Heiko Klinges Jubiläumsrückblick - Vom Bewerbungsgespräch bis zur Brautschau

Heiko Klinge berichtet über seine 12 Jahre GameStar. Oder: Wie man mit Rundenstrategie Westfalen besänftigt und Wochenendausflüge in Chicago gestaltet.

Der Igelschnitt war 2001 voll gesellschaftsfähig, ehrlich! Zumindest hat er mich jung gehalten. So jung, dass ich noch mit 23 manchmal den Ausweis beim Bier bestellen vorzeigen musste. Der Igelschnitt war 2001 voll gesellschaftsfähig, ehrlich! Zumindest hat er mich jung gehalten. So jung, dass ich noch mit 23 manchmal den Ausweis beim Bier bestellen vorzeigen musste.

Wow, 15 Jahre GameStar. Fast zwölf davon habe ich miterleben und mitgestalten dürfen. Wie die Zeit vergeht, wenn man Spaß hat! Ohne Flax: Mich aus einer Bierlaune heraus (im wahrsten Sinne des Wortes) als eigentlich frischgebackener Wirtschaftsinformatik-Student spontan bei meiner damaligen Lieblingszeitschrift GameStar zu bewerben, war eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Ich finde es heute noch genauso fantastisch wie damals, dass ich morgens aufstehe und nicht die leiseste Ahnung habe, was im Büro passieren wird – den ebenso fähigen wie herrlich bekloppten Kollegen sei Dank. Mir fällt es entsprechend schwer, ein einzelnes Highlight herauszupicken. Aber folgende Anekdoten haben sich besonders in mein Hirn eingebrannt:

Bewerbungsgespräch, September 2000

Die erste Frage des damaligen stellvertretenden Chefredakteurs Martin Deppe an den tierisch nervösen Heiko: »Würdest du dich selbst als ordentlich bezeichnen?« Ich so: »Ich denke schon.« Er so (stellen Sie sich jetzt einen wütenden Westfalen vor): »Und dann gibst du solch eine schlampige Bewerbungsmappe ab?« Rumms, das hatte gesessen. Dabei hatte ich doch nur meine vier Jahre alte, rotzgrüne Altpapier-Bewerbungsmappe für meine Bankausbildung wiederverwertet und sorgfältig das »NORD/LB« erst mit Tippex und dann mit »GameStar« überpinselt. Ähem. Ich dachte ehrlich, die Mappe bringt Glück.

Glücklicherweise war wohl mein Probetext – ein Kurztest (!) zu Baldur’s Gate 2 – recht ordentlich. Und im Verlauf des Gesprächs gelang es mir außerdem, Martin mit ausgiebigen Fachdiskussionen zu seinen damaligen Lieblings-Rundenstrategiespielen Civilization 2, Heroes of Might & Magic 3 und Death or Glory (kennt das noch irgendwer?) erst abzulenken und schließlich wieder zu besänftigen. Ich weiß auch noch, dass wir damals darüber philosophiert haben, wie lange man den Job als Spieletester überhaupt machen könne. Zwölf Jahre später schreiben wir zwei immer noch für die GameStar. So wütend wie beim Bewerbungsgespräch habe ich ihn übrigens nie wieder erlebt.

Jedi Academy Titelstory, März 2003

Heiko mit 29 und verwegenem Fransenscheitel. Ich meine, auch erste Falten erkennen zu können. Lachfalten, natürlich. Heiko mit 29 und verwegenem Fransenscheitel. Ich meine, auch erste Falten erkennen zu können. Lachfalten, natürlich.

Das Telefon klingelte am Mittwochabend. Am Apparat war der damalige Chefredakteur Jörg Langer, der wissen wollte, ob ich am Wochenende schon was vorhätte. Ich: »Nö, wieso?« Jörg: »Weil ich jemanden brauche, der morgen nach Wisconsin reist, um am Freitag bei Raven Software das neue Jedi Knight anzuschauen und am Samstag die Titelstory zu schreiben, damit wir sie am Sonntag fertigstellen können!«

Die folgenden Tage erlebte ich wie im Traum: Der Flug nach Chicago, am Freitag die Besichtigung der Raven-Büros und die weltexklusive Präsentation des Spiels auf Großbildleinwand, das gemeinsame Abendessen mit den Entwicklern, der zehnstündige Schreibmarathon am Samstag im Hotelzimmer, die Erleichterung beim Versenden des fertigen Artikels, die Nervosität beim Mail-Postfach-Öffnen am Sonntagmorgen, der Stolz beim Lesen der Mail von Jörg, dass nicht nur alles geklappt hat, sondern der Artikel auch noch richtig gut geworden ist.

