Die Anno-Farce - Kolumne zum Deutschen Computerspielpreis 2010

Verwirrung beim Deutschen Computerspielpreis 2010: Anno 1404 gewinnt sowohl als bestes deutsches als auch als bestes internationales Spiel. Michael Trier beleuchtet die politischen Motive hinter den seltsamen Entscheidungen der Jury.

GameStar-Chefredakteur Michael Trier. GameStar-Chefredakteur Michael Trier.

Keine Frage, Anno 1404 ist ein herausragendes Spiel - auch nach internationalen Maßstäben. Schließlich hat es mit dem Addon Venedig mit 93 Punkten die zweithöchste Wertung der GameStar-Geschichte bekommen. Warum also die ganze Aufregung über die Auszeichnung als »Bestes Internationales Spiel« beim Deutschen Computerspielpreis 2010?

Ganz einfach: Weil Anno 1404 für diese Kategorie ursprünglich gar nicht nominiert war. Denn eigentlich ist die Kategorie »Bestes Internationales Spiel« für, Sie werden es erraten, Spiele von internationalen und eben nicht deutschen Entwicklern gedacht. Sonst müsste die Kategorie ja »Bestes deutsches Spiel, dass auch international vertrieben wird« heißen. Damit hat die Jury des Deutsche Computerspielpreises bei dessen zweiten Ausrichtung zum zweiten Mal eine Entscheidung getroffen, die für viele nicht nachvollziehbar ist und nach faulem politischen Kompromiss müffelt. Wir erinnern uns: Im letzten Jahr durfte das selbst im Feuilleton hochgelobte GTA 4 nicht einmal zu den Nominierten gehören – schließlich geht es hier um ein Drama inmitten von Verbrechen und Gewalt.

Thomas Pottkämper (Related Designs) und Christopher Schmidt (Blue Byte) freuen sich über den Preis "Bestes Deutsches Spiel"... Thomas Pottkämper (Related Designs) und Christopher Schmidt (Blue Byte) freuen sich über den Preis "Bestes Deutsches Spiel"...

Was ist also passiert? Um das zu verstehen, muss man ein wenig tiefer ins komplexe Regelwerk dieser Preisverleihung einsteigen. Für jede Kategorie gibt es eine vierköpfige Fachjury, die über die Nominierungen entscheidet und auch einen Preisträger empfiehlt. Zur Fachjury für das »Beste Internationale Spiel« gehört auch GameStar-Redakteur und Making-Games-Projektleiter Heiko Klinge. Wer letzten Endes den Preis erhält, bestimmt jedoch die so genannte Hauptjury unter Vorsitz von Wolf-Dieter Ring, der gleichzeitig Präsident der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien und Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz ist.

Das Problem: Die Fachjurys können die nominierten Spiele nicht frei auswählen, sondern müssen mit dem leben, was die drei am Preis beteiligten Branchenverbände G.A.M.E. (Verband der deutschen Spieleentwickler) , BIU (Verband der in Deutschland tätigen, zum Teil internationalen Publisher) und BVDW (Bundesverband digitale Wirtschaft) einreichen. Und das sind vor allem Spiele von Verbandsmitgliedern. Was in den nationalen Kategorien noch funktionieren mag, wird im internationalen Bereich stellenweise zur Farce, wo in diesem Jahr neben Toptiteln auch Spiele wie Mein Baby 2 und Cursed Mountain von der Jury als Kandidaten begutachtet werden mussten. Anno 1404 gehörte jedoch nicht dazu, stand also für die Fachjury nicht einmal zur Debatte, da es als deutsche Eigenentwicklung schon in der Kategorie »Bestes Deutsches Spiel« startete.

...und kurz darauf auch zusammen mit den Laudatoren Daniel Budimann und Simon Krätschmer sowie Benedikt Schüler (Ubisoft) über die Auszeichnung "bestes internationales Spiel". ...und kurz darauf auch zusammen mit den Laudatoren Daniel Budimann und Simon Krätschmer sowie Benedikt Schüler (Ubisoft) über die Auszeichnung "bestes internationales Spiel".

