Nightcrawler - Die Faszination der Finsternis

Seit Taxi Driver war kein Antiheld mehr so faszinierend wie die Hauptfigur in Nightcrawler. Und das ist nur einer der Gründe, warum man den düsteren Thriller gesehen haben muss, wie wir in der Filmkritik zeigen.

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Eine goldene Regel des Geschichtenerzählens lautet: Stelle eine Hauptperson ins Zentrum der Handlung, die das Publikum mag, mit der es sich identifizieren kann. Wer folgt schon gerne zwei Stunden lang einer Figur, die man nicht leiden kann, schlimmer noch - die einem völlig egal ist. Vor allem Hollywood-Blockbuster stellen deshalb stets gefällige Saubermänner und »Charming Princes« in den Mittelpunkt.

Es sei denn, sie tun es nicht. Eine der ersten Feldstudien war Martin Scorseses Taxi Driver, dessen zentrale Figur Travis Bickle alles andere war als der All-American-Wohlfühlheld und sich als gepeinigter Soziopath herausstellte. Taxi Driver wurde von der Kritik gefeiert, Antihelden sah man seither dennoch nur eher selten als Hauptpersonen im Kino.

Ist es also mutig oder leichtsinnig von Drehbuchautor Dan Gilroy in seinem Regiedebüt Nightcrawler einen ähnlichen Weg zu gehen? Beides. Wer dieses geniale Kleinod gesehen hat, versteht schnell, dass ein Charakter, der nicht völlig entrückt von normalen sozialethischen und moralischen Standards ist, unmöglich als Hauptfigur funktioniert hätte.

Grinsender Wolf im Schafspelz

Nightcrawler ist eine ätzende Satire, unfassbar bissig und dabei bis zur Unerträglichkeit ehrlich und schonungslos. Und das nicht etwa durch ihre Bilder, sondern durch Zwischenmenschliches. Im Kern der Handlung steht Lou Bloom (Jake Gyllenhaal), ein ehrgeiziger, verbissener junger Mann auf Jobsuche. Gleich sein erster Auftritt zeigt jedoch: das hier ist nicht der gewöhnliche Karriere-Yuppie von nebenan.

Wir erleben Lou beim Klauen von Absperrzäunen, die er kurz darauf auf einer Baustelle verscherbeln will. Als er den Bauvorstand nach einer Festanstellung fragt und mit einem schroffen »Ich stelle doch keinen Dieb ein!« abgewiesen wird, ist Lou Bloom nicht etwa erschrocken oder verschämt - er grinst bis über beide Ohren. Und während das Publikum noch rätselt, was für ein Mensch Bloom denn nun ist, ist es längst im Bann seines Charakters.

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Nightcrawler ist Lou Bloom ist Jake Gyllenhaal. Beinahe die gesamte Faszination von Nightcrawler speist sich aus seiner Figur, die irgendwo zwischen manisch, charismatisch, bemitleidenswert und rätselhaft tendiert. Wie das Thema des Films ist auch sein Protagonist hochgradig ambivalent. Nie weiß man, ob man mit Lou nun mitleiden oder ihn verabscheuen soll. Die Beantwortung dieser Frage nimmt der Film seinem Publikum zum Glück nie ab.

Wenn's blutet, klingelt die Kasse

An der Oberfläche verhandelt Nightcrawler die Machenschaften des US-Mediensystems. Eine Welt, in der nicht mehr die Nachricht selbst zählt, sondern nur noch ihr Schau- und Marktwert. In der Blut und Morde für klingelnde Kassen, Hintergründe und Wahrheiten jedoch für hängende Mundwinkel sorgen. Hierhin verschlägt es Lou Bloom, der fortan für einen lokalen Nachrichtensender die Bilder des Tages einfangen soll.

Spätestens jetzt dreht Nightcrawler sämtliche Fremdscham-Hähne auf. Wenn Lou bei brutalsten Unfällen den Opfern direkt in die blutige Visage filmt, dann möchte man einfach nur wegschauen. Nicht, weil das Gezeigte so brutal wäre (was es zum Teil ist), sondern weil sich selbst Menschen mit weniger ausgeprägten moralischen Werten angewidert von derartiger Skrupellosigkeit abwenden dürften.

 Irgendwann reichen normale Bilder dann nicht mehr aus - also hilft Lou nach... Irgendwann reichen normale Bilder dann nicht mehr aus - also hilft Lou nach...

Nightcrawler fährt zahllose dieser Momente auf. So viele sogar, dass man sich gen Ende sogar daran gewöhnt und die Abscheu in Faszination verkehrt wird. Irgendwann ergibt man sich dem schaurigen Treiben, akzeptiert die handelnden Personen als Schurken, freut sich gar auf den nächsten amoralischen Frontallangriff auf die Geschmacksgrenzen. Und hofft, dass Nightcrawler kein allzu akkurates Bild der tatsächlichen Zustände der US-Medienlandschaft zeichnet.

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