Historienthread - Ötzi, es tut uns leid!

Dieses Thema im Forum "Smalltalk" wurde erstellt von legal, 29. Dezember 2017.

  1. Allquantor

    Allquantor
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    Bei einem Brand steht man aber normalerweise nicht direkt auf einem brennenden Holzhaufen. Außerdem kann der Rauch bei einem Hausbrand schlechter abziehen als bei einer Hexenverbrennung unter freiem Himmel. Vgl. Grillen im Haus und Grillen im Garten.

    Trotzdem hast du laut Wikipedia teilweise recht:

    "For burnings at the stake, if the fire was large (for instance, when a number of prisoners were executed at the same time), death often came from carbon monoxide poisoning before flames actually caused lethal harm to the body. If the fire was small, however, the condemned would burn for some time until death from hypovolemia (the loss of blood and/or fluids, since extensive burns often require large amounts of intravenous fluid, because the subsequent inflammatory response causes significant capillary fluid leakage and oedema), heatstroke and/or simply the thermal decomposition of vital body parts."
     
  2. MuSu nässt sich ein

    MuSu
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    holy fuck, Tod durch Flüssigkeitsverlust. Das ist mal heftig :huh:
     
  3. jaw76 ------

    jaw76
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    Strafen im Mittelalter waren ja nicht nur dazu gedacht den "Schuldigen" zu bestrafen sondern sollten ja auch eine bildhafte Abschreckung haben. Ausserdem war die Kirche der Ansicht das gewisse Verbrechen besonders schlimme Strafen verdient hatten damit der Spass auch gottgefällig ist.

    Tod durch Verbrennung war da oftmals noch eine recht angenehme Geschichte. Die peinliche Befragung kam zum Beispiel sehr gut. Rädern ist auch keine nette Erfindung. Wenn man sich mal mit den verschiedenen Hinrichtungsmethoden beschäftigt stellt man sehr schnell fest das Menschen auf ganz komische Ideen im Namen des Glaubens kommen können. Gilt für damals wie heute leider auch noch.
     
  4. Captain Tightpants "Gefällt mir"-Bot

    Captain Tightpants
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    Ging es bei dem Verbrennen nicht auch um den reinigenden Effekt des Feuers?
     
  5. Firderis

    Firderis
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    Doch, im katholischem Glauben durchaus. Was sich auch in der Darstellung der Hölle niederschlägt.
     
  6. Captain Tightpants "Gefällt mir"-Bot

    Captain Tightpants
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  7. Allquantor

    Allquantor
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    Vor allem im Konzept des Fegefeuers. Heißt ja auch "Purgatorium".

    Grausame Körperstrafen gab es natürlich zu allen Zeiten. Wenn ich mir sowas reinziehe, dann gehen meine Gedanken immer in Richtung Antinatalismus. Ich glaube nicht, dass es irgendetwas gibt, das solche Qualen aufwiegen kann.
     
  8. Allquantor

    Allquantor
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    Geschichtswissenschaft ist aber keine bloße Zusammenfassung von Primärquellen. Es kommt durchaus vor, dass Aussagen von Geschichtsschreibern wie Herodot von der modernen Forschung verworfen werden, weil sie zu unplausibel sind.

    Ich denke, der primäre Zweck von Burgen liegt auf der Hand: Schutz und Kontrolle des Umlands in einer Zeit ohne staatliches Gewaltmonopol.

    Wie genau meinst du das? Hoffentlich nicht im Sinne des erfundenen Mittelalters.

    Wenn nicht, dann kann es nur darum gehen, ob die Epochenteilung "Frühmittelalter" sinnvoll ist. Das ist aber keine Faktenfrage. Epocheneinteilungen sind immer willkürliche, nachträgliche Grenzziehungen.

    Ich denke, man kann schon Kriterien für die Glaubwürdigkeit einer historischen Quelle formulieren.
     
  9. Terranigma

    Terranigma
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    Weil es durchaus Überschneidungen geben kann. "Weltkrieg" bezeichnet auch zwei historische Phänomene - "Erster Weltkrieg" und "Zweiter Weltkrieg" - aber manche Historiker nennen analog auch den Peloponnesischen Krieg als "Weltkrieg der Antike." Insofern ließen sich besitmmt auch andere Kriege als kalt bezeichnen.

    Nein, genau das ist mein Punkt. Quellen sind ein Mittel, aber wie und für zur Beantwortung welcher Frage man die Quellen nutzt, das hängt vom Subjekt, eben vom Forscher ab. Deshalb finde ich es immerzu eigenartig, wenn von "Objektivität" im Zusammenhang mit historischer Forschung gesprochen wird. Gerade Historiker beantspruchen diese für sich nicht und begreifen Geschichte nicht als "Nacherzählung dessen, was damals war." Das Geschichtsverständnis hier im Thread würde ich bisher als "positivistisch" bezeichnen, was sich auch mit Studien zum Geschichtsbewusstsein in der Bevölkerung deckt: "Geschichte und Vergangenheit wird relativ deckungsgleich verstanden, und Geschichte als eine nüchterne Nacherzählung oder Abbildung der Vergangenheit. Das historischer Erzählungen immerzu einen Erzähler be"

    Um letzteres geht es. Sie sind nicht abiträr, aber eben eine Konstruktion, d.h. dass "Frühmittelalter" existiert genauso sehr, wie andere Kategorien "Frau", "Solarsystem", "Integralzahlen", "Fantasy-Literatur", "Rockmusik", o.Ä. existiert: ontologisch gar nicht, aber eben als Kategorie. Ebenso lässt sich streiten, ob die Unterscheidung des Mittelalters in Früh-, Hoch- und Spätmittelalter eine sinnvolle Kategorisierung ist - sie ist wohl z.T. auch der Präferenz geschuldet, Entwicklungen in "Blüte" und "Verfall" unterscheiden zu wollen. Das ist, wie du sagst, keine "Faktenfrage", sondern eine Verhandlungsfrage.

