Ist die Linke wählbar?

Dieses Thema im Forum "Smalltalk" wurde erstellt von Gelöscht 372945, 10. September 2017.

  1. abelian grape Normalteiler

    abelian grape
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    Zustimmung zu deinem gesamten Beitrag, noch eine Anmerkung hierzu: Die Frage ist nicht, ob es Menschen mit problematischen Positionen in einer Partei gibt, die gibt es in jeder. Man denke nur an Martin "man könnte die Juden mit gleicher Berechtigung wie die Deutschen als Tätervolk bezeichnen" Hohmann, der jahrelang für die CDU im Bundestag saß und doch schon ziemlich rechte Tendenzen hatte. Was man nicht nur anhand seiner Rede sah, sondern was mir auch von JUlern aus Fulda versichert wurde, die ihn persönlich kannten. Entsprechend wenig verwunderlich ist er nun in der AfD. Die Frage ist vielmehr: Welche Personen bestimmen die Richtung der Partei und das Bild in der Öffentlichkeit? Und da sehe ich bei der Linken keine Forderungen nach einer Diktatur oder einer sozialistischen Revolution; die wollen eher einen sanften, demokratischen Übergang mehr in Richtung sozialistischen Staat, in dem Bürgerrechte eine große Rolle spielen. Die Linken sind für mich bspw. eine der wenigen Parteien, die glaubhaft gegen den Überwachungsstaat argumentieren.

    Daher sehe ich da aktuell wenig Probleme, wenn die Linkspartei tatsächlich mal an die Regierung kommen würde. Das Schlimmste, was da passieren könnte, wäre, dass sie - wie Rot-Grün vor ein paar Jährchen - den Mächtigen erliegen und Politik gegen ihre Wählerschaft machen. Oder dass ihre Politik an den Mächtigen dieser Gesellschaft scheitern würde.*

    Übrigens sehe ich auch bei einem fiktionalen Wahlsieg der AfD nicht gleich das 4. Reich am Horizont. Ich halte die AfD zwar für gefährlich, aber nicht in dem "Wir überwerfen die Strukturen und errichten ein Nazireich" Ebene, sondern eher auf einer "Wir scheißen auf viele Bürgerrechte und treiben noch fleißig weiter Keile in die Gesellschaft, bis einzelne Gruppen sich gegenseitig an die Gurgel gehen" Ebene.

    *Realistisch gesehen ist es ja fast unmöglich, Politik gegen einen Großteil der Wirtschaft und der Medienlandschaft zu machen. Das ist aber auch ein Grund, warum die Linke so schnell nicht an die Macht kommen, bzw. ihre Vorstellungen direkt umsetzen können wird. Erst wenn sich dort etwas ändert, sehe ich dafür realistische Chancen und dann ist die Gefahr eines Scheiterns aus dieser Richtung deutlich kleiner.
     
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  2. Scipio Neoliberal

    Scipio
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    Du meinst damit, dass die Mehrheit der Bevölkerung keine sozialistische Demokratie unterstützen würde?

    Ich glaube eher, sie würde sich selbst zerfleischen. Wenn sich dann, wie du richtig schreibst, bestimmte Mitglieder entsprechend Einfluss gewinnen und die Richtung dominieren würden, könnte es trotzdem kritisch werden. Das gehört zwar nicht hierher, aber die NSDAP war auch kein monolithischer Block, sondern voller sich bekämpfender Strömungen und Richtungen. Dominiert wurde die ganze Partei eben von ein paar Personen (Ich setze damit übrigens nicht die NSDAP mit der AfD gleich, sondern beziehe mich auf die interne Struktur)
     
  3. abelian grape Normalteiler

    abelian grape
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    Aktuell nicht. Die Linke wird doch gerade wegen ihrer sozialistischen Tendenzen und wegen ihrer Vergangenheit sehr kritisch beäugt. Da müsste sich innerhalb der Gesellschaft noch einiges ändern, was ich aber auf absehbare Zeit nicht sehe. Vor allem aber würden die Wenigsten der wirklich Reichen irgendeine Form des Sozialismus unterstützen - und die sitzen halt an sehr mächtigen Hebeln in Finanzwesen, Wirtschaft und Medienlandschaft.

