Tschernobyl - Die Faszination der Zone

Von ShortSeb · 25. März 2024 ·
Von S.T.A.L.K.E.R., Chernobylite und dem Mythos einer Katastrophe.
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    Es war Ende März im Jahr 2007, ich war 16 Jahre alt. Über Tschernobyl und das Reaktorunglück, welches sich dort am 26. April 1986 ereignete, hatte ich bis dahin hauptsächlich eher aus dem Schulunterricht erfahren. Und dann erschien da plötzlich so ein unscheinbares PC Spiel mit dem Namen "S.T.A.L.K.E.R.: Shadow of Chernobyl". Ein PC Spiel, welches mich später noch in eine unheimlich tiefe Interessensspirale ziehen sollte. Das damals neuartige Setting reizte mich und so landete S.T.A.L.K.E.R. kurz nach Release schließlich auch auf meiner Festplatte. Es war der Tag, an dem ich bis heute zu einem großen Fan dieser Spieleserie wurde. Doch es war nicht nur das Spiel an sich, welches mich faszinierte. Unweigerlich begann ich damit, immer tiefer in das Szenario und die Spielwelt einzutauchen und so wuchs auch mein Interesse an den realen Geschehnissen rund um das Reaktorunglück von 1986, die gesamte Geschichte drum herum, davor und danach, sowie die aktuellen Gegebenheiten um das Gebiet rund um Tschernobyl, also der so genannten Sperrzone von Tschernobyl oder einfach nur "der Zone".

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    Ich begann damit, mich systematisch in die Zeitgeschichte einzuarbeiten, legte mir zahlreiche Fachbücher zu, suchte nach passenden Fernsehdokumentationen, Zeitzeugenberichten, etc. Mit der Zeit hatte sich daraus fast schon eine eigene Art von Hobby entwickelt, "die Zone" ließ mich einfach nicht mehr los. Damit war ich übrigens nicht alleine. Geführte Touren durch die Sperrzone gab es bereits lange vor dem Release des ersten Spiels, doch durch die S.T.A.L.K.E.R. Spiele erst erhielten diese Touren reinen regelrechten Boom, auch das reale Tschernobyl wurde zu einem Magneten für abenteuerlustige Touristen und Fans der Spielereihe. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine sowie durch die zwischenzeitliche, partielle Besetzung der Zone durch russische Truppen sind solche Touren jedoch leider nicht mehr möglich. Generell stellte die militärische Aktivität seitens Russlands in diesen Gebieten eine absolute Widerlichkeit dar. Für Mensch und Natur, im geopolitischen als auch im militärstrategischen Sinne.

    Neben zahlreichen, spannenden Fakten und Fachpublikationen stieß ich jedenfalls auch rasch auf diverse Mythen, Verschwörungstheorien und andere Hirngespinnste, die allerdings wiederum prima in die fiktionelle Welt des S.T.A.L.K.E.R. Universums passten und diverse Fantasy Romane zur Thematik durften da natürlich auch nicht fehlen.
    Es war auch meine erste (und einzige) Berührung mit dem Thema Cosplay. Ein paar Jahre später, ich hatte das dritte Spinoff "Call of Pripyat" bis dahin bereits ebenfalls unzählige male durchgespielt, war ich in einem Airsoft Verein aktiv und spielte dort regelmäßig. Wir waren ein professioneller Reenactment Verein (und fuhren unter anderem auf mehrtägige "MillSim" Events nach Tschechien, Polen oder Ungarn) und stellten dabei diverse sowjetische wie moderne, russische Einheiten möglichst authentisch nach. Allmöglicher Ostblock-Krimskrams und die diversesten Ausrüstungsgegenstände, die auch in den S.T.A.L.K.E.R. Spielen vorkamen, waren also ohnehin bereits vorhanden.
    (Anm.: Ich spiele zwar seit über zehn Jahren kein Airsoft mehr, der Reenactment Verein existiert alllerdings auch heute noch. Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 stellt der Verein jedoch keine russischen Einheiten mehr dar und benannte sich um.)