    Natürlich. Aber ob eine Quelle die Kriterien erfüllt, o.Ä. muss am Ende immer noch der Leser für sich selbst beantworten. Gerade für die Forschung zum Mittelalter ist die Frage bzgl. der Glaubwürdigkeit ein herbes Problem, weil der Anteil an Fälschungen enorm ist und allerlei Quellen, die von früheren Historikergenerationen als authentisch bewertet wurden, heute als Fälschungen gelten. Heute gibt es rege Diskussionen darüber, was alles gefälscht und und wer die Fälscher waren. Die Forschungsgeschichte zu Pseudoisidor ist da aufschlussreich, weil es auch aktuell noch allerlei Theorien zur Urheberschaft dieser Fälschung gibt.
     
    Zuletzt bearbeitet: 30. Dezember 2017
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  10. Allquantor

    Allquantor
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    Was aber nicht heißt, dass die Beurteilung einer Quelle nach Lust und Laune erfolgt. Ein guter Historiker wird versuchen, die Gründe, die für oder gegen die Glaubwürdigkeit einer Quelle sprechen, möglichst rational abzuwägen. Die Quelle ist eben kein Abbild der Vergangenheit, sondern ein Indiz, das neben anderen Indizien wie archäologischen Funden benutzt wird, um eine möglichst akkurate Rekonstruktion der Vergangenheit zu erreichen.

    Ich verstehe unter der Objektivität eines Historikers eben nicht das Nacherzählen von Quellen, sondern den Versuch, auf der Basis aller verfügbaren Belege zu begründeten Aussagen über die Vergangenheit zu gelangen. Dass dabei vieles im Ungewissen bleibt, ist klar, aber deshalb würde ich nicht von "Subjektivität" sprechen.

    Irgendwie muss man kategorisieren - zumindest ist es praktisch. Und man kann ja schon sagen, dass der Übergang von der Antike zum Mittelalter oder vom Mittelalter zur Neuzeit von markanten Veränderungen begleitet war, die es nahelegen, hier eine Epochengrenze zu ziehen. Dass diese Einteilung nicht notwendig ist, sondern auch andere Einteilungen möglich gewesen wären, dürfte klar sein.

    Gerade die Tatsache, dass es oft gelungen ist, Fälschungen aufzudecken, zeigt doch, dass wissenschaftliche Rationalität auch auf dem Gebiet der Geschichte möglich ist.
     
  11. Terranigma

    Terranigma
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    Ich verstehe nicht genau, was an deiner Definition der Tätigkeit eines Historikers "objektiv" sei.

    Der Historiker wählt aus, womit er sich beschäftigen will - das entspringt zumeist dem persönlichen Interessen und den persönlichen Präferenzen, auch beeinflusst durch gegenwärtige Diskussionen oder Forschungstrends. Er wählt eine Forschungsmethode aus, welche er für geeignet ist und zieht Quellen heran, von deren Existenz er weiß, auf welche er Zugriff hat und mit welchen er arbeiten will. Er wertet die Quellen aus, ordnet sie in seine Kenntnis des Forschungsstandes ein und bewertet historische Sachverhalte. In jedem einzelnen Schritt ist das Subjekt, d.h. der Historiker der Dreh- und Angelpunkt der Forschung. Inwiefern ist das nicht "subjektiv"?

    "Subjektiv" heißt ja nicht "wilkürlich". Aber schon die Frage, worüber man eigentlich forschen will, wird von jedem Historiker unterschiedlich beantwortet. Im 19. Jhrd. war Geschichte zum Großteil die Geschichte von großen, weißen Männern mit dem Resultat, dass dies auch das zeitgenössische Geschichtsbewusstsein prägte. Heute gibt es eine Vielzahl anderer Forschungsbereiche und auch in Zukunft wird es neue geben, von denen heute keiner weiß. Geschichte wird gemacht, sodass die Rolle des Machenden zentral ist.

    Natürlich verpflichten sich Historiker wiss. Standards. Intellektuelle Redlichkeit, Nachvollziehbarkeit der Argumentation, Offenlegung der Quellen, usw. Aber ich würde das nicht als "objektiv" bezeichnen und auch Historiker sehen ihre Forschung als "objektiv". Im Gegenteil. Man geht mit der Subjektivität der Forschung offen um. Gerade Historiker haben ja eine gute Idee davon, dass wiss. Forschung selbst immerzu zeitgebunden ist, d.h. gesellschaftlichen Entwicklungen, Trends, dem Zeitgeist, usw. unterliegt. Da redet niemand von "Objektivität".

