Overwatch: Sigma - Dekonstrukton eines (barfüßigen) Wahnsinnigen

Von Synchro · 25. Juli 2019 · ·
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  1. Overwatch erhält zuwachs: Mit Sigma betritt der 31. Held die Arena, und zwar barfüßig. Ein Artikel darüber, inwiefern das ein Problem ist und warum Blizzards Design-Entscheidungen mehr als fragwürdig sind.


    maxresdefault.jpg Mit Sigma präsentiert Blizzard Entertainment den 31. Helden des Spiels Overwatch.

    Blizzard hat wieder zugeschlagen: mit Sigma ist der mittlerweile 31. Held für den Multiplayer-Shooter angekündigt worden. Und die Menge tobt. Zwar auch aus Freude, vor allem jedoch aus Wut, weil den Spielern ein kleines Detail besonders ins Auge springt. Sigma ist nämlich ein verrückt gewordener, niederländischer Forscher, der sich auf Gravitation und schwarze Löcher spezialisiert hat. Ach ja: er hat nebenbei auch keine Schuhe an.

    "Wie jetzt, der ganze Aufschrei wegen der nackten Füßen?", könnte sich jetzt der ein oder andere fragen. Naja, so fast. Während es selbstverständliche jene Personen gibt, deren unstillbarer Durst nach Chaos nur durch das trollen auf diversen Plattformen in Zaum gehalten werden kann und ebendie schlichtweg eine Phobie gegen unbekleidete Füße hegen, so gibt es allerdings auch jene, die ihre Kritik dabei auch sachlich fundieren können. Und damit sogar Recht haben. Und Blizzard steht dabei alles andere als gut da.

    OVR_Sigma_003.0.jpg Wie nackte Füße für gewaltigen Aufschrei sorgen können.

    Doch eins nach dem anderen. Wie bereits gesagt handelt es sich bei dem Problemkind um den neu angekündigten Helden (oder eher Bösewicht) Sigma. Präsentiert wurde dieser anhand eines stimmigen Trailers, der mittels gezeichneter Darstellungen und fantastischem Sounddesign einen exzellenten Einblick in die Psyche des Wissenschaftlers vermittelte. Der Charakter des verrückten Forschers wurde gemeinsam mit klassischer Musik zu einer - seit jeher in der Literatur oder der Filmwelt bekannten - faszinierenden Figur komponiert, die auch mich nicht kalt ließ. Der Trailer hatte mich gehyped, ich hatte wirklich Lust, den Charakter in Aktion zu erleben - bis mir das Internet zeigte, dass da noch mehr dahintersteckt.

    Wie beispielsweise Lead-Game-Designerin von ArenaNet Jennifer Scheurle in ihrem Tweet erläutert, ist es Teil der Aufgabe eines Game- oder Character-Designers, verantwortungsvoll mit der zu präsentierenden Materie umzugehen. Dass wir es hier mit einem schwerkraftforschenden Niederländer zu tun haben, ist dabei nicht das Problem. Vielmehr die Tatsache, dass er durch seine Forschung verrückt wird und im Trailer teilweise innerhalb einer Nervenheilanstalt zu sein scheint.

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    Dem Tweet folgt ein ausführlicher Thread, in welchem die Game-Designerin die Problematik erläutert.


    Psychische Erkrankungen in Medien wie Filmen oder Spielen darzustellen ist kein Problem, solange man verantwortungsvoll mit der Thematik umgeht. Möchte man so etwa wie in Layers of Fear einen verrücktgewordenen Künstler thematisieren, lässt sich dies nur durch ein intensives Auseinandersetzen mit Besagtem erreichen, wobei daraus eine durchdachte Spielerfahrung resultieren kann (und sollte). Anstatt den Künstler also in einen Battle-Royal-Modus zu stopfen, erleben wir dessen persönliche Geschichte und seine Wahnvorstellungen interaktiv und (mehr oder weniger) nachvollziehbar. Dabei funktioniert die Darstellung der Psyche hier in beide Richtungen. Die Darstellung im Spiel vermittelt einen psychisch kranken Protagonisten, zeigt allerdings auch gleichzeitig, dass eine solche Darstellung ohne den gesundheitlichen Hintergrund keinen Bestand hätte.

    Anders bei Sigma. Er ist Wissenschaftler, ja, aber laut Blizzard auch psychisch erkrankt und - zumindest vorübergehend - Patient eines Sanatoriums. Betrachten wir diesen Charakter nun vor dem Hintergrund eines Multiplayer-Arena-Shooters, so dürften Zweifel aufkommen, inwiefern ein solches Konzept sinnvoll erscheint. Der verrückte Bösewicht lässt sich auf viele verschiedene Arten darstellen, man betrachte hierbei nur die Antagonisten berühmter Comicreihen. Im Vergleich zum Joker wird sich bei Overwatch jedoch nicht mit der Krankheit des neuen Charakters auseinandergesetzt, da die Story abseits des eigentlichen Spiels erzählt, und somit ingame nur in geringstem Maße wieder aufgegriffen wird.

    "Ja also! Wieso dann drüber aufregen, im Spiel spielt dieser Trailer doch gar keine Rolle mehr, da ist er einfach nur ein cooler Typ!", könnte manch Naivling jetzt behaupten. Wäre dies wahr, hätte Blizzard nicht so sehr auf das Design des spielbaren Helden bestanden. Denn, wie anfangs erwähnt, trägt Sigma keine Schuhe. Das tut er nicht, weil er schwitzende Füße hat, sondern, wie von Blizzard bestätigt wird, Schuhe in einer Nervenheilanstalt nicht erlaubt sind, aus Angst vor Selbstverletzung. Die Entwickler beweisen damit nicht nur unsaubere Recherche (Fußbekleidung wie Socken oder Schlappen waren und sind stets erlaubt, Barfuß laufen muss niemand), sie machen außerdem deutlich, wie wichtig ihnen war, den Charakter als geistig Erkrankten darzustellen.

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    Blizzards Erklärungsversuch für den barfüßigen Helden.


    Aber warum? Wie bereits gesagt, lässt die Idee eines verrückten Forschers eher auf durchdachte und verzwickte Story hoffen, anstatt einen kontextlosen Shooter zu schmücken. Dabei ist dieser Charakterzug nicht einmal zwingend notwendig. Weder wird Sigmas Krankheit durch seine Fähigkeiten im Spiel repräsentiert oder gar thematisiert, noch am Rest seiner Erscheinung. Bis auf seine Füße. Die psychische Krankheit wird hier lediglich dazu instrumentalisiert, einen "coolen und mysteriösen Charakter" zu schaffen, obwohl sie für das eigentliche Gameplay vollkommen irrelevant ist.

    Ja, Sigma hätte in einem Spiel, welches sich etwas aus Storytelling macht, eine interessante Rolle einnehmen können, wird aktuell jedoch leider als "Der Psychisch Kranke" beworben, um ein weiteres Feld des Charakterspektrums abzudecken. Auch wenn mir der Trailer ungemein gefiel, muss ich betonen, dass Entwickler Blizzard - am Beispiel Sigma - zu leichtfertig mit seinen Design-Entscheidungen verfährt. Und dadurch erschaffen sie nicht nur unglaubhafte Charaktere, sondern gehen gleichzeitig respektlos mit einem ernstzunehmenden Thema um. Diese Eigenschaft hätte Sigma dementsprechend besser erspart bleiben sollen. Dadurch hätte Blizzard nicht nur eine Menge Ärger vermieden, sondern der Held hätte jetzt auch nicht an den Füßen frieren müssen.

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