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    Natürlich sind seit dieser Zeit auch schon wieder über zehn Jahre vergangen und natürlich war in diesen Jahren die Luft auch aus den S.T.A.L.K.E.R. Spielen irgendwann raus. Irgenwann kannte ich einfach jeden Quadratmeter der Zone auswendig und konnte die Storydialoge aus dem Gedächtnis aufschreiben. Nur der bis heute aktiven Modding Community ist es zu verdanken, dass die Spiele doch über eine so lange Zeit ein Dauerbrenner bei mir auf dem PC wurden. Die wichtigeste Mod bis heute stellt übrigens gleichzeitig auch eine Art der allerersten Mods im Spiel dar. Nämlich jene, die diese furchtbaren, spiegelverkehrten Waffenmodelle aus dem Spiel gegen korrekte ersetzte. Bis heute ist mir unklar, wie man diese unfassbar furchtbare Designentscheidung treffen konnte. Auf Platz Zwei war übrigens eine Mod, welche die Energy Drink Dosen gegen Red Bull ersetzte und eine, welche die Noname-Zigarettenschachteln gegen schicke Camel Schachteln ersetzte. Ich mag einfach so kleine Details. Auch grafisch konnte die Modding Community in den Jahren noch so einiges aus der betagten Grafikengine rausholen. Besonders erwähnenswert ist hier natürlich die Standalone Modifikation "S.T.A.L.K.E.R. Anomaly", eigentlich quasi schon wieder ein völlig eigenständiges Spiel, und das völlig kostenlos. Allerdings muss ich gestehen, Anomaly bis heute nie selbst gespielt zu haben.

    Jedenfalls blieb ich zwar bis heute das wandelnde Tschernobyl Lexikon, die S.T.A.L.K.E.R. Spiele verschwanden dann aber irgendwann doch gänzlich von meiner Spieleliste. Vor Allem, da ich heute ohnehin lieber gemütlich im Bett auf der Konsole spiele als auf dem PC. Die turbulente Entwicklungsgeschichte von S.T.A.L.K.E.R. 2 sowie die schwierigen Umstände der Entwickler verfolge ich natürlich dennoch seit den ersten Ankündigungen regelmäßig mit. Da dessen Release aber mittlerweile nochmals auf September 2024 verschoben wurde, wird es sich wohl noch ein paar Monate hinziehen, bis ich wieder einen Ausflug in die Sperrzone von Tschernobyl unternehmen kann.
    Oder doch nicht?

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    Wie bereits erwähnt, spiele ich heute hauptsächlich auf den Konsolen. Als ich durch Zufall las, das alle bisher erschienenen S.T.A.L.K.E.R. Spiele in Fom einer Triologie mit dem Namen "Legends of the Zone" nun auch für die aktuellen Konsolen von Microsoft und Sony erschienen sind, schlug das Strahlendosimeter in meiner Hose schlagartig an. Als ich die ersten Screenshots und Let´s Plays der Konsolenversionen sah, folgte allerdings auch schnell die Ernüchterung. Zu allererst: Immer noch die spiegelverkehrten Waffenmodelle! Arghs! Der zweite Gedanke war: "Wow... so sahen die Spiele damals wirklich aus? Uff". Im Moment sind auch nur eine Xbox One, respektive eine PS4 Version in den entsprechenden Stores erhältlich. Laut den Entwicklern soll allerdings mit der Zeit noch eine grafisch verbesserte Version für die Xbox Series S/X sowie PlayStation 5 erscheinen. Ebenso soll danach auch noch ein Modsupport für die Konsolenversionen hinzugefügt werden. Besonders auf diesen bin ich mehr als gespannt. Bis beides allerdings umgesetzt ist, werde ich eher die Finger von den aktuellen Konsolenversionen lassen. Die grafischen wie spielerischen Abstriche gegenüber der zuletzt vor etlichen Jahren von mir gespielten und komplett aufgemoddeten PC Version wären einfach zu groß.