    Ich widerspreche dem auch nicht. Ich sage nur, dass es kein "Fakt" ist, dass es das Mittelalter gab. Es ist eine Kategorie welche wir benutzen, um Zeit zu ordnen. Ich denke, es ist ein brauchbares Ordnungssystem, aber man kann Zeit auch anders ordnen und auch in der Vergangenheit wurden andere Epocheneinteilungen verwendet. Der Begriff "Mittelalter" ist da eigentlich schön, weil er ja selbst die Verachtung ihrer Erfinder zum Ausdruck bringt, d.h. das Mittelalter war als unliebsames Mittelstück zwischen der goldenen Antike und der goldenen Wiedergeburt der Antike verstanden.

    Ich glaube, wir missverstehen uns hier. Ich habe dem nirgends die "Rationalität" abgesprochen.
     
    Zuletzt bearbeitet: 30. Dezember 2017
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  12. Allquantor

    Allquantor
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    Die möglichst rationale Abwägung der vorhandenen Belege und Indizien. Im Idealfall sollten zwei Historiker, die unabhängig voneinander, aber auf der gleichen Quellengrundlage, dieselbe Frage bearbeiten, am Ende zu ähnlichen Ergebnissen kommen.

    Dass Objektivität in diesem Sinne nie zu 100% erreicht wird, ist klar. Aber eine Annäherung an dieses Ideal ist schon möglich.

    Wäre Geschichtswissenschaft völlig subjektiv, dann wäre es rätselhaft, dass die Meinungen von Historikern überhaupt so stark konvergieren.

    Gegenfrage: Welche Wissenschaft ist nach deinem Begriff von Subjektivität nicht subjektiv?


    Das gilt auch für Chemie. Ist Chemie deshalb subjektiv?

    Ich finde die Formulierung ungut, weil "Machen" eben nach etwas willkürlichem klingt.

    Das Mittelalter gab es eh. Einfach weil es die Ereignisse zwischen 500 und 1500 gab, auf die wir uns mit diesem Begriff heute beziehen. Diese Zeit ist ja nicht erst dadurch entstanden, dass nachträglich das Wort "Mittelalter" erfunden wurde. So wie der Teil der Erdgeschichte, den wir mit dem Wort "Trias" bezeichnen, auch nicht erst dadurch geschaffen wurde, dass wir dieses Wort eingeführt haben.

    Klar, aber das ist ziemlich trivial, oder?
     
  13. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Hier wird der Begriff „Objektivität“ in zweierlei verschiedener Art benutzt, daher die Diskussion.
     
  14. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Nun. Ich könnte auch die Zeit von 753 vor Christus bis 1806 nach Chrisus als „römische Zeit ordnen, die davor als Altertum und die danach als Moderne. Willkürlich, festgemacht an kaum haltbaren Kriterien, aber möglich.

    Solche Einteilungen beeinflussen unser Bild und Denken erheblich.
     
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  15. Allquantor

    Allquantor
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    Deshalb meine Frage, was Terranigma unter Subjektivität/Objektivität versteht.

    Das mag sein. Und sich diesen Einflusses bewusst zu machen, kann sicherlich nicht schaden. Trotzdem halte ich Aussagen wie "Wir haben das Mittelalter erschaffen" für daneben, weil die Zeit, auf die wir uns mit dem Begriff beziehen, eben nicht von uns erschaffen wurde.
     
  16. Terranigma

    Terranigma
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    Sie ist intersubjektiv, d.h. zwei Menschen können miteinander reden, sich austauschen und ihre Ergebnisse vergleichen. Ich habe den Eindruck, dass du "subjektiv" wie "wilkürlich" verstehst. Das meine ich nicht. Ich meine mit "subjektiv", dass der Forscher als Person maßgeblich für das Forschungsergebnis relevant ist. Der Untergang des Römischen Reiches ist auch ein schönes Beispiel, weil sich dort die Lehrmeinung quasi alle paar Jahre ändert und bis heute kein Konsens besteht, warum Rom nun eigentlich unterging. Es gibt wohl Konsens darüber, dass so einige Faktoren gab, die "wohl was damit zu tun hatten". Ebenso gibt es insb. in der Altphilologie aber auch den Standpunkt, das Römische Reich sei nie untergangen. Hier konvergieren die Meinungen nicht sehr stark.

    Keine. Nur als Beispiel, war die Biologie des 19. Jhrd. erheblich von der Vorstellung der Überlegenheiet der Weißen geprägt, was sich auch in deren Ordnungssystemen der menschlichen Rassen niederschlug. Die Physik plagte sich wiederum lange Zeit damit rum, ihre Erkenntnisse mit der christlichen Lehre in Einklang zu bringen. Teilweise weil sie es mussten, teilweise weil sie als Christen selbst nicht mochten, wohin ihre Erkenntnisse sie trieben.

    Warum klingt es danach? Forschung wird eben gemacht, nämlich von Forschern. Forschung und Wissenschaft sind die Tätigkeit von Menschen, und mir ist kein Mensch bekannt, der kein Subjekt ist, sondern objektiv wäre. Und gerade bei den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften spielt die Person des Forschers eine große Rolle, weil er sich mit Themen beschäftigt, die für ihn selbst bedeutsam sind und zu denen er ggf. eine persönliche Haltung besitzt.

