Gut, dass es schlecht ist

Von TheVG · 19. Oktober 2019 ·
Müssen Helden Macken haben? Sind Bösewichte doch die wahren Helden? Gut und schlecht - eine Debatte.
Kategorien:
  1. „Schlecht“ muss im Sinne von Qualitätsbeurteilungen nicht nur das Gegenteil von „gut“ bedeuten. „Schlecht“ kann auch eine Richtungsdefinition des Yin-Yang-Prinzips sein, die schwarze oder dunkle Seite, das Hässliche. Und als Spiele noch in sechzehn Farben präsentiert werden mussten, konnte man Realität optisch nur schwer vermitteln, und wenn dazu noch die Erzählung dabei eine Rolle spielte, auf Textzeilen begrenzen. Die Realität ist eben nicht schwarz-weiß, Helden sind nicht im Regenbogenland geboren und aufgewachsen, außer man will sie märchenhaft überzeichnen. Heute sind solche Märchen nicht mehr so stark gefragt, man verlangt nach Tiefe und ein vielschichtiges Abbild des echten Lebens – um es dann noch düsterer haben zu wollen.

    Kunst – also auch die in Spielen – hat dennoch die Freiheit, sich zu präsentieren wie sie will. Wir können uns kunterbunte Wolkenreiche bauen, in denen sich rosa Einhörner den letzten Nerv wegharmonieren, aber auch die tiefsten Schlunde der Hölle, in denen Körper aus Spaß wöchentlich gevierteilt werden dürfen. Ob und wie wir das gut finden können, bleibt uns letztlich selbst überlassen, oder es beschäftigt moralische Instanzen und deren Kritiker in nicht enden wollenden Diskussionen. Meine Wenigkeit hat sich einen eigenen Kompass gesteckt, der vielleicht irgendwo irgendwem zu pingelig sein dürfte. Ich kritisiere also schon mal das ein oder andere Spieldesign. Das liegt aber nicht grundsätzlich an einer Abscheu gegenüber dem Dunklen, Schlechten. Sondern am Trend, Antihelden und Bösewichte und Dreckgassen und unheilvolle Stimmung wären das Maß aller Dinge bei der Spielegestaltung geworden. Ohne scheint es kaum noch zu gehen, und selbst ein Pixel-Lego-Minecraft konnte nicht mehr ohne Zombies auskommen.

    Super-Mario und Serienmörder

    Dennoch ist die Faszination um das Böse schon immer da gewesen. Frankensteins Monster, Hannical Lector, Vaas oder – gerade wieder aktuell – Handsome Jack sind nur ein paar Beispiele von Figuren, die bei uns einen bleibenderen Eindruck hinterlassen können als die Helden. Wer hält denn großartig die Fahne hoch für eine Clarice Starling oder Jason Brody? Ein Gordon Freeman würde auch nicht in der Spieler Ehren gehalten, wenn er nicht durch windige Experimente die Apokalypse aus dem All heraufbeschwört, sie anschließend bekämpft und nicht noch gleichzeitig das Militär dezimiert hätte. Um es etwas einfacher auszudrücken: wir werden in dunkelste Abgründe geschickt und müssen uns mit übelsten Rassen, Monstern und Gestalten herumschlagen. Zusätzlich sollen Helden keine aalglatten Sonnenscheinchen sein, die so glänzen wie die Zähne eines Promis im Zahnpasta-Werbespot.

    Die simpelste Form sehen wir in kindgerechten Spielen wie etwa der Mario-Reihe. Der Titelheld des Dauerbrenners funktioniert wohl deshalb so gut und bei vielen Generationen von Spielern, weil das Freund-Feind-Konzept komplett knuddlig designt worden ist und man selbst die bösen Charaktere gut als Plüschtiere verkaufen kann. Bowser guckt in der Regel übel drein, ist aber im Design schlicht gehalten und derart überzeichnet, dass auch die Kleinen keine Albträume durchleben müssen. Spiele dieser Art sind inhaltlich unbedenklicher als etwa Grimms Märchen, die in ihrer Urform sehr düster und martialisch gezeichnet wurden, wodurch eine abgeschwächte Form Einzug in die Kinderzimmer hielt.

