Früher waren Spiele besser - Nostalgie und Verklärung

Nein, Spiele waren früher nicht besser, sondern lediglich aufgrund verschiedener, persönlicher Faktoren intensiver, sagt Gastkolumnist und Küchenpsychologe Fabu.

Unter manchen Spielerinnen und Spielern, die diverse Hard- und Softwaregenerationen miterleben durften, gehört eine gewisse Wehmut zur Tagesordnung: »Früher war alles besser«, heißt es dann und soll den Umstand verdeutlichen, aktuelle Games seien nicht in der Lage, dem digitalen Zauber vergangener Tage das Wasser zu reichen. Da ich selbst dazu neige, ein irrationales Ungleichgewicht von Vergangenheit und Gegenwart in mir zu tragen, möchte ich den Gründen dafür auf den Zahn fühlen.

Als Scheidungskind der Achtziger mit gewissem Talent in der Überredungskunst und großzügiger Mutter zierte schon sehr bald ein C64 samt Peripherie mein Kinderzimmer. Mein Einstieg in die schöne, bunte Pixelwelt bildeten demnach Spiele wie Summer Games, International Karate und Giana Sisters. Doch konnten mich Sport-, Kampf- und Hüpfspiele nachfolgender Generationen ebenso begeistern, wie es einst die Klassiker vermochten? Nein.

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Der Autor
Fabu stürzt sich seit nunmehr 15 Jahren auf alle möglichen Emulatoren, um die Spielerlebnisse vergangener Tage wiederzubeleben. Leider mit mäßigem Erfolg, denn obwohl ganz hervorragende Software zur Verfügung steht, lassen ihn simulierte Relikte nach anfänglicher Euphorie weitestgehend kalt. Zum Aufwärmen begibt sich Fabu dann zu Superlevel, wo er gemeinsam mit anderen Autorinnen und Autoren die Indieszene beleuchtet.

Unwissenheit ist ein Segen

Als ich damals meine ersten Gehversuche in die Computerwelt unternahm, waren meine Erwartungen noch verhältnismäßig gering und somit schnell befriedigt. Ich hatte keine Erwartungen an die Grafik, da ich nur auf wenige Vergleiche zurückblicken konnte, die konsumierte Technik mein technisches Verständnis überstieg und das Gesehene kommentarlos als Nonplusultra akzeptiert wurde.

Mit den Jahren habe ich mir ein komplexes Gerüst aus Erwartungen gesponnen, und bei jeder Konfrontation mit etwas Neuem muss es sich meiner Skepsis stellen und wird in der Regel verlieren. Kindliche Unbefangenheit ist aber nur einer von vielen Faktoren, die es nahezu unmöglich machen, eine derartige, emotionale Intensität vergangener Tage zu reproduzieren.

... und heute ... und heute
Früher ... Früher ...

International Karate (1986) machte mir rückblickend mehr Spaß als Mortal Kombat X (2015) ...

Apropos Befriedigung und Reproduktion - an dieser Stelle möchte ich einen Bogen zur Fleischeslust schlagen. Erinnert ihr euch noch an den ersten Erotikfilm, den ihr zu Gesicht bekamt? An die Faszination für das Neuland und an die damit verbundenen psychischen und physischen Reaktionen?

Nun ist es aber so, dass irgendwann unweigerlich der Softcore dem Hardcore weicht. Ja, irgendwann sind so viele Bilder von primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen durch das Gehirn geflitzt, dass durch die daraus resultierende Reizüberflutung ein gewisses Abstumpfen nahezu unvermeidbar ist. Genau dieses Abstumpfen lässt sich auch auf Spiele übertragen.

Rule Britannia: Dafür haben wir Ultima geliebt

Volle Vorstellungskraft voraus

Und dann wäre da noch die Begeisterungsfähigkeit. Im Kindesalter konnte ich stundenlang und pausenlos einen Papierflieger durch die Luft werfen. Oder Löcher buddeln. Oder Urzeitkrebse züchten. Oder Computerspiele spielen. Noch verschont von Ballast wie Mieterhöhung, Haarausfall und Herzverfettung konnte ich mich den einfachen Dingen hingeben, mich für sie begeistern - und in Kombination mit kindlicher Fantasie in neue, aufregende Welten abtauchen, die mich zu fesseln wussten. Es bedurfte keiner hochauflösenden Texturen und Sprachausgabe, weil ich mich ebenso mit einem Strohhalm, einem Blatt Papier und etwas Spucke zufrieden gegeben hätte.

... und heute ... und heute
Früher ... Früher ...

Ultima 4 (1985) und The Witcher 3 (2015) trennen Welten voneinander ...

Wenn man jetzt also in der Vergangenheit schwelgt und einer persönlichen Epoche hinterher trauert, in der die Spiele vermeintlich besser waren, sehnt man sich nicht nach den hohen Qualitätsmaßstäben von früher. Die Storys waren nicht besser, die Charaktere nicht ausgefeilter. Vielmehr war die eigene Geschichte noch nicht geschrieben, der eigene Charakter formbarer und deutlich leichter zu faszinieren.

Und addiert man dazu noch die Zeit, die nämlich nicht nur Wunden heilt, sondern generell negative Erfahrungen verblassen lässt, ergibt das eine unglaublich schöne, aber auch welke Erinnerung, die durch kein Remake dieser Welt erneut aufzublühen vermag.

Zumindest in einer Hinsicht war früher dann aber doch etwas besser: Es gab keine Mikrotransaktionen in Vollpreisspielen. Meine ausführliche Meinung dazu werde ich dann beizeiten als kostenpflichtigen DLC nachreichen.

Fatality für die Motivation: Mikrotransaktionen in Mortal Kombat X

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