    Um einmal die Lehrbuch-Definition von Geschichte zu nennen, wie sie derzeit in der Geschichtswissenschaft üblich und an den Universitäten gelehrt wird. Die Idee, dass Geschichte eine (Re-)Konstruktion von Vergangenheit ist, ist elementar für das Selbstverständnis der heutigen und hiesigen Geschichtswissenschaft:

    "Als Gegenwart empfindet der Mensch nach Ausweis wahrnehmungspsychologischer Studien eine kurze Zeitspanne von etwa drei Sekunden. Dann gehört die Gegenwart bereits der Vergangenheit an. Die Vergangenheit ist – wie der Name schon sagt – vergangen, und dies unwiderruflich. Zurück lässt sie nur vereinzelte Überreste, die den einstigen, im Zustand der Gegenwart gegebenen, lebendigen Zusammenhang aber nur noch fragmenthaft abbilden. Vor allem – aber nicht ausschließlich! – diese Relikte vergangener Gegenwart nennt der Historiker "Quellen" und versucht, aus ihnen nach Möglichkeit ein Gesamtbild der Vergangenheit zu rekonstruieren. Diese Rekonstruktion bezeichnen wir als „Geschichte“, und sie ist keineswegs mit der Vergangenheit identisch. "Geschichte" ist immer eine Konstruktion des sich erinnernden Menschen, der sie denkt, erzählt oder schreibt. Als solche bleibt sie notwendig unvollkommen, erstens wegen der angesprochenen Fragmenthaftigkeit der zugrundeliegenden Überreste und zweitens wegen der subjektiven Wahrnehmung des Menschen an sich. Schon dieselbe Gegenwart werden zwei Menschen niemals gleich erleben. Umso mehr unterliegt die spätere Erinnerung an sie formenden äußeren Faktoren. Gegenwart und Vergangenheit konditionieren sich fortlaufend gegenseitig im Medium der Erinnerung. Es kommt hinzu, dass "Geschichte" als erinnerte Vergangenheit stets in der Sprache der Gegenwart erzählt werden muss, um für diese Bedeutung zu haben. Der Historiker muss also Fragen und Terminologie seiner Gegenwart in einer Art von "kontrolliertem Anachronismus" an die Quellen herantragen. [...]" (historicum.net)

    Das ist's was ich im Kopf habe, wenn ich "Geschichte" sage.

    Nein, nicht als Fakt. Es gab natürlich die Jahre 500 bis 1500, aber es ist kein Fakt, dass dieser Zeitraum das "Mittelalter" ist. Zu meiner Schulzeit sprach man auch für die Zeit ab dem 16. bis zum 18. Jhrd. vom "Zeitalter der Entdeckung". Ein Begriff, den du in aktuellen Geschichtsbüchern nur noch als Anachronismus finden wirst, weil dieser Zeitraum heute als "Zeitalter der europäischen Expansion" betitelt wird. Und der Beginn dieses Zeitalters wird wiederum bereits in das 12. Jhrd. gelegt, nicht erst in 16. Jhrd. "Zeitalter der euroäpischen Expansion" ist eine Epoche, die insb. im Zusammenhang mit der Globalgeschichte verwendet wird, weil "Mittelalter" als Periode nicht nur eine Zeit, sondern auch einen Ort beschreibt - und daher für die Globalgeschichte nicht brauchbar ist. Du kannst Zeit auf vielerlei Arten anordnen.
     
    Zuletzt bearbeitet: 30. Dezember 2017
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  17. Allquantor

    Allquantor
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    Wäre das Forschungsergebnis wirklich dermaßen vom Charakter des Forschers abhängig, dann wäre es rätselhaft, dass Wissenschaftler trotz aller persönlichen Unterschiede so oft zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Über religiöse Fragen kann man sich ja genauso austauschen und trotzdem gibt es dort keine Konvergenz von Meinungen wie in der Wissenschaft.

    Dass Wissenschaftler sich langfristig so gut einig werden können, liegt eben daran, dass die Ergebnisse eines Wissenschaftlers im Idealfall nicht durch seine Persönlichkeit bestimmt sind, sondern durch die Indizien, Belege.

    Wäre Goethe nicht geboren worden, dann wäre "Faust" nie geschrieben worden. Wäre Darwin nie geboren worden, dann wäre die Evolutionstheorie früher oder später trotzdem formuliert worden. Weil die Evolutionstheorie auf Gründen beruht, die von der Person Charles Darwin völlig unabhängig sind.


    Aber würdest du die Tatsache, dass diese Art Rassismus überwunden wurde, nur mit einem subjektiven Wertewandel erklären? Gab es keine objektiven Gründe, die dafür sprechen, dass diese Rassenlehre einfach unplausibel ist?

    Oder auf die Geschichtswissenschaft übertragen: Ist die Tatsache, dass die Protokolle der Weisen von Zion heute von allen seriösen Historikern für eine Fälschung gehalten werden, nur mit subjektiven, in der Person des jeweiligen Forschers liegenden Gründen zu erklären?