    Da müssten sich aber in meinen Augen noch die Rahmenbedingungen ändern. Die historischen Voraussetzungen sind einfach nicht die gleichen - ein Staatsstreich der Marke Hitler hielte ich aktuell für kaum denkbar. Klar kann sich sowas auch schnell ändern, aber es müsste sich halt noch ändern. Um auch hier wieder den Bogen zur Linken zu spannen: Rein gefühlsmäßig glaube ich tatsächlich, dass sich eher wieder eine rechte, als eine linke Diktatur etablieren könnte, wenn die Rahmenbedingungen fatal genug sind. Xenophobie ist und war immer ein sehr starkes und wiederkehrendes Thema, dass es ganz schnell wieder durch alle Lautsprecher dröhnen könnte. Sozialistische oder kommunistische Themen waren da immer vergleichsweise leise.
     
  4. Doktor Best

    Doktor Best
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    Kommunistische Systeme tendieren zum Totalitarismus, da sie sämtliche Entscheidungsgewalt über Besitzverteilung in die Hände des Staates gelegt legen. Wo derartige Entscheidungsbefugnisse über eine einzelne Machtquelle entstehen, entsteht natürlich Korruption und damit einhergehend auch der Anreiz dieser korrupten Machtinstanz, ihre Macht zu erhalten.

    Es waren wenige Staatssysteme derartig korrupt und rechtsgerichtet wie die UDSSR. Von einer Herrschaft des Volkes oder einer gerechten Besitzverteilung war hier ganz sicherlich nicht die Rede. Gleiches gilt für den Nationalsozialismus, der in der ideologistischen Rhetorik durchaus stark bei den Kommunisten geliehen hat, in der Realpolitik aber Korruption und Klassengesellschaft (wo einfach die alte Elite durch einen neuen Parteiadel ersetzt wurde) auflebten wie noch nie.

    Ein gleiches Ungleichgewicht in Richtung Wirtschaft kann übrigens eine ähnliche Wirkung haben. Siehe inverted totalitarism.
     
  5. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Für Marx war ja jede Herrschaftsform immer ein Unterdrückungsverhältnis der Herrschenden über die nicht herrschenden "Klassen". Weiß daher gar nicht, ob er zwischen Diktatur und Demokratie großartig unterschied.
     
  6. Scipio Neoliberal

    Scipio
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    Ich bin kein Experte für die Theorie des Marxismus und des Kommunismus, aber es geht doch um die Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Bezieht das eigentlich das Privateigentum im Sinne einer Wohnung, Hütte, etc. ein? Denn dies stellt, wenn ich das von heute früh richtig in Erinnerung habe, kein Produktionsmittel dar, wie es Marx und Engels verstanden. Oder? :hmm:

    Ist schwierig. Ich sage ja, eindeutig kommt es nicht rüber. Ich gehe davon eher bei Lenin aus, weniger bei Marx und Engels. Sie forderten z.B. auch keinen gewaltsamen Umsturz bzw. Revolution, sondern sahen es potenzielles Mittel, wenn es auf friedlichen Wegen nicht zustande kam. Bin aber wie gesagt kein Experte und kann mich irren. :nixblick:
     
  7. Doktor Best

    Doktor Best
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    Im Grunde stimmt das so, das ändert aber Nichts an der Tatsache dass der Staat auch Privateigentum verteilen müsste, da es ja keine privatisierten Produktionsmittel gibt, ergo keine privaten Anbieter von Produkten.

    Wo jetzt die genaue Grenze zwischen Produktionsmittel und Privateigentum gezogen wurde weiß ich auch nicht im Detail. Ist ein Kleinbauernhof schon Produktionsmittel?
     
