehr Arbeitsspeicher, aber eben nicht die Menge, die zu der Zeit in Consumer-PCs eingesetzt wurde. Darüber hinaus litt der PC-Markt allgemein dank AMDs CPU-Schwäche und Intels Dominanz mit Stagnation. Viele weitere Effekte kamen hinzu, zum Beispiel, dass es sehr verlockend für die Hersteller war, auf ihre Arbeitsspeicher-Fabriken zu Flash-Speicherfabriken umzurüsten. Somit kam es dann zu den Kapazitätsrückbauten und damit starteten einige erste Teufelskreisläufe...

    Teufels-Konsequenzen
    Früher war es üblich, dass man Grafikkarten auch in Ausgaben mit doppeltem Grafikspeicher erwerben konnte. Also es gab zum Beispiel von einer GTX 680 mit regulären 2GiB GDDR5 auch eine Variante mit 4GiB GDDR5, oder von der HD 7970 mit regulären 3GiB GDDR5 auch eine Variante mit 6GiB GDDR5. Seit der ersten Geforce Titan gibt es diese Varianten bei Nvidia nicht mehr und seit der 290X Tri-X mit 8GiB statt 4GiB gibt es sie auch bei AMD nicht mehr. Somit fielen Möglichkeiten für Kunden weg, sich für viel Speicher zu entscheiden.
    Im Smartphonebereich konnte man sich eh noch nie entscheiden, wie viel Speicher ein Handy hat. Irgendwie schon, wenn man zu einem anderen Modell greift, aber das ist eben nur eine irgendwie-Entscheidung und keine echte Entscheidung. Obendrein entwickelte sich auch der Notebooksektor in diese Richtung. Klarer Vorreiter für so etwas war Apple und der Grund ist ein einfacher: Möglichkeiten zur Abzocke. So zahlt man heute für das Upgrade, ja das Upgrade von 8GiB 0815-Arbeitsspeicher auf 16GiB-0815-Arbeitsspeicher in MacBooks mehr, als 64GiB-0815-Arbeitsspeicher sonst kosten. Und, wie wir wissen ist dieses Preisniveau nicht einmal gut, sondern bloß das Preisniveau von 2012.

    Der Schweinezyklus entschuldigt!
    Und das ist etwas, was die Schweinezyklus-Theorie so schädlich macht: Diese Theorien entschuldigen! Sie stellen es so dar, als wären wir heute einfach so in der Situation, in der wir sind: Das heutige Arbeitsspeicher-Preisniveau zur Jahreswende 2019/2020 entspricht in etwa dem Preisniveau der Jahreswende 2012/2013. Dieser Umstand wird als natürlich dargestellt, in der Arbeitsspeicherbranche herrscht nun einmal dieser Zyklus, dafür kann ja niemand etwas. Weder bei den Arbeitsspeicherherstellern, noch sonst wo. Quatsch! Es hätte einfach, wie sonst üblich, Rücksicht auf die Schieflage der Arbeitsspeicherhersteller im Jahre 2012 gebraucht. Smartphonehersteller hätten damals den Handys mal ordentlich mehr Arbeitsspeicher verpasst. Ich will nicht sagen, dass das simpel gewesen wäre, aber hätte man dafür sorgen wollen, dass man sich auf Arbeitsspeicherpreise verlassen kann, dann hätte man das wohl gekonnt. Und nun ist dies abermals der Fall. Dass ein Apple erst im letzten Jahr ihre Smartphones mit 4GiB Ram ausgestattet hat, ist ein Beispiel dafür, dass nicht daraus gelernt wurde oder vielleicht auch nicht daraus gelernt werden wollte.

    Jetzt bauen Hersteller wieder Kapazitäten zurück: Und ich kann nur sagen: Die Industrie trifft Schuld! Und vor allen Dingen: Nix da Schweinezyklus.

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