    Ich denke, du hast einen komischen Begriff von Objektivität. Welchen Sinn hat der Begriff "objektiv", wenn es logisch unmöglich ist, dass irgendjemand jemals objektiv ist? Oder welchen Wert hat die Festellung, dass Geschichtswissenschaft subjektiv ist, wenn der Begriff "subjektiv" keinen erfüllbaren Gegenbegriff hat?

    Natürlich ist das kein Fakt, sondern eine Benennung. Eine Benennung kann weder wahr noch falsch sein.
     
  18. MuSu nässt sich ein

    MuSu
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    Erstes Semester Geschichte lernt man, dass keine Quellen objektiv sind, weil immer im Kontext der damaligen Gesellschaft/Zeit erstellt. Mehr kann ich nicht sagen, hab dann das Studium abgebrochen :ugly:
     
  19. Terranigma

    Terranigma
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    Naja. Für diese Erkenntnis hat sich das Studium doch gelohnt. :D

    Ich glaube wir reden hier lediglich aneinandervorbei. Ich will nicht mehr sagen, als dass der Forscher als Subjekt derjenige ist, der die Erkenntnis "macht" - im Deutschen haben wir auch das schöne Wort von "Wissenschaft", d.h. Wissen schaffen, eben schöpfen. Wenn du zwei Historiker für 90 Minuten mit einer Aufgabenstellung vor eine Auswahl an Texten setzt, werden diese am Ende wahrscheinlich zu relativ ähnlichen Ergebnissen kommen, auf Ebene der Sachurteile. Aber das ist eine fiktive Laborsituation. Natürlich können Menschen zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Wollte ich nie in Abrede stellen. Tun wir hier im Forum ja teilweise auch. ;)

    Wenn wir von Sachurteilen reden, ist das wohl auch der Fall. Wenn wir von Werturteilen reden, dann nicht. Aber beides ist Bestandteil dessen, was Historiker tun. Wenn du als Historiker eine Geschichte des Holocausts erzählst, dann bleibt es nicht aus, dass man auch Emotionen empfindet - mit den Opfern, den Tätern, o.Ä. Derartig involviert sind Naturwissenschaftler wohl nicht. Nun kann man vom Historiker erwarten, er solle leidenschaftslos und und interessenlos sein, aber genauso gut kann man vom Wasser erwarten es solle aufhören nass zu sein. Aint' gonna happen.

    Eine Gegenfrage: wenn objektive Gründe für die Ablehnung der Rassenlehre maßgeblich wären, warum haben objektive Gründe dann nicht das Aufkommen der Rassenlehre verhindert? Wobei ich auch hier lieber das Wort "objektiv" streichen würde, sondern einfach von Gründen reden würde. Es gab für die Zeitgenossen gute Gründe, welche für die Rassenlehre sprachen und es gibt für uns heute gute Gründe, die dagegen sprechen.

    Nein, natürlich nicht.

    Der Gegenbegriff muss ja nicht erfüllbar sein, damit es ihn gibt. Womöglich reden wir hier auch vom selben, nur mit zwei Worten. Aber ich lehne den Begriff "objektiv" ab, weil er einerseits nicht in der Wissenschaft verwendet wird. Ich kenne keinen Historiker, der sich selbst als objektiv bezeichnet, oder auch die Geschichtswissenschaft als "objektive Wissenschaft". Dies ist nicht das Selbstverständnis. Ich lehne den Begriff auch ab, weil er in Diskussionen oftmals als Schutzbehauptung oder Ad Hominen benutzt wird, um die eigene Sichtweise als objektiv, nüchtern, sachlich und faktisch korrekt darzulegen, während das Gegenüber nur subjektiv sei. Ich rede darum lieber von Intersubjektivität, weil dies den Diskurscharakter von Geschichte deutlich macht. Als Ideal kann man von "Objektivität" gerne reden, aber mehr als das ist's wohl nicht.

    "Die Standortgebundenheit des Historikers ist als unvermeidlich hinzunehmen, Parteilichkeit gilt es hingegen zu vermeiden – mit dieser Differenzierung war eine Alternative zu der mit Ranke identifizierten Forderung nach einer interesselosen, ja selbstlosen Forschung geboten. Und diese Alternative sollte sich schließlich auch durchsetzen. [...] Als Antwort auf die an Ranke gemahnende Forderung nach Wertfreiheit unterschied Weber zwischen Werturteilen und Wertbeziehung. Werturteile sind moralische Bewertungen, die wissenschaftlich nicht begründbar und daher als solche zu kennzeichnen oder ganz zu vermeiden sind. Die Wertbeziehung hingegen ist unvermeidlich: Wir müssen aus der unendlichen Vielfalt der historischen Phänomene auswählen, was uns interessant erscheint, und da diese Auswahl von unseren eigenen Lebensbedingungen und Denkweisen, von den leitenden Wertideen unserer eigenen Zeit abhängt, ist die historische Forschung immer auf Werte bezogen. Deswegen kann es, so Weber, keine schlechthin objektive, von eigenen Werten freie Analyse der Geschichte geben." (Kann Geschichte objektiv sein?)
     
