"Spiele sind Kunst!"

Von Musikus · 28. August 2014 ·
Kategorien:
  1. "Spiele sind Kunst!" - Wirklich? Wollen sie das überhaupt sein?



    Immer wieder - meist anhand politischer Diskussionen – hört man den Satz „Spiele sind Kunst – behandelt sie auch so!“. Ganz gleich, ob es um Fördermittel, Gewaltdarstellung oder Hakenkreuze geht. Und der Gedanke ist naheliegend – gehört zur Fertigung eines Spiels doch eine Menge Kunsthandwerk: Kreativität in erzählerischer, darstellerischer, musikalischer Hinsicht. Selbst der 800. dazu noch grottenschlechte „einzelner Held kämpft gegen Alien-Invasion“-Shooter besitzt all diese Elemente – da sich ja jemand das Spielgerüst ausgedacht hat (Handlung und Mechanik), den visuellen Stil (wozu aus künstlerischer Sicht allein schon der Ort der Handlung gehört und wie er dargestellt wird, Farbgebung etc.) und die grundsätzliche Klanguntermalung (generell fröhlich? Generell düster? Situationsabhängig?). All das ist Kreativität und Kunsthandwerk – wie es eben der irgendwann sicher kommende siebte Aufguss von „Die hard“ eben auch besitzt.



    Indiana Jones - Jäger des künstlerischen Anspruchs



    Nur – ist es so einfach? Entsteht aus allem, was Kunsthandwerk beinhaltet, automatisch Kunst?

    Sehen wir uns mal das Thema „Hakenkreuze“ an. Symbole, die in Filmen mit entsprechendem Hintergrund heutzutage problemlos gezeigt werden dürfen. Sei es „Indiana Jones“, „Inglorious Bastards“ (ich habe bewußt den Castellari-Film gewählt, nicht Tarantinos Meisterwerk), „Das dreckige Dutzend“. Alles tolle Filme – aber verdienen sie das Gütesiegel „Kunstwerk“?



    Man kann all diese Filme lieben und dennoch nüchtern feststellen, „Naja, also Kunst in dem Sinn sind sie eher nicht“. (Obwohl sie die filmischen kunsthandwerklichen Techniken perfekt nutzen – sonst wären sie ja keine tollen Filme.) Wie kommt es, dass sie trotzdem nicht mit Hakenkreuzen geizen müssen, sondern im dritten „Indiana Jones“ eine komplette Bücherverbrennung samt allen zeitgemäßen Symbolen und Parolen gezeigt werden kann?



    Die Antwort ist recht simpel – diese Filme hatten Vorläufer. Filme wie „Das Urteil von Nürnberg“, „Der jüngste Tag“, „Sein oder nicht sein“ (das Original von Lubitsch aus den 40ern), „Casablanca“ und und und. In der Zeit unmittelbar nach dem Krieg tat sich Deutschland noch sehr schwer mit der Nazithematik – und da wurde ein Hitchcock-Film schonmal komplett umgedeutet in der deutschen Synchronisation: Aus Naziverbrechern wurden im deutschen klamm und heimlich ganz normale Rauschgifthändler. Erst im Lauf der Zeit, durch entsprechende Filme, entstand das Bewußtsein dafür, dass es Filme gibt, in denen es notwendig ist, die Vergangenheit ungeschminkt und ungeschönt zu zeigen.

    Von diesen Filmen profitierte in den 80er Jahren ein „Indiana Jones“. Hätte der deutsche Staat direkt für „Indiana Jones“ oder „Inglorious Bastards“ Hakenkreuze in Filmen freigegeben? Wohl kaum.