    Werden wir älter, entdecken wir fast zwangsläufig, dass die Welt nicht nur aus Märchenwelten und farbigen Sprenkeln besteht. Wir werden Teil davon, wie die Welt wirklich funktioniert, und es fällt uns mit zunehmendem Alter immer schwerer, sie in einfache Kategorien einzuordnen. Hier die Guten, dort die Bösen – es wäre fatal, Dinge, Ereignisse und Personen im hohen Alter noch in solche Schubladen zu stecken. Man lernt in der Regel, sich mit negativen Dingen zu arrangieren, wobei Erziehung und soziales Leben einen erheblichen Einfluss auf uns nehmen, denken wir nur an traumatisierte Menschen oder gleich das Extrembeispiel Serienmörder. Für sie sind menschliche Abgründe Normalität geworden.

    Urlaub mit Zombies

    Das Anormale dagegen weckt die Begehrlichkeit im „normalen“ Menschen, sich eingehender damit zu beschäftigen, ohne die Vorbelastung einer schlimmen Kindheit. Der Mensch weiß anders damit umzugehen und nutzt die Gunst der Stunde, in ein zeitweises, anderes Ich einzutauchen. Grundsätzlich sind Erfahrungen mit der Dunkelheit des Lebens eine Selbstherausforderung, weil sich der Mensch gerne mal offen gegenüber anderen Erfahrungen zeigt. So kann er eine Auszeit von seiner Komfortzone nehmen, auf eine Reise gehen, die rein im Kopf stattfindet. Dabei definiert jeder diese Reise anders, ähnlich dem Tourismus, wo man von der Kreuzfahrt bis zur Rucksacktour den Grad des Sich-Vergessens wählen kann.

    Figuren, Welten und Geschichten sind dafür eine Art Dienstleister. Wir kaufen selbstredend interessengerichtet unsere Spiele, flüchten in Horror oder dystopische Welten und spielen Charaktere, die gebrochen sind oder sich sonst verhalten, wie wir es selbst wohl nie tun würden. Der Erfolg hängt mit der Glaubwürdigkeit solcher Welten und Figuren zusammen, also wie Game- und Charakterdesign als Ganzes funktioniert und dazu noch Identifikationswerte schafft. Alles andere würde ich sogar pauschal in die Unterhaltungsecke schieben, weil ich solche Erfahrungen nur kurzfristig im Gedächtnis speichere, sie wirken gerne mal rudimentär, wenn Moral und Metaebene keine besonderen Aussagen beinhalten.

    Düstere Erfahrungen würde ich je nach Grad und Konsequenz eben nicht nur als Unterhaltung abtun wollen. Wenn ich tief in die Materie gezogen werde, dann ist es nicht nur eine Entertainmentreise mit Kurzzeiteffekt, sondern fast schon eine rituelle Sache – man wird zum Fan, geradezu süchtig nach mehr. Einen Dauerbrenner erleben wir aktuell mit den klassischen Zombie-Szenarien, die in vielfältigen Formen abgewandelt werden, mal lustig, mal klassisch, mit neuen Umgebungen, befasst sich mal oberflächlich oder auch eingehender damit. So lachen wir bei „Shaun of the dead“, erinnern uns mit nostalgischer Verklärtheit an George A. Romeros Pionierwerk, schnetzeln Zombies auf einer Südseeinsel oder grinsen, wie Romero im Nachfolgefilm seines Klassikers die Untoten sogar noch vermenschlichte. Ganz zu schweigen vom Effekt der „Resident Evil“-Marke, die erst auf dem Computer und danach im Kino locker die Kosten einspielte. Ein Ende ist nicht in Sicht, Zombies eignen sich wohl hervorragend als Bösewichte, die Urängste ansprechen.