  8. Scipio Neoliberal

    Scipio
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    Gute Frage. Ist hier jemand fit in marxistischer Theorie? :ugly:
     
  9. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Vielleicht Terra, aber da der heute mitten in der Nacht gepostet hat, ratzt er vermutlich noch :D
     
  10. Terranigma

    Terranigma
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    :)

    Ich will sie nicht beiseite wischen, gleichwohl verliefen auch die Etablierungen von Demokratien im 19. Jhrd. i.d.R. nicht friedlich und sie waren anfangs auch nicht immerzu stabil. Es wäre nun nicht sehr differenziert daraus eine der Demokratie inhärerent Tendenz zum blutigen Umsturz und zur Instabilität zu unterstellen. Ich würde es allgemeiner sagen: Systemwechsel - die wirklich die Gesellschaft und die ehemals machthabenden Akteure ersetzen - verlaufen oftmals nicht friedlich. Am Anfang standen zumeist Bürgerkriege oder externe Territorialkriege, im Zuge deren Niederlage die Siegermächte oder landesinnere Kräfte einen Systemwechsel vollzogen. Dies gilt auch für viele europäische Demokratien. Dass der Sowjet-Sozialismus bzw. Stalinismus als Modell für die meisten sozialistischen Staatssysteme diente steht außer Frage; und das waren allesamt Autokratien.

    Wohl richtig. Man muss den Begriff aus der Zeit heraus verstehen und auch seinen Gebrauch. (1) War der Begriff nie zentral bei Marx-Engels, auch wenn er in der späteren Rezeption - insb. bei Staatsmännern wie Lenin - programmatisch wurde. Auch war es kein analytischer Begriff, während das Gros von Marx-Engels Schriften eben keine polit. Programmatik ist, sondern politische und ökonomische Analyse. (2) Wurde der Begriff etabliert in einer Zeit, als es ein erkennbares Machtgefälle zwischen Proletariern und Kapitalisten gab. "Diktatur des Proletariarts" zielte insofern im Kern darauf ab, dass die Bevölkerungsmehrheit, die zum Zeitpunkt keine Macht besaß, an die Macht kommen sollte. Das kann man auch als Demokratisierung der Gesellschaft verstehen, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Dass alles das, was ab Lenin politisch kam, nur noch formal den Begriff "Demokratie" im Namen trug aber auf autokratische Alleinherrschaft abzielte, steht außer Frage.

    Die Entscheidungsgewalt liegt faktisch auch bereits jetzt beim Staat, immerhin besitzt er das Gewaltmonopol. Die Frage ist, ob und in welcher Form der Staat diese Gewalt nutzt. Immerhin können - und haben! - auch Demokratien Gesetze erlassen, die u.a. Diskriminierungen gegen Minoritäten zum Gesetz machten. Ansonsten stimme ich dir durchaus zu: allen real-existenten Umsetzungen sozialistischer Ideen lag die Idee eines Staates, einer Partei und eines Führers zugrunde. Dass dies in Autokratien mündete überrascht nicht. Steht weiterhin die Frage im Raum, ob Sozialismus notwendigerweise - sozusagen konsequent durchdacht - zu diesem Resultat führt, oder ob kein demokratischer Sozialismus ebenso möglich ist, der dem Begriff der Demokratie würdig ist. Ich denke durchaus.

    Ja. Es ging um die Vergesellschaftung des Kapitals - bzw. der Produktionsmittel. Nach Marx-Engels Sicht war hierbei gar nicht notwendigerweise von einer Verstaatlichung die Rede - denn Marx hatte ein zwiegespaltenes Verhältnis zum Staat und sprach von der Pariser Kommune teilweise als Vorbild. "Vergesellschaftung" wird heute mit "Verstaatlichung" gleichgesetzt, das war es im Sprachgebrauch von Marx-Engels aber nicht. Die Idee war, dass die Produzenten - d.h. das Proletariat - auch die Besitzer ihrer Produktionsmittel, d.h. der Mittel, anhand derer sie produzieren, werden sollten. Von einer Vergesellschaftungen allen Besitz war nicht die Rede, auch wenn aller Besitz in einer sozialistischen Gesellschaft vergesellschaftet produziert würde und dem Ursprung nach somit Gemeinbesitz wäre.