    Zuletzt bearbeitet: 30. Dezember 2017
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  20. Ulsterman Madden des GSPB

    Ulsterman
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    79 Wistful Vista
    Rein mathematisch/physikalisch ist diese Zeit natürlich nicht entstanden, aber es gibt doch diverse Definitionen dazu, welche Spanne überhaupt damit gemeint ist, und diese Spanne unterscheidet sich doch je nach Betrachtungsweise ganz erheblich - und alle Definitionen existieren nebeneinander, ohne das eine richtiger als die andere wäre.

    Wann fängt es an? Mit Attilas Tod 453? Mit dem Zusammenbruch West-Roms 476?
    Wann hört es auf? Mit der Reformation 1517? Mit der Eroberung Konstantinopels 1453? Mit der Erfindung des Gutenbergschen Buchdrucks 1450? Mit der Schlacht auf dem Bosworth Field 1485?
    Selbst wenn man Ereignisse aus dem gleichen Jahr nimmt, kann das den Fokus doch erheblich anders setzen (Beispiel: Entdeckung Amerikas und Eroberung Granadas, beides 1492).
    Teilt man das Mittelalter in zwei Phasen (Früh- und Hochmittelalter) ein, wie es in der spanischen und französischen Geschichtsschreibung überwiegt, oder nimmt man drei Phasen (Früh-, Mittel- und Hochphase), wie man es in der deutschsprachigen und englischen Geschichtsschreibung hat? Wo trennt man die Phasen, gibt es fließende Übergänge oder hat man Zäsuren wie die normannische Invasion Englands 1066?
    Was macht man mit der nicht-europäischen Geschichte? Das Mittelalter ist per Definition europazentriert, für andere Regionen der Erde mögen da ganz andere Eckdaten und Ereignisse relevant sein.

    Die Aussage "Wir haben das Mittelalter geschaffen" ist meiner Meinung nach durchaus korrekt. Es heißt ja nicht, dass man die Ereignisse erfunden hätte, sondern dass man sie einfach nach bestimmten Gesichtspunkten betrachtet zusammensortiert und verknüpft.

    "Objektiv" sind im Bereich der Geschichte bestenfalls die konkreten Zeitpunkte, wobei auch da vieles ungenau ist. Alles danach ist immer mit einer ordentlichen Portion Subjektivität gewürzt, ob nun die Beschreibung der Ereignisse selbst oder die Beurteilungen. Das schöne an der Geschichte als Wissenschaft ist, dass diese Beurteilungen -wie auch weiter oben die Definitionen- grundsätzlich erst einmal gleichberechtigt nebeneinander stehen und diskutiert werden können. Terranigmas "Intersubjektivität" ist ein guter Begriff dafür.
     
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  21. Terranigma

    Terranigma
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    Um einmal vom Mittelalter und der Theorie wegzukommen und es an einem anderen Thema konkret zu machen. Habe in meiner Abschlussarbeit die historische Darstellung des Zweiten Weltkrieges in Deutschland und Japan verglichen und - wenig überraschend - festgestellt, dass es signifikante Unterschiede gibt. Die Unterschiede gibt es in vielerlei Hinsicht: (1) die zeitliche Definition des Zweiten Weltkrieges; (2) die räumliche Darstellung des Zweiten Weltkrieges; (3) die Auswahl der Akteure; (4) die sprachliche Repräsentation. Der Zweite Weltkrieg beschreibt als Begriff grob eine Vielzahl von militärischen und nicht-militärischen Ereignissen in der Vergangenheit, die wir unter den Oberbegriff "Zweiter Weltkrieg" zusammenfassen. Welche Ereignisse, welche Akteure, welche Zeitpunkte, usw. wir dabei aber in unsere Darstellung prominent aufnehmen, welchen Aspekten wir viel und wenig Aufmerksamkeit widmen, das hängt von uns ab. In Japan, das nebst Deutschland wohl der größte Aggressor war, wird eine andere Geschichte des Zweiten Weltkrieges erzählt - was nicht heißt, dass sie falscher sei.

    Nur um ein paar Beispiele zu geben, und weil ich den Thread mag und nicht mit Textwänden vollmüllen möchte:
    In Deutschland beginnt die Geschichte des Zweiten Weltkrieges üblicherweise mit dem Angriff Deutschlands auf Polen am 01.09.1939. Von einem Weltkrieg kann zu dem Zeitpunkt allerdings nicht gesprochen werden, da es bisher nur der Krieg zwischen zwei Nachbarländern ist. Selbst in den folgenden Wochen und Monaten ist der Zweite Weltkrieg in Europa eigentlich ein europäischer Krieg - wir nennen ihn dennoch bereits einen Weltkrieg aufgrund des Wissens, was folgt. In Japan beginnt die Darstellung zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges üblicherweise mit der der Mandschurei-Krise am 18.09.1931 und des Vorfalls an der Marco-Polo-Brücke am 07.07.1937. In Deutschland sind beide Ereignisse unbekannt, für die japanische Geschichtsdarstellung aber zentral. Zum Weltkrieg wird er mit dem Bündnis zwischen Dreierbündnis zwischen Deutschland, Japan und Italien am 22.09.1940. Dies ist ein Schlüsselereignis der japanischen Geschichtsdarstellung, das Bündnis insb. mit Deutschland sehr präsent im heutigen Geschichtsbewusstsein. In Deutschland wird dem Bündnis kaum Beachtung geschenkt. In Deutschland weiß jeder vom Angriff der Japaner auf Pearl Harbor, aber in Japan weiß man auch um die außenpolitischen Spannungen zwischen Japan und den Westmächten aufgrund eines Wirtschaftsembargos insb. durch die USA, welches einen Grund für den Angriff darstellte.