Also nominierte die Fachjury Uncharted 2 und Dragon Age – beides nachvollziehbare Kandidaten – und als familientauglichen Dritten im Bunde das hochgelobte Nintendo DS-Knobelspiel Professor Layton 2. Als Favorit galt der Playstation-3-Titel Uncharted 2, ein unbestrittener Meilenstein des Action-Adventure-Genres und gleichermaßen beliebt bei Spielern und Kritikern. Aber dummerweise ein Meilenstein, in dem geschossen wird. Nicht mehr als in jedem James-Bond- oder Indiana-Jones-Film, aber offenbar immer noch zu viel für die Hauptjury. Also wurde mit Anno 1404 ein neues Nominierten-Kaninchen aus dem Hut gezaubert - und prompt auch ausgezeichnet.

Die Farce ist also nicht, dass Anno 1404 den Preis bekommen hat, sondern warum das passiert ist. Weil die gleichen Medienpolitiker, die ein Inglourious Basterds fördern und feiern, Auszeichnungen für hochklassige, aber gewalthaltige Spiele aktiv verhindern und das Urteil einer Fachjury ignorieren.
Der Deutsche Computerspielpreis hat damit erneut massiv an Glaubwürdigkeit verloren. Das ist schade, denn eigentlich sollte er der hochoffizielle Beweis dafür sein, das Spiele als ernstzunehmendes Medium in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind.

Klaus Wowereit, Petra Müller, Bernd Neumann Klaus Wowereit, Petra Müller, Bernd Neumann

Doch das einzige was diese erneute Farce beweist, ist die heuchlerische Verlogenheit, mit der die meist von keinerlei Sachkenntnis belästigte Phalanx aus Jugendschützern, Wirtschaftslobbyisten und mediengeilen Politikern versucht, ein Stück vom Kuchen der modernen Wachstumsbranche Computerspiele abzubröseln und in das eigene Image einzuarbeiten. »Wasch mir den Pelz aber mach’ mich nicht nass« kommentierten wir schon bei der ersten Preisverleihung die Scheu dieser Klientel in irgendeinen Zusammenhang mit gewalthaltigen Spieleinhalten gebracht zu werden. Wenn man diese Haltung auf das Medium Film übertragen würde, hätten geschätzt 60 Prozent aller Oscars nicht verliehen werden können. Denn grade viele der besten Filme thematisieren Dramen inmitten von Verbrechen und Gewalt.

Trotzdem hat Heiko entschieden seine Jurytätigkeit fortzusetzen. Er möchte direkt in der Diskussion mit Politikern und Wissenschaftlern weiter dafür eintreten, dass auch Spiele für ältere Jugendliche und Erwachsene wie eben Uncharted 2 und Dragon Age kulturell wertvoll sein können, ganz wie es die Preiskriterien vorschreiben.

Die gute Nachricht ist, dass genau diese Diskussion durch den Anno-Skandal nun auch in Nicht-Spiele-Medien angekommen ist, sei es nun in der Welt Online oder auf heute.de. Und schon im nächsten Jahr hat der Deutsche Computerspielpreis die Gelegenheit, sein angekratztes Image wieder aufzupolieren. Denn werden mit Crysis 2 und Spec Ops: The Line zwei Spiele aus Deutschland zur Debatte stehen, bei denen die Jury endgültig Farbe bekennen muss. Denn wenn erwachsene Inhalte ein Ausschlusskriterium sind, dann muss man gefälligst auch den Mut haben, das offen und ehrlich zuzugeben. Dann muss man diesen Preis nicht »Deutscher Computerspielepreis« nennen, sondern »Deutscher Preis für kulturell und pädagogisch wertvolle Computerspiele, die auch für Kinder und Jugendliche geeignet sind«. Oder so. Solch ein unwürdiges Rumgeeier wie in diesem und im letzten Jahr haben jedenfalls weder der Preis, noch die Spiele, noch die Spieler verdient.

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