    Produktionsmittel sind die Mittel, mit denen Arbeit verrichtet wird, d.h. Kapital, Nutzfläche, Gebäude, Maschinen, usw. Insofern ist ein Kleinbauernhof ein Produktionsmittel. Die Grenze verläuft aber nicht zwischen Produktionsmittel und Privateigentum weil im Kapitalismus die Produktionsmittel ja Privateigentum sind; das ist ja die Kritik von Marx-Engels. Die Grenzziehung verläuft insofern zwischen Produktions- und nicht-Produktionsmittel. Ein Hammer kann im Kontext einer Fabrik ein Produktionsmittel (Werkzeug) sein, ebenso aber im privaten Raum halt eben nur ein Hammer. Insofern würde man nicht alle Hämmer vergesellschaften, wohl aber Fabriken, in denen u.a. auch Hämmer zum Einsatz kommen.
     
    Zuletzt bearbeitet: 11. September 2017
  11. legal Der Zufall und die Zeit Moderator

    legal
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    Ein fettes + für Mitarbeiteraktien :D
     
  12. Terranigma

    Terranigma
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    Mitarbeiteraktien sind sowas, wo ich durchaus Sympathien für habe.
     
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  13. Scipio Neoliberal

    Scipio
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    Ich denke gerade über den Syndikalismus nach. Wie passt der eigentlich in die sozialistische/kommunistische Ideologie der Vergesellschaftung der Produktionsmittel mittels Staat? :hmm:
     
  14. Des Pudels Kern FOR THE EMPEROR

    Des Pudels Kern
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    Ich möchte bei der ganzen Diskussion nur mal anmerken, dass auch die SPD in ihrem Grundsatzprogramm von 2007 schreibt:
    Unsere Geschichte ist geprägt von der Idee des demokratischen Sozialismus, einer Gesellschaft der Freien und Gleichen, in der unsere Grundwerte verwirklicht sind. Sie verlangt eine Ordnung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft, in der die bürgerlichen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte für alle Menschen garantiert sind, alle Menschen ein Leben ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt, also in sozialer und menschlicher Sicherheit führen können. Das Ende des Staatssozialismus sowjetischer Prägung hat die Idee des demokratischen Sozialismus nicht widerlegt, sondern die Orientierung der Sozialdemokratie an Grundwerten eindrucksvoll bestätigt. Der 16 demokratische Sozialismus bleibt für uns die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung für uns eine dauernde Aufgabe ist. Das Prinzip unseres Handelns ist die soziale Demokratie.
     
  15. Terranigma

    Terranigma
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    Sozial-Demokratie - und dementsprechend Sozialdemokraten - ist etymologisch bereits eine Kombination als "Sozialismus" - denn darauf verweist das Attribut sozial - sowie "Demokratie". Deswegen verwundert es mich ebenso, dass man mit dem Begriff des demokratischen Sozialismus derart hadert, weil selbst die SPD ihn in ihrem Namen trägt. Die heutige Prägung des Wortes "sozial" stammt aus der sozialististischen Arbeiterbewegung. Selbst auf Wiki ist diese Erkenntnis kein Novum:

    Sozialdemokratie

    Insofern ist das, was die Linke sich zum Programm setzte, in der Tat dem Namen nach nichts anderes als das, was die SPD seit jeher als Grundsatz nannte und zumindest als Nomenklatur weiterhin in ihrem Programm trägt. Verstehen kann ich natürlich gut, dass man hinsichtlich der Geschichte und Akteure in der LINKEN da zu einem anderen Urteil kommt als im Falle der SPD. Aber dann sind das Problem die Geschichte und aktuellen Akteure der LINKEN, nicht ihr Bekenntnis zum demokratischen Sozialismus. Insofern sehe ich mich als Sozialist, wie auch als Demokrat und Liberaler.
     
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