    87% aller Worte, die sich auf Räume beziehen - z.B. geografische Orte, Ländernamen, Stadtnämen, usw. - fallen in deutschen Schulgeschichtsbüchern auf Europa, d.h. 87% aller örtlichen Referenzen zum Zweiten Weltkrieg beziehen sich auf Europa. Der Zweite Weltkrieg ist in Deutschland eigentlich eher ein europäischer Krieg. Von diesen 87% aller örtlichen Referenzen fallen wiederum 36% auf Deutschland. Genauer zu sagen wäre also: der Dreh- und Angelpunkt des Zweiten Weltkrieges ist Deutschland, dann Europa. Ostasien und insb. Afrika kommt in unserer Geschichtsschreibung quasi gar nicht vor. Wir reden vom Weltkrieg, aber behandeln ihn wie einen europäischen Krieg. In japanischen Schulgeschichtsbüchern hält es sich stärker die Waage. Dreh- und Angelpunkt ist hier wiederum der Krieg in Ostasien, es wird aber auch vergleichsweise ausführlich über den Krieg in Europa geschrieben. Und während in Deutschland wohl jeder die Namen Adolf Hitler, Joseph Göbbels und Winston S. Churchill kennt, kennt in Japan jeder die Namen Adolf Hitler, Inukai Tsuyoshi und Chiang Kai-shek.


    Nur um einmal eine Idee zu geben, wie drastisch sich die Geschichten, die wir uns von ein und demselben historischen Phänomen erzählen, unterscheiden können. Eben abhängig davon, wer sie wann, wo und für wen erzählt. So, und ab jetzt halte ich mich wieder zurück. :D
     
    Zuletzt bearbeitet: 31. Dezember 2017
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  22. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Sehr interessant, Danke!
     
  23. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Pünktlich zum Karl Marx Jahr 2018 mal intensiver mit ihm beschäftigt, der hat seinen Lebensunterhalt also mit Aktienspekulationen und Geld aus dem Ausbeuter-Textilbetrieb Friedrich Engels Vaters bestritten, solange er seine Texte schrieb. Keine weiteren Fragen. :ugly:
     
  24. Bremer Roland gesperrter Benutzer

    Bremer Roland
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    Milton Friedman lächelt immer so freundlich deswegen glauben ich an seine Thesen.
     
  25. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Quote aus dem Politikthread.

    Es passt insofern gut ins Bild, als dass er erst mal das Bürgertum schön den Adel abräumen lassen wollte um sich und das Proletariat dann ins gemachte Nest zu setzen. Ging halt schief.

    Ich kann’s mir nicht verkneifen: Ist halt die konsequente Linie, das Geld/die Leistung anderer Leute zu verpulvern für die eigenen Ideen.

    Auf die Missstände seiner Zeit hat er gut hingewiesen und sie waren real, aber seine Lösungen waren zu radikal.
     
  26. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Ich halt’s lieber mit Robert Blum. :D
     
  27. Terranigma

    Terranigma
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    Inwiefern? Es war zu der Zeit absolut nicht unüblich, dass Mäzen einzelne Philosophen, Künstler oder Schriftsteller unterstützen. Da es keinerlei Förderungen, o.Ä. gab waren die meisten "Freischaffenden" auf die Finanzierung durch Mäzen angewiesen. Im Falle von Marx mag man es krude finden, dass ausgerechnet Engels als Fabrikant diese Rolle übernahm. Insbesondere in der Kunst würde es ohne Patronage viele bekannte Werke nicht geben, der Neuplantonismus wurde insb. durch die Medici gefördert und hätte ohne diese wohl nicht derart die Aufklärung prägen können. Verstehe insofern nicht die Kritik: "Geld anderer für eigene Ideen verpulvern" ist eine recht eigene Interpretation von "Engels wollte Marx unterstützen". Das ist so, als würde man Michelangelo vorwerfen, seine Kunst sei wertlos, weil er die die Decken- und Wandmalerei der Sixtinische Kapelle nicht aus eigener Tasche bezahlt hat, sondern sich von den Medici fördern ließ.

    Die Vernünftigkeit der in einem Text dargelegten Argumentation ist von der Person völlig unabhängig. Ich glaube auch nicht, dass Marx ein angenehmer Typ war, aber das ist ja für die Qualität seiner Darlegung irrelevant. Ich finde Liam Neeson auf irgendeine Art sympathisch, aber leider spielt der gute Mann zumeist nur in miserablen Filmen mit. :D

    Ich frage mal: hast du das Kapitel gelesen oder reingelesen? Eigentlich hat Marx relativ wenige Lösungsvorschläge gebracht und das Kapital ist vor allem eine Analyse des Ist-Zustandes. Die Leistung von Marx liegt wohl nicht darin, dass er irgendwelche konkreten Vorschläge einbrachte - da lieferte er eigentlich kaum etwas - sondern dass er eine sehr ausführliche Beschreibung des Kapitalismus ablieferte. "Auf Missstände" hinwiesen war insofern wohl auch nicht seine Intention; die Missstände waren derart offensichtlich, da musste niemand drauf hinwiesen. Dafür ist das Werk auch viel zu sperrig. Das Kapital ist jetzt wirklich keine Lektüre, mit der man den Arbeiter zur sozialistischen Revolution begeistern kann.
     