    Bei der Gewaltdarstellung könnte man eine ganz ähnliche Chronologie der Tolerierung erzählen. (Und beim Thema Sex ebenso.) Festzuhalten ist: Es gab in der Filmgeschichte genügend Filme, die deutlich machten, dass sie als Kunstwerk erst vollwertig werden, wenn sie gewisse Tabus brechen. „Der jüngste Tag“ oder „Die Brücke“ ohne Kriegsgemetzel? „Taxi Driver“ oder „Bonnie und Clyde“ ohne Blutbad? „Sein oder nicht sein“ ohne Hakenkreuze? Undenkbar. Wohingegen ein „Indiana Jones“, eh schon jeglicher Realität beraubt, auch gegen Hynkels Roboterarmee antreten könnte, es würde den Film nicht maßgeblich verändern.



    "Mafia" - und sonst so?



    Nach diesem langen Exkurs aus der Filmwelt nun die Brücke: Diese künstlerischen Meilensteine, die gewisse Stilelemente unabdingbar machen, sie fehlen in der Spielhistorie fast komplett. Das einzig herausragende Beispiel für ein wirkliches Kunst-Spiel, das mir einfällt, heißt „Mafia“ - in dem ein Mensch mit all seinen Facetten gezeigt wird, der tatsächlich die Entwicklung des klassischen Dramas durchmacht. Diese Geschichte würde ohne explizite Gewaltdarstellung nicht funktionieren. Ein Mafiagangster MUSS Leute erschießen – sowohl die „bösen“ als auch die „guten“ Jungs. Spielmechanisch exakt dasselbe, was auch jeder 0815-Shooter-Held tut. Nur durch die Handlung und die Atmosphäre doch ganz anders.



    Sicher, es gibt auch noch andere Spiele, die künstlerischen Anspruch besitzen – die GTA-Reihe, die Max Payne-Titel, die Bioshock-Reihe, einiges, was Bioware vor allem in den letzten Jahren fabriziert hat.

    Nur – gemessen an der Zahl der monatlichen Neuerscheinungen sind es zu wenige. Die Spieleindustrie setzt zu nahezu 100 Prozent auf Popcornunterhaltung statt auf Anspruch. Da die Verkaufszahlen das A und O sind – und sich „Popcorn“ wesentlich besser verkauft als „unbequem“. Aber für „Popcorn“ wird sich in der politischen Spielebewertung nichts ändern. Und sind wir ehrlich – letztlich ist es bei „Wolfenstein“ absolut unerheblich, ob ein Superheld gegen böse Nazis oder gegen böse Regime-Männer oder gegen mutierte Ameisenzombies antritt. Es ändert rein gar nichts am Spiel.

    (Noch einmal der Verweis auf den Film: Chaplin hat mit dem „Großen Diktator“ übrigens gezeigt, dass die explizite Namensnennung auch gar nicht erforderlich ist. Geschickte Verfremdung lässt dennoch jeden Zuschauer wissen, was eigentlich gemeint ist.)



    Money money money



    Es bleibt das Fazit – solange Entwickler und vor allem Publisher lieber auf möglichst viel Dollar (und damit auf möglichst geringe Reibung beim Konsumenten) schielen, sind Kunst-Spiele nach wie vor eine derart kleine Nische, dass es keine Notwendigkeit geben wird, am politischdeutschen „Spielverständnis“ zu rütteln. Was schade ist – da Spiele sehr wohl Kunst sein könnten. Ein paar Beispiele habe ich oben bereits erwähnt - „Velvet Assassin“ zeigt ebenfalls, dass ein Actionspiel gegen das Dritte Reich durchaus ein Kunstwerk sein kann. Selbst „Saboteur“ geht aufgrund der visuellen Gestaltung zumindest in diese Richtung.



    Viele setzen nun dieHoffnung auf die Indieszene mit ihrem neuen Finanzierungsmodell, dem Early Access. Dabei kommen sicherlich Spiele heraus, die die Käufer wirklich spielen wollen. (Was auch schon mal ein Fortschritt ist.) Aber Kunst?