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    Allerdings stieß ich dann noch auf ein ganz anderes Spiel: Chernobylite.
    Ich konnte mich dunkel erinnern, es vor etlichen Jahren auf Steam einmal für ein paar Euro im Angebot als Early Access Spiel gekauft, aber nie installiert geschweige denn gespielt zu haben. Und nachdem ich die Shop Seite der S.T.A.L.K.E.R. Triologie im PlayStation Store wieder geschlossen hatte, erblickte ich Chernobylite plötzlich dort, für 15 Euro. Ich ließ mich gerne überraschen und entschloss mich schließlich zu einem Spontankauf. Meine Güte, ich wurde dabei nicht enttäuscht!

    Zuerst dachte ich, dass es sich bei Chernobylite um einen S.T.A.L.K.E.R. Klon mit schickerer Grafik handelt, schon nach den ersten Spielstunden musste ich jedoch feststellen, dass ich mich komplett gettäuscht hatte. Zu allererst einmal: Chernobylite ist kein Shooter! Wo immer ihr könnt, solltet ihr es also tunlichst vermeiden, eure Knarre rauszuholen und stattdessen lieber andere Wege und Möglichkeiten finden, um euer Ziel zu erreichen. Das liegt auch daran, dass das Gunplay absolut schwammig und unterirdisch ist, sodass das Schießen ohnehin keinen Spaß macht - zumindest auf der Konsole bzw. mit dem Gamepad. Das Spiel mischt dennoch Shooterelemente mit Rollenspiel, Basenbau, Erkundung und Survivalelementen. Nach dem Prolog baut ihr Stück für Stück eure eigene Basis auf, rekrutiert Mitstreiter, versorgt sie mit Nahrung, Waffen und medizinischer Versorgung, schickt sie raus auf Materialsuche und streift dabei selbst durch die Zone auf der Suche nach neuen Rohstoffen für den Ausbau eurer Basis und das Item- bzw. Waffencrafting, während ihr im Rahmen der Hauptstory nach eurer seit 30 Jahren verschwundenen Verlobten sucht und nebenbei mysteriösen Vorkommnissen und Experimenten im ehemaligen Atomreaktor auf den Grund geht.

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    Dabei spielt ihr einen ehemaligen Reaktorfahrer und Atomtechniker des AKW Tschernobyl und keinen abgebrühten Haudrauf-Soldaten. Das erklärt vielleicht nicht nur das miese Waffenhandling sondern auch die Tatsache, dass es nicht spurlos an euch vorüber geht, wenn ihr mit der Kalashnikov einem feindlichen Söldner aus nächster Nähe das Gehirn auf dem verstrahlten Boden verteilt oder jemandem von hinten mehrmals euer Messer in die Brust rammt. Es nagt an der Psyche eures Spielcharakters und lässt ihn langsam verrückt werden. Ein weiterer Faktor also, der euch nahelegt, in vielen Szenen eher nach einer gewaltlosen Lösung zu suchen. Sollte sich ein spontanes Blutbad aber dennoch nicht vermeiden lassen, so reichen allerdings ein paar Schlückchen Vodka aus, um eure Psyche wieder zu stabilisieren. Wer kennt´s nicht?

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    Abgesehen davon sieht Chernobylite einfach unfassbar gut aus. Wirklich: Unfassbar gut! Neben dem modernen Grafikgerüst im Hintergrund gibt es aktuell kein Videospiel, welches die Gebietsabschnitte innerhalb der Sperrzone von Tschernobyl inklusive Pripyat derart detailiert und realitätsgetreu nachbildet. Die polnischen Entwickler von The Farm 51 geben an, für die Entwicklung dieses Spiels selbst mehrmals in der Sperrzone unterwegs gewesen zu sein und viele Orte sogar laservermessen zu haben, um diese einzigartig realitätsgetreue Darstellung im Spiel umsetzen zu können. Das Endergebnis ist derart schön, dass sogar sämtliche Bilder innerhalb dieses Artikels ausschließlich aus Chernobilyte stammen.

