Bioshock - ein Essay

Von TheVG · 12. Januar 2019 · ·
Ein verklärter Rückblick auf ein Spiel, das in den Wirren von juristischen Winkelzügen entstand - ein Konsensprodukt, das innovativ und doch so altbekannt daherkommt.
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  1. „A man chooses, a slave obeys.“ -Andrew Ryan

    Hättet ihr euch zu Zeiten von Tetris oder Pac-Man vorstellen können, Zitate wie die des Gründers von Rapture in einem Videospiel zum Gegenstand einer Geschichte zu machen? Welche Zitate wären das damals denn gewesen? „Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man etwas Schönes bauen.“? „Fressen und gefressen werden“?

    In den Achtzigern machten wir uns noch keine Gedanken über epische Erzählungen oder filmreife Sprüche – da ließen wir noch gefräßige Kuchendiagramme Punkte, Geister und Kirschen verschlingen, Klötze stapeln und waren damit überglücklich.


    Heute kann es nicht bedeutsam genug sein, mit fotorealistischer Grafik, knalligem Kinosound-Erlebnis und tiefgreifenden Ereignissen interaktive Erlebnisse zu schaffen. Und dabei ist „Bioshock“ nicht einmal ein Pionier in Sachen Spielgestaltung und mittlerweile auch schon fast zwölf Jahre alt. Der geistige Nachfolger von „System Shock“, das lange Zeit im Gefängnis ignoranter Rechteinhaber verkümmerte, sollte letztlich die glorreiche Zeit von Irrational Games wieder aufleben lassen. Die Macher hatten den Drang, eines dieser Spiele fortzuführen, das Fans hartnäckig als das beste aller Zeiten bezeichnen. Eine große Bürde also, dem es sich zu stellen gab und ein Frevel, die Shodan-KI in einem Archiv Staub ansetzen zu lassen.

    So gestaltete sich eine Parallelwelt, in zweierlei Hinsicht. Einerseits ist es die frappierende Ähnlichkeit zu seinem Vorgänger, die Bioshock offenkundig zur Schau trägt. Es mutete einem verärgerten Trotz an, ein Spiel zu kreieren, das so viele Elemente von sich selbst übernimmt, während man nicht mal die eigenen Ideen weiter verwerten durfte. So sagte auch Creative Director Ken Levine in einem Interview, dass „Bioshock“ nie entstanden wäre, wenn sie die Rechte von „System Shock“ gehalten hätten. Also verlagerte man das Cyberpunk-Szenario unter die See, drehte die Zeit zurück und ließ den Spieler sich durch wunderschönes Art Déco bewegen. Der Stil wurde auffällig altmodisch gehalten, so als wollte man das Erlebnis in die Zeit der Weimarer Republik zurückversetzen.

    Andererseits ist „Bioshock“ wie ein eigenes Universum zu verstehen und nicht nur ein paralleles. Wir tauchen hinab in die Abgründe eines Herrschaftssystem, das man als „ultraliberal“ verstehen kann. Andrew Ryan wollte sich keinem der bekannten Staatsformen assimilieren und begab sich fern aller Grenzen ins ozeanische Niemandsland, um dort sein eigenes Reich zu errichten. Das Spiel ist demnach immanent politisch. Nachdem wir nun einen Flugzeugabsturz überleben und uns in der Verzweiflung der Situation in die Taucherglocke begeben, staunen wir, wie weit Ryans Vision schon gediehen ist, und wir richten den Blick auf eine riesige Stadt auf dem Meeresboden.

    Hätte man noch Riesenräder und Achterbahnen errichtet, würde man scheinbar das Phantasialand betreten. Doch dann greift schnell der „Westworld“-Gedanke, in dem die Attraktion außer Kontrolle geraten war. Rapture ist nicht mehr das geschäftige, idealisierte Traumland unter der Ägide eines Visionärs. Schon als wir die ersten Schritte in den Hallen unternehmen wollen, wird ein Mann vor unseren Augen getötet, werden wir von brennenden, herabfallenden Sofas attackiert und starren auf unzählige, verstreute Leichen. Schon die ersten Eindrücke der ersten Spielminuten teilen uns mit, dass Rapture gescheitert ist. Als wir schon vom Glauben übermannt werden, vom Regen in die Traufe geraten zu sein, kontaktiert uns plötzlich ein Mann namens Atlas, uns anzuleiten, scheinbar selbstlos.