    Noch einmal der Vergleich zum Film: Man stelle sich kurz vor, Scorsese, Altman, Coppola oder Allen hätten bei ihren Meisterwerken während des Schreibens, der Besetzung und während des Drehs bei jeder Entscheidung das zukünftige Publikum gefragt. Eine absurde Vorstellung, oder? Diese Regisseure hatten stattdessen ab einem gewissen Zeitpunkt in ihren Karrieren den großen Vorteil, niemanden zu haben, der in ihre Visionen dreinredet: Die großen Filmstudios ließen sie gewähren. Heraus kamen Meisterwerke wie „Der Pate“, „M.A.S.H“, „Apocalypse Now“, oben erwähnter „Taxi Driver“, „Amadeus“. Demokratie funktioniert in der Kunst letztlich nur sehr begrenzt - nicht umsonst hat ein Orchester einen Dirigenten, ein Theaterstück einen Regisseur, ein Film einen Produzenten. Nur so kann halbwegs gewährleistet werden, dass am Ende ein in sich stimmiges Gesamtkonzept rauskommt (und auch da geht es noch oft genug schief).



    "Wir haben das Publikum so lang mitbestimmen lassen, bis alles besondere weg war"



    Einer der wenigen, der diese Freiheit heute noch voll und ganz genießt, ist Tarantino. Er wurde von MiraMax entdeckt und mit „Pulp Fiction“ zum Star. Die Weinstein-Brüder gaben ihm danach völlig freie Hand. Grade jene Weinstein-Brüder, die ansonsten bei vielen Filmen demonstriert haben, was passiert, wenn man das Publikum zu sehr mit entscheiden lässt: Sie liebten einen Film, kauften ihn, ließen ihn vor Publikum testen – und schnitten danach so lange an ihm herum, dass selbst Harvey Weinstein (ganz selten) zugegeben hat, „Wir haben aufgrund der Testvorführungen alles aus dem Film rausgenommen, was ihn ursprünglich so besonders machte“.



    Es gibt wohl eine Spieleschmiede, die einen ähnlichen Status wie Tarantino im Filmbusiness hat - Blizzard. Mit dem Ergebnis, dass von diesem Studio zumindest ausnahmslos hochwertige Spiele kommen, die über eine überdurchschnittlich lange Zeit Spaß machen. Das ist aus Spielersicht gar nicht hoch genug zu schätzen - trotzdem konzentriert Blizzard seine Freiheit ausnahmslos auf das perfekte Spielerlebnis. Die Spiele als ganzes (Handlung, Konfliktlösung etc.) entsprechen B-Movies. Was der Unterhaltung keinerlei Abbruch tun muss - aber künstlerisch meilenweit von dem entfernt ist, was möglich wäre.



    Womit sowohl große Publisher als auch kleine Indie-Entwickler, die sich mit Early Access finanzieren, derzeit gemeinsam am Anspruch, Kunst zu erschaffen, scheitern. „Kunst für alle“ funktioniert in den allerseltensten Fällen. Wer Kunst machen will, muss das Risiko eingehen, das Publikum zu verprellen. Er darf nicht auf den größtmöglichen Gewinn schielen. Er muss bereit sein, nicht verstanden zu werden.



    Diese Risikobereutschaft fehlt der Spielebranche. Weshalb das traurige Fazit bleibt – Spiele könnten sehr wohl Kunst sein. Dafür müsste sich aber sowohl die Haltung der Publisher als auch die der Spieler grundsätzlich ändern.



    Nachsatz



    Auch die Filmindustrie ist derzeit meilenweit von all den oben beschriebenen Umständen meilenweit entfernt. Aber sie hatte immer wieder große Jahrzehnte, in denen für die Kreativen praktisch alles möglich war. Die siebziger Jahre einerseits - und die neunziger Jahre andererseits. In jenen Jahrzehnten kamen jeweils die Regisseure zum Vorschein, die danach jahrzehntelang als Großmeister gesehen wurden: Coppola, Scorsese, auch Spielberg - und in den neunzigern eben Tarantino, aber auch zum Beispiel Soderbergh. Und vermutlich wird irgendwann wieder ein Jahrzehnt kommen, in dem sich die Blockbuster zu Tode gelaufen haben, die Altmeister nicht mehr drehen - und eine neue Generation Filmemacher wiederum neue filmische Wege beschreitet.