  28. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Genau das ist es ja. Es ist zumindest seltsam. Auch wenn’s wohl nicht anders ging. Mutet seltsam an.

    Das Kapital nicht nein. Bin jetzt erstmal an seiner Vita beschäftigt. :D
     
  29. Terranigma

    Terranigma
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    "Bin jetzt erst einmal ..." heißt, du möchtest Das Kapital wirklich lesen? Oh, in dem Fall, ... nun. Viel Glück. Ich glaube der erste Blick in Das Kapital war für viele selbsternannte linke Revoluzzer eine herbe Enttäuschung. Auf der einen Seite, weil das Werk so gar nicht revolutionär ist. Weil es auch ansonsten kaum etwas zum Kommunismus zu sagen hat. Weil es zäh, anstrengend und sehr kompliziert verfasst ist und weil die meisten wohl schon beim Vorwort, spätestens aber beim ersten Kapitel aussteigen. "Das Kapital gelesen haben" ist eigentlich sowas, das man sich auf die Bucket List schreibt, bis zum Lebensende aber nie ernsthaft angeht. :D
     
  30. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Verstehe. Naja, vielleicht finde ich auch einordnenden Sekundärliteratur.
     
  31. Terranigma

    Terranigma
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    Wenn du es ernsthaft lesen - und sogar teilweise verstehen! - möchtest, würde ich zumindest eine Sekundärliteratur zur Hand haben. Und viel Zeit. Glaube Marx ist vor allem deshalb derart romantisiert, ideologisiert und verklärt - als Heilsbringer für Linke und als der Leibhaftige für Liberale - weil ihn eigentlich kaum jemand liest. Ist verständlich, weil es auch nicht wirklich Spass macht, sondern mühevolle Arbeit ist. In erster Linie ist er Ökonom, und Das Kapital ist ein sehr sachliches und ruhiges Buch über Ökonomie.
     
  32. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Das schreckt mich nicht, eher die Sprache die damals verwendet wurde. Ich werd glaub erst mal reinlesen bevor ich Geld in die Hand nehme.

    Und ich muss noch das aktuelle Sammelbuch zur Geschichte der Pferde fertig lesen. :D

    Die Frage ist aber sowieso, ob zum Verständnis dessen was kam, das Kommunistische Manifest nicht die bessere Lektüre wäre.
     
    Zuletzt bearbeitet: 1. Januar 2018
  33. Bremer Roland gesperrter Benutzer

    Bremer Roland
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  34. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Danke :D

    Siehe Edit, vielleicht beginne ich mit dem Manifest. Das scheint mir viel eher eine Handlungsanweisung zu sein.
     
  35. Terranigma

    Terranigma
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    Es ist eine polit. Programmschrift, die sind immerzu vom Willen zur Veränderung, u.Ä. geprägt. Wobei "Manifest" schon nach zu viel klingt. Selbst das CDU/CSU-Wahlprogramm von 2017 ist länger.
     
  36. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Ah, und das hab ich gelesen. Dann fange ich zum Einstieg damit an. :D

    Mich interessiert ja vor allem, wie sehr Marx das vorwegnahm bzw. „verursacht“ hat, was später in seinem Namen so gemacht wurde.
     
  37. Terranigma

    Terranigma
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    Ich würde sagen: gar nicht. Die Rhetorik der SPD im Prager-Manifest von 1934 war nicht weniger revolutionär, auch dort forderte sie u.a. die "Revolution der Wirtschaft" und die "sozialistische Organisation der Wirtschaft". Ich glaube nicht, dass man ernsthaft eine direkte Linie zwischen Marx' Manifest sowie Kapital und dem Stalinismus, Gulags und dem Langen Marsch ziehen kann.
     
  38. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Hm. Diktaturen finden ihre ideologische Grundlage sowieso, versus Ideologien verursachen Diktaturen.
     
  39. Terranigma

    Terranigma
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    Ist ein interessanter Gedanke. Ich denke durchaus, dass man zwischen Marx und dem Stalinismus eine Linie ziehen kann, aber über mehrere Ecken. Ebenso kann man auch eine Linie zwischen Marx und der SPD ziehen, was nicht bedeutet, dass die SPD quasi die Vorstufe des Stalinismus sei. Ich denke der Unterschied ist hier, ideengeschichtlich darzulegen, woher eine Ideologie ihre Elemente hernimmt. Der Stalinismus fußt z.T. auf Marx. Das bedeutet umgekehrt aber nicht, dass der Stalinismus eine notwendige Konsequenz von Marx' Denken ist. Es ist eine Konsequenz, die historische Realität wurde.
     
    Zuletzt bearbeitet: 1. Januar 2018
    Thandor und legal gefällt das.
  40. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Dennoch wäre die Frage, ob Marx Schriften das eine oder andere eher begünstigt hat. Vielleicht bei anderer Formulieung der Ideen vermeidbar gewesen wäre.
     
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