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    S.T.A.L.K.E.R. hingegen hatte echt ein bisschen meine (späte) Jugend geprägt. Ohne S.T.A.L.K.E.R. hätte ich niemals das kyrillische Alphabet gelernt, ohne S.T.A.L.K.E.R. hätte ich nie herausgefunden, wie geil ein Abend mit einer Flasche ukrainischen Vodka, Speck, in Essig eingelegtem Gemüse und Akkordeon Musik sein kann.

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    Als ich mir jetzt als "Erwachsener" allerdings wieder ein paar Let's Plays der alten Teile angesehen hatte, musste ich feststellen, dass die Zone, wie sie einem S.T.A.L.K.E.R. präsentiert, viel von seiner Gänsehaut verursachenden und beklemmenden Atmosphäre verloren hat. Gerade jetzt, wo ich Chernobylite spiele, ist mir das extrem aufgefallen. In S.T.A.L.K.E.R. geschieht mir an jeder Ecke gefühlt irgendwie zu viel Action, als dass da heute noch eine wirklich beklemmende Atmosphäre aufkommen will. An jeder Ecke wird man von irgendeinem Mutantenhund angegriffen, dort drüben schießen sich zwei Kleinarmeen über den Haufen, etc.

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    Da ist Chernobylite auf einem ganz, ganz andereren Level. Klar, es mag natürlich auch an dem großen Grafiksprung liegen, dass ich die Zone hier völlig anders empfinde, aber was die Entwickler hier geschaffen haben, ist echt ein kleines Meisterwerk. Diese perfekte Mischung aus Erkundung und Sightseeing, gepaart mit einer kaum sichtbaren aber immer spürbaren Bedrohung sorgt für ein derart beklemmendes Gefühl beim Spielen, sodass ich nach ein paar Stunden echt den Controller zur Seite legen und eine Pause machen muss, weil ich mich einfach so beklemmend unwohl fühle. Das haben bisher echt wenige Videospiele bei mir geschafft.
    Einfach mal ein düsteres, mehrstöckiges und völlig verfallenes Wohnhaus erkunden, während der Donner draußen immer lauter grollt und es immer düsterer wird und ihr wisst, was ich meine.

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    Ich wundere mich, ob es 1986 bereits grüne LEDs gab... und mache mir dabei in den Schlüppi.

    Mal schauen, in welche Kerbe S.T.A.L.K.E.R. 2 schlagen wird, da bin ich sehr gespannt. Wenn es im September 2024 dann - hoffentlich - so weit ist, freue ich mich auch wieder auf mutierte Wildschweine, Snorks und Bloodsucker sowie auf eine etwas "seichtere" Version der Zone.

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    Aber Leute, ich sag's euch: Spielt derweil Chernobylite! Das Gameplay ist im Vergleich zu S.T.A.L.K.E.R. zwar eher mittelmäßig, aber kein anderes Spiel stellt beim Durchwandern die Zone rund um den Reaktor so eindrucksvoll, schön und atmosphärisch dar, wie Chernobylite.
    Die Zone soll euch holen, wenn ihr´s nicht tut!

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    Über den Autor

    ShortSeb
    ShortSeb hatte seine ersten, ernsthaften Erfahrungen mit Videospielen wohl 1997 mit der ersten PlayStation gesammelt. Über seine Kindheit blieb er dieser Plattform (nicht zuletzt dank Mama und Papa) auch weitgehend treu, bis er als Jugendlicher schon damit begann, seine eigenen PCs zusammenzubauen und sich hauptsächlich diesen zu widmen. Heute hingegen ist "Shorty" überzeugter Multiplattform Gamer und mit Vollblut auf jeder Plattform zuhause, egal ob PC, Xbox, PlayStation oder Nintendo.
    SirConnor, Stereomud und manfred4281 gefällt das.

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