    (Wer über diese beiden Jahrzehnte in Hollywood mehr wissen möchte, dem empfehle ich die beiden wunderbaren Bücher von Peter Biskind: "Easy Riders, raging bulls" und "Sex, lies und pulp fiction")

Kommentare

Um einen Kommentar zu schreiben, melde dich einfach an und werde Mitglied!
  1. uTpepe
    Es ist nicht so, dass Spiele nicht als Kunst angesehen werden würden, sondern es ist der Umstand, dass Videospiele als Spielzeug deklariert sind.

    Und da ist die Rechtslage nunmal klar, dass Spielzeug eben keine verbotenen Zeichen enthalten darf.

    Gleichzeitig sind Videospiele auch Kulturgut und daher noch schwieriger einzustufen. Es müsste nur mal jemand die Zeit und Geld aufwenden und damit bis vor den BGH gehen, dann dürften auch Videopiele offiziell eine andere Bezeichnung als "Spielzeug" erhalten und wären damit offiziell auch "Kunst".
  2. -zwecki-
    Erstmal: Toller Blog!

    Trotzdem muss ich widersprechen. Es kommt natürlich drauf an, wie man Kunst definiert. Ich halte mich da gern an folgende Definition:
    "Kunst ist ein menschliches Kulturprodukt, das Ergebnis eines kreativen Prozesses." (Auszug aus Wikipedia)
    Und das trifft eben auf Coppolas "Der Pate" genauso zu, wie auf den neuesten Ableger der "Saw"-Reihe. Natürlich ist einer dieser Filme, objektiv betrachtet, deutlich besser als der andere.
    Ähnliches gilt für mich auch bei Spielen. Call of Duty ist genauso als Kunst zu betrachten wie das von dir angesprochene Mafia.

    BTW: Das Non plus ultra der heuten Regisseure ist für mich Christopher Nolan und ich glaube, dass dieser auch durchaus in einer Reihe mit Tarantino, Scorsese und so weiter genannt werden darf.
  3. Bastius
    Interessante Theorie, vielleicht liegt das einfach am Medium oder es gibt strukturelle Probleme. Hochwertige Spiele zu produzieren ist sehr teuer: Indie-Spiele können da offensichtlich nicht mithalten. Vielleicht liegt es an den Tools oder einfach an der finanziellen Situation: Wenn das Geld bei den Publishern bleibt, bleibt für Indie-Entwickler einfach niemand übrig, der ihre ambitionierten Projekte finanziert.


    Spiele sind interaktiv und die Spieler haben einen großen Anspruch: Im Film verzichte ich halt auf die Großaufnahme oder inszeniere das irgendwie clever, im Spiel aber läuft der Spieler rum und guckt hinter jeden Vorhang. Dieser ganze Pixel-Look und 2D Grafik oder eher symbolische Grafik kostet Reichweite, dazu kommt: Spiele verschlingen sowieso schon viel Zeit und das verschärft die Konkurrenzsituation. Man kann zwar ein 3h Gone Home bauen und für 20 Euro verkaufen, aber das wirkt doch überteuert, oder?


    Ich denke, noch sind die Entwickler-Tools nicht leistungsfähig genug, in vier oder fünf Jahren wird das vermutlich anders aussehen und es können wieder kleinere Teams hochwertige Spiele produzieren. Hochwertig ist vermutlich der falsche Begriff, ich meine, viele Assets, Vertonung, Animationen (production values).
      3 Person(en) gefällt das.
Top