    Pixelfleisch und Moral

    Nun gehören Zombies nicht zu meinen „Lieblingsurängsten“. Mir sind die Untoten zu sehr in die Popkultur verankert worden, und entsprechend finden sie auch filmische und spielerische Verwendung. Prinzipiell sind sie laut, in Massen vertreten und Schießbudenfiguren für Massenschlachten, also für krachige Action gut genug, auch wenn das mal anders gewesen war. Dadurch kommt jedoch der klassische Horror zu kurz, diese Bedrohungslage, was mir sonst eher zusagt und der erst langsam bei Film- und Spielefans seine Wirkung entfaltet. Kleiner Fun-Fact am Rande: „Alien“ ging bei einer Aufführung den Zuschauern derart an die Nerven, dass sogar ein paar von ihnen verärgert den Saal verließen. Besser kann wohl ein Film nicht wirken, wenn man nicht nur die Synapsen bauchpinselt, die bei uns im Hirn assoziiert, dass man einer Bedrohung irgendwie Herr werden kann. Bei „Alien“ hatte man noch Ausweglosigkeit draufgepackt, und das stieß bei manchen sauer auf – ich dagegen fand es megaspannend, denn stellt man sich natürlich die Frage, wie eine Crew auf der sicheren Verliererstraße da wieder rauskommen soll. Diesem Dilemma hatte sich der Nachfolger schon wieder entledigt – man nehme das Militär mit schlagkräftigen Waffen, und schon wirkt es nicht mehr so ausweglos.

    Ich bin zwar bei Spielen wie „Dead Space“ nicht verärgert, aber ich sträube mich trotzdem, das Spiel ständig auszupacken und es zu spielen. Da spielt sicherlich die Angst eine Rolle, die ich einerseits nur erfahren möchte, wenn ich einen Nerv dafür habe, andererseits möchte ich nicht, dass die Erfahrung nicht zu schnell abebbt. Gerade bei „Dead Space“ oder ähnlichen Titeln lasse ich ein wenig Zeit verstreichen, bis ich mich wieder heranwage. Die Story mag dann zwar nicht mehr überraschend sein, aber der Schockeffekt im Spiel kann so immer noch seine Wirkung entfalten. Wenn ich das Spiel drei Male hintereinander durchackern würde, würde bald eine emotionale Ernüchterung eintreten.

    Da ich gerade das Feld des „Ekelhorrors“ streife, verfüge ich noch über ein etwas veraltetes Bewusstsein beim Einsatz von Horroreffekten in Filmen und Spielen. Heute sind die Grenzen ziemlich verschwommen, und die Zeiten sind vorbei, in denen Gore-Effekte den Splatterfilmen vorbehalten war – heute sehen wir solche Effekte höchst realistisch dargestellt in gefühlt jeder zweiten TV-Serie. Ich kann mich noch erinnern, wie zimperlich es zu VHS-Zeiten in Deutschland zuging, mit Schnittversionen und vollgestopften Ladentheken, und grinse in mich hinein, als Kunden an der Theke geheimniskrämerisch nach Filmen fragten, die der Ladenbetreiber gar nicht führen durfte. Es hatte etwas Anrüchiges, Niederträchtiges an sich, so verfahren zu müssen, aber es half dem Jäger-und-Sammler-Trieb, wenn man irgendwann einen unzensierten Goldschatz in den Händen hielt.

    Wir Spieler kennen das auch, nur ein wenig anders. Die Zensureinrichtungen gingen noch rigoroser gegen gewalthaltige Spiele vor, und schnell landeten Titel auf dem Index – egal wie grob verpixelt Zombiesoldaten zu Fleischklumpen verarbeitet werden konnten oder – noch weniger nachvollziehbar – wir interaktiv menschähnliche Figuren abknallten. Das mag auch daran gelegen haben, dass das Medium Computerspiele damals als neuartiges sehr kritisch beäugt worden war. Heute lachen wir uns kaputt darüber, dass Spiele wie „River Raid“ umgehend beschlagnahmt wurden, nur aufgrund des kriegsähnlichen Settings. Verständlicher, aber auch diskussionswürdig, war das bei Spielen wie „Platoon“, die durch die Interaktion den eigentlichen Duktus der Filmvorlage veränderten. Die unweigerliche Zensur wegen des etwas undifferenzierten Umgangs mit der Marke war für mich sogar nachvollziehbar, selbst wenn man vor wenigen Jahren eine Listenstreichung erwirken konnte.