    Doch muss Atlas auch einige Dinge offen aussprechen, die unserem Alter Ego die Stimmung gleich doppelt zu vermiesen. Mutierte Menschen streunen durch die Gänge, fratzenhaft entstellt und aggressiv, als hätten sie tatsächlich eine Funktionsstörung in der Schaltzentrale erlitten. Phantasialand ist abgebrannt.

    Das Spiel will uns fast schon penetrant eine Geschichte erzählen und uns nicht die Möglichkeit geben, dem Schlamassel zu entfliehen. Das Wie ist es jedoch, das den Unterschied macht. Häppchenweise erfahren wir von dem Wunderstoff ADAM, und wie dieser die Bewohner durchdrehen ließ. Doch nicht nur die mutierten „Splicer“ sind auf der Suche danach. Kleine Mädchen mit toten Augen streifen durch die Hallen, saugen das Blut der „Engel“ ab – wie sie die Toten nennen – und werden so zur wichtigen Quelle von ADAM. Splicer würden nur zu gerne an die Mädchen herankommen, wären da nicht ihre Beschützer, die Big Daddys, diese Kolosse in massiven Panzertaucheranzügen.

    Wie diese Konstellationen zustande kamen, erfahren wir im Verlaufe der Handlung auch. Das Spiel spart nicht mit Informationsschnipseln, sei es durch Tonbänder, mit in Blut geschriebene Sätze an der Wand oder etwa die einseitige Kommunikation mit Atlas. Und doch sind wir auch ein Teil dieser Geschichte, schreiben sie mit, sei es durch unser Handeln oder Hintergründe, die sich nach und nach auftun. Das gipfelt in ein paar handfesten Überraschungen, wofür in anderer Form schon „System Shock“ berühmt-berüchtigt war.

    Es ist so etwas wie der feuchte Traum eines jeden Kinofans – eine gehaltvolle Story, die man auch noch selbst nachspielt. Wäre da nicht der interaktive Teil, der unsere Aufmerksamkeit bindet. Das Sammeln von Waffen und Hochrüsten unserer gespritzten Fähigkeiten ist ein eigener Kosmos, der in seinem Pragmatismus das Erleben durchbricht. Es ist demnach ein Shooter mit Story, nicht umgekehrt, und es liegt in der Natur der Sache, dass man ein aktionsintensives Genre wie den Egoshooter wohl nie zu einem reinen Storyerlebnis gestalten kann, wenn man Waffen und Perks nicht aussparen möchte.

    Letztlich ist dann doch etwas anders. Beide Spiele – der Klassiker und sein Quasi-Sequel – sind in ihrem Aufbau dieselben. Der Weg vom Start bis zum Ziel sind dieselben, die gebotene Wahl der Mittel sind dieselben. Nur ist „Bioshock“ in der Endbilanz einen Schritt weiter gegangen und rechnet mit uns als Spieler moralisch ab. Mit den kleinen Schwestern wird die einzig echte Interaktivität bestimmt, indem unser Verhalten ihnen gegenüber aufgerechnet wird. Würde man es sehr genau nehmen, wäre es sogar eine Doppelmoral, in der wir die Kinderchen verschonen können, die Splicer jedoch nicht. Sie gilt es zu töten, so oder so. Wir haben nur die Wahl, wie wir sie über den Jordan schicken. Schlagen wir sie mit der Rohrzange tot, pumpen sie mit Blei voll, elektrisieren sie, während sie im Wasser waten oder brutzeln sie in Ölpfützen. Heilen und sie von ihrer ADAM-Sucht befreien können wir sie nicht.

    So ist auch das geschriebene Wort oder auf Zelluloid gebannte Bild eine Einwegvorgabe von Ereignissen, dem sich ein Videospiel nur sehr bedingt entziehen kann. Die Einzelszenen können wir jedoch selbst gestalten, wenn auch kaum im erzählerischen Sinne. Und wenn wir mal ehrlich sind: wir wollen doch alle Möglichkeiten ausprobieren, ohne dass wir uns von dieser Parallelwelt moralisch beeinflussen lassen. Da kann Frau Tenenbaum noch so sehr schimpfen (oder eben doch loben) – wir sind keine Sklaven dieser Geschichte.

    Wir sind frei.



    Also seid so freundlich, und spielt dieses Spiel.
    D3nn15_M_10 und Misie Gaming gefällt das.

Kommentare

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  1. Fabiulas
    Schöner Essay!
      TheVG gefällt das.
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