Erst jetzt war Zeit zum Luftholen und zum Realisieren, was ich eigentlich – trotz aller harter Arbeit – für einen unfassbares Glück habe. Ich weiß noch genau, wie ich damals allein im Frühstücksaal meines Hotels saß, das größte Omelette meines Lebens verspeiste, durch das Fenster auf die geschäftigen Straßen Chicagos schaute und mit einem leicht debilen Grinsen im Gesicht immer wieder ungläubig den Kopf schüttelte. Die Hotelangestellten müssen mich für ziemlich bekloppt gehalten haben.

Vorstellung von /GameStar/dev auf der Game Developer Party in Mülheim, 20.7.2005

Eigentlich war es eine völlig bekloppte Idee, für die mich die damaligen GameStar- und GamePro-Chefredakteure Gunnar Lott und André Horn im Frühjahr 2005 gewinnen wollten: ein Fachmagazin für Spieleentwickler, und ich sollte die Projektleitung übernehmen. Dazu muss man wissen, dass es der deutschen Games-Industrie zu diesem Zeitpunkt unfassbar schlecht ging. Es gingen reihenweise Firmen Pleite, großzügig gerechnet gab es in der Industrie vielleicht noch 5.000 Beschäftigte. Nicht gerade das, was man gute Voraussetzungen nennt. Zum Vergleich: GameStar hat zu diesem Zeitpunkt noch weit über 200.000 Hefte pro Monat verkauft.

Aber wir haben es natürlich trotzdem gemacht. Nahezu ohne Budget und größtenteils in unserer Freizeit. In der Erstausgabe gab es einen Studiobericht von Lionhead, ein Exklusivinterview mit Crytek-Chef Cevat Yerli, und Designer-Legende Bruce Shelley (Age of Empires) musste in unserer »dev-Challenge« romantische Beziehungen zu einem Spielelement der Echtzeitstrategie machen.

Ein wenig beruhigt es ja schon, dass ich mit 34 fast noch genauso aussehe wie mit 29. Erste Anzeichen von Altersschwäche machen sich lediglich bei der Sehfähigkeit bemerkbar. Und graue Haare kann man ja glücklicherweise mit Schwarz-Weiß-Fotos kaschieren. Ein wenig beruhigt es ja schon, dass ich mit 34 fast noch genauso aussehe wie mit 29. Erste Anzeichen von Altersschwäche machen sich lediglich bei der Sehfähigkeit bemerkbar. Und graue Haare kann man ja glücklicherweise mit Schwarz-Weiß-Fotos kaschieren.

Am 20. Juli dann die Feuertaufe: Auf einer Game Developer Party in Mülheim (!) durfte/sollte/musste ich das Ergebnis unserer Arbeit der deutschen Spieleentwickler-Szene präsentieren – nahezu alle Geschäftsführer der verbliebenen deutschen Studios waren anwesend. Noch nie zuvor in meinem Leben war ich so nervös, noch nie zuvor habe ich mich so häufig verhaspelt, aber noch nie zuvor war das dermaßen egal.

Die Geschäftsführer fanden nicht nur unser neues Heft klasse, sondern entpuppten sich auch noch fast durchgehend als gleichermaßen unkomplizierte wie sympathische und nerdige Jungs, die genau wie ich ihr Hobby zum Beruf gemacht haben und mit denen ich fast genauso gut über Games fachsimpeln konnte wie mit den Kollegen. An diesem Abend habe ich nicht nur jede Menge Bier getrunken und neue Freundschaften geschlossen, sondern auch eine reizende junge Dame kennen gelernt. Und irgendwann an diesem Abend ist mir endgültig klar geworden, dass ich mir keinen schöneren Job vorstellen kann.

/GameStar/dev heißt inzwischen Making Games und ist mit rund 10.000 Lesern Zentraleuropas größtes Magazin für Spieleentwicklung und die reizende junge Dame von damals ist mittlerweile meine Frau. Also Ende gut, alles gut? Ich würde eher sagen: Mittendrin gut, alles gut. Denn das Beste kommt erst noch!

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