    Umkehrschluss

    Erstaunlich, wie sich das Bewusstsein in den Medien verändert hat, vor allem im Umgang mit der Zensur. Erstaunlich aber auch, wie die Aufweichung der Kontrollinstanzen unser Bewusstsein für freien Konsum von Medien wiederum Diskussionen vom Zaun brechen, wenn eben diese Zensureinrichtungen die Zügel anziehen möchten.

    Mittlerweile streiten wir eigentlich gar nicht mehr über Gewaltdarstellungen an sich, sondern den Kontext. Das Flughafenlevel aus „CoD“ war schon sehr kontrovers, „Hatred“ ging noch einen Schritt weiter und stilisierte durch Auslassung seitens der Entwickler einen Amokläufer quasi zum Helden. Das Spiel stellt dem Spieler einen Charakter an die Hand, der etwas tut, was gesellschaftlich (gelinde gesagt) geächtet ist. Spieler verstecken sich dann gerne mal hinter dem Medium itself – es wäre nur ein Spiel und bilde die Realität nicht ab. In teils abstrakter Weise tut es das aber doch. Moral und Kontext auszulassen halte ich für gefährlich, weil vielleicht die große Mehrheit das zu differenzieren weiß, aber eben so manches Individuum nicht, wenn es eine labile Persönlichkeit hat oder schlichtweg Ironie oder Sarkasmus nicht versteht. Ich denke, dass die moralische Ausrichtung von Film und Spiel auch Einfluss auf das gesellschaftliche Klima haben kann und umgekehrt. Eine Art Spirale, die etwaige Negativgedanken noch mehr füttert, selbst wenn es auch nur eine beschreibende Funktion für aktuelle Missstände erfüllt und aufklärend wirken soll. Die Reaktion pendelt paradoxerweise auch zum Trotz hin, weil sich gewisse Gruppierungen und freiheitsliebende Gesellen keine Gedankengefängnisse vorschreiben lassen wollen. Man kann es fast so ausdrücken: solche Zeitgenossen lieben es, im Zynismus zu baden und finden alles Gute schlecht. Eine Deutungsumkehr, die ich für bedenklich halte.

    Eines scheint klar zu sein: Spiele haben wie andere Medien ihre „unschuldige“ Leichtigkeit verloren. Der Geschichtsrahmen ist enger geworden, und es ist eine bedrückte/bedrückende Ernsthaftigkeit an die Stelle der einstigen Ironie getreten. Es ist ein Trend geworden, Dramen zu entspinnen und im Actiongenre allgemein Bombast und Provokation als Stilmittel einzusetzen. Strahlende Helden werden höchstens noch müde belächelt und sind Zielscheibe sarkastischer Kommentare. Dabei müsste Tiefgründigkeit nicht unbedingt negativ behaftet geschrieben werden, um Menschen zum Nachdenken zu bringen. Vielleicht ist dies mitunter ein Grund, dass die Retro-Pixelgrafik in den letzten Jahren eine Renaissance erleben durfte – sie schwächt im Gegenzug Gewalt deutlich ab und lässt sie wieder da hin verschwimmen, wo sie mal angesiedelt war: in einer Simplizität, die sozusagen nach einer deutlichen Schwarz-weiß-Malerei ruft und Helden wieder zu denen macht, die sie einst waren. Vielleicht sind die gebrochenen Charaktere am Zenit ihrer Faszination angekommen, und wir erleben eine Rückbesinnung auf die Märchenwelten, die uns früher so viel Freude bereiteten.

Kommentare

Um einen Kommentar zu schreiben, melde dich einfach an und werde Mitglied!
Top